Menschen haben im Lauf der Zeit viele Finanzprodukte erdacht, um das Handeln für die Akteure in der Realwirtschaft zu verbessern. Von Anfang an wurden die Instrumente auch benutzt, um zu spekulieren.
Einige der am Markt üblichen Finanzprodukte sind ursprünglich für die Absicherung von Geschäften entwickelt worden. Allerdings eignen sie sich auch dazu, auf Ereignisse am Finanzmarkt – wie etwa steigende oder fallende Preise – zu spekulieren. Auch das Umgehen von Steuerzahlungen spielt für Finanzmarktgeschäfte weiterhin eine große Rolle, trotz immer wieder aufgedeckter Skandale.
Derivate
Der Klassiker sind die sogenannten Interner Link: Derivate. Ihr Preis hängt von einem „Basiswert“ ab, zum Beispiel einem Zinssatz, Aktienkurs oder einem Rohstoffpreis, weswegen man von abgeleiteten Finanzprodukten spricht. Mit Derivaten kann ein Anleger z.B. darauf wetten, dass der Preis für Weizen oder Kakao steigt oder fällt, aber auch, dass Unternehmen oder Staaten insolvent werden. Einige Derivate werden an Börsen gehandelt – sie sind entsprechend standardisiert und für sie gelten Regeln. Andere Derivate werden direkt zwischen Handelspartnern ausgetauscht. Man bezeichnet diese außerbörslich gehandelten Wertpapiere als OTC-Derivate („over the counter“), und der Vorgang ist ziemlich intransparent. Dabei ist in aller Regel eine der Vertragsparteien eine Geschäftsbank.
Termingeschäft
Bei einem Termingeschäft verpflichtet sich die Inhaberin oder der Inhaber eines entsprechenden Kontraktes, zu einem späteren Zeitpunkt eine festgelegte Menge Rohstoffe, Aktien oder sonstiger Wertpapiere an eine Abnehmerin oder einen Abnehmer zu verkaufen, die oder der sich dafür im Voraus verpflichtet, einen bestimmten Preis zu bezahlen. Manche Termingeschäfte sind verbindlich, bei anderen muss der Handel nicht zwangsläufig stattfinden.
Future
Der Future ist ein verbindlicher Terminkontrakt. Auf den Futuremärkten haben allerdings weniger als drei Prozent der Kontrakte tatsächlich eine Lieferung zum Ziel. Beim Großteil der Geschäfte erfolgt nur die Zahlung der Differenz zwischen dem vereinbarten und dem tatsächlichen Terminpreis. Notierungen für Futures können sich an der Börse rasch ändern.
Forward
Der Forward funktioniert wie ein Future, allerdings werden die Kontrakte nicht an der Interner Link: Börse gehandelt, sondern direkt zwischen zwei Parteien abgeschlossen. Forwards und Futures können anders als Aktien, Anleihen oder Devisen zu jeder Zeit in einem unbegrenzten Umfang neu entstehen, wenn zwei Marktteilnehmer sich darauf einigen.
Optionsvereinbarung
Bei einer Optionsvereinbarung schließen zwei Parteien eine Übereinkunft über eine Transaktion in der Zukunft. Beide Vertragspartner legen den Preis schon heute fest. Im Unterschied zu unbedingten Termingeschäften sind beide Parteien aber nicht gleichermaßen zur Erfüllung verpflichtet. Vielmehr erwirbt der Käufer das Recht (die Option), künftig eine Ware zum heute vereinbarten Preis zu kaufen. Der Käufer kann das Recht wahrnehmen oder fallen lassen. Optionen binden also nur den Verkäufer einer Ware. Im Fachjargon spricht man von einer Kaufoption als Call-Option, kurz Call, oder von einer Verkaufsoption als Put. Optionen sind wie Futures oder Forwards keine Wertpapiere. Allerdings ist eine Verbriefung von Optionen möglich. Man spricht dann von Optionsscheinen.
Von Steuergestaltung, Steuerschlupflöchern und Steueroasen
Früher war es wesentlich schwieriger, Vermögen zu verstecken. Piraten mussten die erbeuteten Schatztruhen auf entlegenen Schatzinseln vergraben. Sehr viel einfacher wurde es, als Gold- und Silbermünzen durch Geldscheine ersetzt und Konten eingeführt wurden, auf die überall auf der Welt Geld überwiesen werden konnte, auch auf kleinste Inseln in der Südsee oder zwischen England und Kontinentaleuropa. Hier etablierten sich die sogenannten Interner Link: Steueroasen, in denen Anleger bis heute ihr Geld verstecken und damit Steuerzahlungen umgehen können.
