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Was Bildung vom Journalismus lernen kann

/ 6 Minuten zu lesen

Journalismus muss sich den digitalen Veränderungen stellen und entwickelt sich dabei inhaltlich und methodisch weiter. Was Lehrende davon übernehmen können, erklärt Cordt Schnibben, Leiter der Reporterfabrik, in seinem Gastbeitrag.

Die Digitalisierung hat die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten grundlegend verändert. Was können Bildnerinnen und Bildner von ihnen lernen? (Stefanie Loos/re:publica) Lizenz: cc by-sa/2.0/de

Die Rolle von Journalistinnen und Journalisten hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Sie sind nicht mehr die "Gatekeeper" des 20. Jahrhunderts. Ihre Leserinnen und Leser, Zuschauerinnen und Zuschauer sehen in ihnen nicht mehr die Allwissenden, die ihnen Informationen zuteilen, an die sie sonst nicht herankommen. Auch die Lehrenden an den Schulen erleben die Konkurrenz von YouTube und anderen sozialen Medien. Journalistinnen und Journalisten müssen um Aufmerksamkeit und Akzeptanz, um die eigene Autorität und das eigene Selbstverständnis genauso kämpfen wie Lehrerinnen und Lehrer.

Digitalisierung und Journalismus

Die Digitalisierung verändert das journalistische Handwerk auf revolutionäre Weise. Wenn Reporterinnen und Reporter das Netz nicht als Bedrohung sehen, sondern als Herausforderung, dann können sie erzählen wie niemand vor ihnen. Sie können Wort, Foto und Video so mischen, dass für die Betrachtenden Wirklichkeit vielschichtiger wirksam wird als je zuvor. In multimedialen Reportagen können in journalistischen 3-D-Werken ganz neue Erzählungen entstehen. Auch in der Schule gilt das für die Kombination verschiedener Methoden des Interner Link: Blended Learning und den Einsatz multimedialer Unterrichtstools.

Das Netz und die alltägliche Nutzung von Tablets und Smartphones zur Kommunikation und Informationsbeschaffung verändern unsere Mediennutzungsgewohnheiten grundlegend. Wir alle sind gleichzeitig Konsumierende und Produzierende von Inhalten, füttern das Netz mit Texten und Fotos: Das Netz wird so zum Archiv der Gegenwart. Reporterinnen und Reporter bedienen sich in diesem Archiv, entwickeln neue Formen und neue Medien. Formate verändern sich, entstehen neu, Print rückt in den Hintergrund und digitale Angebote in den Vordergrund. In den letzten Jahren haben im Internet Nachrichtenmedien Erfolg, die das Bedürfnis der Leserinnen und Leser nach Informationen und Einordnung schneller, differenzierter und vor allem billiger erfüllen. Websites von Print-Medien, Aggregatoren wie Google und Flipboard, soziale Medien wie Facebook und Twitter, Dutzende News-Apps wie tagesschau.de, Huffington Post oder BBC News liefern der interessierten Leserschaft aktuelle Nachrichten. In Blogging-Diensten wie tumblr, in Netzmedien wie Carta oder Perlentaucher und auf lokalen Seiten wie Ruhrbarone können Nutzer/-innen Nachrichten vertiefen und einordnen. Wer sich für Fußball interessiert, wird bei Podcasts wie "Zonal Marking" oder auf der Seite "Spielverlagerung" fundierter informiert als in den Sportteilen vieler Tageszeitungen. Genauso geht es Menschen, die sich für Medizin, Recht oder Architektur interessieren, wenn sie ihre Nische im Netz aufgespürt haben.

