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Verschobene Machtverhältnisse: Handelskrieg zwischen China und den USA | China | bpb.de

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Verschobene Machtverhältnisse: Handelskrieg zwischen China und den USA

Birgit Eger

/ 7 Minuten zu lesen

Worum geht es in dem Streit zwischen den Großmächten China und USA und wie soll sich Deutschland dazu positionieren? Darüber diskutieren Doris Fischer von der Universität Würzburg und Max Zenglein vom Mercator Institute for China Studies.

Der Handelskrieg zwischen den USA und China findet kein Ende. (© picture-alliance, blickwinkel/McPHOTO, C. Ohde)

Verschobene Machtverhältnisse: Der Sino-US-Wirtschaftskonflikt

Moderation: Birgit Eger

Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat wirtschaftliche und politische Folgen für den gesamten Welthandel. Wie konnte das riesige Handelsbilanzdefizit von etwa 420 Mrd. US-Dollar aufseiten der USA entstehen, das zu dem Konflikt geführt hat?

Doris Fischer: Die USA haben nicht nur mit China ein Interner Link: Handelsbilanzdefizit, sie haben es mit der Welt. In der Vergangenheit galt das vor allem für den Warenhandel und die Dienstleistungen. Heute erwirtschaften sie nur noch im Bereich der Dienstleistungen einen Überschuss. Durch den Beitritt Chinas zur Interner Link: Welthandelsorganisation WTO ist eine Verschiebung erfolgt, die das Handelsbilanzdefizit zu Gunsten Chinas ausgeweitet hat. (Der Handel mit China wurde einfacher, Zölle wurden gesenkt - Anmerkung der Redaktion.) Ein besonderer Faktor ist, dass Chinas Exportüberschuss lange vor allem durch Firmen mit ausländischen Investitionen herbeigeführt wurde: 60 % der Exporte gingen in den 2000er Jahren auf Firmen mit ausländischem Kapital zurück, auch auf Unternehmen aus den USA. Dieser Anteil ist heute auf ca. 40 % zurückgegangen.

Max Zenglein: Man muss von dem Gedanken wegkommen, dass ein Handelsbilanzdefizit immer was Schlechtes ist. Es ist Teil der globalen Arbeitsteilung und das ist ein Prozess, der in den 1960er Jahren begonnen hat, als das globale Gewerbe sich vor allem nach Asien umverteilt hat. Das hat auch Vorteile für US-amerikanische Unternehmen und Konsumenten gehabt, denn die Kosten wurden reduziert und die Kaufkraft in vielen Segmenten erhöht. Auch China hat von den offenen Marktzugängen profitiert. Vor allem solange die Entwicklung nicht in direkter Konkurrenz zueinander war, hat diese globale Arbeitsteilung funktioniert.

Wenn das Handelsbilanzdefizit auf Seiten der USA schon seit Jahren bestand, was hat dann den Konflikt ausgelöst? Warum ist die Stimmung gekippt?

Max Zenglein: Aus meiner Sicht ist das Handelsbilanzdefizit ein populistisches Thema, das letztendlich, als der Interner Link: Handelsstreit begann, für viele andere Probleme stand. Zum Beispiel gibt es in den USA schon seit Jahrzehnten Bedenken gegenüber China im Bereich der nationalen Sicherheit. Als China ambitionierter wurde und technologisch aufgeschlossen hat, hat die Rivalität insgesamt zugenommen. Da ist das Ungleichgewicht deutlich geworden. Für mich hat Interner Link: Donald Trump die Tür für Kritiker geöffnet, die über Jahrzehnte schon da waren, und die dann versucht haben, die Chance zu ergreifen.

Doris Fischer: Die Sorge um das Handelsbilanzdefizit der USA und Chinas Handelsbilanzüberschuss ist meiner Meinung nach durch Chinas Interner Link: WTO-Beitritt und dem folgenden starken Anstieg der chinesischen Exporte ausgelöst worden. Ein Handelsbilanzdefizit muss nicht per se schlecht sein, aber die Kritik daran lautet: China hat diesen Handelsbilanzüberschuss zu seinen Gunsten unlauter erreicht. Und zwar, indem es Firmen staatlich unterstützt hat, um sich Kostenvorteile auf dem Weltmarkt zu verschaffen - ohne dabei die Regeln der WTO zu beachten, in der China Mitglied ist.

Donald Trump hat nach seiner Ernennung zum US-Präsidenten 2017 den Handelskrieg ausgerufen, aber auch in China hat sich die politische Stimmung seit dem Amtsantritt von Xi Jinping 2013 gegenüber dem Ausland verändert. Spielt der Politikwechsel der Staatschefs eine Rolle?

Max Zenglein: Ja, unter Interner Link: Xi Jinping ist China aus der Deckung gekommen. Das Wirtschaftsprogramm: "Made in China 2025" steht für Vieles, daran kann man durchaus einige Entwicklungen festmachen, wie die Ansage: Wir möchten euch in einigen Bereichen – auch im Hochtechnologie-Bereich – ersetzen. Mit diesem staatlichen Wirtschaftsprogramm wird China zu einem Konkurrenten in vielen Bereichen, denn außerdem existiert eine geopolitische Rivalität und eine Systemrivalität. Das ist mit dem Führungswechsel von Xi Jinping deutlicher geworden.