Viele reiche Individuen und transnationale Konzerne schaffen Geld zum Schaden der Allgemeinheit dorthin, auch „Offshoregebiete“ genannt. „Offshore“, weil es sich oft um vor der Küste größerer Staaten gelegene kleinere Inseln handelt; es gibt auch „Onshore“-Steueroasen wie Andorra und Liechtenstein. Steueroasen sind meist direkt oder indirekt an die großen Finanzzentren der Industrieländer angebunden. So liegen die Kanalinseln nicht weit weg von der City of London, dem neben New York weltweit wichtigsten Finanzplatz. Jeden Morgen landet eine Vielzahl von Maschinen auf Jerseys Flugplatz, aus denen Geldmanager aus der City aussteigen, abends fliegen sie zurück.
Die Höhe der in Steueroasen angelegten Gelder zu beziffern, ist sehr schwierig. Nach einer Studie auf Basis von Daten des IWF, der BIZ und der EU-Kommission haben sich die Bankeinlagen von Privatpersonen in Steueroasen von etwa 500 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf rund eine Billion US-Dollar im Jahr 2015 verdoppelt. Hinzu kommen schätzungsweise noch 6,5 bis 8,5 Billionen US-Dollar an Wertpapieren. Nicht erfasst waren dabei allerdings Immobilienwerte, Gold oder Yachten. Auch diese Werte werden oft von Offshoreunternehmen, Stiftungen oder Treuhandgesellschaften verwaltet, wobei Letztere nicht einmal eingetragen sind oder Jahresabschlüsse vorlegen müssen. Ein weiteres Indiz liefert der Weltreichtumsbericht. Rund acht Prozent des weltweiten Finanzvermögens war 2013 in Offshoregebieten angelegt.
Eigentlich ist die Sache mit den Steuern ja ganz einfach: In Demokratien setzen vom Volk gewählte Parlamente die Steuersätze für Bürgerinnen und Bürger und für Unternehmen fest. Die Staaten finanzieren mit den Einnahmen öffentliche Aufgaben: Straßen müssen gebaut, Schulen saniert, Polizistinnen und Polizisten bezahlt werden. Staaten ohne nennenswertes Steuereinkommen können solche Leistungen kaum oder gar nicht aus eigener Kraft erbringen. Deswegen sind viele Entwicklungsländer bis heute von auswärtigen Finanzquellen wie Entwicklungshilfe abhängig. Durch Kapitalflucht verloren alleine afrikanische Staaten im Jahr 2020 laut den Vereinten Nationen rund 88,6 Milliarden US-Dollar.
Zum Beispiel soll der frühere philippinische Diktator Ferdinand Marcos allein etwa fünf Milliarden Dollar aus der Staatskasse für sich abgezweigt und auf ausländische Konten geschafft haben. Nur ein geringer Teil des Geldes tauchte später auf Konten in Luxemburg und der Schweiz auf. Möglicherweise liegt ein großer Batzen des Geldes im Sinta Trust, einem Offshorevehikel mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln; dessen Begünstigte ist die Tochter des Diktators, Maria Imelda Marcos. Bekannt wurde dies aufgrund der Berichterstattung einer weltweiten Medienkooperation, unter anderen von Süddeutscher Zeitung, NDR, Washington Post, Guardian und Le Monde. Die Medienhäuser haben die Daten von Servern zweier Firmen zugespielt bekommen, die anonyme Briefkastenfirmen gründen. In den Unterlagen fanden sich die Eigentümer von 120 000 Firmen und Trusts, die sonst hinter Strohmännern und -frauen verborgen bleiben. Anfang 2014 berichteten Medien wie die Süddeutsche Zeitung im Rahmen einer groß anlegten Offshore-Leaks-Berichterstattung auch darüber, dass diverse Familienmitglieder chinesischer Spitzenpolitiker hohe Summen in Steueroasen geschleust haben sollen. Funktionieren würde das ganze System nicht ohne die bereitwillige Hilfe von Rechtsanwälten, Banken und Wirtschaftsprüfern.
