Damals, ich glaube ja, nicht nur für das Soldatische, auch für heute sehe ich, Anordnung, Anweisung, Befehl wird nicht in Frage gestellt. Es hat der Befehl für die Allermeisten auch etwas Entspannendes: Ist befohlen, wird gemacht.
Computerspiele als Eichmann-Simulatoren
/ 13 Minuten zu lesen
Wenn Computerspiele sich mit Kriegen auseinandersetzen, treten bestimmte Fragen über das Medium besonders hervor: Ist die spielerische Darstellung eines Kriegsgeschehens ein angemessenes Mittel der Repräsentation? Werden dabei tatsächliche Grausamkeiten trivialisiert? Wo liegen die Grenzen des Spiels – was darf es, was kann es und was nicht? Eine Antwort darauf lautet, dass Games durch ihre Fähigkeit, (unmenschliche) Systeme zu simulieren, als Eichmann-Simulatoren begriffen werden können. Und genau darin liegt ihr Potenzial.
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Dass die Kombination der Themen "Krieg und Spiele" stark emotionalisiert, überrascht keineswegs. Wo das eine im tatsächlichen Leben entsetzliche Schrecken heraufbeschwört, da scheint das andere – geradezu notwendigerweise – den nötigen Ernst vermissen zu lassen. Der Krieg im Kriegsspiel ist kein richtiger Krieg mehr: In den virtuellen Welten von Games wie "Call of Duty: WW 2" (2017) oder "Battlefield 1" (2016) werden militärische Konflikte zu einer "nicht-so-gemeinten Handlung" (Huizinga 2008, S. 22), einer vermeintlich lustvollen Beschäftigung oder zu einem zweckfreien Hobby, das scheinbar nur sich selbst genügt. Dabei hat das ‚Soldatische‘, mit Adolf Eichmann in Heinar Kipphardts Theaterstück gesprochen, auch etwas Entspannendes.
Der Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen besteht aber nicht in der Frage, ob Games in irgendeiner Weise dazu berechtigt sind, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Es geht stattdessen darum, dass dem Modus des Spielerischen eine bestimmte Einstellung oder Haltung innewohnt – eine Form der Banalität und Selbstvergessenheit, die, würde man sie auf nicht-spielerische Kontexte übertragen, folgenreich sein kann.
Computerspiele können in dieser Hinsicht als Eichmann-Simulatoren verstanden werden. Bevor wir klären, was das genau heißt, muss darauf hingewiesen werden, dass Computerspiele das, was sie vermitteln, nicht nur durch Stories, Figuren oder Schauplätze tun. Sie verwenden dafür auch Mittel, die wir bei kritischen Betrachtungen von Games viel zu selten berücksichtigen:
Im Zusammenhang zwischen Spielmechanik und ideologischer Haltung besteht aber auch eine Chance, um Games besser verstehen und bewerten zu können. Um das zu veranschaulichen, soll nach einer kurzen theoretischen Vorüberlegung ein Exkurs in ein anderes Medium unternommen werden. Ein Vergleich zwischen dem Theaterstück "Bruder Eichmann" (1982) von Heinar Kipphardt und dem Computerspiel "Papers, Please" (2013) wird zeigen, dass gerade das Medium Computerspiel nicht trotz, sondern durch seine Spielmechaniken dazu in der Lage ist, das Zusammenspiel aus fragwürdiger moralischer Haltung und der Banalität spielerischer Handlungen zu entlarven.
Computerspiele sind nicht interaktiv
Bereits sehr frühe Schriften der Game Studies betonen, dass Computerspiele nicht nur als Narrative, sondern vor allem als Simulationen von Systemen verstanden werden sollten (vgl. Aarseth 1997; vgl. Frasca 1999; vgl. Eskelinnen 2001). Denn obwohl Computerspiele fraglos dazu in der Lage sind, komplexe, vielschichtige und multiperspektivische Erzählungen zu vermitteln, bedeutet das nicht, dass es sich bei Games um reine Erzählmaschinen handelt, die auf Knopfdruck Geschichten erzählen.
