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Geschichte der Videospiele: vom Technikmotor zum Kulturgut

Dominik Rehermann

/ 6 Minuten zu lesen

Digitale Spiele haben inzwischen einen festen Platz in unserem Alltag und werden sogar als Kulturgut anerkannt. Bis dahin war es für die anfangs rein wissenschaftlichen Spiele ein weiter Weg.

Der Computer gehört zu den bedeutendsten Erfindungen der Moderne. Ohne diese Technologie gäbe es keine Smartphones, kein Internet, nicht einmal der Einkauf im Supermarkt würde so funktionieren, wie wir es gewohnt sind. Kurz: Unser Leben sähe ohne die Entwicklung des Computers heute vollkommen anders aus. Computerspiele gehörten fast von Anfang an zu den Anwendungen der neuen Technik. Die ersten Spiele wurden an Universitäten zu Forschungszwecken entwickelt. "Hier standen bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren Großrechner zur Verfügung, deren Möglichkeiten ausgelotet wurden", erklärt Mascha Tobe, Kuratorin des Computerspielemuseums in Berlin, das seit 1997 die Geschichte von Computerspielen erforscht und in Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert.

Abb. 0: Treppe der Stars im Computerspielemuseum Berlin. (© Jörg Metzner/Computerspielemuseum)

Schon früh haben Computerspiele dazu beigetragen, den Fortschritt der Technik voranzutreiben und die Möglichkeiten des Computers zu testen. So wurde auf der Deutschen Industrie-Ausstellung 1951 in Berlin der Nimrod vorgestellt: Ein Apparat mit 480 Vakuumröhren, der es den BesucherInnen ermöglichte, das Spiel "Nim" gegen den Computer zu spielen. "Nim" ist ein Spiel, bei dem abwechselnd eine Anzahl von Gegenständen, etwa Streichhölzer, weggenommen wird. Gewonnen hat, wer das letzte Hölzchen nimmt. Wer ein Spiel gewagt hatte, bekam damals einen Ansteckbutton mit der Aufschrift "I have seen the future". Mit den technischen Möglichkeiten wurden in den folgenden Jahrzehnten die Computerspiele anspruchsvoller. Diese sorgten wiederum für technischen Fortschritt, zum Beispiel im Bereich der Grafik oder Rechenleistung. "Die Entwicklung der Computerspiele hängt eng mit der Entwicklung derjenigen Technik ab, auf die sie angewiesen sind", sagt Tobe.

Abb. 1: Ein funktionsfähiger Nachbau des Nimrods im Computerspielemuseum Berlin. (© Jörg Metzner/Computerspielemuseum)

Retro-Games und erste Heimkonsolen

In den 1970ern wuchs der Einfluss der Computerspiele über die Technologieentwicklung hinaus: Zunehmend beeinflussten sie auch die Populärkultur. 1972 erschien das Spiel "Pong" von Atari. Bei dem an ein Tennisspiel angelehnten Spielkonzept ist es die Aufgabe, einen Punkt durch das Verschieben von zwei Linien hin und her zu spielen. Verfehlt der Punkt die eigene Linie, erhält die Gegenseite einen Punkt. "Pong" ist das erste Videospiel, das sich weltweiter Beliebtheit erfreute, und war entscheidend für die Verbreitung von Computerspielen: Zunehmend wurden elektronische Spielautomaten zunächst in Gaststätten, später in eigens dafür eingerichteten Geschäften, sogenannten Arcade-Hallen, aufgestellt. Nach Münzeinwurf kann an diesen Geräten gespielt werden. In den Folgejahren entstanden Spiele, die bis heute unter dem Begriff "Retro-Games" als beliebte Klassiker gespielt werden. Hierzu gehören unter anderem "Space Invaders", "Pac-Man" und "Donkey Kong", in welchem 1981 erstmals eine der bis heute berühmtesten Spielfiguren auftrat: ein Klempner mit dem Namen Mario – damals noch als Tischler mit dem Namen Jumpman (Kohler 2016, S. 34).

