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Der "Judenstern"

Joanne Intrator Verena Buser

/ 7 Minuten zu lesen

Die Vorschrift, den Davidstern mit der Aufschrift „Jude“ zu tragen, wurde 1941 über alle Juden im Reich im Alter von über sechs Jahren verhängt.

"Judensterne". Externer Link: Shared History Projekt, (Leo Baeck Institute – New York | Berlin) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Das Objekt

"Judensterne"

von Verena Buser

Teil einer Stoffbahn mit "Interner Link: Judensternen", die die Berliner Stoffdruckfirma Geitel & Co. (LBI, ROS 11) anfertigte. Der Stoff wurde in der Wallstraße in Berlin-Mitte hergestellt. Das Gebäude befand sich in Besitz der Familie von Joanne Intrator, der Kaufleute Jakob Berglas und Jakob Intrator. Ihr Textilunternehmen besaß in den 1930er Jahren einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent. Der Besitz wurde 1938 Interner Link: zwangsversteigert, die ursprünglichen Eigentümer erhielten keinerlei Mittel aus dem Erlös. Teile der Familie konnten ins Ausland fliehen. Viele weitere Angehörige wurden während des Interner Link: Holocaust ermordet. Das Haus Wallstraße 16 wurde 1938 an die Möbelfabrik Heim & Gerken aus Birkenwerder zwangsversteigert. Geitel & Co. nutzte ab 1938 ein Großteil der Hausfläche. Ab Spätsommer 1941 ließ sie hier innerhalb weniger Tage etwa eine Million "Judensterne" drucken. Die Firma stellte auch Flaggen oder Wimpel mit Interner Link: Hakenkreuzen her. Nach Kriegsende konnten die deutschen Inhaber ihre Geschäfte unbehelligt weiterführen.

Historischer Kontext

Der gelbe Stern ist das ikonische Symbol der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung europäischer Juden durch Nazi-Deutschland.

von Verena Buser

Der "Judenstern" steht heute wie kaum ein anderes Symbol für die Ausgrenzung, Verfolgung, und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland in den Jahren 1933 bis 1945. Das staatlich verordnete Tragen des Sterns in Form eines Hexagramms in Deutschland, dem annektierten Österreich, dem sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren und in nahezu allen deutsche besetzten Ländern steht in einer Reihe mit einer immer wiederkehrenden und diskriminierenden Stigmatisierung von Juden seit dem Mittelalter.

Die Kennzeichnung von Frauen, Männern, und Kindern, ab einem Alter von sechs Jahren, die im Sinne des "Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" (Interner Link: Nürnberger Gesetze) als Juden definiert worden waren, erfolgte im deutsch besetzten Europa in zeitlichen Abstufungen. In Polen wurde diese Zwangsmaßnahme sukzessiv kurz nach dem Überfall auf das Land eingeführt, in Deutschland auf Grundlage einer Polizeiverordnung vom 1. September 1941. Ab dem 19. September mussten die circa 200.000 noch im Deutschen Reich lebenden Juden das etwa handtellergroße Stück Stoff öffentlich und "sichtbar auf der linken Brustseite" und "fest angenäht" tragen.

Das Symbol des Magen David war bereits kurz nach der Machtübernahme in diskriminierender Form verwendet worden. Im Zuge des deutschlandweiten Boykotts am 1. April zogen SA- und SS-Einheiten durch die Straßen und markierten jüdische Geschäfte mit dem gelben Stern. Für die Juden der deutschsprachigen Länder markierte das erzwungene Anbringen des "Judensterns" den Endpunkt des seit 1933 staatlich unterstützten Terrors am Vorabend des Auswanderungsverbots und ihrer systematischen Deportation und Ermordung ab Oktober 1941. Die Schriftstellerin Ruth Klüger erinnert sich: "[…] schon vor dem Judenstern war alles Erdenkliche für Juden geschlossen, verboten, nicht zugänglich. Juden und Hunde waren allerorten unerwünscht […]. Die meisten von uns, die den Judenstern getragen haben, meinen, sie hätten ihn schon viel früher tragen müssen. […] Das kommt daher, dass die Ausgrenzung von Juden eben schon vor September 1941 im vollen Gang war. Ich kann nicht sagen, dass ich ihn ungern getragen habe, den Judenstern. Unter den Umständen schien er angebracht. Wenn schon, denn schon." Die nun auch öffentlich sichtbare Stigmatisierung erleichterte es dem Regime, neu eingeführte Wohn- und Bewegungsbeschränkungen durchzusetzen. So war es Juden nicht mehr erlaubt, ihren Wohnort ohne schriftliche Genehmigung zu verlassen. Die örtliche Gestapovertretung überwachte das Tragen genauestens, schwere Strafen und öffentliche Gewaltübergriffe konnten die Folgen sein.