Panama Papers
Weltweit Schlagzeilen machte 2016 die Veröffentlichung der sogenannten Panama Papers. Aus einer unbekannten Quelle waren der Süddeutschen Zeitung massenweise Unterlagen über die Aktivitäten einer Anwaltskanzlei aus Panama zugespielt worden. An deren Auswertung war das International Consortium of Investigative Journalists und dessen Medienpartner beteiligt. 400 Journalisten aus 80 Ländern arbeiteten zusammen, werteten unzählige Gigabyte an geleakten Daten aus und nahmen sie zur Grundlage weiterer Recherchen – sie eröffneten einen tiefen Einblick in die alltäglichen Praktiken der Steuervermeidung und von deren Profiteure.
Im Mittelpunkt des Skandals stand die Anwaltskanzlei Mossack Fonseca in Panama. Sie hatte bereits seit Jahrzehnten Firmen und Privatpersonen bei der Steuervermeidung geholfen mit einem einfachen Geschäftsmodell. Für 1.000 US-Dollar konnte man eine anonyme Briefkastenfirma eröffnen, gegen einen Aufpreis stattete die Kanzlei diese mit Scheindirektoren aus. Durch diese Konstruktion wurden die wahren Inhaberinnen oder Inhaber nach außen verschleiert. Niemand konnte sehen, was in der Firma vorging und wer von ihr profitierte. Laut den Recherchen hatte die Kanzlei fast 40 Jahre lang diese anonymen Briefkastenfirmen verkauft, mindestens 214.000-mal, vorzugsweise mit Adressen in Offshoregebieten wie auf den Britischen Jungferninseln oder auf den Seychellen.
Aufgrund der Enthüllungen begannen in zahlreichen Ländern Ermittlungen gegen Politikerinnen und Politiker sowie Prominente, die diese Dienste genutzt haben, und die öffentliche Debatte über Steueroasen wurde befeuert. Aufgezeigt wurde, wie Wohlhabende, Unternehmen und politische Machthaber mit ihrem Handeln gegen das Recht verstoßen und damit die Demokratie in reichen und armen Ländern schwächen würden. Trotz der öffentlichen Diskussion verschärfte sich das Problem noch weiter. Zu diesem Ergebnis kam das Tax Justice Network (TJN) in seinem Schattenfinanzindex für 2022, in dem es 141 Länder und Rechtssubjekte und besonders den Grad der Verschleierung in Steueroasen untersuchte. In den Fokus nahm das TJN je 20 Indikatoren, angefangen vom Bankgeheimnis bis zu internationaler Zusammenarbeit bei der Aufdeckung von Geldwäsche. Als die acht größten Rückzugsgebiete für Steuerflüchtlinge stuft die Organisation die USA, die Schweiz, Singapur, Hongkong, Luxemburg, Japan, Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate ein.
Steuervermeidung hat Geschichte
Als Pioniere unter den Steueroasen gelten die US-Bundestaaten New Jersey und Delaware. Bereits im 19. Jahrhundert lockten sie Firmen aus wohlhabenden Regionen mit Steuervergünstigungen. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es dann die ersten Fälle grenzüberschreitender Steuervermeidung: Vermögende Engländer nutzten die im britischen Gesetz vorgesehene Unterscheidung zwischen Wohnsitz und Steuerdomizil, indem sie ihre Firmen beispielsweise auf der Kanalinsel Jersey ansiedelten.
In den 1920er-Jahren sorgten britische Richter für eine weitere Möglichkeit der Steuervermeidung für Personen, die sich internationale Mobilität leisten konnten. Sie entschieden, dass ein in Großbritannien eingetragenes Unternehmen von der Steuer befreit sei, solange der Vorstand seine Sitzungen im Ausland abhalte und die Geschäftstätigkeit ebenfalls vollständig im Ausland stattfinde. Damit entstand eine räumliche Trennung zwischen Firmensitz und Steuersitz eines Unternehmens, wovon im Lauf der folgenden Jahrzehnte viele Firmen Gebrauch machten. Dieses Konzept bildete die Grundlage für die meisten Steueroasen.
