Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Schuldknechtschaft | Finanzwirtschaft | bpb.de

Finanzwirtschaft Geld Geld als gesellschaftliches Arrangement Geldarten Geldfunktion Göttlicher Ursprung des Geldes Der Wert des Geldes Grundregeln bei der Geldanlage Kredit Funktion des Kredits und Macht der Zinsen Von Risiko, Sicherheit und Bonität Überschuldung und Privatinsolvenz Verbriefung von Krediten Staatspleiten Schuldknechtschaft Währungen Frühe Währungssysteme bis zum Goldstandard Das Bretton-Woods-System Das Ende von Bretton Woods und flexible Wechselkurse Einführung von EWS und Euro Währungshüter: Die Zentralbanken USA: Das Federal Reserve System Eurozone: Die Europäische Zentralbank Ein mächtiger Klub: die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Internationaler Währungsfonds und Weltbank Akteure auf dem Finanzmarkt Aufgaben und Aufbau des Banksystems Bankarten Schattenbanken und Hedgefonds Börse: von Bulle und Bär Institutionelle Anleger Ratingagenturen und Wirtschaftsprüfer Finanzmärkte Funktion und Arten von Finanzmärkten Finanzmarktgeschäfte und Spekulation Finanzkrisen und Spekulationsblasen Corona-Krise und die Finanzmärkte Regulierung von Finanzmärkten Reformideen Nachhaltige Anlagen Banken anders gedacht Von einer globalen Referenzwährung bis zu Krypto und Komplementärwährungen Redaktion

Schuldknechtschaft

Caspar Dohmen

/ 4 Minuten zu lesen

Seit der Antike streiten sich die Menschen über den Umgang zwischen Gläubigern und Schuldnern. Die Bedingungen für das Geldgeschäft haben in der Menschheitsgeschichte meist die Geldgeber diktiert.

Sklaverei ist auch heute noch weit verbreitet. Weltweit lebten 2021 ca. 50 Millionen Menschen in Formen moderner Sklaverei. (© picture-alliance/dpa, Sebastian Kahnert)

Die ersten bekannten Kredite gab es bereits in babylonischer Zeit, also vor rund 4.000 Jahren. Schon damals mussten sich Kleinbauern bisweilen Geld für Saatgut oder das Überleben der Familien leihen, wenn ihre Ernte durch eine Naturkatastrophe oder einen Krieg vernichtet worden war. Es gab keine klaren Vereinbarungen für die Tilgung von Schulden. Jeder Kreditgeber konnte die Bedingungen wie Fristen, Raten und Zinsen selbst willkürlich festlegen.

Schuldenlasten

Adam Smith, der Begründer der Nationalökonomie, beschreibt, wie sich im alten Rom "die ärmeren Schichten ständig bei den Wohlhabenden und Mächtigen verschuldeten, die ihnen Geld gegen Wucherzinsen liehen und sich bei deren Zahlungsunfähigkeit deren Stimme sicherten. „Schuldner, die eine strenge Vollstreckung befürchteten, mussten daher demjenigen Kandidaten die Stimme geben, den ihnen ihre Gläubiger empfahlen, ohne hierfür eine weitere Gegenleistung erwarten zu können“, schreibt Adam Smith. Mit der Zeit häuften sich Berge von Schulden an die unterdrückten Schuldner drängten dann regelmäßig auf eine Aufhebung der Schulden. Sie profitierten davon, wenn es wieder einmal zu einer Neufestsetzung des Münzwertes kam. Sank der Wert der Leitmünze As beispielsweise auf ein Sechstel, dann schrumpften auch die Verpflichtungen auf ein Sechstel. Schon in der Antike muss es viele Menschen gegeben haben, denen die Schulden über den Kopf wuchsen.

GeschichteDer erste Schuldenerlass

Wir wissen vom babylonischen König Ammisaduqa, dass er bei seiner Thronbesteigung im 17. Jahrhundert vor Christus alle Schuldscheine in seinem Reich für ungültig erklärte. Diese Amnestie gilt als der erste bekannte Schuldenerlass in der Menschheitsgeschichte. Auch in anderen Kulturen des Altertums kannte man einen Schuldenerlass. Einer Legende zufolge erfand ein alter chinesischer Kaiser sogar das Münzwesen, damit Eltern mit denen ihnen ausgehändigten Münzen ihre Kinder freikaufen konnten, die sie nach einer der häufigen Überschwemmungen hatten verkaufen müssen. Auch im Alten Testament, das jüdischen, christlichen und in gewissem Maß auch muslimischen Menschen als Offenbarung gilt, ist die Rede davon, dass alle sieben Jahre die Schulden erlassen werden.

In der Realität gingen die Gesellschaften meist ruppig mit Schuldnern um, wenn sie ihre Schulden nicht bedienen konnten. Ihnen selbst oder ersatzweise einem Familienmitglied drohte die Schuldknechtschaft, in der die Schulden beim Gläubiger abgearbeitet werden mussten.