Berlin: Eine Gedenktafel am Haus Wallstraße 16 erinnert an die Produktion von über einer Million Judensterne in dem "arisierten" Haus 1941. (OTFW, Berlin / wikipedia.org) Lizenz: cc by-nd/3.0/de

Herstellerin des Sterns war die Berliner Stoffdruckfirma Geitel & Co. Sie druckte in der Berliner Wallstraße 16 im Spätsommer 1941 rund eine Million "Judensterne", die über die Wohlfahrtsstellen der jüdischen Gemeinden verteilt und für einen "Selbstkostenpreis" in Höhe von zehn Pfennig selbst bezahlt werden mussten. Geitel & Co. konnte einen Gewinn von mehr als 30.000 Reichsmark erwirtschaften. Der aufgedruckte Schriftzug "Jude" verballhornte hebräische Schriftzeichen und ist vermutlich auf einen Entwurf des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, zurückzuführen. Er ließ erste Entwürfe für den "gelben Fleck" nach den Novemberpogromen 1938 anfertigen. Auch in den Konzentrationslagern erfolgte die Markierung von Juden in Form eines Davidsterns. Juden mussten einen gelben Winkel tragen, der zusätzlich mit dem Winkel der jeweiligen Haftart einen Stern formte. Dort bedeutete die Markierung mit dem Stern das Stehen auf der untersten Stufe der Häftlingshierarchie und nur geringe Überlebenschancen.

Mit der schrittweisen Besetzung Europas waren auch Juden in diesen Ländern gezwungen, die Brandmarkung zu tragen, so zum Beispiel in den Niederlanden ab 1942. Im Zuge der Judenverfolgungen in Nordafrika mussten die Juden Tunesiens den gelben Stern ab Dezember 1943 tragen. Regional hatte der Davidstern eine unterschiedliche Ausprägung.

Die Reaktionen von jüdischen Frauen, Männern, und Kindern auf die sichtbare Kennzeichnung waren unterschiedlich. Drei Tage nach dem deutschlandweiten Boykott erschien am 4. April 1933 ein Artikel des Leiters der zionistischen Jüdischen Rundschau, Robert Weltsch, der den Titel "Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck" trug. Weltsch verwies auf das sichtbare Markieren jüdischer Gewerbebetriebe "mit gelbem Fleck auf schwarzem Grund" und rief dazu auf, diese "Brandmarkung" und "Verächtlichmachung" als "Ehrenzeichen" zu sehen. "Iwri anochi – Ja, ich bin Hebräer", so sein Aufruf an die jüdische Bevölkerung Deutschlands. Der Schriftsteller Viktor Klemperer hielt in seinem Tagebuch fest: "Gestern, als Eva den Judenstern annähte, tobsüchtiger Verzweiflungsanfall bei mir. Auch Evas Nerven zu Ende" und nutzte wie viele andere Menschen jegliche Gelegenheit, das Stoffstück zu verbergen. Auch jüdische Kinder zeigten einen großen Einfallsreichtum. Ihre Mütter fixierten das diskriminierende Stoffstück mit Sicherheitsnadeln, andere trugen Papiersterne. Die deutsche Bevölkerung reagierte mit Ignoranz, nur wenige nutzten die Gelegenheit zu Solidaritätsbekundungen, überließen Juden den Sitzplatz in der Straßenbahn oder steckten ihnen heimlich Nahrungsmittel zu. So berichtet Inge Deutschkron in ihren Erinnerungen, dass sie am 19. September in der U-Bahn durch einen Mann aufgefordert wurde: "Ich bitte Sie darum, sich sofort zu setzen!". In den meisten Fällen kam es zu gewalttätigen Übergriffen, denen durch die Mehrheitsgesellschaft mit Ignoranz begegnet wurde.

Persönliche Geschichte

In einer Fabrik, die man ihren jüdischen Besitzern weggenommen hatte, kam der neue Besitzer einer Bestellung der Nazis von fast einer Million gelben “Judensternen” nach.

von Joanne Intrator

Die Psychiaterin Joanne Intrator berichtet, wie sie der Geschichte des ihrer Familie gehörenden Hauses in der Wallstraße 16 in der Zeit nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten nachging:
Ich heiße Joanne Intrator.
Ich bin in New York geboren; meine Eltern waren deutsche Juden, die dem Dritten Reich entkommen sind. Von dem, was sie unter den Nationalsozialisten zu erdulden hatten, sprachen meine Eltern nur selten. Ich kannte die Geschichte ihrer Ursprungsfamilien in groben Zügen, aber nur wenige konkrete Einzelheiten. Diese Spannung zwischen dem Wissen und dem Nichtwissen über das, was die Nationalsozialisten meinen Eltern angetan haben, hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich mich so besessen mit Nazi-Themen beschäftige. Als Erwachsene wurde ich Psychiaterin und habe an den Gehirnen von Psychopathen geforscht – zum Teil auch, um zu verstehen, wie Leute wie Hitler und seine Unterstützer ticken.

