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Von Risiko, Sicherheit und Bonität

Caspar Dohmen

/ 6 Minuten zu lesen

Die Bonität ist ein Maß für die Kreditwürdigkeit. Sie hängt von den finanziellen Verhältnissen eines Kreditnehmers ab. Ratingagenturen, die diese Bewertung vornehmen, sind aber teilweise umstritten.

Fast alle haben im Leben mit ihr zu tun: der Schufa. Das Unternehmen schätzt die Kreditwürdigkeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern ein. (© picture-alliance, CHROMORANGE | Udo Herrmann)

Wer sein Geld verleiht, macht sich natürlich Gedanken darüber, ob er es auch zurückerhalten wird, sonst könnte er das Geld ja gleich verschenken. Weniger Sorgen wird sich jemand machen, der genau weiß, dass sein Kreditnehmer ein Grundstück, Haus oder Aktien besitzt, die er bei Zahlungsschwierigkeiten verkaufen könnte, um seine Schuld zu begleichen. Fehlen solche Sicherheiten, schaut eine Geldverleiherin sehr viel genauer hin. Je höher die Bonität, desto geringer ist die Gefahr für die Kreditgeberin, dass der Schuldner seinen Verpflichtungen nicht nachkommen wird – entsprechend weniger Zins verlangt die Kreditgeberin. Umgekehrtes gilt für den Fall, dass der Kreditnehmer über eine geringe Bonität verfügt. Wenn überhaupt, bekommt er den Kredit nur gegen die Zahlung eines höheren Zinssatzes. Dieses Prinzip gilt gleichermaßen für alle Kreditnehmerinnen, ob Privatpersonen, Institutionen oder Staaten.

Bonitätsbewertung

Um die Interner Link: Bonität ihrer Schuldner einzuschätzen, haben Anlegerinnen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts auf spezielle Dienstleister vertraut, sogenannte Interner Link: Ratingagenturen. Sie befassen sich mit den unterschiedlichen Risiken von Kreditnehmern wie beispielsweise mit der Stellung eines Unternehmens in einer Branche. Untersucht werden auch die Konkurrenzsituation und Zukunftsperspektive, die Qualität des Managements einer Firma sowie deren Finanzkennziffern wie Gewinn und Verschuldung – oder aber die politische und ökonomische Lage im Heimatland. Bei Staaten orientieren sich Agenturen in der Frage der Bonität an Kennziffern wie Interner Link: Steuereinnahmen, Interner Link: Verschuldung, Interner Link: Bruttoinlandsprodukt, Interner Link: Arbeitslosenquote oder Interner Link: Inflationsrate. Wenn sich die Ratingagenturen ein Bild gemacht haben, vergeben sie ihre Bonitätsbewertungen. Anhand derer sollen Investorinnen die Wahrscheinlichkeit erkennen, mit der eine Organisation oder ein Staat nach Ansicht der Agenturen den Verpflichtungen nachkommen wird. So attestiert Standard & Poor’s dem deutschen Staat mit seiner besten Note "AAA" eine außergewöhnlich große Fähigkeit zur Zinszahlung und Kapitalrückzahlung.

BonitätswächterEinflussreiche Ratingagenturen

Drei Agenturen beherrschen weltweit das Geschäft: Neben Marktführer Standard & Poor’s sind dies Moody’s und Fitch. Ihre Bewertungen haben Regierungschefs mächtiger Nationen schon genauso in Rage versetzt wie Vorstandschefs von Weltkonzernen. Die Finanzmärkte reagieren oft empfindlich auf die Urteile der Ratingagenturen – und das macht letztlich ihre Bedeutung aus. Wehren können sich die Unternehmen und Regierungschefs kaum gegen die Urteile der selbst ernannten Bonitätswächter. Sie sind mittlerweile quasi Gefangene der Agenturen: Schließlich stehen die Chancen schlecht, ohne eine Bonitätseinstufung Geld zu akzeptablen Konditionen auf den internationalen Kapitalmärkten einsammeln zu können.

Wer einmal eine solche Ratingagentur in seine Firma geholt hat, den erlöst fast nur noch die Pleite von deren Urteilen. Denn, wenn jemand den Vertrag mit den Agenturen kündigt, erfährt dies die ganze Welt von Moody’s oder Standard & Poor’s, was fast automatisch von Anlegerinnen als Signal aufgefasst wird, dass ein Schuldner irgendetwas verbergen will. Also scheuen Investoren meistens diesen Schritt.