Briefkastenfirmen
Im Kinofilm müssen Unternehmerinnen oder Unternehmer auf exotische Inseln reisen, um eine Briefkastenfirma zu gründen, in der Praxis ist es viel einfacher. Ihre Ansprechpartner sitzen mitten in Europa, ob in Genf, Frankfurt oder London. Die Anwälte, Wirtschaftsprüfer und Banker helfen den Konzernen bei ihren Schachtelkonstruktionen, mit denen sie ihre Steuerzahlungen minimieren können. Eine beliebte Methode geht so: Ein Unternehmen verlagert Rechte, Lizenzen oder auch einfach nur Geld an eine Tochtergesellschaft in einer Steueroase. Die Muttergesellschaft überweist dann ihrerseits Geld für die Nutzung der Rechte oder des Kredits an die Tochter. Das senkt den daheim zu versteuernden Gewinn. Die Tochterfirma wiederum zahlt in der Steueroase für diese Einnahmen kaum oder keine Steuern. Der Gewinn ist ohne Abzüge aus dem Hochsteuerland verschwunden. Das ist nicht verboten, hat aber Folgen.
Für die EU beziffert die Universität von London bezifferte den Steuerausfall durch Steuerhinterziehung für das Jahr 2015 auf 825 Milliarden Euro. In absoluten Zahlen waren Italien, Deutschland und Frankreich am meisten betroffen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt lagen Dänemark, Belgien und Österreich vorn. Maßgeblich daran beteiligt sind einige EU-Länder selbst wegen ihrer Konditionen besonders für international tätige Konzerne (z.B. Irland, Luxemburg und die Niederlande). Für Aufsehen sorgte die OECD – der Pariser Klub der reichen Industrieländer – 2013 mit der Studie „Addressing Base Erosion and Profit Shifting“. Auf Deutsch etwa: „Ins Visier genommen: Die Erosion der Steuerbasis und Gewinnverschiebung“. Nachzulesen ist dort, wie Konzerne Zinsen und Dividenden um die Welt verschieben, um ihre Steuerzahlungen zu minimieren.
Für Schlagzeilen sorgten beispielsweise die Steuerkonditionen für Apple in Irland, wo der Konzern sein Europageschäft bündelte. Gerade einmal 0,005 Prozent Steuern auf seine Gewinne hatte Apple laut EU-Kommission 2014 in Irland gezahlt – also 50 Euro Steuern auf eine Million Euro Gewinn. Auf der schwarzen Liste der Steueroasen standen bei der EU im Frühjahr 2019 17 Länder und Gebiete, weil sie nach Ansicht von Brüssel zu wenig gegen Steuerflucht unternehmen. Erfasst waren Bahrain, Barbados, Grenada, Guam, Macau, die Marschall-Inseln, die Mongolei, Namibia, Palau, Panama, Samoa, Amerikanisch-Samoa, St. Lucia, Südkorea, Trinidad und Tobago, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Sanktionen hat die EU nicht vorgesehen.
Tricksen mit Bilanzen
Gestaltungsmöglichkeiten für die Konzerne ergeben sich auch aus dem Prinzip der konzerninternen Verrechnungspreise. Demnach müssen Konzerntöchter ihren Handel mit Waren und Dienstleistungen zu den gleichen Marktpreisen abwickeln, die auch für Dritte gelten. Allerdings ist die Ermittlung der Preise schwierig, zumal, wenn es nur ganz wenige Anbieter gibt. Außerdem tricksen Konzerne oft bei Verrechnungspreisen. Da werden dann zum Beispiel hochwertige Diamanten als Industriediamanten deklariert oder der Eisengehalt von Erz zu niedrig angesetzt. Damit verlassen Konzerne jedoch den Bereich der legalen Steuergestaltung.
Der Schaden für die betroffenen Länder ist groß, denn Konzerne wickeln nach offiziellen Schätzungen zwischen einem und zwei Drittel des Welthandels intern ab. Oft ist die Grenze zwischen legaler Steuergestaltung und verbotener Steuerhinterziehung jedoch schwierig zu ziehen. Regelmäßig tun sich die Finanzbehörden mit der Aufarbeitung der Steuerpraktiken von Konzernen und den von ihnen beauftragten Steuerkanzleien schwer, selbst in Deutschland.
Allein die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften PricewaterhouseCoopers, Deloitte, KPMG und Ernst & Young, die sogenannten Big Four, beschäftigen fast 700.000 Spezialistinnen und Spezialisten in mehr als 150 Staaten. Besonders hart betroffen sind die Entwicklungsländer. Die jährliche Entwicklungshilfe des Nordens an den Süden betrug 2021 ungefähr 179 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig fließt aber ein Mehrfaches dieser Summe aufgrund der gängigen Steuergestaltungspraxis internationaler Konzerne aus dem Süden ab.
