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Regulierung von Finanzmärkten

Caspar Dohmen

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Eine Kernaufgabe der Politik ist es, Regeln für die Wirtschaft zu finden. Gerade für die Finanzmärkte sind Regeln wichtig, weil Krisen des Geldsystems sich schnell auf die reale Wirtschaft übertragen.

Für den Fall "Wirecard" wurde 2020 ein Untersuchungsausschuss einberufen. (© picture-alliance, Flashpic | Jens Krick)

Eine Kernaufgabe der Politik ist es, passende Regeln für die Wirtschaft zu finden. Ständig gibt es neuen Bedarf, beispielsweise aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder der Entwicklung neuer Produkte. Gerade für die Finanzmärkte sind Regeln immens wichtig, weil Krisen des Geldsystems sich schnell auf die reale Wirtschaft übertragen und die ganze Welt in einen Abwärtsstrudel reißen können.

Finanzaufsicht

Bei der Regulierung der Finanzmärkte haben sich in den westlichen Industrieländern Phasen mit strengeren und mit laxeren Vorgaben abgewechselt. In Deutschland gibt es seit dem Jahr 2002 eine gemeinsame Aufsicht für Banken, Versicherungen und Börsen. Zuständig ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Sie soll dafür sorgen, dass der Finanzmarkt reibungslos funktioniert, vor allem also die Solvenz der hiesigen Finanzdienstleister sichern. Im Ernstfall dürfen die Aufseher eine Bank oder Versicherung unter Zwangsverwaltung stellen oder ihre Lizenz einziehen.

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Im Jahr 2020 geriet die Finanzaufsicht in die Kritik wegen ihrer Rolle bei der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters und DAX-Mitglied Wirecard. „Jahrelang wurden Hinweise gegeben, unter anderem durch journalistische Recherchen, und es stellt sich die Frage, ob die BaFin da ausreichend hingeschaut hat“, sagte der Präsident des Bundesrechnungshofs Kay Schneller gegenüber dem Spiegel und kündigte eine Überprüfung der Strukturen der Behörden an.

Im Alltag liegt die operative Bankenaufsicht wie die Prüfung der Geschäfte und der Jahresabschlüsse der kleineren Banken in den Händen der Deutschen Bundesbank, die eng mit der BaFin zusammenarbeitet. Interner Link: Die Europäische Zentralbank ist seit der Finanzkrise zuständig für die großen und systemrelevanten Banken in der Eurozone. Offensichtlich haben die nationalen Aufseher jedoch vor der Krise Fehlentwicklungen im Bankensektor übersehen und auf bestimmte Risiken nicht reagiert, etwa verbriefte Schrottimmobilienkredite.

Die Finanzkrise offenbarte Regulierungslücken

Die EU geriet durch die Finanzkrise 2007/2008 und die Krise im Euroraum ab 2010 mit Staatsschuldenkrise, Bankenkrise und Wirtschaftskrise unter erheblichen Druck. Zwischenzeitlich war gar der Fortbestand der Gemeinschaftswährung gefährdet, die 1999 eingeführt wurde. Die Krise brachte einige grundlegende Schwachpunkte der Eurozone zum Vorschein. Klar wurde: Eine Bankenunion – mit einer gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht, Bankenabwicklung und Einlagensicherung – wäre als Ordnungsrahmen sinnvoll, um die Interner Link: Eurozone mit ihren 20 Mitgliedstaaten besser zusammenzuhalten.