Die Römer regelten die Schuldenfrage im Zwölftafelgesetz: Juristisch bedeutet Sklaverei, dass jemand einen anderen Menschen wie sein Eigentum behandeln kann, ohne auf Grundrechte oder Wünsche zu achten. Gebar eine Sklavin ein Kind, war dies von Geburt an Eigentum ihres Besitzers. Schätzungsweise vierzig Prozent der Bevölkerung des Römischen Reiches waren Sklaven. Neue Sklaven beschafften sich die Römer vor allem bei ihren Kriegszügen. Aber jedem Bewohner des Römischen Reiches drohte das Leben eines Sklaven, wenn er sich überschuldete. Blieb ein Schuldner säumig, konnte ihn sein Gläubiger demnach bis zu sechzig Tage in Schuldhaft nehmen. In dieser Frist musste der Schuldner seine Verpflichtung begleichen oder einen Bürgen finden. Misslang das, ging er als Schuldknecht in den Besitz des Gläubigers über – er wurde dessen Sklave. Solche Schuldknechte wurden manchmal öffentlich ausgestellt, beispielsweise auf dem Markt. Wenn sie jemand loskaufte, waren sie frei. Ansonsten konnten die Gläubiger mit den Schuldnern machen, was sie wollten, selbst sie töten.

Vom Schuldturm zur modernen Sklaverei

Im deutschsprachigen Raum wurde ab dem Jahr 1220 ein großer Rechtskodex aufgestellt, der Sachsenspiegel. Er regelte auch den Umgang mit Schulden: "Hat der Schuldner aber weder Geld für die Schulden noch für das Gewette, muss er seine Gewährschaft, das heißt sein Haus, dem Gegner überschreiben. Wenn er kein Haus besitzt, so kann er nach allgemeinem Recht vom Kläger in Haft genommen werden; wenn der Gläubiger den Schuldner aber darüber hinaus fesselt, muss er dem Richter ein Bußgeld zahlen."

In dieser Zeit bauten die Fürsten "Schuldtürme", meist sieben Stockwerke hohe fensterlose Rundtürme, die als Teil der Stadtbefestigung in die Stadtmauern eingelassen wurden. Die Türme wurden fast ausschließlich für die Inhaftierung säumiger Zahler genutzt. Bis ins 16. Jahrhundert war die Verbüßung von Freiheitsstrafen für Verbrechen wie Diebstahl oder Betrug nämlich selten. In den Schuldtürmen saß folglich, wer die Wucherzinsen nicht zahlen konnte. Es traf regelmäßig auch Vertreter von Städten oder Unternehmer, die in Konkurs gegangen waren.

Verbot der Schuldknechtschaft

Nach der Interner Link: Französischen Revolution wurde Ende des 18. Jahrhunderts die Schuldknechtschaft erstmals in einem europäischen Land abgeschafft. Das bürgerliche Gesetzbuch Napoleons ("Code civil") garantierte die Freiheit der Person, des Besitzes, des Berufes und des Gewerbes sowie die Rechtsgleichheit. Jetzt konnte kein Franzose mehr durch Verschuldung in Schuldknechtschaft geraten. Die Vereinten Nationen verboten in der Externer Link: Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 ausdrücklich Sklaverei und Sklavenhandel in all ihren Formen.

Sklaverei noch weit verbreitet

Trotzdem existiert Interner Link: Sklaverei bis heute als Zwangsarbeit von Erwachsenen und Kindern, meist im Bergbau, in der Landwirtschaft oder im Haushalt. In vielen Fällen ist die Sklaverei verbunden mit sexueller Ausbeutung. Laut den Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation, der australischen Stiftung Walk Free und der Internationalen Organisation für Migration lebten im Jahr 2021 ca. 50 Millionen Menschen in Formen moderner Sklaverei. Davon waren 28 Millionen Menschen in Zwangsarbeit und 22 Millionen in Zwangsehen gefangen.

Die Anzahl der Menschen, die in moderner Sklaverei leben, ist seit 2016 um zehn Millionen Menschen gestiegen. Frauen und Kinder sind dabei weiterhin besonders gefährdet. Moderne Sklaverei gibt es in beinahe jedem Land der Welt und über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg. Mehr als die Hälfte aller Fälle von Zwangsarbeit und ein Viertel aller Fälle von Zwangsehen entfallen auf Länder mit oberem mittlerem Einkommen und Ländern mit hohem Einkommen.

Weitere Inhalte

Weitere Inhalte

Audio Dauer
Archiv

Vor zehn Jahren: Finanzkrise erreicht Europa

Am 9. August 2007 erreichen die Probleme auf dem US-Immobilienmarkt Europa. Die Krise wird in der Folge zu einer flächendeckenden Finanz-und Wirtschaftskrise. Eine Chronik der Ereignisse.

Finanzwirtschaft

Banken anders gedacht

Die Rettung von Großbanken – oder auch systemrelevanter Banken – in Krisenzeiten ist für Staaten sehr teuer. Doch es gibt Ansätze für einen stabileren Bankensektor.

Finanzwirtschaft

Regulierung von Finanzmärkten

Eine Kernaufgabe der Politik ist es, Regeln für die Wirtschaft zu finden. Gerade für die Finanzmärkte sind Regeln wichtig, weil Krisen des Geldsystems sich schnell auf die reale Wirtschaft übertragen.

Finanzwirtschaft

Nachhaltige Anlagen

Der Markt für vermeintlich nachhaltige Güter, Dienste, Unternehmen und Anlagen wächst beständig. Doch: Trägt ein Finanzprodukt das Label "Nachhaltigkeit", heißt das nicht, dass es das auch ist.

Finanzwirtschaft

Corona-Krise und die Finanzmärkte

Durch die Corona-Pandemie stellte sich 2020 die Frage: Ist das Weltfinanzsystem überhaupt stabil genug für diese Krise? Die Konjunktur stürzte so tief ab wie noch nie seit dem Zweiten Weltkriegs.

Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.