Kurz nach dem Tod meines Vaters Gerhard im Jahr 1993 erfuhren mein Bruder Jack und ich, dass wir den Restitutionsanspruch unseres Vaters auf die Immobilie in der Wallstrasse 16 in Berlin geerbt hatten. Meinem Großvater Jakob und seinem Neffen gehörten große Textilunternehmen und dieses Gebäude, das sowohl für den Einzelhandel als auch für die Herstellung genutzt wurde, war eine ihrer größten Betriebsstätten.

Mein Vater hatte immer nur nebenbei von diesem Anspruch gesprochen. Für mich war es jenseits aller Realität, dass ich in eine Restitutionsfall eine Erbin sein sollte. Ich hatte so gut wie keine Vorstellung davon, worum es im Einzelnen ging.

Nach meinem ersten Gespräch mit einem deutschen Anwalt über unseren Anspruch wurde mir regelrecht schlecht. Im Laufe der 1930er Jahre hatte das Deutsche Reich die Entwendung der Wallstraße 16 von meiner Familie durch ein von den Nationalsozialisten eingeführtes Verfahren, die euphemistisch so genannte "Interner Link: Arisierung", gefördert. Die an dieser Aneignung beteiligten "Interner Link: Arier" wurden "Ariseure" genannt.

Unser deutscher Anwalt teilte uns mit, die Ariseure der Wallstraße 16 hätten ebenfalls einen Anspruch auf das Grundstück angemeldet und riet, wir sollten einfach die Sache hinter uns bringen und eine Einigung anstreben.

Jede Faser meines Wesens rebellierte gegen dieses Ansinnen.
Aber was sollte ich nur machen?

Unsere Anwälte sperrten sich weitestgehend gegen unsere Vorschläge, die Geschichte der Arisierung der Wallstraße 16 historisch zu erforschen. Ihnen zufolge war es nicht wahrscheinlich, dass die Ergebnisse dazu taugen würden, den Anspruch der Ariseure abweisen zu lassen.
Ich ließ mich nicht beirren und schaltete das Detektivbüro Kroll, Inc. ein.

Dort dokumentierte Louis Wonderly die Geschichte der Wallstraße 16 in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in allen Einzelheiten für uns. Die Ariseure David Heim und Klaus Gerken waren Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei und hatten das Gebäude an Geitel & Co vermietet. Die Firma produzierte riesige Mengen an Reichsfahnen mit dem Hakenkreuz und ähnliche Scheußlichkeiten.

Während unser Rechtsstreit seinen Gang nahm, las ich die verzweifelten Briefe aus der Zeit des Holocaust, die meine Großeltern und andere im Deutschen Reich festsitzende Verwandte an meinen Vater in New York geschrieben hatten. So gewann ich ein klareres Bild von der Geschichte meiner Familie.

Je weiter Louis mittlerweile in seinen Nachforschungen kam, desto schlimmer wurde es. Für mich war die am schlimmsten niederschmetternde Erkenntnis, dass Geitel in der Wallstrasse 16 einen Auftrag der nationalsozialistischen Regierung über die Herstellung fast einer Million Judensterne erfüllt hatte.

Auf Grund meiner Lektüre der Familienbriefe wusste ich, dass meine Großeltern immer noch in Berlin festsaßen, als sie von den Nationalsozialisten verpflichtet wurden, die Judensterne zu tragen – die genau in dem Gebäude hergestellt wurden, das das Reich sich zuvor angeeignet hatte.

Um den Rechtsstreit beizulegen, musste meine Familie tatsächlich die Ariseure auszahlen. Aber als hoffnungsvoller Aspekt haben später nichtjüdische Deutsche sehr engagiert dafür gesorgt, dass an der Wallstraße 16 eine Gedenktafel angebracht wurde, auf der die Geschichte der Herstellung der Judensterne im Gebäude dargestellt wird.

Bis heute entsetzt mich die Geschichte dieser grässlichen Judensterne; ich bin immer wieder erschüttert und empört.


Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.

Weitere Inhalte

Joanne Intrator ist Psychiaterin mit einer Privatpraxis in New York. Ihre Texte sind in zahlreichen Zeitschriften wie dem Journal of Biological Psychiatry und dem Journal for the Study of Antisemitism erschienen. Derzeit arbeitet sie an der Fertigstellung ihrer Memoiren über die Wiedergutmachung für die Wallstraße 16 in Berlin, die ihrer Familie von den Nationalsozialisten geraubt wurde.

Verena Buser ist Historikerin in Berlin und forscht zu den Themen Kindheit und Jugend während und nach dem Holocaust, Hachscharah und nicht-zionistische Auswanderungsvorbereitung und jüdische Funktionäre in KZ. Für Ihre Arbeiten erhielt sie u. a. Stipendien des Leo Baeck Instituts/New York, der Memorial Foundation for Jewish Culture/New York und des Hadassah Brandeis Instituts in Waltham/USA. Gemeinsam mit Dr. Boaz Cohen/Head of Holocaust Studies Program am Western Galilee College in Israel leitet sie das Projekt "Children of War, Holocaust and Genocide": Externer Link: cwg1945.org.