Fehlbare Agenturen

Die Qualität der Urteile zeigt sich nur im Ernstfall, also dann, wenn ein bewertetes Unternehmen pleitegeht oder ein Staat seine Zinsen nicht mehr bezahlt. Solche Fälle sind selten, aber unter einigen Fehleinschätzungen hat der Ruf der Ratingagenturen gelitten. Eine der größten Fehlprognosen unterlief den Agenturen in den Neunzigerjahren bei der Interner Link: "Asienkrise" – einer Interner Link: Finanzkrise, die 1997 und 1998 in Südost- und Ostasien ausgehend von Thailand auf mehrere asiatische Staaten übergriff. Den Agenturen entging lange Zeit die drohende Zahlungsunfähigkeit einiger Staaten wie Thailand. Die Schwierigkeiten beim US-Energiekonzern Enron hatten sie ebenfalls lange nicht auf dem Radar. Der Konzern war Ende 2000 das viertgrößte Unternehmen in den USA und kontrollierte ein Viertel des dortigen Erdgasgeschäfts. Noch vier Tage vor der Pleite gaben die Agenturen den Enron-Schulden die gute Bewertung "Investment Grade". Schuldner mit dieser Bonität zahlen in den meisten Fällen ihre Verbindlichkeiten zurück. Deswegen kaufen häufig sehr sicherheitsorientierte Anleger wie Stiftungen oder Lebensversicherungen Anleihen mit dieser Bewertung. Auch bei den großen Pleiten der US-Telefongesellschaft WorldCom und des italienischen Lebensmittelkonzerns Parmalat blamierten sich die Agenturen. Das Fiasko passierte jedoch bei der Finanzkrise, die nach dem Platzen der US-Immobilienblase und der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers 2008 die Welt erfasste. Publik wurde nun, dass die Ratingagenturen reihenweise Finanzprodukte mit Topbewertungen versehen hatten, die sich als Fehlgriff erwiesen.

Zudem existiert ein Interessenkonflikt, weil die geprüften Unternehmen selbst die Ratingagenturen für ihre Bewertungen bezahlen.

Von Schufa & Co

Sie ist eine Traumkundin, könnte man meinen. Denn die junge Frau hat noch nie ihr Konto überzogen. Sie benötigt weder einen Dispokredit bei ihrem Girokonto noch nutzt sie eine Kreditkarte. Alle ihre Rechnungen begleicht sie aus ihrem Guthaben. Kredite und Ratenkredite hat sie noch nie in Anspruch genommen. Trotzdem gilt sie in puncto Zahlungszuverlässigkeit als eine unsichere Kantonistin, als Mensch auf den kein Verlass ist. Diese Erfahrung macht sie, als sie einen Mobilfunkvertrag abschließen will. Zu ihrer Überraschung verlangt das Unternehmen von ihr, in Vorleistung zu gehen. Sie soll im Voraus auf ein sogenanntes Kautionskonto einzahlen, bevor sie telefonieren darf. Solche Verfahren wählen Firmen, wenn sie sich um die Zahlungsfähigkeit sorgen. Diese Erfahrungen machen Verbraucher immer wieder in Deutschland, wenn sie eine Ware oder Dienstleistung kaufen oder einen Kredit aufnehmen wollen.

(© bpb)

Auskunfteien wie die Schufa speichern Daten von vielen Leuten wie den Namen, Geburtsort und -datum, ehemalige und aktuelle Anschriften sowie Informationen über Bankkonten, Kreditkarten, Kredite, Bürgschaften, Leasing-, Ratenzahlungs- und Mobilfunkverträge. Sie erfassen ebenfalls, wenn jemand seine Rechnungen nicht bezahlt oder irgendwelche Vollstreckungsmaßnahmen vorliegen. Allerdings bleiben wesentliche Informationen über den wirtschaftlichen Status eines Bürgers außen vor, dazu zählen Angaben über das Einkommen, Vermögen oder den Beruf des Einzelnen. Die Schufa stellt auch keine eigenen Recherchen an. Sie füttert ihr System vielmehr vor allem mit den Daten, die sie von ihren 4.500 Vertragspartnern erhält, ob Banken oder Mobilfunkunternehmen. Daneben speist die Schufa Daten aus öffentlichen Verzeichnissen und amtlichen Bekanntmachungen ein. Sie erfasst entsprechend, wenn jemand mit einem Offenbarungseid seine Zahlungsunfähigkeit erklärt hat. Beim Offenbarungseid erklären Gläubiger, ihre Vermögensverhältnisse korrekt dargestellt zu haben – und ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können.