Gründungsmythos der Game Studies
Doch wer behauptet eigentlich, Computerspiele seien reine Erzählmaschinen? Das ist eine sehr berechtigte Frage. Bei dem angeblichen Streit zwischen LudologInnen und NarratologInnen handelt es sich in erster Linie um einen Gründungsmythos der Game Studies. Hierbei standen weniger die wissenschaftlichen Unterscheidungen zwischen Narrativität und Ludizität in Computerspielen, sondern vielmehr die universitätspolitischen Konsequenzen aus der Beobachtung dieses Unterschieds im Vordergrund. Die akademische Bewegung der Game Studies, die um das Jahr 2000 öffentlichkeitswirksam durch ein eigenes Journal aufgetreten ist, verhandelte dabei vor allem die Frage, welche Disziplin über das am besten geeignete Instrumentarium verfügt, um Computerspiele zu untersuchen. Das Ziel der AutorInnen: Die Gründung einer eigenen, institutionell geförderten Disziplin, der Ludologie – und zwar explizit in Abgrenzung zu anderen Fächern, die traditionellerweise narrative Medien untersuchen. Ob diese von Henry Jenkins (2004, S. 118) so bezeichnete "blood feud" zwischen den angeblich involvierten Parteien tatsächlich stattgefunden hat, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden (vgl. auch Frasca 2003). Und so blickt auch Externer Link: Jesper Juul bereits 2004 zurück: "[Two colleagues] thought the ludologists are fighting an imaginary narratological straw man – indeed, that the narratologists do not exist at all. And on some level, I see what they mean – it is very seldom these days that you’ll meet someone who will squarely proclaim that games are stories" (Externer Link: zit. n. Pfister 2018).
Dieser Aspekt wurde auch einflussreich von Ian Bogost vertieft: Der Gamedesigner und Medienwissenschaftler versteht Computerspiele als prozesshafte (prozedurale) Artefakte. Diese könnten durch den Rückgriff auf systemische, regelgeleitete Abläufe eine eigene Rhetorik ausbilden, um politische Aussagen zu treffen. Das bedeutet, dass RezipientInnen von Computerspielen nicht nur eine Geschichte lesen, hören und sehen, die bereits im Vorfeld von einer AutorInneninstanz festgelegt worden ist. In einem Computerspiel sei – laut Bogost – die eigene, aktive Handlung die Voraussetzung für die Abfolge der Ereignisse, die sich von Durchlauf zu Durchlauf qualitativ unterscheide. Wir wirken damit auf ein berechnendes System ein – und das System reagiert auf unsere Eingaben und wirkt auf uns zurück. Durch dieses Wechselspiel entstehe eine Simulation, die bestimmte Ergebnisse hervorbringt – je nach Gestaltung der Spiels, aber auch nach den Absichten und der Weltanschauung der GamedesignerInnen. Die meisten Spiele eröffnen somit einen regelhaften Handlungsspielraum. Auf diese Weise werden wir zu einer Akkommodation gezwungen – zu einer Anpassung an ein spielmechanisches System. Den Begriff prägte für Computerspiele vor allem der Medientheoretiker Claus Pias. Akkommodation impliziere die Tatsache, dass
"jeder Versuch der Freiheit […], anders zu spielen als vorgesehen, das […] Aussetzen und damit das Ende des Spiels [bedeutet]. Im Actionspiel gibt es keine Spielereien oder Verhandlungen, kein falsches Spiel im richtigen. Und es lässt keinen Platz für ein Subjekt, das sich in einer womöglich spezifisch menschlichen Freiheit zu einem 'play' über die 'games' aufschwingen könnte" (Pias 2002, S. 117).
Laut Pias ließen sich die festen Regeln eines Spiels mit einem gewinnbaren Endzustand (engl.: game) also nicht durch ein freies, experimentelles Spielen (engl.: play) einfach unterlaufen. Der Medienwissenschaftler Mathias Mertens betont daher, dass Computerspiele im engeren Sinne nicht das seien, was sie im Alltagsdiskurs von anderen Medienformen grundlegend unterscheide. Sie seien, so Mertens (2004, S. 283), nicht interaktiv:
"Insofern ist der Begriff Interaktivität, das Reden von der Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit, die man bei Computerspielen im Gegensatz zu anderen Medien hätte, falsch. Spielen ist ein Angepasstwerden an diese Elemente, eine Formatierung gemäß dieser erwünschten Abfolge, eine Instrumentalisierung durch die Maschine, damit sie ablaufen kann."