Europäische Bankenaufsicht

Mit einer europäischen Bankenaufsicht hätte womöglich das Desaster bei der Hypo Real Estate verhindert werden können. In großem Stil hatte deren irische Tochter DEPFA langfristige Kreditverpflichtungen mit der Aufnahme kurzfristiger Gelder finanziert und mit der Zinsmarge viel Geld verdient. Damit verstieß sie gegen die klassische Bankregel, nach der die Aktiva und Passiva einer Bilanz hinsichtlich der Laufzeit aus Risikoerwägungen gleich sein sollen. Als die Bank aufgrund der allgemeinen Vertrauenskrise nach der Lehman-Pleite keine kurzfristigen Mittel mehr bekam, kollabierten erst die DEPFA und dann auch die Mutterbank. Zur Rettung des Geldinstitutes gab es öffentliche Garantien von mehr als 120 Milliarden Euro und Direkthilfen von mehr als sieben Milliarden Euro. Glaubt man den deutschen Aufsehern, hatten sie die Gefahr schon frühzeitig erkannt. Allerdings seien ihnen die Hände gebunden gewesen, weil für die DEPFA die irische Aufsicht zuständig war. Irland lockte mit seiner laxen Regulierung und seinen günstigen Steuersätzen damals Finanzinstitute an.

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Die Eurozone zog aus der Finanzkrise Konsequenzen: Seit Ende 2014 kontrolliert die EZB nun fast 120 große Banken direkt. Diese werden somit grenzüberschreitend von einem supranationalen Akteur kontrolliert, der keine nationalstaatlichen Interessen verfolgt. Die nationalen Aufsichtsbehörden sind nur noch für die kleineren Häuser verantwortlich.

Dass viele Banken in Europa marode waren, lag auch daran, dass die nationalen Regierungen und Aufsichtsbehörden in der Vergangenheit selten bei Banken durchgegriffen haben. So verhinderten die diversen nationalen Aufseher nicht, dass sich das Bankensystem auf dem Kontinent durch die großzügige Vergabe von Krediten enorm aufgebläht hatte. Die Bankschulden von Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien waren mit 9,2 Billionen Euro im Jahr 2012 rund dreimal so hoch wie die Staatsschulden dieser Länder. Zum Vergleich: In den USA waren Bank- und Staatsschulden etwa gleich hoch.

Einheitlicher Abwicklungsmechanismus

Neben dem Bankenaufsichtsmechanismus SSM wurde 2016 ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) geschaffen, um zu vermeiden, dass bei einer künftigen Bankenkrise wieder die Steuerzahlerinnen und -zahler zur Kasse gebeten werden. Dazu zählt ein gemeinsamer Abwicklungsfonds, der durch eine Bankenabgabe (ein Prozent der gedeckten Einlagen) gespeist wird. Die Aufbauphase des Fonds beträgt acht Jahre. Ziel ist eine Mittelausstattung in Höhe von mindestens ein Prozent des Wertes der gedeckten Einlagen aller Kreditinstitute, die in den Mitgliedstaaten der Bankenunion zugelassen sind.

Wenn alle Kunden auf einen Schlag ihr Geld bei einer Bank abziehen, ist sie pleite. Weil die Kunden dies wissen, kann das unter bestimmten Umständen sogar dazu führen, dass sie vorsichtshalber ihre Bank stürmen, um anderen bei der Abhebung der Spargelder zuvorzukommen. Zuletzt war dieses Phänomen des „Bank Runs“ (Paniksturm auf Banken) bei der Silicon Valley Bank (SVB), des auf die Kryptobranche ausgerichteten Finanzkonzerns Silvergate Capital und weiteren regionalen Geldhäusern in den USA wie der First Republic Bank zu beobachten. Während der Euro- und Staatsschuldenkrise drohte dieses Szenario beispielsweise in Zypern 2013. Die Regierung wusste sich nicht mehr anders zu helfen, als die Banken für einige Tage zu schließen, indem sie sogenannte Bankfeiertage anordnete. So wollte sie einen weiteren Abfluss großer Geldsummen und den Zusammenbruch der heimischen Banken verhindern. Bargeld gab es zwei Wochen lang nur noch an Geldautomaten und nur maximal in Höhe von 100 bis 120 Euro.

Zwei Jahre später führte die griechische Regierung Kapitalverkehrskontrollen ein und jeder Kunde durfte nur noch maximal 60 Euro am Tag abheben. Vielerorts wurden die Euros knapp. Die Regierung sah sich aber zu dem Schritt gezwungen, weil die Bürgerinnen und Bürger zuvor rund zwei Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben hatten und damit ein Zusammenbruch griechischer Banken drohte.

