Hongkong war in den frühen 1970er Jahren ein Zufluchtsort für Menschen, die den Wirren der Interner Link: Kulturrevolution (1966-1976) in der Volksrepublik China entflohen. Seit 2019 haben wiederum über 200.000 Hongkonger ihre Heimat verlassen, um ihrerseits dem politischen Klima in der Sonderverwaltungszone zu entkommen. Die ehemalige britische Kronkolonie, Interner Link: die 1997 von Großbritannien an China zurückgegeben wurde, steht zunehmend unter direkter Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Wie hat Hongkong seine einstige Rolle als ein Modell für demokratische Reformen in China verloren? Was verrät uns das Schicksal Hongkongs über die Politik Chinas?
‘Ein Land, zwei Systeme’ ist Geschichte
Schauen wir kurz zurück: 1984 hatten sich die damalige chinesische Parteiführung mit der britischen Regierung in der „Sino-Britischen gemeinsamen Erklärung zu Hongkong“ verständigt, dass nach der Rückgabe Hongkongs das dortige semi-liberale politische System 50 Jahre weiterbestehen solle. In dieser Zeit sollte das Prinzip Interner Link: „Ein Land, zwei Systeme“ gelten. Die KPCh hatte aber kein Interesse an einer Fortführung der Demokratisierung Hongkongs nach 1997 und zog die politischen Zügel immer stärker an. 2003 protestierten Hunderttausende gegen Pläne für ein erstes Sicherheitsgesetz, 2014 im Zuge der sogenannten „Regenschirm-Bewegung“ für das Recht auf Direktwahlen. Interner Link: 2019 kam es zu monatelangen Protesten gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz, die sich zu einer stadtweiten Demokratiebewegung unter Beteiligung von Millionen Menschen ausweitete. Die Regierung der Sonderverwaltungszone Hongkong zog das umstrittene Gesetz kurz darauf zurück.
In Folge dieser Entscheidung übernahm jedoch die KPCh die Regie: Ende Juni 2020 trat das „Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong“ in Kraft. Frühere Rechtssicherheit und Toleranz für politische Proteste wurden durch ein Klima der Angst ersetzt. Mit dem Sicherheitsgesetz entzog die Pekinger Zentralregierung Hongkong die Autonomie, was einen Bruch mit dem „Ein Land, zwei Systeme“-Prinzip und somit eine historische Zäsur markiert.
Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong
Am 30. Juni 2020 verkündete die Hongkonger Regierung das Inkrafttreten eines neuen Sicherheitsgesetzes. Ohne Konsultation des LegCo (Legislativrat von Hongkong) war es unilateral vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses in Peking verabschiedet worden. Das „Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong“ oder „Chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong“ (zu unterscheiden von dem Chinesischen Sicherheitsgesetz, das auf dem Festland Anwendung findet) sieht Haftstrafen von sieben Jahren bis lebenslänglich für zahlreiche Vergehen wie „Abspaltung“, „Subversion“, „terroristische Aktivitäten“ und die „Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten zur Gefährdung der nationalen Sicherheit“ vor. Durch ungenaue Formulierungen im Gesetzestext obliegt es letztlich der Justiz, wer sich wodurch strafbar macht. Von kritischen Stimmen wurde es als Einschränkung der Grundrechte in Hongkong verurteilt.
Interner Link: Mehr Informationen über das Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong
Hongkongs demokratisches Experiment war damit beendet, bevor es richtig begonnen hatte. Mit dieser Entscheidung wurde ein unmissverständliches Signal ausgesendet: Liberalismus und Demokratie werden selbst an Chinas Peripherie nicht toleriert. An ihre Stelle trat aufgezwungene politische Stabilität, bei der Bürgerrechte nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
Unterdrückung in Hongkong
Politische Gefangene
Hongkongs Demokratiebewegung ist mittlerweile zerschlagen. 45 Oppositionspolitiker und Demokratieaktivisten wurden 2024 zu Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren verurteilt. Dazu gehören auch prominente Figuren wie Benny Tai (10 Jahre), sowie Joshua Wong und Claudia Mo (jeweils 4 Jahre). Tai, ein Rechtsprofessor, hatte im Juli 2020 inoffizielle Vorwahlen organisiert, mit denen die häufig zerstrittenen prodemokratischen Parteien ihre Wahlchancen verbessern sollten. Wong hatte 2012 bei Protesten gegen die Einführung des Schulfachs „moralische und nationale Erziehung“ und 2014 in der Regenschirm-Bewegung eine führende Rolle gespielt. Mo, eine Journalistin und Politikerin aus dem prodemokratischen Lager, war international bekannt für ihre scharfe Kritik an der Hongkonger Regierung. Mittlerweile hat sie ihre Haftstrafe abgesessen und wurde aus dem Gefängnis entlassen.
Laut der Committee for Freedom in Hong Kong Foundation sind seit 2019 von der durchschnittlichen Gefängnispopulation von 8250 mehr als 1900 politische Gefangene. Haftbedingungen hätten sich mittlerweile erheblich verschlechtert. Gefängniswärter würden täglich Überwachungsberichte über politische Häftlinge verfassen, deren soziale Interaktionen beschränken und sie unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit für Wochen oder gar Monate in Einzelhaft halten. Diese Einschätzung wird auch von anderen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International geteilt.
