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Kostüm der Schauspielerin Marie Barkany | Geteilte Geschichte | bpb.de

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Kostüm der Schauspielerin Marie Barkany

Stefan Hofmann

/ 8 Minuten zu lesen

Für die jüdische Schauspielerin aus dem Gebiet der heutigen Slowakei, die dieses prächtige Gewand trug, war die deutsche Sprache der Schlüssel zum Rampenlicht auf den großen Bühnen Europas.

Kostüm der Schauspielerin Marie Barkany, Externer Link: Shared History Projekt. (© Jewish Community of Prešov, Slovakia, Collection of the former Jewish Museum in Prešov, Photo: Martin Deko)

Das Objekt


Dieses Kostüm stammt aus dem Nachlass der Schauspielerin Marie Barkany. Es wurde im Jahr 1900 für ein Gastspiel von Barkany im Pariser Modehaus Mesdames de Beauvais angefertigt. Nach Barkanys Tod übergab es ihre Nichte, die Sängerin Irma Weile, zusammen mit mehreren Fotografien und Briefen dem 1928 gegründeten Jüdischen Museum von Prešov (heute Slowakei). Mit Beginn des Interner Link: Zweiten Weltkriegs musste das Museum schließen. 1952 wurden die Sammlungen im Jüdischen Museum in Prag untergebracht. Nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Interner Link: Auflösung der Tschechoslowakei wurden die Sammlungen 1993 an die jüdische Gemeinde von Prešov zurückgegeben. Eine kleine Auswahl der Materialien ist heute in der Synagoge von Prešov zu besichtigen. Ab 2021 wird das Kostüm im Museum der jüdischen Gemeinde von Bratislava ausgestellt.

Historischer Kontext

Auf den Bühnen des 19. Jahrhunderts gelang es jüdischen Darstellern, durch überzeugende Auftritte Grenzen zu überschreiten

Dieses besonders kunstvolle Kostüm aus dunkelblauem Samt und einem Diadem mit schwarzen Glasapplikationen trug Marie Barkany als sie im Jahr 1900 in der Titelrolle von Schillers Drama Maria Stuart in Paris auftrat. Anlässlich der Weltausstellung in der französischen Hauptstadt zeigte die Schauspielerin mit einem eigens für dieses Gastspiel zusammengestellten Ensemble vor allem Dramen von Goethe und Schiller. Damit war sie die erste, die Theaterstücke in deutscher Sprache in Frankreich aufführte - ein Novum, das vor dem Hintergrund der Konflikte zwischen beiden Ländern begeistert aufgenommen und gleich einer diplomatischen Mission zur Versöhnung der verfeindeten Staaten bejubelt wurde. Das Gastspiel in Paris markiert den Höhepunkt des internationalen Ruhms von Barkany, deren Laufbahn in vielerlei Hinsicht exemplarisch für das Wirken zahlreicher Juden - und vor allem jüdischer Schauspielerinnen - im deutschsprachigen Theater in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist.

Porträt von Marie Barkany, 1901 (© Wikimedia, Sport und Salon, 14. Februar 1901/Österreichische Nationalbibliothek)

Marie Barkany wurde 1852 im habsburgischen Kaschau (heute Košice, Slowakei) als Tochter eines Mehlfabrikanten geboren. Ihre frühe Begeisterung für die Schauspielkunst teilten zahlreiche Juden, deren Eltern auch Interner Link: ins Bürgertum aufgestiegen waren und ihnen eine umfassende Bildung zukommen ließen. In akkulturierten Haushalten wurde vor allem die klassische deutschsprachige Dramatik verehrt, denn gerade hier war das universale Versprechen der Gleichheit aufgrund von Bildung, Moral und bürgerlichen Verhaltensweisen angelegt.

Das Theater bot zudem ein berufliches Feld, das grundsätzlich allen offenstand und Juden nicht prinzipiell ausschloss. Vor allem in Wien und Berlin, den Hauptstädten des deutschsprachigen Theaters, wurde herausragenden Bühnenkünstlern eine enorme Verehrung zuteil, wie sie sonst nur Angehörige der Herrscherhäuser erfuhren.

Porträt des Schauspielers Adolf von Sonnenthal. (© picture-alliance/akg)

So entfalteten die Theaterhauptstädte eine enorme Anziehungskraft, die bis in die Peripherie des deutschen Sprachraums und sogar darüber hinaus reichte. Junge jüdische Männer und Frauen aus den verschiedensten Gebieten Deutschlands und des Habsburgerreichs träumten von einer Karriere auf den Bühnen von Berlin oder Wien. Ihre Vorbilder waren herausragende Künstler wie Adolf Sonnenthal, der aus einer jüdischen Familie aus Pest stammte, am Burgtheater in Wien zum bekanntesten österreichischen Schauspieler seiner Zeit avancierte und 1881 in den Adelsstand erhoben wurde.