Um Kunden vor dem Verlust ihrer Einlagen zu schützen und dadurch Banken im Krisenfall zu stützen, besitzen viele Länder heute ein System der Einlagensicherung. Vorreiter waren die USA. Dort war es wiederholt zu Bank Runs gekommen, besonders heftig in den 1930er-Jahren. Am 6. März 1933 schloss die US-Bundesregierung sogar gleich für mehrere Tage alle Banken des Landes, um Massenabhebungen zu unterbinden. Der wirtschaftliche Schaden war groß. Deswegen führte die Regierung ein System für die Abwicklung von Banken und den Schutz der Kleineinleger ein – den Glass-Steagall Act von 1933. Geht heute eine Bank wie zuletzt die SVB insolvent, greift die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) in den USA ein. Sie wickelt die Bank ab, ohne dass die Einleger einen Verlust erleiden. Das Prozedere ist mittlerweile so eingespielt, dass die Kundinnen und Kunden gewöhnlich nicht einmal einen Tag lang auf den Zugang zu ihrem Konto verzichten müssen. Die Einlagensicherung finanziert die Banken aus Gebühren. Sie schützt derzeit bis zu 250.000 US-Dollar pro Anlegerin und Anleger.

Wenn der Topf nicht ausreicht, dann springt der Staat ein, so wie während des großen Sparkassensterbens Ende der 1980erJahre. Damals machte fast jede dritte der mehr als 3.200 Sparkassen in den USA dicht. Von dem Schaden trug der Einlagensicherungsfonds 29 Milliarden Dollar, den Löwenanteil zahlte mit 124 Milliarden US-Dollar der Steuerzahlenden. Am 10. März 2023 übernahm die FDIC auch die Silicon Valley Bank. Später vermittelte sie den Verkauf des Kreditbuchs und der Einlagen der kalifornischen Bank an die First Citizens Bank & Trust. Davon profitierten die wohlhabenden Kunden, die hohe Beträge bei der SVB deponiert hatten. Denn die Einlagensicherung schützt in den USA nur Beträge bis 250.000 Dollar.

Stützungsfonds der Banken

Die Genossenschaftsbanken richteten als erste Bankengruppe in Deutschland einen Stützungsfonds ein – das war 1937. Die privaten Banken gründeten 1966 eine Sicherungseinrichtung. Nach der Pleite der Kölner Herstatt-Bank 1974 verschärfte die Bundesregierung die gesetzlichen Vorgaben für die Absicherung der Kunden. Für die Kunden der Privatbanken, zu denen die Deutsche Bank oder die Commerzbank gehören, gilt die gesetzliche Entschädigung, die gemäß EU-Richtlinien seit 2010 pro Sparerin und Sparer bis zu 100.000 Euro zu 100 Prozent absichert (bis Juli 2009 waren es bis zu 20.000 Euro, danach bis zu 50.000 Euro). Der eigene Sicherungsfonds der Privatbanken deckt auch darüber hinausgehende Ersparnisse ab.

Die Einlagen der Sparkassenkunden waren ursprünglich durch die Bestandsgarantie der kommunalen Eigentümer für ein Institut geschützt. Heute garantieren sich die Sparkassen ebenso wie die Genossenschaftsbanken gegenseitig ihre Existenz, worüber wiederum mittelbar die Kundengelder geschützt sind (Institutsgarantie). Bei den Sparkassen gibt es ein abgestuftes System. Gerät ein Institut in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so wie die Mannheimer Sparkasse Ende der 1990er-Jahre, helfen zunächst die Institute in ihrer Region. Reicht das nicht aus, dann springt der Haftungsverbund aller 390 Sparkassen ein. Alle Einlagensicherungssysteme finanzieren sich durch Beiträge der jeweiligen Institute, deren Höhe von Größe und Risiko abhängen. Die Wirksamkeit einer Einlagensicherung ist logischerweise von ihrem Volumen im Verhältnis zu den abgesicherten Geldern abhängig. Ein Problem entsteht dann, wenn mehrere Sparkassen gleichzeitig in eine Krise geraten.