Die redaktionelle Gesellschaft

Cordt Schnibben (© privat, Cordt Schnibben)

In Teilen des Internets wird eine Gegenöffentlichkeit zu den klassischen Medien gesponnen. Klassische Formate und Plattformen werden geplündert, ihnen wird aber auch die Kontrolle und der Heiligenschein geraubt. Die Print-Medien können ihre Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr wie Care-Pakete über den Leserinnen und Lesern abwerfen: Das Netz macht aus ihnen Gesprächspartnerinnen und -partner, Korrektorinnen und Korrektoren, aber auch: Nervensägen, Hetzerinnen und Hetzer. Es geht um "Content", gerade im Kontext der journalistischen Nutzung sozialer Netzwerke. Inhalte müssen "snackable" sein und auf mobilen Endgeräten funktionieren, sie werden zunehmend auf spitze Zielgruppen zugeschnitten und mit ihnen entwickelt. Für Jugendliche konzipierte Medien wie Snapchat oder TikTok prägen zunehmend das Rezeptionsverhalten der Lernenden, was natürlich auch Auswirkungen auf deren Rezeption von Bildungsinhalten hat.

Reddit und BuzzFeed sind in den USA häufig geklickte Websites, die Nachrichten sammeln und sortieren. Sie haben inzwischen mehr User als die "New York Times". Ihr Geheimnis ist die Interaktivität: Leserinnen und Leser füttern reddit mit Nachrichten, Fotos, Fragen. Die beliebteste Rubrik ist "Ask me anything", in der Bill Gates, andere Expertinnen und Experten und Prominente Fragen aller Art beantworten. Reddit ist ein sozialer Aggregator, nur gespeist von seinen Nutzerinnen und Nutzern, bei BuzzFeed ("The Viral Web in Real Time") liefern auch Redakteurinnen und Redakteure die Inhalte, die sich vor allem aus Videos, Fotos und Links zusammensetzen. So entwickelt sich langsam eine redaktionelle Gesellschaft von Online-Bürgerinnen und -bürgern, die Zeitungen nicht mehr brauchen, um mitreden und mitgestalten zu können.

In der redaktionellen Gesellschaft ist es so leicht wie nie, sich über die Welt zu informieren, so leicht wie nie, den Informationen zu misstrauen, und so einfach wie nie, in einer Parallelgesellschaft der Informationen zu leben. Lernende im 21. Jahrhundert müssen ihre eigenen Chefredakteurinnen und -redakteure sein, sie brauchen Medienkompetenz so dringend wie fundierte Kenntnisse in den klassischen Schulfächern.

Smartphones und Tablets ermöglichen ununterbrochene Partizipation. Die funktioniert allerdings anders als die massenmediale Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts. Digitale Bürgerinnen und Bürger kommunizieren in Nischen, in vernetzten Gruppen, in Blogs, unter Followern, Freundinnen und Freunden. Sie sind häufig verwöhnt von den Möglichkeiten der neuen digitalen Medien, gelangweilt von analogen Textbündeln und von Zeitungen, die ihnen zu teuer sind und vollgestopft mit Texten, die sie nicht interessieren. Sie wollen maßgeschneiderte Ware, keine von der Stange, und billig soll die auch sein, am besten kostenlos. Sie mögen Flipboard, Zite, Huffington Post, tumblr, TED, taptu. Die digitalen Angebote der Zeitungen sind ihnen nicht innovativ genug, kaum verändert gegenüber den Papierausgaben, die neuen Möglichkeiten zu wenig nutzend. Das erklärt den mäßigen Erfolg der ePaper-Ausgaben.

Veränderung der Bildungsmedien

Was für die klassischen und sozialen Medien gilt, gilt auch für Bildungsmedien. Wer als Schülerin und Schüler bei YouTube durch Tutorials anders lernt als die Lernenden vor zwanzig Jahren durchs Schulbuch, sucht die multimediale Vielfalt und Anschaulichkeit auch in der Schule. Lehrende, die den Unterrichtsstoff in Tutorials aufbereiten, gehören heutzutage ebenso zum modernen Unterricht wie Lernende, die den Unterrichtsstoff umsetzen in selbstgestalteten Videos oder multimedialem Storytelling.

