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Verbriefung von Krediten

Caspar Dohmen

/ 5 Minuten zu lesen

Banken können Kredite ihrer Kunden weiterverkaufen. In den Siebzigerjahren erschlossen Banker in den USA diesen Weg, um mehr Kreditgeschäfte mit der gleichen Menge Eigenkapital machen zu können.

Am 15. September 2008 ging die Investmentbank Lehman Brothers pleite: der bis dato größte Konkursfall in der US-Geschichte. (© picture-alliance, empics | Johnny Green)

Wer einen Kredit bei einer Bank aufnimmt, geht eigentlich davon aus, dass diese den Kredit bis zum Ende der Laufzeit in ihren Büchern behält. Doch: Banken können Kredite ihrer Kunden weiterverkaufen.

Banken verkaufen Kundenkredite

Banken verkaufen Kredite ihrer Kunden weiter, etwa wenn ein Zahlungsausfall droht oder die Kredite schlicht nicht mehr ins Portfolio des Geldinstituts passen. Dann agieren Banken als eine Art Zwischenhändlerin. Und dies, ohne dass ihre Kreditnehmer etwas davon erfahren. Kundinnen sind zum Beispiel Versicherungen, Pensionsfonds, Stiftungen oder andere Banken, die Anlagemöglichkeiten suchen. Anfangs nutzten die Geldhäuser diese Methode zum Verkauf von Interner Link: Hypothekendarlehen, ab den Achtzigerjahren dann auch für das Kreditkartengeschäft, für Autofinanzierungen, Studentenkredite oder Leasingverträge.

Verkauf von KundenkreditenWarum tun die Banken das?

Wer die Gründe verstehen will, muss sich damit beschäftigen, wie eine Bank arbeitet. Ein Geldinstitut muss jeden Kredit mit eigenem Kapital unterlegen. In Deutschland waren dies früher einmal t acht Prozent, seit 2007 ist die Höhe des einzusetzenden Kapitals vom Risiko des jeweiligen Kreditnehmers abhängig und seitdem deutlich gesunken. Für jeden Kredit, den eine Bank weiterverkauft, brauchte sie dagegen kein Kapital vorzuhalten, weil das Ausfallrisiko nun der Käufer des Kredits trägt. Entsprechend kann eine Bank mehr Geschäfte tätigen und bei Erfolg eine höhere Eigenkapitalverzinsung für ihre Eigentümerinnen erreichen.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht spricht ebenfalls einiges für dieses Verfahren: Schließlich können neue Investoren erschlossen werden und es kann eine breitere Streuung der Kreditrisiken erfolgen, beides ist theoretisch sehr vorteilhaft. Allerdings gab es in der Praxis gehörige Probleme, sonst hätte die Finanzkrise von 2007/8 nicht ein solches Ausmaß erreicht. Diese hatten entscheidend etwas damit zu tun, dass die Banken ihre Vorgehensweise erweitert hatten. Anfangs hatten sie einzelne Kredite verkauft, jetzt gingen sie einen Schritt weiter: Sie packten eine Vielzahl Kredite zusammen und zerlegten diese Kreditpakete dann in fiktive Teile (Tranchen) von unterschiedlichem Ausfallrisiko. Die Kredittranchen verkauften die Banken als Interner Link: Anleihepakete zu unterschiedlichen Zinssätzen, abhängig von der Bonität. Man sprach von "Collaterized Debt Obligations" (CDO), d. h. komplexe Finanzprodukte, die sich aus unterschiedlich riskanten Teilen zusammensetzen.

Kredit als soziales Ventil

Selbst diese Vorgehensweise war noch vergleichsweise unproblematisch, solange hohe Standards für die Kreditvergabe galten. Das Risiko erhöhte sich jedoch enorm, als erstmals in großem Umfang Kredite an Menschen mit schlechter Bonität vergeben wurden. Möglich war dies nur, weil die Kriterien für die Kreditvergabe ab 2003 aufgeweicht wurden. Es entstand ein ganz neuer Markt für Kredite an Risikogruppen. Die Hypotheken bezeichnete man als nichtkonform, weltweit bekannt wurden sie als "Subprime"-Hypotheken.