Der Scorewert

Aus all diesen Daten ermittelt das Unternehmen dann einen "Scorewert" für Kunden, der zwischen eins und 100 liegt. Der Score soll die statistische Wahrscheinlichkeit angeben, mit der ein Kundin ihren Verpflichtungen nachkommen wird. Je niedriger der Wert ist, desto unwahrscheinlicher ist dies. Laut eigenen Angaben lagen der Schufa 2021 über 91,1 Prozent der volljährigen Verbraucher nur positive Informationen vor und bei 8,9 Prozent negative Informationen. Wie die Schufa den Score genau berechnet, ist ihr Geheimnis. Der Bundesgerichtshof hat Anfang 2014 die Klage einer Verbraucherin abgelehnt, die Auskunft über das Verfahren verlangt hat. Allerdings prüft der Europäische Gerichtshof aktuell, ob der Scorewert gegen die Datenschutz-Grundverordnung verstößt. Die Schufa hat von 68 Millionen Menschen in Deutschland unter anderem folgende Daten erfasst: Adresse, Geburtsdatum, Zahl der Girokonten sowie unbezahlte. 2023 wurde bekannt, dass die Schufa plant, über eine App auch an Kontodaten zu kommen. Wer dem Unternehmen Einblick in seine Kontodaten gibt, soll damit unter bestimmten Umständen seinen Scorewert verbessern können. Verbraucherschützerinnen bewerteten das Vorgehen kritisch.

Für die Unternehmen erstellt die Schufa dagegen sogenannte Branchenscores, die sich meist auf einen Zeitraum von 15 Monaten beziehen. Die Firmen erhalten dabei spezifische Daten über die Kunden. Jene Kunden, die häufig umziehen, müssen hier mit einem schlechteren Wert rechnen. Das mag berechtigt sein bei Leuten, die oft umziehen und als sogenannte Mietnomaden die Miete prellen. Aber andere Menschen wechseln oft den Wohnsitz, weil es die private oder berufliche Situation verlangt, und bezahlen die jeweilige Miete zuverlässig. Zum Nachteil kann es jemandem auch gereichen, wenn er keinen Dispokredit – mit dem er sein Konto bis zu einer bestimmten Höhe überziehen kann – bei seiner Bank hat. Früher wirkte es sich sogar negativ aus, wenn eine Verbraucherin ihren Scorewert bei der Schufa erfragen wollte: Das ist mittlerweile verboten.

Wen die Schufa bewertet, dem muss sie auf Anfrage alle gespeicherten Daten mitteilen. So sieht es das Bundesdatenschutzgesetz vor. Wer keine Schulden macht, ist wegen der fehlenden Schuldenhistorie schwer einzuschätzen. Da greifen Auskunfteien bisweilen auch zu einer Hilfskonstruktion, dem sogenannten "Geoscoring". Es ist umstritten, weil hier jemand nach dem Verhalten seiner Nachbarn beurteilt wird. Hat jemand beispielsweise viele säumige Schuldnerinnen als Nachbarinnen, wirkt sich dies negativ auf seine eigene Bonitätsbewertung aus. Allerdings darf das Geoscoring nicht allein für die Beurteilung eines Kunden herangezogen werden. Einige Vorgehensweisen hat der Gesetzgeber den Auskunfteien mittlerweile untersagt. So darf die Häufigkeit des Wechselns der Bankverbindung nicht mehr als Kriterium herangezogen werden. Früher wurde damit regelmäßig diejenige Verbraucherin bestraft, die sich eigentlich vorbildlich im Sinn des für eine Marktwirtschaft essenziellen Wettbewerbs verhielt und des Öfteren zu dem Institut mit besseren Konditionen wechselte.

Angesichts der weitreichenden Konsequenzen empfiehlt es sich für Verbraucher, im eigenen Interesse ihren Scorewert bei der Schufa regelmäßig abzufragen. Seit dem April 2010 haben sie das Recht dazu, dass ihnen eine Auskunftei Informationen über die gespeicherten Daten gibt sowie über deren Quellen und diejenigen Firmen, an die Daten verkauft worden sind. Diese Informationen erhält ein Verbraucher jedoch nicht automatisch, sondern er muss selbst aktiv werden und einen Antrag stellen, ein mühsames Verfahren. Weil die Schufa Daten ungeprüft übernimmt, bleibt den Verbraucherinnen jedoch oft nichts anderes übrig, als Fehler selbst aufzudecken. Bisweilen müssen sie sich sogar mit den Firmen in Verbindung setzen, die falsche Angaben über sie an die Schufa weitergeleitet haben. Es kann ziemlich aufwendig für den Einzelnen sein, für sein korrektes Profil zu sorgen. Und ganz hat er es bis heute nicht in der Hand: Denn längst benutzen einige Firmen eigene Scoringmodelle, in die neben den Daten der Auskunfteien weitere individuelle Merkmale von Kundinnen einfließen. Über solche unternehmensinternen Scorings erhalten Verbraucher keine Informationen.

Zwar hat der Bundesgerichtshof die Schufa verpflichtet, die Zustimmung jedes einzelnen Kunden für die Erhebung der Daten einzuholen. Allerdings: Wer die entsprechende "Schufaklausel" nicht akzeptiert, dürfte es bei Geschäften schwer haben.

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Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.