Abb. 2: Nachbau einer Arcade-Spielhalle der 1980er im Rahmen einer Sonderausstellung im Computerspielemuseum Berlin. (© Computerspielemuseum)

Diese ikonischen Spiele und Figuren sind für viele Erwachsene, die sie in ihrer Jugend kennengelernt haben, noch heute prägende Erinnerungen. Auch Menschen, die selbst nicht spielen, erkennen Figuren wie "Pac-Man" oder "Mario" meist. In der Mitte der 1970er wurden Spielkonsolen entwickelt, die – an den heimischen Fernseher angeschlossen – die Spielhalle nach Hause brachten. Das gemeinsame Spielen ist vielen bis heute positiv im Gedächtnis geblieben. "Spielen ist eine Kulturtechnik mit langer Geschichte", sagt Mascha Tobe. "Wie auch andere Medienerzeugnisse transportieren Computerspiele als kulturelle Artefakte Gedanken, Ideale, Sinnzusammenhänge und Deutungsmuster und üben so auch Einfluss auf ihre Rezipienten aus." In aktuellen Spieletiteln sind häufig Anspielungen auf Retro-Games zu finden. So findet sich im Rollenspiel "Skyrim" eine Anspielung auf "Pac-Man": Ein Stück Käse ist in Form der Retrofigur geschnitten und scheint kleine Punkte aus Knoblauch zu jagen (vgl. Gameranx 2021). Auch in anderen Mediengattungen findet das Retrogefühl seinen Ausdruck. So spielen die Arcade-Hallen der 1980er eine zentrale Rolle in der Netflixserie "Stranger Things".

Computer erobern das Zuhause

Mitte der 1980er kommt es zu einem Zusammenbruch des Konsolenmarktes, da Heimcomputer – wie der fast schon legendäre Commodore 64 – immer erschwinglicher wurden. "Vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren etablierten sich Computer in Büros und an Schreibtischen als Arbeitsgeräte", erklärt Tobe. "Selbstverständlich konnte man mit den Arbeitsgeräten auch spielen." Zudem wurde die Grafik der Spiele zunehmend besser, was auch zu höheren Ansprüchen der Kundschaft führte. Anstelle von Text-Adventures kamen in den 1980ern mehr und mehr Spiele auf den Markt, die das Geschehen grafisch darstellten. Mitte der 1980er kamen die ersten Spiele mit einer Steuerung per Maus auf den Markt. Die steigenden Ansprüche führten wiederum dazu, dass Spiele aufwendiger produziert werden mussten. Als größter Fehlschlag dieser Phase gilt Externer Link: das Spiel zum Film "E.T.", das 1982 von Atari für die hauseigene Konsole in kurzer Zeit entwickelt wurde. Das Spiel kam derart schlecht an, dass das Unternehmen Tausende Kopien in der Wüste vergraben ließ (vgl. Hooper 2016).

Auch andere Entwicklungsstudios brachten in dieser Zeit qualitativ schlechte Spiele auf den Markt. Zusammen mit dem großen Angebot an Spielekonsolen und den sinkenden Preisen für Heimcomputer, die meist nicht nur technisch überlegen, sondern auch flexibler einsetzbar waren, führte dies zu einem Zusammenbruch des Videospielmarktes. Der sogenannte Videospiele-Crash hatte auf Europa und Japan kaum einen Effekt, führte aber dazu, dass in den USA zahlreiche Unternehmen pleitegingen. Nach diesem Zusammenbruch des Marktes entstand die nächste Generation von Konsolen, die maßgeblich durch die Entwicklungen des japanischen Konzerns Nintendo geprägt wurde. Ende der 1980er entstanden für Nintendo-Systeme Klassiker wie "Super Mario Brothers", "The Legend of Zelda" oder "Tetris". Von diesen Spielen gibt es immer wieder Neuauflagen und Fortsetzungen. Ebenfalls ins Ende der 1980er-Jahre fällt mit dem Erscheinen des Gameboy der Beginn der mobilen digitalen Spiele.