Europäische Einlagensicherung

Auf die Interner Link: Finanzkrise reagierte die EU mit einer europaweiten Vereinheitlichung der Einlagensicherungen. In einem ersten Schritt verlangte die EU-Kommission, dass alle Staaten eine Mindesteinlagensicherung in nationales Recht umsetzen (Harmonisierung). In fast allen EU-Staaten sind demnach 100 Prozent von maximal 100.000 Euro pro Sparer und Bank abgesichert; über freiwillige private Sicherungseinrichtungen von Bankengruppen können jedoch wesentlich höhere Beträge geschützt sein. Die jeweiligen Einlagensicherungsfonds werden durch Bankenabgaben gefüllt. Künftig sollen die Kundinnen und Kunden auch bei einer Bankpleite schneller an ihr Geld kommen: 2024 sollen sie maximal sieben Werktage auf ihr Geld warten müssen, heute sind es noch maximal 20 Werktage. Allerdings gilt auch, dass die Erstattung innerhalb von kurzer Zeit beantragt werden muss, sonst verfällt diese Möglichkeit.

Kontrovers diskutiert wird die Einführung einer darüber hinausgehenden gemeinsamen europäischen Einlagensicherung. Ab 2024 soll mit diesem European Deposit Insurance Scheme (EDIS) eine Vollversicherung geschaffen werden; die nationalen Einlagensicherungssysteme sollen dadurch abgelöst werden. Dann würden alle Entschädigungsfälle über den gemeinsamen Entschädigungsfonds finanziert. Das ist in einer Währungsunion prinzipiell ökonomisch sinnvoll. Die Befürchtung: Kommt eine südeuropäische Bank in eine Schieflage, werden deren Sparerinnen und Sparer nicht mehr von der nationalen Einlagensicherung, sondern von der EU-weiten entschädigt, da alle Banken in der EU den gemeinsamen Sicherungsfonds füllen. Haftung und Risiko würden somit weit auseinanderfallen, beklagen Kritiker.

Das Bemühen um eine Kapitalmarktunion

Eine gemeinsame EU-weite Einlagensicherung gibt es noch nicht. Dagegen gab es bislang nicht zuletzt aus Deutschland erheblichen Widerstand. „Die Bankenunion ist nicht vollständig“, sagt Helene Schuberth, Leiterin der Forschungsabteilung der Österreichischen Nationalbank. Trotz gemeinsamer Aufsicht für Banken und schärferer Regeln sei ein verhängnisvoller Teufelskreis erhalten geblieben: „Der Doom Loop, also die Verschränkung von Risiken zwischen Banken und Staaten, konnte durch die Bankenunion nicht zur Gänze beseitigt werden“, so Schubert. Damit könnten sich im Fall einer Krise die Probleme eines Staates und seiner nationalen Banken gegenseitig hochschaukeln, wie es während der Eurokrise geschehen ist.

Anders als in den USA gibt es in der EU auch noch keinen einheitlichen Kapitalmarkt mit gleichen Regeln für alle Finanzmarktakteure. Ändern will dies die EU-Kommission, die 2015 einen Plan für eine Kapitalmarktunion beschloss. Demnach sollen Barrieren zwischen Investoren und Investitionen beseitigt und grenzüberschreitende Kapitalflüsse vereinfacht werden. Außerdem will die Kommission „die Dominanz der Banken in der Unternehmensfinanzierung in Europa brechen“. Ihr Kalkül: Wenn sich mehr Unternehmen künftig am Kapitalmarkt finanzieren und vor allem kleine und mittlere Unternehmen eine größere Auswahl zwischen Quellen der Finanzierung hätten, würden erneute Probleme bei Banken das nächste Mal die Realwirtschaft weniger treffen. Doch dann werden eventuell die Risiken, die mit Schattenbanken zusammenhängen, zum Tragen kommen.