Medienkompetenz im 21.Jahrhundert bedeutet nicht nur, dass Schülerinnen und Schüler Medien verstehen können, sie sollten auch zu Medienproduzierenden werden, und die Schulen müssen sie dazu in die Lage versetzen. Die Einbeziehung digitaler Medien in den Unterricht bietet zudem die Möglichkeit, die Lerninhalte zielgruppenspezifischer zu vermitteln und die Jugendlichen mehr als bisher in ihrer Lebensrealität abzuholen.

Bildungsangebote zur Medienkompetenz sollten Schülerinnen und Schüler befähigen, sich im Medien-Dschungel informiert zu bewegen und ihre Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung kompetent wahrzunehmen. Sie brauchen Grundkenntnisse über die Funktion von klassischen und sozialen Medien, brauchen ein kritisches Verhältnis zu Medien. Besonders Nachrichtenkompetenz ist wichtig, um sich orientieren zu können. Was ist Journalismus, wodurch unterscheidet sich ein Influencer von einer Journalistin? Wie entstehen Nachrichten, wie objektiv können sie sein? Wie kann man Fake News erkennen? Wie recherchiert man, wie verlässlich ist es zu googeln? Pressekodex, Presserecht, Urheberrecht – was ist das? Hate Speech und Mobbing im Netz – was dagegen tun? Wie unterscheiden sich öffentlich-rechtliches und privates Fernsehen?

Schülerinnen und Schüler müssen wissen, was sie beachten sollten, wenn sie selbst Texte, Fotos oder Videos veröffentlichen, sei es auf YouTube oder Instagram, in Kommentarspalten oder im eigenen Blog. Wer soziale Medien füttert mit eigenen Fotos und Texten, muss Antworten finden auf Fragen, die jeder Journalist und jede Journalistin während der Ausbildung gelernt hat: Wer muss mir Auskunft geben? Was darf ich veröffentlichen? Wie muss ich die Privatsphäre schützen? Wie überprüfe ich Informationen?

Medienkompetenz in der Schule

Mit ihrem Strategiepapier "Bildung in der digitalen Welt" und dem "Kompetenzorientierten Konzept für die schulische Medienbildung" hat die Kultusministerkonferenz (KMK) anspruchsvolle Anforderungen an die Vermittlung von Medienkompetenz in Schulen formuliert. Die KMK hat den Lehrenden und den Schulen empfohlen, "außerschulische Kooperationspartner", insbesondere Medienanbieter und Bildungseinrichtungen zur Vermittlung von Medienkompetenz zu nutzen.

Hier knüpft beispielsweise die "Externer Link: Reporterfabrik" an. Die WebAkademie des Journalismus organisiert seit über einem Jahr bundesweit Schulbesuche von Journalistinnen und Journalisten und produziert begleitende Unterrichtseinheiten. Denn viele der Anforderungen an die Aus- und Fortbildung von Lehrenden, die in der KMK-Strategie formuliert werden, gehören zum Grundwissen und zur täglichen Praxis von Journalistinnen und Journalisten: Informationen recherchieren und auswählen; Medien produzieren; Datensicherheit und Datenmissbrauch verstehen und erkennen; mediale Gewaltdarstellungen bewerten. Kurzum: die Mediengesellschaft verstehen.

In einer Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa unter 1000 14- bis und 21-jährigen Lernenden befanden zwei Drittel, ihre Lehrerinnen und Lehrer seien "nicht so gut" oder "schlecht" mit digitalen Lernmethoden vertraut. Ein Großteil der Jugendlichen sieht in digitaler Bildung mehr als nur die Vermittlung von technischen Kompetenzen. Für 76 Prozent geht es auch darum zu lernen, wie man mit digital gewonnen Informationen umgehen kann.

Digitaler Journalismus muss stärker an Leserinnen und Lesern orientiert sein als analoger: interaktiver, transparenter, vernetzter, globaler, auch sinnlicher. Genau das gilt auch für die Gestaltung des modernen Unterrichts, Lehrende können hier von den Erfahrungen von Journalistinnen und Journalisten lernen.