Abb. 3: Retroklassiker "Super Mario Brothers" für das Nintendo Entertainment System (1987). (© Nintendo, eigener Screenshot)

Spiele werden erwachsen

"Nachdem Videospielkonsolen lange als Kindergeräte gehandelt wurden, gelang Mitte der 1990er-Jahre das Ansprechen der erwachsenen Zielgruppe", erklärt Mascha Tobe. Durch die immer besseren technischen Möglichkeiten konnten Spiele erstmals in 3-D dargestellt werden. Zudem ermöglichten aufwendige Videosequenzen und Soundtracks den Spielen, Geschichten ähnlich wie im Film zu erzählen. Durch diese Entwicklungen wurden Spiele für eine immer größere Zielgruppe interessant. In den 1990er-Jahren erschienen einige Spiele, die für die weitere Ausformung der Genres wegweisend waren, darunter "Doom", "Civilization" und "Warcraft".

Durch die Netzwerktechnik wurde zeitgleich das gemeinsame Spielen möglich. Auf sogenannten LAN-Partys trafen sich insbesondere Jugendliche, um ihre Computer miteinander zu vernetzen und teilweise ganze Wochenenden lang zu spielen. Besonders beliebt wurde der Shooter "Counter-Strike", bei dem zwei Teams gegeneinander antreten und versuchen, das andere auszuschalten. Mit den LAN-Partys entwickelte sich ein weiterer Aspekt der "Gamingkultur", wobei der soziale Faktor des Spielens stärker in den Vordergrund rückte. In dieser Zeit begann auch die Diskussion über die negativen Konsequenzen von Computerspielen. Am bekanntesten dürfte hier die sogenannte Killerspieldebatte sein, bei der es um das Potenzial von Spielen geht, gewalttätiges Verhalten zu fördern.

Abb. 4: Der Shooter "Counter-Strike" zählte zu den beliebtesten Spielen auf LAN-Partys der 1990er und fachte die Killerspieldebatte mit an. (© Valve)

Spiele als Kulturgut

Seit den 2000ern wächst der Markt für Videospiele stetig weiter, sodass die Gamingindustrie 2020 in Deutschland einen Umsatz von mehr als acht Milliarden Euro mit digitalen Spielen erzielte (vgl. game – Verband der deutschen Games-Branche 2021). Neben der wachsenden Vielfalt bei der Hardware (Konsolen, mobile Geräte, PCs, virtuelle Realität, Zubehör) sind die Spiele an sich vielfältiger geworden und scheuen sich nicht, häufiger auch ernste Themen anzusprechen. So ist 2020 mit "Through the Darkest of Times" ein Spiel erschienen, in dem man eine Widerstandsgruppe während der Nazidiktatur aufbauen soll. Zudem beziehen aktuelle Spiele mit ihren Figuren und Geschichten regelmäßig politische Positionen, sodass sie ähnlich wie Film und Musik gesellschaftliche Entwicklungen sowohl reflektieren als auch beeinflussen können. In Spielen wie "Life Is Strange" und "The Last of Us 2" treten ganz selbstverständlich homo- oder bisexuelle Hauptfiguren auf. Auch die Darstellung von weiblichen Heldinnen hat sich in Spielen stark verändert, sodass heute immer häufiger starke und unabhängige Frauen als Rollenvorbilder zu sehen sind.

Abb. 5: Gesellschaftlich relevante Themen wie die Akzeptanz von Homosexualität sind in aktuellen Spielen wie "Life Is Strange" keine Seltenheit mehr. (© Square Enix, eigener Screenshot)

Dieser Entwicklung trug der Spitzenverband der deutschen Kulturverbände Deutscher Kulturrat e. V. 2008 Rechnung: Der Verein nahm den Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V. (heute game – Verband der deutschen Games-Branche e. V.) als Mitglied auf. Dies wurde medial häufig mit der Erklärung von Computerspielen zum Kulturgut gleichgesetzt. Digitale Spiele sind in der Gesellschaft angekommen, wie die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Eröffnung der Gamescom 2017 feststellte. Forschungen im Bereich von Videospielen zeigen dabei, dass diese neben problematischen Aspekten wie Suchtverhalten und Gewaltdarstellungen insbesondere für Kinder und Jugendliche eine Möglichkeit bieten, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen, selbst zu gestalten und sich abzugrenzen (vgl. Scholz & Heinz 2015). Dass laut JIM-Studie 2021 (vgl. MPFS 2021) 72 Prozent der deutschen Jugendlichen digitale Spiele mehrmals wöchentlich oder täglich nutzen, zeigt die Bedeutung des Mediums – mit steigender Tendenz.

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