Interessenvertretung: Von den Lobbyisten der Finanzindustrie und der Zivilgesellschaft

Die Lobbyarbeit gehört zum politischen Prozess in einer Demokratie. Es ist sinnvoll, wenn verschiedene gesellschaftliche Gruppen im politischen Prozess ihre Sicht der Dinge formulieren, egal ob Familienunternehmen, Banken, Gewerkschaften oder Umweltschutzgruppen. Problematisch ist es jedoch, wenn das Kräftegleichgewicht bei bestimmten Themen fehlt, was im Finanzsektor immer wieder der Fall zu sein scheint. Allein in der EU-Hauptstadt Brüssel tummeln sich 700 Lobbyistinnen und Lobbyisten der Finanzinstitute; daneben gibt es noch Tausende in den Mitgliedstaaten. Regelmäßig erreichten sie, dass unliebsame Vorschläge im Parlament abgelehnt, verwässert oder auf die lange Bank geschoben wurden.

Dokumentiert ist die Einflussnahme der Lobbyisten auf die „Richtlinie für Verwalter alternativer Investmentfonds“, die die Aktivitäten von Investment- und Hedgefonds regulieren soll. Zu dem Vorschlag der EU-Kommission kamen allein 1.600 Änderungsanträge. Bei der Durchsicht stellten Parlamentarierinnen und Parlamentarier fest, dass viele dieser Änderungsanträge textidentisch mit den später vereinbarten Richtlinien waren. Für Sven Giegold, seinerzeit für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments, war dies ein klarer Beleg dafür, dass die Abgeordneten die Vorlagen von Lobbyisten übernommen hatten. Er schätzte, dass etwa 1.000 der knapp 1.600 Anträge aus der Feder der Finanzindustrie stammten. Bei der Schlussabstimmung habe sich der damals noch britische Präsident des EU-Parlaments, der diese Sitzung leitete, gleich zweimal im Namen der City of London bedankt, erzählt Giegold.

Der Einfluss mancher Lobbyisten hat enorme Ausmaße angenommen. Auch für Deutschland ist nachweisbar, dass Verbände oder Anwaltskanzleien an Gesetzentwürfen für Ministerien mitgearbeitet haben oder dies tun. Immer wieder sorgten politische Beschlüsse der Bundesregierung auch für neue Geschäftsmöglichkeiten der Finanzindustrie. So waren Lebensversicherungen bis zum Jahr 2005 steuerfrei. Ab dem Jahr 2002 förderte die Politik dann mit der Einführung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge (Riester-Rente) den Verkauf von bestimmten Finanzprodukten.

Bisweilen erlebt die Öffentlichkeit eine erstaunliche Symbiose zwischen Politik, Aufsicht und Industrie, beispielsweise bei der Initiative Finanzstandort Deutschland, die sich für weniger Regulierung und eine Stärkung des Finanzplatzes Deutschland einsetzte. Die Förderung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Banken liegt aber keinesfalls zwingend im öffentlichen Interesse, zumindest nicht, wenn sie nur umgesetzt werden kann, indem die Banken übermäßige Risiken zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingehen. Wer Maßnahmen für eine Regulierung oder Deregulierung von Unternehmen beurteilen will, sollte die betriebswirtschaftliche und die volkswirtschaftliche Sicht kennen, beide fallen oft auseinander. Was zum Beispiel teuer für die Banken ist, muss noch lange nicht teuer für die Volkswirtschaft sein. Die Kosten einer Regulierungsmaßnahme für Banken sind zu beachten, aber es müssen bei politischen Entscheidungen genauso die Kosten berücksichtigt werden, die eine Finanzkrise verursacht, einschließlich der Rettungsmaßnahmen für Banken.

Bis heute fehlen beim Thema Finanzen ebenfalls oft alternative Denkansätze oder Kompetenzen und nur eine Minderheit der Bürgerinnen und Bürger beschäftigt sich damit.

Gegenlobby schaffen

Man habe genug davon gehabt, immer dieselben Leute mit denselben Argumenten zu treffen, sagte die damalige britische EU-Abgeordnete Arlene McCarthy. Politikerinnen und Politiker quer durch das politische Spektrum demokratischer Parteien waren missmutig; sie beließen es aber nicht bei der Kritik, sondern betätigten sich selbst als Geburtshelfer für eine neue Lobbyorganisation, ein ungewöhnlicher Vorgang. So entstand 2011 Finance Watch, eine Art Greenpeace für den Finanzsektor.