Porträt des deutschen Schauspielers Ludwig Barnay (© picture-alliance, Everett Collection)

Barkany wurde als Jugendliche nicht nach Wien geschickt, um auf der Bühne Karriere zu machen, sondern für eine Ausbildung zur Buchhalterin. Sie setzte jedoch bald gegenüber ihren Eltern durch, Schauspielunterricht nehmen zu dürfen. Diesen erhielt sie unter anderem von Sonnenthal persönlich. Nach ersten Auftritten am Burgtheater wurde sie 1872 vom Frankfurter Stadttheater engagiert. Hier bekam sie kurzzeitig von Ludwig Barnay Schauspielunterricht. Barnay stammte ebenfalls aus einer jüdischen Familie aus Pest, hatte in seiner Jugend von Sonnenthal geschwärmt und gründete 1871 mit der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger die erste Gewerkschaft für Schauspieler, in der sich auch Barkany viele Jahre lang engagierte. 1876 wechselte sie an das Hamburger Thalia-Theater, das von 1843 bis 1894 über fünfzig Jahre von Charles Maurice geleitet wurde, auch er war jüdischer Herkunft.

Von 1881 bis 1889 war Barkany am Königlichen Schauspielhaus Berlin engagiert. In dieser Zeit kam es vor dem Hintergrund eines rasanten Bevölkerungswachstums und einer liberalen Wirtschaftspolitik in der Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs zu einer Gründungswelle von Privattheatern, an denen zahlreiche Juden wirkten. Bald engagierten sich Juden in den unterschiedlichsten Bereichen der Theaterkultur: Als Direktoren, Dramatiker, Regisseure, Dramaturgen, Kritiker, Bühnenausstatter und natürlich als leidenschaftliche Theaterbesucher.

Während jüdischen Männern eine Vielfalt von Positionen in der Theaterkultur offenstand, waren die Interner Link: Wirkungsmöglichkeiten jüdischer Frauen um 1900 meist auf den Beruf der Schauspielerin beschränkt. Oftmals wurde von der Theaterkritik ihr Aussehen ins Zentrum gestellt. Dies war auch bei Barkany der Fall, die zunächst vor allem mit Rollen als jugendliche Liebhaberin bedacht wurde. Kritiker beschrieben sie immer wieder als "feurige Südländerin" und hoben ihr "rabenschwarzes Haar" hervor. Derartige Beschreibungen verweisen auf den Topos der "schönen Jüdin", der sich im 19. Jahrhundert in Literatur und Kunst verbreitete und in jüdischen Schauspielerinnen seine Referenzfiguren fand. Sie wurden orientalisiert, als exotisch, sinnlich und verführerisch imaginiert und avancierten zu Objekten männlichen Begehrens.

Die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt, Porträt 1892. (© picture-alliance/akg)

Als Ikone der deutschsprachigen Bühne wurde Barkany oft mit dem französischen Theaterstar Sarah Bernhardt verglichen, die ebenfalls jüdischer Herkunft war und als Verkörperung der "schönen Jüdin" galt. Als Barkany sich in den 1890er Jahren selbst auf Gastspiele verlegte, die sie unter anderem nach Belgien, Amerika und Russland führten, trat sie mitunter zur selben Zeit in denselben Städten auf wie Bernhardt. Einigen Kritikern zufolge stellte sie dabei ihre französische Konkurrentin in den Schatten.

Jüdische Schauspielerinnen wie Barkany wurden zwar einerseits für ihre Schönheit und ihre Kostüme gerühmt, andererseits aber auch oftmals dafür kritisiert, vermeintlich lediglich auf Äußerlichkeiten bedacht zu sein. Diese Fokussierung auf das Äußere hatte jedoch noch eine weitere Dimension: Um 1900 war das Theater zu einem Laufsteg geworden. Über ihr Aussehen und ihre Kleidung etablierten sich bekannte Schauspielerinnen als Marke und wurden zu Modellen für die Vorführung neuer Moden, denen die Damen im Publikum nacheiferten.

Der Vorwurf der Fokussierung auf Äußerlichkeiten und der angeblichen Vernachlässigung der Gefühlstiefe der darzustellenden Rolle, der oftmals gegenüber jüdischen Schauspielerinnen vorgebracht wurde, war auch ein fester Bestandteil Interner Link: antisemitischer Stereotype. So wurde Juden zwar insgesamt vor dem Hintergrund der habituellen Angleichung an die Umgebungsgesellschaft eine besondere Affinität zum Schauspiel attestiert. Dabei behaupteten Antisemiten jedoch, dass sich dieses Talent nur auf ein oberflächliches Nachahmen bezog und Juden die tiefere Erfassung einer Rolle nicht möglich sei. Sie seien daher unfähig, wahre Kunst zu schaffen. Das Engagement zahlreicher Juden in der Theaterkultur nahmen Antisemiten zum Anlass, ihnen vorzuwerfen, sie würden das Theater dominieren und die deutsche Kultur zerstören. In Theodor Fritschs Antisemiten-Katechismus, der diese Anschuldigungen bündelte, wurde Barkany in der Ausgabe von 1893 namentlich an erster Stelle einer Aufzählung von jüdischen Theaterschaffenden genannt.

Nach ihren umjubelten Auftritten in Paris 1900 wurde es ruhiger um Barkany. Nur noch selten war sie in einzelnen Gastspielen zu sehen. Sie starb 1928 in Berlin und wurde entsprechend ihrem letzten Willen auf dem jüdischen Friedhof von Košice begraben.