Die Banken suchten einen Weg, um diese Kredite ebenfalls verbriefen und weiterverkaufen zu können. Das erschien zunächst aussichtslos, weil für Kreditkundinnen mit schlechter Bonität eben die eminent wichtigen statistischen Daten darüber fehlten, wie solche Kunden generell Kredite bedienen. Es konnte diese Daten auch nicht geben. Schließlich war der Markt gerade erst erfunden worden. Dann ersetzten einige findige Köpfe in der Finanzbranche die empirischen Daten einfach durch ein mathematisches Modell. Eine Schlüsselrolle spielten Finanzmathematiker von Investmentbanken

BeispieleKredite für die breite Masse

Die Vergabe von Hauskrediten an weniger vermögende Bevölkerungsschichten war in den USA politisch gewollt. Aufgrund der Wirtschaftsentwicklung (Verlagerung von Produktion in Billiglohnländern, Erosion der Gewerkschaften) stiegen nämlich die Löhne vieler Leute nicht. Jetzt konnten sie sich wenigstens auf Pump den Traum vom eigenen Haus oder vom Studium für die Kinder erfüllen. Die Banken legten die Latte an die Bonität der Kreditkunden mit der Zeit immer niedriger an, weil sie selbst einen Großteil der Risiken über Verbriefung auslagerten. Am Ende erhielt auch der mexikanische Pflücker in Kalifornien, der kaum ein Wort Englisch sprach und 14.000 US-Dollar im Jahr verdiente, von einer Bank einen Kredit über sagenhafte 720.000 US-Dollar, mit dem er eine Villa kaufen konnte. Einer demenzkranken 85-jährigen Frau aus Brooklyn mit einer Rente von 1.100 US-Dollar im Monat bewilligte eine Bank einen Kredit, dessen Tilgungsraten zunächst bei null, schon bald aber bei 2.400 US-Dollar monatlich liegen sollten.

Kreditausfallversicherungen als Krisenbeschleuniger

Subprimekredite bildeten auch die Basis für die Kreditausfallversicherungen, die sogenannten "Credit Default Swaps" (CDS) – sie erwiesen sich in der Finanzkrise als hochgefährliche Krisenbeschleuniger. Bei CDS handelt es sich eigentlich um eine Art Versicherung. Eine Käuferin zahlt eine Prämie an den Verkäufer, dafür verspricht man ihr einen Ausgleich ihres Verlustes für den Fall, dass die Kredite, auf die der CDS ausgestellt ist, von Zahlungsausfällen betroffen sind. Eine Bank kann also auf diese Weise das Risiko für den Ausfall eines CDS abgeben, sie steht sauber gegenüber Aufsicht und Aktionären da. Der Knackpunkt ist offensichtlich: CDS erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sie im Krisenfall tatsächlich für den gesamten Schaden aufkommen.

Das Verbriefungsgeschäft – eine Verbriefung ist die Umwandlung von Forderungen einer Gläubigerin in Wertpapiere – explodierte und spülte den Finanzdienstleistern Milliardengewinne in die Kassen. Davon profitierten die Kunden und deren Aktionäre: Vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2006 stieg der Wert der gehandelten CDO-Papiere von 275 Millionen auf 4,7 Billionen US-Dollar und der Markt für CDS von 920 Milliarden Ende 2001 auf 62 Billionen US-Dollar Ende 2007. Es gab kein Halten mehr. Die Banken drehten ein immer größeres Kreditrad. Für die Institute war gerade das Geschäft mit Subprimekunden lukrativ, weil sie aufgrund ihrer schlechteren Bonität bereit waren, sehr viel höhere Zinsen zu zahlen. Das war den Banken äußerst willkommen, da in vielen anderen Bereichen die Renditen für Kredite sanken. Die Kreditpakete verkauften die Institute weltweit. Das gelang ihnen umso einfacher, als viele dieser Kreditpakete als völlig unbedenklich eingestuft worden waren. Es liegt auf der Hand, dass Alchemie im Spiel sein muss, wenn durch das Verbriefungsverfahren ein Paket insgesamt schlechter Kreditrisiken überwiegend in "Wertpapiere mit Spitzenbonität" verwandelt wird. Man könnte auch von Täuschung reden.