Abwärtsspirale durch Steuerwettbewerb
Vor allem liberale Ökonominnen und Ökonomen sehen in dem Steuerwettbewerb zwischen Staaten einen wichtigen Hebel für mehr Effizienz. Steuerwettbewerb führt der Theorie zufolge dazu, dass die Regierungen das öffentliche Leistungsangebot und seine Finanzierung den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger anpassen. Die Praxis sieht oft anders aus: Konzerne nutzen die Infrastruktur in Hochsteuerländern und zahlen ihre Steuern möglichst in Niedrigsteuerländern, wo es die von ihnen benötigte Infrastruktur gar nicht gibt.
Den Spielraum für Unternehmen haben jedoch oft Regierungen selbst geschaffen. Etwas Besonderes haben sich die USA einfallen lassen zum Verdruss Europas: Für Geschäfte auf dem Heimatmarkt zahlen Google, Amazon und Co. brav Steuern, für das Geschäft außerhalb der USA kaum. Über Konstruktionen mit Namen wie „Double Irish with a Dutch Sandwich“ schleusen diese US-Konzerne dann einen Großteil der Auslandsgewinne in Steueroasen. Seit dem Jahr 2020 ist damit Schluss.
Auch Deutschland spielt als Standort eine Rolle, wenn es darum geht, Gelder zu verbergen oder zu waschen. Internationale staatliche wie nichtstaatliche Organisationen schätzen, dass in Deutschland jährlich Summen von 29 bis 57 Milliarden Euro illegaler Gelder gewaschen werden. Kritik an Deutschland kam deswegen bereits von der Financial Action Task Force, einer Unterorganisation der OECD, die die Standards für Geldwäschebekämpfung setzt. In Italien etwa gilt laut Handelsblatt Deutschland als der wichtigste Finanzplatz der Mafia, um illegale Einnahmen in den legalen Geldkreislauf einzuspeisen.
Steueroasen blühen
Schon nach der asiatischen Finanzkrise 1997/98 war über eine notwendige Reform der globalen Finanzarchitektur gesprochen worden. Wirklich geändert wurde damals aber nichts. Immer wieder verwiesen Politikerinnen und Politiker auf die Zwänge der Globalisierung und die Flüchtigkeit des Kapitals. So gediehen Steueroasen, sanken die Steuern für globale Konzerne und wurden immer neue Finanzprodukte zugelassen, auch in Deutschland. Die Stichwörter waren weltweit Deregulierung, Marktöffnung, Privatisierung, Wettbewerb.
Nahrungsmittelspekulation
„Mit Essen spielt man nicht!“, überschrieb die international tätige Wohlfahrtsorganisation Oxfam eine Studie über Umfang und Auswirkungen von Spekulation mit Nahrungsmitteln. „Die Spekulation bewirkt die Verstärkung von Preistrends“, sagt der damalige Kampagnenleiter Frank Braßel. „Wenn die Preise für Weizen oder für Mais um 30, 40, 50 oder 60 Prozent ansteigen, ist das besonders für Menschen in Afrika oder Lateinamerika dramatisch.“ Denn dort geben Familien zwischen 50 und 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrung aus.
Welche Folgen ein solcher Preissprung haben kann, zeigt sich bei der aktuellen Nahrungsmittelkrise seit der Coronapandemie und nochmal massiv verschärft seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Auch die Nahrungsmittelkrise ab 2007 hatte große Auswirkungen: Etwa in Mexiko stiegen seinerzeit die Maispreise rapide an, daher vervierfachte sich der Preis für Tortillas binnen zweier Monate. 70 000 Menschen protestierten bei einem Marsch durch die Hauptstadt und schwenkten dabei die flachen Maisbrote. Im weiteren Verlauf der Krise gingen die Menschen in 61 Ländern auf die Straße. Selbst in den USA kam es aus Angst vor Preissteigerungen zu Hamsterkäufern von Grundnahrungsmitteln. Die Anzahl derer, die sich nur unzureichend oder mangelhaft ernähren konnten, lag laut Welthunger-Index im Jahr 2021 bei bis zu 828 Millionen Menschen.
Insgesamt sind bei Nahrungsmitteln starke allgemeine Preisschwankungen festzustellen. Unter dieser Volatilität leiden besonders die Armen. Wer wenig Geld hat, dem nutzt es wenig, wenn er weiß, dass die Preise für Reis oder Mais irgendwann wieder sinken. Er muss die Nahrungsmittel heute für sich und seine Familie kaufen.