Um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten, nimmt die Organisation keinerlei Zuwendungen von Personen oder Institutionen an, die in irgendeiner Weise mit der Finanzindustrie oder etablierten Parteien verbunden sind. 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfasst die Mannschaft. Finance Watch hat 111 Mitglieder, darunter 66 Organisation. Sie kommen aus 21 europäischen Ländern. Das Jahresbudget lag 2022 bei 2,74 Millionen Euro und dürfte nur einen winzigen Bruchteil des Budgets ausmachen, das konventionelle Banken für ihren Lobbyismus ausgeben.

Zehn Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers wurde im Juli 2018 in Deutschland eine Schwesterorganisation von Finance Watch gegründet: die „Bürgerbewegung Finanzwende e.V.“. Zu den Gründungsmitgliedern zählen neben Organisationen wie dem DGB vor allem Finanzfachleute, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Politiker, z.B. Norbert Blüm, Peter Bofinger, Friedhelm Hengsbach, Gustav Horn und Gesine Schwan. Alleinvorstand der Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Berlin ist Gerhard Schick. Der Grünen-Politiker schied zum Jahresende 2018 dafür aus dem Bundestag aus. Zur Organisation zählen eine dreiköpfige Geschäftsstelle und ein sechsköpfiger Aufsichtsrat. Die Bürgerbewegung will sich aus Spenden und Beiträgen von Fördermitgliedern finanzieren.

Das Finanzsystem sei aus Sicht der Bürgerbewegung Finanzwende weder nachhaltig noch stabil. Die nächste Finanzkrise sei vielmehr vorprogrammiert. Leider fehle die für politische Veränderungen notwendige gesellschaftliche Unterstützung, nachdem die Bankenpleiten lange Zeit von den Titelseiten verschwunden und nur noch in Fachmedien Thema waren. Noch immer würden Banken mit Steuergeld gerettet, existierten überkomplexe Produkte, seien Schuldenkrisen, Betrug und Steuertricks an den Finanzmärkten an der Tagesordnung. Im September 2018 warnte die Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy, vor einer wachsenden Deregulierungsstimmung für Banken. Donald Trump lockerte während seiner Amtszeit als US-Präsident die Regeln für Banken.

Man wolle sich für „grundlegende systemische Änderungen im Finanzsystem“ einsetzen, heißt es im Konzept der neuen Organisation. Es sei ein Irrtum, zu glauben, die Finanzkrise sei vorbei – sie suche sich vielmehr gerade ihre nächsten Opfer.

Kapitalbesteuerung: von der Stempelsteuer bis zur Finanztransaktionssteuer

Am Beispiel der Finanztransaktionssteuer sieht man, wie lange Menschen sich bisweilen für eine Idee einsetzen, bevor sie politisch umgesetzt wird. Lange Zeit wurde eine solche Steuer nur vom linken Parteienspektrum gefordert, heute gibt es viele Befürworter auch im konservativen Lager. Der Ökonom James Tobin, der Vater der Idee, hatte etwas ganz anderes im Sinn, als er sich Anfang der 1970er-Jahre an der Universität Yale mit den Folgen freier Wechselkurse beschäftigte. Ihn interessierte, durch welche Maßnahmen die Politik nach Freigabe der Wechselkurse das System stabilisieren könnte.

Tobin knüpfte an Überlegungen von John Maynard Keynes an, der bereits 1936 eine allgemeine Steuer auf alle Börsengeschäfte vorgeschlagen hatte. Dessen Theorie zufolge investieren Unternehmen aufgrund langfristiger Erwartungen und legen damit die Basis für neuen Wohlstand in einer Volkswirtschaft. An den Börsen sind jedoch laut Keynes, der selbst oft spekulierte, die kurzfristigen Erwartungen der Anlegenden entscheidend: „Spekulanten schaden nicht, solange sie Luftblasen auf einem stetigen Strom unternehmerischer Investitionen sind. Die Lage wird ernst, wenn das Unternehmen zur Blase in einem Strudel wird“, schreibt Keynes.