Zuständig dafür waren die großen Ratingagenturen. Sie überprüfen die Bonität von Firmen oder Finanzprodukten, gelten als Autorität, viele vertrauen ihnen. Weltweit ließen sich Käuferinnen wie Versicherungen, Banken oder Pensionskassen von den Gütezeichen der Ratingagenturen blenden. Sie kümmerten sich nicht ausreichend darum, welches Risiko bei den eingekauften Verbriefungen bestand. Die spanischen und italienischen Aufsichtsbehörden verboten ihren heimischen Geldinstituten indes den Kauf solcher Papiere. Und die Bankmanager in Asien ließen von sich aus die Finger von dem unsicheren Geschäft, das 2008 unter dem Stichwort "Subprimekrise" berühmt wurde.

Als Hauseigentümerinnen und -eigentümer in den USA bei steigenden Zinsen und stagnierendem Einkommen die Hypotheken nicht mehr bedienen konnten, stürzte das Kartenhaus ein – erstmals weltweit wahrnehmbar, als zwei von der amerikanischen Investmentbank Bear Stearns verwaltete Hedgefonds 2007 vor der Pleite standen. Vielerorts mussten Banken ihre Bilanzen berichtigen, einst hoch gehandelte Papiere entpuppten sich nun als wertlos. Die riskanten Finanzderivate, die ihren Erfindern zuvor Rekordgewinne gebracht hatten, waren zu einem "finanziellen Massenvernichtungsmittel" mutiert, wie es einer der größten globalen Investoren Warren Buffett ausdrückte.

Der Einzelne in der Krise

Hinter einer geplatzten Blase verbergen sich viele Einzelschicksale wie das der 86-jährigen Rentnerin Addie Polk aus Akron, Ohio. Sie hatte ihr vor langer Zeit abbezahltes Häuschen mit 45.000 US-Dollar beliehen, um ihre Rente aufzubessern – abzutragen bis zum Jahr 2034. Dann stiegen die Zinsen und die alte Dame konnte ihre Kreditschulden nicht mehr bedienen. Als eine Räumung drohte und der Sheriff kam, schoss sie sich mit einer Pistole in die Brust. Weitere Selbstmorde, vor allem unter Männern, häuften sich in der Zeit. Während Millionen Kundinnen und Kunden von der Krise betroffen waren, kamen die Banken und ihre Gläubiger fast alle ungeschoren davon.

Die Finanzblase wäre wohl nie so groß geworden, wenn große Teile der Mittelschicht in den USA nicht in den vergangenen Jahrzehnten verarmt wären. Hätten die Arbeitnehmenden mehr verdient, hätten sie sich unter Umständen nicht verschulden müssen, um ihren Lebensstandard beizubehalten. Umgekehrt wäre den Vermögenden weniger Geld zugeflossen und sie hätten entsprechend weniger Kreditprodukte gekauft. Denn der Anteil der Vermögenden an den Gewinnen der Wirtschaft ist seit den 1980er Jahren stark gestiegen. Auch das gehört mit zu der vollständigen Geschichte.

Längst werden in den USA wieder munter Kredite vergeben und wie vor der Finanzkrise erhalten wieder manche Menschen mehr Kapital, als sie eigentlich bedienen können. Viele Kreditkartenfirmen haben ihre Vorgaben wieder gelockert. Die Gesamtverschuldung erreichte laut New Yorker Fed Ende 2022 einen neuen Höhepunkt. Dafür sorgen vor allem Immobilien- und Studentenkredite sowie Autodarlehen. Alleine Studentinnen und Studenten standen mit 1,6 Billionen US-Dollar in der Kreide. Und Kredite für den Autokauf wurden häufig finanzschwachen Schuldnern gewährt. Für Autodarlehen gibt es aber – anders als bei Studiendarlehen und in der Immobilienfinanzierung – keine staatlichen Garantien. Entsprechend tragen die kreditvergebenden Banken das volle Risiko selbst oder die Investoren, denen sie das verbriefte Darlehen verkauft haben.

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Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.