Viele Studien erklären Schwankungen im Preisniveau vor allem mit Veränderungen sogenannter Fundamentalfaktoren wie Kriegen, Dürren, wachsender Nachfrage in Schwellenländern wie China und Indien oder des Trends, Pflanzen zu Biosprit zu verarbeiten, nachzulesen beim Internationalen Währungsfonds, der OECD oder der US-Notenbank. Es gibt jedoch Stimmen, die dem Einfluss von Spekulation einen wesentlich höheren Stellenwert beimessen.
Sinnvolle Spekulation
Schon im Mittelalter haben Produzenten und Käufer spekulative Kontrakte geschlossen und einen Preis für künftige Käufe und Verkäufe bestimmter Rohstoffe ausgehandelt. Und das ist für beide Seiten auch heute noch sinnvoll: So kann ein Bauer sich im Voraus einen bestimmten Verkaufspreis für seine Getreideernte sichern. Umgekehrt kann sich beispielsweise ein Mühlenbesitzer einen bestimmten Einkaufspreis sichern. Durch entsprechende Terminkontrakte schützen sich beide – Bauer und Mühlenbesitzer – gegen extreme Preisschwankungen. Sie können auf diese Weise besser kalkulieren.
Wenn eine Kakaoerzeugerin ihre künftige Ernte zu einem bestimmten Preis verkaufen will, braucht sie einen Handelspartner. Das muss jedoch kein direkter Abnehmer sein – zum Beispiel ein Schokoladenhersteller. Auch Spekulanten, die kein Interesse an der physischen Ware haben – in unserem Beispiel dem Kakao –, können das Risiko kaufen und darauf setzen, den Kontrakt später mit Gewinn verkaufen zu können. Von Anfang an waren Spekulanten deswegen ein wichtiger Bestandteil dieses Marktes – daher wäre es falsch, pauschal gegen sie zu wettern.
Akteure im Rohstoffhandel
Das Geschäft mit Rohstoffinvestments dominieren institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, Banken oder Versicherer oder sogenannte Family Offices, die die Ver-mögen von Vermögenden verwalten. Beteiligt sind aber auch Kleinanleger, die sich Anteile an einem Fonds für Rohstoffe gekauft haben.
Bis zum Jahr 2000 hatte der Anteil der Kontrakte, die weltweit zu spekulativen Zwecken gehandelt wurden, höchstens ein Fünftel betragen. Das änderte sich nach der Finanzkrise 2007/2008 drastisch – der Anteil stieg wegen neuer Finanzinvestoren auf vier Fünftel oder sogar noch mehr. Das Volumen der börsengehandelten Kontrakte auf Rohwaren ist 20- bis 30-mal höher als ihre jeweilige Produktion. Nach Protesten haben einige konventionelle Investoren bei dem Geschäft mit Agrarrohstoffen die Notbremse gezogen. In Deutschland war das die teilstaatliche Commerzbank genauso wie die öffentlichen Landesbanken aus Baden-Württemberg und Berlin und die Deka, der Fondsanbieter der Sparkassen.
Solange Menschen handeln, solange gibt es auch schon Spekulations- und Finanzblasen, aus denen sich handfeste Krisen entwickeln können. Entscheidend ist dabei weniger das Ökonomische als die Psyche.
Finanzgeschäfte sind heute global stark vernetzt. Der Finanzmarkt funktioniert zunehmend gleich. Dennoch ist es sinnvoll, sich mit einzelnen Facetten zu beschäftigen.
Ob Banken, institutionelle Anleger oder Ratingagenturen – am Finanzmarkt hängt alles auf die eine oder andere Weise miteinander zusammen. Das macht die Regulierung des Sektors schwierig.
Nach jeder Banken- und Finanzkrise stellen sich viele die Frage: Wie stabil sind unsere Währungssysteme? Verschiedene und neue Währungssysteme, seien es Kryptowährungen oder Vollgeld, sind denkbar.
Die Rettung von Großbanken – oder auch systemrelevanter Banken – in Krisenzeiten ist für Staaten sehr teuer. Doch es gibt Ansätze für einen stabileren Bankensektor.
Eine Kernaufgabe der Politik ist es, Regeln für die Wirtschaft zu finden. Gerade für die Finanzmärkte sind Regeln wichtig, weil Krisen des Geldsystems sich schnell auf die reale Wirtschaft übertragen.
Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.
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