Tobin wollte jedoch nicht alle Börsengeschäfte, sondern nur kurzfristige Transaktionen auf den Devisenmärkten versteuern, um den Strom ökonomisch gewünschter langfristiger Investitionen der Unternehmen möglichst frei von Störungen durch kurzfristige Spekulanten zu halten. Zur Wirkungsweise der Steuer schreibt Tobin: „Bei einem einmaligen Transfer ist eine Steuer von 0,05 Prozent zu vernachlässigen, aber wenn man sie einmal pro Woche bezahlen muss – weil die Spekulation gerade in Zeit des Hochgeschwindigkeitshandels Transaktionen im Millisekundentakt macht –, senkt sie die jährliche Rendite um 2,5 Prozent. Dieser Puffer lässt der Zentralbank Spielraum für Geldpolitik.“ Um die Idee blieb es ruhig, bis Attac die Idee aus der Schublade holte. Die Aktivisten wollten jedoch alle Transaktionen besteuern, weswegen man heute auch von der Finanztransaktionssteuer spricht.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September verschwand die Finanztransaktionssteuer von der politischen Weltagenda. Ihr Comeback erlebte sie in der Finanzkrise nach 2007. Jetzt überlegten Staaten, wie sie die Finanzinstitute an den Kosten für die Krise beteiligen könnten. Elf EU-Staaten, darunter Deutschland, entschieden sich 2012 für die gemeinsame Einführung einer Umsatzsteuer auf Finanzprodukte.

Die EU-Kommission präsentierte im Frühling 2013 ein Konzept. Demnach sollte jedes Finanzgeschäft von Banken, Versicherungen und Pensionsfonds mit einer minimalen Abgabe belegt werden. Damit sollten die Finanzkonzerne auch an den Krisenkosten beteiligt werden. Zudem sollte diese Abgabe (0,1 Prozent auf Aktiendeals und 0,01 Prozent auf Derivategeschäfte) Zocker bestrafen. Widerstand gegen die Pläne der Kommission kam vor allem aus London: Denn die Kommission wollte weltweit alle Geschäfte erfassen. Selbst wenn ein Londoner Broker im Auftrag einer Frankfurter Bank Aktien kauft, sollte die Transaktion besteuert werden, obwohl England bei der Steuer gar nicht mitmacht. Eine Klage Großbritanniens gegen die Steuer wies der Europäische Gerichtshof 2014 zurück. Frankreich hatte bereits im August 2012 eine Börsenumsatzsteuer auf bestimmte Aktien eingeführt, Italien folgte im März 2013, ansonsten kommt das Projekt aber nicht voran.

Ende 2019 legte Olaf Scholz, damals noch Finanzminister, Pläne für eine europäische Börsenumsatzsteuer vor. Demnach sollen Aktienkäufe von Firmen mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Euro mit 0,2 Prozent des Geschäftswerts besteuert werden. In Deutschland wären dies rund 145 Unternehmen. Nach französischen Vorstellungen sollte europaweit nur noch die in Frankreich bereits erhobene reine Aktienhandelssteuer eingeführt werden. Der Derivatehandel und alle anderen Papiere, die außerbörslich gehandelt werden, blieben dabei verschont. Das Aufkommen in den beteiligten Ländern würde Schätzungen zufolge von rund 60 auf fünf bis sieben Milliarden Euro schrumpfen. Genauso bescheiden bliebe wohl auch der Beitrag zur Finanzmarktstabilisierung.

Übrigens wurden in Deutschland früher auf Börsengeschäfte Kapitalverkehrssteuern erhoben. Bereits im Deutschen Reich gab es eine „Stempelsteuer“ auf Wertpapiere, während der Weimarer Republik eine Börsenumsatzsteuer. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhob der Staat beim Kauf von öffentlichen Anleihen ein Promille vom Kurswert als Steuer und 2,5 Promille des Kurswertes beim Kauf anderer festverzinslicher Papiere und Aktien. Schluss machte damit 1991 die schwarz-gelbe Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl und begründete dies mit einer Stärkung des heimischen Finanzmarktes (Finanzmarktförderungsgesetz, in Kraft seit 1. Januar 1992).

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Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.