Auf diese Weise, so Mertens (ebd., S. 285), werde ein digitales Spiel – in seinem Beispiel eines aus der überaus populären "Zelda"-Serie, in der vor allem Schätze, Schlüssel und Puzzleteile gesammelt werden wollen – zur "reinsten Logistik, [zum] Verschieben von Gegenständen im Raum. Oder, richtiger, [zum] Flussdiagramm eines Computerprogramms." Und tatsächlich neigen viele Games dazu, die SpielerInnen lange Listen von im Grunde genommen stupiden Aufgaben abarbeiten zu lassen und dabei vor allem logistische Abläufe voranzubringen. Dies bringt Bogost in einem 2019 erschienenen Review mit den Worten des Gamedesigners Paolo Perdercini auf den Punkt:
"Games […] are the aesthetic form of instrumental reason — that is, order, efficiency, and cost-effectiveness as art. TETRIS aspires for the rule of order over disarray; CIVILIZATION presents natural resources as a means to global domination. Solutions, control, metrics, and outcomes rule."
"Spiele [...] sind die ästhetische Form der instrumentellen Vernunft – also Ordnung, Effizienz und Wirtschaftlichkeit als Kunst. TETRIS strebt nach der Herrschaft der Ordnung über die Unordnung; CIVILIZATION stellt die natürlichen Ressourcen als Mittel zur globalen Herrschaft dar. Es herrschen Lösungen, Kontrolle, Maßstäbe und Ergebnisse."
Zugespitzt ließe sich behaupten, dass ComputerspielerInnen aufgrund der Unfreiheit, die Ereignisse in Spielen tatsächlich zu beeinflussen, lediglich zu ausführenden BefehlsempfängerInnen werden. Sie müssen sich systemkonform verhalten. Sie begeben sich in eine Befehlskette, die, wie oben im Falle von "America’s Army" beschrieben, Verstöße gegen das Regelwerk sanktioniert. Die vom Spiel angebotene "Agency" – die Handlungsmacht, die uns in einer digitalen Welt zukommt – sie macht uns nicht zu interagierenden SpielerInnen, sondern zu Angestellten eines mechanischen Systems, das von uns bedient werden will.
Handlung, Haltung und das Rädchen im Getriebe
Der SS-Offizier Adolf Eichmann war maßgeblich für die Organisation der Deportation – und damit für die Vernichtung – der sechs Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg mitverantwortlich. Um den
Abb. 4: Adolf Eichmann organisierte im Reichsicherheitshauptamt des NS-Regimes die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von jüdischen Bürgern. (© National Photo Collection of Israel, Photography dept. Goverment Press Office, Externer Link: https://gpophotoeng.gov.il/fotoweb/Grid.fwx?search=D482-067.jpg#Preview1)
Abb. 4: Adolf Eichmann organisierte im Reichsicherheitshauptamt des NS-Regimes die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von jüdischen Bürgern. (© National Photo Collection of Israel, Photography dept. Goverment Press Office, Externer Link: https://gpophotoeng.gov.il/fotoweb/Grid.fwx?search=D482-067.jpg#Preview1)
Aus dieser Darstellung bricht das dokumentarische Theaterstück "Bruder Eichmann" von Heinar Kipphardt deutlich heraus. Im Gegensatz zu anderen NS-Kriegsverbrechern in anderen Dramen – etwa der Josef-Mengele-Typus in Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter" (1963) – verkörpert Eichmann hier keineswegs ein diabolisches Wesen. Eichmann ist im Stück durchweg von Durchschnittlichkeit geprägt. Er selbst bezeichnet sich stets als einen gehorsamen Befehlsempfänger und lediglich als ein "Rädchen im Getriebe" (Kipphardt 1982, S. 43). Damit korrespondiert Kipphardts Darstellung, die vor allem auf den realen Verhörprotokollen Eichmanns basiert, mit den Beobachtungen Interner Link: Hannah Arendts. Sie erkannte in Eichmann einen „Hanswurst“ (Arendt 1986, S. 146), dessen "schiere[r] Gedankenlosigkeit" (ebd., S. 58) man "beim besten Willen keine teuflisch-dämonische Tiefe abgewinnen" könne (ebd.). Statt Eichmanns Verhalten nun jedoch zu normalisieren und damit vermeintlich zu entschuldigen, wird im Verlauf des Stücks aber immer wieder deutlich, dass das Dämonische Eichmanns sich nicht so sehr aus seinen niederträchtigen Motiven speist. Viel eher folgt es aus seiner moralischen Haltung und einem Mangel an Selbstreflexion, die man mit Max Webers (1980, S. 125) Beschreibung moderner Bürokratien als zweckrational bezeichnen könnte. Diese zweckrationale Haltung – das "stahlharte Gefäß" des Kapitalismus, das auch die bürokratischen Systeme moderner Gesellschaften umschließt (vgl. Morrissette 2017) – wurde von Eichmann geradezu beispielhaft an den Tag gelegt. "Das Monster, es scheint, ist der gewöhnliche funktionale Mensch, der jede Maschine ölt und stark im Zunehmen begriffen ist" (Kipphardt 1982, S. 80) – die Worte des Verhörleiters Chass im Theaterstück betonen damit, dass "in der Eichmann-Haltung die Soldatenhaltung und die funktionale Haltung des durchschnittlichen Bürgers überhaupt steckt, die Haltung, Gewissen sei an die Gesetzgeber und Befehlsgeber delegiert" (ebd., S. 205).