Doris Fischer: Ich würde das gerne ein bisschen aufdröseln: "Made in China 2025" ist im Westen als Kampfansage an die Industrienationen aufgenommen worden, die sich immer überlegen gefühlt haben. Es ist erstmal völlig legitim, dass die chinesische Regierung eine Wirtschaftsstrategie verfolgt. Es ist auch völlig legitim, dass die chinesische Regierung sagt, sie will in die Reihen der Industrienationen aufrücken. Und in Folge von diesem wirtschaftlichen Aufstieg versucht China auch politische Regeln einzuführen, die uns nicht gefallen. Da kommen wir dann zur Frage, wie geht Europa mit dem Systemwettbewerb um? Ich denke, wir müssen uns dazu eine Position überlegen, aber der Anspruch Chinas, aufgrund der wirtschaftlichen Stärke auch mehr politische Macht auszuüben, ist nichts, was man China vorwerfen kann.

Welche Auswirkungen hat der Handelskrieg auf Deutschland und Europa? Sind wir der "lachende Dritte"?

Doris Fischer: Bis Ende letzten Jahres hat Europa eher profitiert. Insgesamt würde ich aber sagen, dass der Konflikt vor allem die Frage ausgelöst hat, wie eigentlich Globale Governance, also das internationale System von Institutionen wie der WTO etc., funktioniert. Das hat viel Unsicherheit hervorgerufen, was der Wirtschaft nie gut tut – auch nicht der europäischen.

Max Zenglein: Dass Europa der lachende Dritte ist, halte ich für eine Fehleinschätzung, ja für gefährlich. Das hieße man würde zwischen die Fronten geraten. Stattdessen sollte sich Europa für einen regelbasierten Handel einsetzen. Denn es wird immer unterschätzt, dass China im Grunde sehr pragmatisch ist: Das Land ist zum Beispiel in einigen Bereichen auf deutsche Firmen und deutsche Technik angewiesen, warum sollte es diese Einfuhren beschränken? Ein gemeinsamer Handel würde aber besser funktionieren, wenn wir regelbasierte rote Linien hätten, was die europäischen Werte bedeuten und was nicht. Das zeigt zur Zeit die Huawei–Debatte. Hier tut sich Europa schwer, sich zu positionieren (ob westliche Staaten sicherheitsrelevante Technik auch aus China verwenden dürfen – Anmerkung der Redaktion). Hätte man hier zum Beispiel eine klare Haltung, dann würde das auch China verstehen und man könnte transparent sehen, wo man zusammenarbeiten kann und wo nicht.

Müssen wir auch Abschied nehmen von der Hoffnung, dass sich China durch wirtschaftliche Öffnung auch politisch öffnen wird? Wie sollte sich Europa, wie sollte sich Deutschland, in dem Konflikt positionieren?

Max Zenglein: Ich denke, China – Interner Link: die kommunistische Führung – hat sehr wohl verstanden, was die Vorteile von marktwirtschaftlichen Prinzipien sind, wie sich Kapital effizient einsetzen lässt oder wie man Innovationen fördert. Das Problem: Man kann nicht einerseits von China verlangen, dass sich das Land wirtschaftlich in unsere Richtung entwickelt, während wir andererseits mit einem politischen System konfrontiert sind, mit dem wir eine sehr geringe Wertegemeinschaft haben. Das heißt nicht, dass wir uns an Chinas Industriepolitik anpassen sollen. Sondern, dass man auf die eigenen Stärken blickt, versucht diese auszubauen und sie in einem Wettbewerb mit China zu nutzen.

Doris Fischer: China bestimmt, das ist der Punkt. Natürlich hat sich China bewegt in den letzten Jahren, aber das Dilemma ist, dass wir es als zu langsam empfinden. Die Chinesen sagen: Wir tun doch etwas. Und gleichzeitig will die chinesische Regierung nicht den Eindruck erwecken, dass sie sich dem Druck von außen beugt, denn das würde wiederum innerhalb Chinas Schwäche bedeuten.

Was könnte zur Lösung des Konfliktes beitragen? Wird es Rückkehr zum Status quo ante geben?

Doris Fischer: Es geht darum, bestimmte internationale Handelsprinzipien, die uns wichtig sind, festzulegen. Die europäische Stärke liegt darin, regelbasierte und auf Verhandlungen beruhende Lösungen zu finden. Aber um Chinas Verhandlungsposition zu verstehen, sollte man auch seine Geschichte kennen. Der Volksrepublik China war es immer wichtig, autark zu sein. Das hat in den 1960er und 1970er Jahren in China die Politik geprägt. Bis heute geht es darum zu sagen: Wir müssen autark sein, so dass wir in einem Krisenfall uns selbst versorgen können. Es geht der chinesischen Regierung gar nicht darum, die Globalisierung zu stoppen. Im Gegenteil, das Autarkie-Gerede ist chinesische Innenpolitik: Auf diese Weise macht die Partei ein bisschen Stimmung, schafft so etwas wie einen Krisenmodus und im Krisenmodus ist die Partei erfahrungsgemäß besonders gut, dann kann sie ihre Stärke ausspielen.