Persönliche Geschichte

Marie Barkany - eine jüdische Schauspielerin mit "musterhaft correcter Aussprache".

Marie Barkany (© Wikimedia, Illustrirte Zeitung vom 13. Dezember 1900/ Goerdten)

Als Marie Barkany 1906 gebeten wurde, für ein Buchprojekt über große Schauspielerinnen und Schauspieler eine Geschichte aus ihrem Leben zu erzählen, entschied sie sich für eine Anekdote über ihren ersten Auftritt am Frankfurter Stadttheater. Barkany, die sich noch im Spätherbst ihrer Karriere um fünf Jahre jünger machte, beschrieb darin, wie sie als Fünfzehnjährige mit ihrer Mutter nach Frankfurt kam und nach dem Vorsprechen gebeten wurde, acht Tage später das Gretchen in Goethes Faust als Gast zu spielen. Anhand dieses Auftritts würde über ein Engagement entschieden. Am Abend vor der Premiere passierte sie den Goetheplatz und bat ihre Mutter, sie dort allein zu lassen. Angesichts der Herausforderung, die vor der jungen Frau lag, ließ sie sich vor dem Denkmal nieder "zu Füssen des Mächtigsten […] und bat ihn, mir morgen beistehen zu wollen, damit ich als sein Gretchen das Wohlgefallen der strengen Richter […] erringe und engagiert werde." Drei Monate nach dem Auftritt, der ihr erstes festes Engagement an einem Theater nach sich zog, erfuhr sie allerdings, dass sie statt zu Goethe zu Schiller gebetet hatte, da sie mit ihrer Mutter über den Schillerplatz und nicht den Goetheplatz gegangen war.

Die Szene, mit der Barkany selbstironisch ihren Einstand im deutschsprachigen Theater verknüpfte, zeugt neben der Unbedarftheit einer jungen Frau auch von einer besonderen Verehrung Goethes, die unter deutschen Juden weit verbreitet war. Der Dichter stand für universelle Werte wie Bildung, Humanität und Vernunft und verbürgte in ihren Augen somit eine Verbindung von Deutschen und Juden.

Der Weg für Barkany zum Theater führte indes auch über die deutsche Sprache. In ihrem Heimatort Kaschau wurde in ihrer Kindheit und Jugend vor allem von der nicht-jüdischen Bevölkerung Ungarisch und Slowakisch gesprochen. Jüdische Familien verwendeten entweder Jiddisch oder Deutsch, später auch Ungarisch. Als sie von ihren Eltern zur Ausbildung nach Wien geschickt wurde, war dabei auch ein erklärtes Ziel, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern; denn Deutsch war nicht nur die Reichs- und Verwaltungssprache in der Habsburgermonarchie. Es galt besonders unter der jüdischen Bevölkerung auch als Sprache der Bildung, Akkulturation und des sozialen Aufstiegs. Zahlreiche Juden fühlten sich eng mit der deutschen Sprache verbunden, während judenfeindliche Polemiken ihnen absprachen, sie wirklich zu beherrschen. Die Bedeutung von Sprache als Ausdruck von Zugehörigkeit war besonders wichtig für jüdische Schauspielerinnen und Schauspieler, die jeden Abend im Rampenlicht standen und sich zu beweisen hatten. Barkany wurde in jungen Jahren mitunter für ihre "musterhaft correcte Aussprache" von der Theaterkritik gelobt. Vor allem in späteren Jahren mokierten sich einige Kritiker jedoch über ihren Akzent im Deutschen.

Nichtsdestotrotz gelang Barkany der Aufstieg zu einer der bekanntesten Schauspielerin ihrer Zeit. In Paris war sie in ihrer Paraderolle als Gretchen in Goethes Faust enthusiastisch bejubelt worden. Ein französischer Kommentator bemerkte, dass sie Gretchen, die als Verkörperung des jungen deutschen Mädchens verstanden wurde und als "nationalste Heldin Goethes" galt, "mit echt deutschem Wesen dargestellt" hatte.

Nach dem Interner Link: Ersten Weltkrieg, als antisemitisches Denken in der Öffentlichkeit immer stärker hervortrat, wäre dieses positive Urteil über Barkanys Gretchen nicht mehr unwidersprochen wiederholt worden. So schäumte 1923 die konservative und antisemitische Presse als der jüdische Direktor des Preußischen Staatstheaters, Leopold Jessner, die Rolle des Gretchens mit einer schwarzhaarigen Schauspielerin besetzt hatte. Schon aufgrund der Haarfarbe beklagte sich ein Kritiker, dass die Verkörperung des blonden, tugendhaften, germanischen Mädchens mit der "Maske eines polnischen Dienstmädchens" geschändet würde.

Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.

Weitere Inhalte

Stefan Hofmann ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Als Redakteur hat er an der siebenbändigen Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur mitgewirkt und betreut Quelleneditionen zur jüdischen Geschichte. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kulturgeschichte der Juden, die Theatergeschichte sowie die Geschichte des Antisemitismus.