Die Auswirkungen dieser moralischen Grundhaltung sind in Bezug auf das Beispiel Eichmann zwar besonders gravierend, jedoch wird im Stück deutlich gemacht, dass Eichmanns Haltung keineswegs nur im Nationalsozialismus vorkam. Dafür werden von Kipphardt sogenannte Analogieszenen einmontiert. Dargestellt werden etwa ein unbekümmertes Fernsehinterview mit einem amerikanischen Bomberpiloten im Vietnamkrieg sowie Aussagen italienischer Polizisten zu wirkungsvolleren Foltermethoden im Kampf gegen die Roten Brigaden. Sie folgen dabei derselben Logik wie die Handlungen Eichmanns: Moralische Fragen werden zweckmäßig ignoriert, Verantwortung wird an einen Gesetz- oder Befehlsgeber delegiert und das Gewissen aus Bequemlichkeit abgeschaltet oder ausgelagert.
Abb. 5: Die Banalität des Bösen als eine Frage der Haltung: die Philosophin Hannah Arendt. (© Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv Barbara Niggl Radloff, https://sammlungonline.muenchner-stadtmuseum.de/objekt/hannah-arendt-auf-dem-1-kulturkritikerkongress-10218950.html)
Abb. 5: Die Banalität des Bösen als eine Frage der Haltung: die Philosophin Hannah Arendt. (© Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv Barbara Niggl Radloff, https://sammlungonline.muenchner-stadtmuseum.de/objekt/hannah-arendt-auf-dem-1-kulturkritikerkongress-10218950.html)
Auch das strikte Befolgen von Befehlen innerhalb einer Spielwelt erfordert in der Regel keinerlei kritische Reflexion über die systemischen Abläufe, die unsere Handlungen motivieren. Die Routine, mit der nach einer erfolgreichen Akkommodation spielmechanische Prozesse abgearbeitet werden, um Spielziele, Levelabschnitte, Highscores und Achievements zu erreichen, ist selten mehr als ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Spielen ist banal.
Die große Leistung des Indiegames Externer Link: "Papers, Please" von Lucas Pope ist es, genau diese Banalität mitsamt ihren moralischen Implikationen in den Vordergrund zu stellen. "Papers, Please" ist ein Bürokratiesimulator. Wir übernehmen die Rolle eines Beamten am Grenzposten des fiktiven Ostblockstaats Arstotzka, der sich in einem schwelenden Konflikt mit seinem direkten Nachbarstaat befindet. Wir kontrollieren Ausweispapiere und entscheiden darüber, wer die Grenze überqueren darf und wer nicht. Die Einreisenden erreichen unseren Posten aus verschiedenen Gründen. Manche wollen Verwandte besuchen, andere suchen einen neuen Job oder sind auf der Flucht und benötigen politisches Asyl. Unsere Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, Dokumente zu überprüfen, Verhöre zu führen und verschiedene bürokratische Tools zu bedienen, um schlussendlich dem Strom der Einreisenden Herr zu werden. Dabei werden die Einreisenden eingelassen, abgewiesen oder auf unser Geheiß inhaftiert. Jede erfolgreiche Abfertigung wird vom Spiel belohnt: Gelingt es, den Strom der Einreisenden nach den Vorgaben unter Kontrolle zu bringen, erhält man Geld. Damit müssen Kosten für Miete, Strom, Heizung, Lebensmittel und die medizinische Versorgung der eigenen Familie beglichen werden. Reicht das Geld nicht, kommt es zu Abstrichen, die sogar zum Tod der Familienmitglieder führen können. Der Abfertigungsprozess an der Grenze fällt allerdings keineswegs immer ganz leicht. Das Spiel konfrontiert uns häufig mit Dilemmata zwischen moralischer Rechtfertigung und den eigentlichen Spielvorgaben. So berichten die Einreisenden immer wieder von ihren traumatischen Biografien und persönlichen Schicksalsschlägen. Sie versuchen die Spielfigur zu bestechen und flehen sie an, ein Auge zuzudrücken. Das Spiel endet nach dreißig verstrichenen Tagen, und abhängig davon, wie wir uns in bestimmten Schlüsselsituationen verhalten haben, haben wir das totalitäre Regime entweder unterstützt und unsere Familie gesund durch den Monat gebracht hat, oder das System geschwächt, sind geflüchtet oder werden als Verräter hingerichtet.