Max Zenglein: Es ist absurd zu denken, dass die Normalität der letzten zwanzig Jahre wieder einkehrt. Wir sind im Moment in der Phase eines Strukturbruchs, auf den man sich einstellen muss. Wenn Europa sich hier nicht einig wird, ist das nicht in unserem Interesse. Das heißt, das Erste wäre, nicht eine deutsche, sondern stärker eine europäische Chinapolitik zu entwickeln und dann mehr mit anderen asiatischen Partnern zusammenzuarbeiten - mit Japan oder Australien zum Beispiel. Das könnte dazu beitragen, diesen Streit der zwei Großmächte, China und USA, in andere Bahnen zu lenken und nicht als Spielball dieser Großmächte zu enden. Aus meiner Sicht sollte eine Zielsetzung sein, die internationale Verflechtung zu bewahren, aber sie neu anzupassen.

Das Interview wurde am 14. Oktober 2020 durchgeführt.

Handelskrieg

Der Handelskrieg zwischen China und den USA begann Anfang 2018. US-Präsidenten Donald Trump hatte sich zum Ziel gesetzt, das Handelsbilanzdefizit, das zu dem Zeitpunkt etwa 420 Mrd. US-Dollar zuungunsten der USA betrug, abzubauen. Daraufhin wurden Zölle auf verschiedene Produkte aus China erhoben. Nach zwei Jahren Streit mit gegenseitigen Vorwürfen und immer neuen Zöllen einigten sich beide Regierungen im Januar 2020 auf den sogenannten Phase-One-Deal. Darin erklären sich die USA bereit, keine weiteren Zölle zu erheben. China wolle im Gegenzug mehr Nahrungsmittel aus den USA importieren und mehr auf den Schutz des geistigen Eigentums achten, so die Absichtserklärung.

Seit dieser Vereinbarung hat es keine weiteren Verhandlungen gegeben, denn 2020 haben andere Themen die politische Agenda beherrscht wie etwa die Corona-Pandemie und die Wahlen zur Interner Link: US-Präsidentschaft im November 2020. China hat sich in den vergangenen Jahren aber auch nach anderen Handelspartnern und Absatzmärkten umgesehen. Unter anderem bemühte sich die Pekinger Regierung um multilaterale Handelsabkommen für Ost- und Südostasien. Nach acht Jahren Verhandlung konnte im November 2020 das sogenannte RCEP-Abkommen (Regional Comprehensive Economic Partnership) unterzeichnet werden. Ein Handelsabkommen zwischen den Interner Link: ASEAN–Staaten und China, Japan, Australien und Neuseeland. Ziel ist es, vor allem durch gemeinsame Handelsregeln, das Wirtschaftswachstum in der Region zu fördern. Das Abkommen muss noch von den einzelnen Staaten ratifiziert werden und soll Ende 2022 in Kraft treten.

Über die Interviewten

Doris Fischer (© Doris Fischer)

Doris Fischer ist seit 2012 Professorin für China Business and Economics an der Universität Würzburg. Fischer studierte Betriebswirtschaftslehre und Sinologie im Doppelstudium an der Universität Hamburg. Vor ihrer Berufung nach Würzburg arbeitete sie am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn und an den Universitäten Gießen, Düsseldorf und Duisburg. 2007 war sie Gastprofessorin für Chinese Economics an der Seikei University of Tokyo und 2010 an der Freien Universität Berlin. Sie ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde und war von 2017-2019 Vorsitzende der Expertengruppe für die Deutsch-Chinesische Plattform Innovation des BMBF.

Max J. Zenglein

Max J. Zenglein leitet den Bereich Wirtschaft in der Denkfabrik Mercator Institute for China Studies (MERICS). In seiner Forschung befasst er sich u.a. mit Chinas makroökonomischer Wirtschaftsentwicklung, Handelsbeziehungen und Industriepolitik. Vor seinem Wechsel zu MERICS arbeitete er als Economic Analyst zunächst in Shenzhen und später in Peking bei der Auslandshandelskammer (AHK) Greater China. Seine universitäre Ausbildung absolvierte er an der University of New York at Buffalo, der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, der University of Hong Kong und der Universität Kassel. 2015 schloss er seine Promotion im Bereich der politischen Ökonomie mit Fokus auf China ab.

Weitere Inhalte

Birgit Eger ist Hörfunkredakteurin. Sie hat an der Universität Bonn Sinologie studiert und an der Universität Köln Regionalwissenschaften Modernes China. Seit einem journalistischen Volontariat bei der Deutschen Welle arbeitet sie als Hörfunkjournalistin für aktuelle Radio-Sendungen, unter anderem berichtete sie aus Peking, Shanghai und Hongkong.