Abb. 6: Rädchen im Getriebe: die Unmenschlichkeit bürokratischer Prozesse in "Papers, Please" (© Papers, Please / Lucas Pope / eigener Screenshot)
"Papers, Please" spielt sich wie eine Analogieszene in "Bruder Eichmann". Dabei gibt es allerdings wichtige Unterschiede zwischen dem Computerspiel und dem Theaterstück. So wird etwa das inhumane Element moderner Bürokratien, das Eichmann so berechnend, systematisch und konsequent verkörperte, im Spiel auf eine Weise vermittelt, die nicht vordergründig belehrend wirkt. In "Papers, Please" ist das administrative System des totalitären Staats deckungsgleich mit dem Regelsystem des Spiels – der Reiz, die Maschine durch abstrahierte Aufgabenbewältigung zu bedienen, wird durch das eigene Handeln erfahr- und nachvollziehbar. Was Games potenziell zu Eichmann-Simulatoren macht, kehrt damit zurück an die Oberfläche. Es stellt seine Mechanismen, die sie laut Mertens (2004, S. 285) potenziell zur "reinen Logistik" und zum "Flussdiagramm" machen, nicht nur aus, sondern erhebt sie zum Spielprinzip. Die Motivation, eine Herausforderung innerhalb einer bestimmten Zeit zu meistern und ein Ziel zu erreichen, die narrative Kontextualisierung und die moralische Scheinrechtfertigung, doch nur die Familie der Hauptfigur versorgen zu wollen – all das speist sich unmittelbar in die Spielerfahrung ein und erzeugt ein Externer Link: Flow-Erleben, in dem die logistischen Abläufe unter Zeitdruck möglichst schnell, aber sauber abgearbeitet werden wollen. Das Perfide daran: Je weiter das Spiel voranschreitet, desto häufiger erwischen wir uns dabei, das befriedigende Gefühl des Erledigens zu genießen – wie in einem typischen Bürojob entwickeln wir Freude daran, effizient vorzugehen, Aufgaben abzuhaken und dafür mit aufsteigenden Zahlenwerten belohnt zu werden.
"Eichmann war nicht Jago und nicht Macbeth, und nichts hätte ihm ferner gelegen, als mit Richard III. zu beschließen, 'ein Bösewicht zu werden'. Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive […]. Er hat sich nur, um in der Alltagssprache zu bleiben, niemals vorgestellt, was er eigentlich anstellte" (Arendt 1986, S. 57-58; Hervorhebung im Original).
Wenn Hannah Arendt mit dieser berühmten Behauptung recht hatte, dann können wir auch annehmen, dass er auch kein biblischer Kain war, der seinen Bruder Abel aus reiner Missgunst ermordete. In dieser Hinsicht lässt uns das Medium Computerspiel auch nicht selbst zum Eichmann werden – es zeigt uns aber, wie schnell aus unserem Handeln eine Haltung wird, mit der wir moralische Bedenken über Bord werfen. "Papers, Please" zwingt uns damit nicht nur zur Akkommodation an das Spielsystem, sondern auch in einen Zwiespalt aus Handlungsmacht, Verantwortung und moralischer und zweckrationaler Rechtfertigung. Das Unmenschliche ist nicht nur dämonisch, sondern oftmals sogar spielerisch.
Gerade in dieser Erkenntnis liegt ein großes Potenzial des Mediums. Es liegt nicht in der Tatsache, dass hier etwas Ernstes durch etwas Spielerisches trivialisiert oder banalisiert wird. Das Potenzial entfaltet sich darin, dass das Medium zeigen (und nachvollziehbar machen) kann, dass die Banalität des Spielerischen ein essenzieller Bestandteil moderner Systeme ist. Diese Systeme können nur allzu leicht unmenschliche Züge annehmen, und sie werden von uns mit Freuden bedient.
Zusammenfassung: Warum Eichmann-Simulatoren?
Eine Eigenschaft, die das Medium Computerspiel von anderen Medien unterscheidet, besteht darin, dass hier Prozesse in Form einer Rückkopplungsschleife ("a cybernetic system that runs on information feedback loop", Aarseth 1999, S. 32–33) simuliert werden: Drücke Knopf A, erziele Ergebnis X; verhalte dich in einer bestimmten Situation auf diese Weise, dann passiert jenes Ereignis. Auf das Simpelste heruntergebrochen basiert das Computerspiel damit auf einfachen Wenn-dann-Befehlen. Ein regelgeleitetes Spiel sieht im Normalfall aber auch bestimmte Siegbedingungen vor. Wenn uns bestimmte Aktionen im Sinne eines Spielsystems gelingen, dann signalisiert uns das Spiel, "erfolgreich" gewesen zu sein – ein bestimmter Schriftzug wird eingeblendet, es ertönt eine Fanfare, wir erhalten Punkte oder eine Cutscene läuft ab. Das Spiel klopft uns auf den Rücken, wir fühlen uns gut. Mission erfüllt.
Das Computerspiel konditioniert uns auf diese Weise zu bestimmten Aktionen. Wir verschmelzen mit dem Spielsystem. Wir werden eins mit der Maschine. Wir denken nicht mehr über unsere Aktionen nach, sondern verinnerlichen das, was uns im Sinne des Systems zum erwünschten Ergebnis führt – mitsamt der Ideologie der Spielmechanik.
Kurz gesagt: Computerspiele werden zu Eichmann-Simulatoren, wenn wir aufhören, das Spielsystem und seine Kontexte infrage zu stellen; wenn wir das, was sie bedeuten, abstreifen und das Spiel nur noch als abstraktes, formales Artefakt bedienen. Es geht dann also nicht so sehr um die historische Figur Eichmann an sich, sondern um die dahinterliegenden Handlungen innerhalb eines Systems – die Prozesse, die die biografische Person zu dem gemacht haben, was wir mit der historischen Figur Eichmann verbinden. Es geht um die Haltung eines angeblichen Schreibtischtäters, der selbstvergessen und ohne moralische Skrupel die Konsequenzen seiner Handlungen ausblendete und schlussendlich einen entscheidenden Anteil an der Organisation des Holocausts hatte.
Computerspiele setzen eine solche Haltung in der Regel voraus: Wir denken beim Spielen nicht mehr darüber nach, was wir eigentlich tun. Wir drücken auf Knöpfe und legen Schalter um, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Wir werden, wie Eichmann gesagt haben soll, ganz wie von selbst zu einem Rädchen im Getriebe.
Eine Eichmann-Haltung resultiert daraus, wenn wir problematische Sachverhalte zugunsten des Bedienens eines Systems auszublenden.
Nun sollte nicht jedes Computerspiel eine moralinsaure Botschaft oder einen erhobenen pädagogischen Zeigefinger enthalten. Jedoch wäre Adolf Eichmann nicht zu Adolf Eichmann geworden, wenn er weiterhin bei der Vacuum Oil Company gearbeitet hätte. Eichmann trat 1932 in die NSDAP ein und trieb voller Inbrunst die logistischen Prozesse voran, die er an anderer Stelle gelernt und regelrecht verinnerlicht hatte.
Der Terminus Eichmann-Simulator soll also kein Begriff sein, um die Lust an Computerspielen zu verderben oder Games in ihrer ganzen Bandbreite moralisch zu verdammen. Er ist bewusst zugespitzt, um herauszustellen, dass Computerspiele mehr als nur abstrakte, logistische und regelgeleitete Abläufe sind. Computerspiele sind eben nicht nur banal – sondern unterliegen immer einem Wechselspiel aus Kontexten, Bedeutungen und Interpretationen. Der Begriff Eichmann-Simulator hilft uns dabei, das im Hinterkopf zu behalten. Und er ist ein Appell, unser kritisches Reflexionsvermögen nicht zu Beginn eines Spiels auszuschalten.