Parteien und Zivilgesellschaft
Es darf nicht verwundern, dass angesichts solcher politischen Repression viele Oppositionsparteien nicht länger existieren: die von jungen Aktivisten erst 2016 gegründete Partei Demosistō erklärte sich vier Jahre später für aufgelöst. Das Gleiche gilt für die Neo Democrats (2021), Civic Passion (2021), Civic Party (2023) und die League of Social Democrats (2025). Prominente zivilgesellschaftliche Organisationen sind ebenfalls Opfer des Sicherheitsgesetzes geworden: Die Hong Kong Professional Teachers‘ Union (2021), Hong Kong Confederation of Trade Unions (2021), Civil Human Rights Front (2021) und Hong Kong Alliance in Support of Patriotic Democratic Movements of China (2021) existieren nicht mehr. Damit finden auch die Organisation von Protestmärschen, die jährlichen Gedenken an das Interner Link: Tian‘anmen-Massaker am 4. Juni 1989 und kritische Bürgerinitiativen nicht länger statt.
Presse
Auch die Pressefreiheit hat stark gelitten. Im World Press Freedom Index 2025 rangiert Hongkong mittlerweile auf dem Rang 140, hinter Libyen und ein Platz vor Kasachstan. Die Büroräume von Apple Daily, einer prodemokratischen Zeitung, wurden im Juni 2021 unter dem Vorwand durchsucht, dass ihre Berichterstattung das Sicherheitsgesetz verletze. Der Besitzer und Herausgeber Jimmy Lai wurde verhaftet, eine Verurteilung wird im Herbst 2025 erwartet. Auch für ausländische Korrespondenten hat sich die Arbeit erheblich erschwert. Der Fall einer Bloomsberg-Journalistin, deren Visum im August 2025 ohne Angabe von Gründen nicht verlängert wurde, ist nur das jüngste Beispiel in einer Reihe vergleichbarer Fälle.
Bildung
Hongkongs Universitäten haben ebenfalls stark an wissenschaftlicher Unabhängigkeit eingebüßt. 2023 wurden Forderungen der pro-Peking Fraktion im Legislativrat laut, die Vergabe von Forschungsgeldern stärker zu kontrollieren. Während kritische Wissenschaftler Hongkong verlassen, konzentrieren sich jene die bleiben auf eher apolitische Themen. Auch an Schulen ist ideologischer Druck zu spüren: immer mehr Lehrer geben bereits vor der Pensionierung ihren Job auf. Hongkongs Schulsystem ist zunehmend durch Propaganda und Selbstzensur geprägt.
Kultur
Hongkong kam in der Vergangenheit eine Brückenfunktion zwischen China und westlichen liberalen Demokratien zu. Aufgrund des hybriden Charakters als ehemalige britische Kolonie und Handelsknotenpunkt im südchinesischen Meer war es lange möglich, Kulturaustausch zum beiderseitigen Nutzen zu betreiben. Mittlerweile werden Interner Link: politisch missliebigen Künstlern die Veranstaltungsorte entzogen, wie bei dem Ensemble Fire Makes Us Human. Es mehren sich die Fälle, dass Interner Link: Filme, die gesellschaftspolitisch sensible Themen behandeln, nicht gezeigt werden dürfen. Kritische Theaterstücke werden nicht länger aufgeführt. Auch im Kulturbereich macht sich aufgrund der politischen Bevormundung aus Peking Selbstzensur breit.
Größte Emigrationswelle seit 1997
Die britische Regierung hat auf die Verletzung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ mit einer Vereinfachung der Visavergaben und perspektivisch unbefristetes Aufenthaltsrecht für Hongkonger reagiert, die zum Zeitpunkt der Machtübergabe an China 1997 Bürger der Kronkolonie waren. Angesichts der dramatischen Einschränkungen der Bürgerrechte haben viele Menschen mit ihren Füßen abgestimmt: Seit 2021 sind über 160,000 Hongkonger nach Großbritannien emigriert. In diesem Zuge hat die bereits große chinesische Community in Großbritannien sich vermehrt um kantonesischsprachige Hongkonger erweitert, welche die südchinesische Kultur mit sich bringen.
Transnationale Repression
Politisch aktive Hongkonger sind aber auch im Ausland nicht vor dem langen Arm Pekings sicher. 2024 wurde das Sicherheitsgesetz noch einmal verschärft. Zu den bisherigen Straftatbeständen sind „Diebstahl von Staatsgeheimnissen und Spionage“, „Sabotage zur Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Einmischung von außen“, „Aufruhr“ und „Hochverrat“ dazu gekommen. Diese Verschärfungen haben bereits unmittelbare Konsequenzen nach sich gezogen. 2024 wurden gegen 19 im Ausland lebende Hongkonger, die wegen Verstößen gegen das Sicherheitsgesetz beschuldigt werden, Haftbefehle mit einhergehenden Kopfgeldern erlassen.
Dazu gehört auch die junge Aktivistin Chloe Cheung, der „Anstiftung zur Sezession“ und „Kollusion mit einem fremden Staat oder mit externen Elementen zur Gefährdung der nationalen Sicherheit“ vorgeworfen werden. Konkret geht es um ihre öffentliche Kritik an der Hongkonger Verwaltung und der Pekinger Führung. Für ihre Ergreifung wurde ein Kopfgeld von einer Million Hongkong-Dollar (mehr als 100.000€) ausgeschrieben. In Südengland erhielten Nachbarn der früheren Hongkonger Politikerin und Demokratieaktivistin Carmen Lau Briefe, die 100.000£ für Informationen über ihre Aktivitäten auslobten. Daraufhin wurde ihr von der britischen Polizei nahegelegt „alle Aktivitäten einzustellen, die Sie einem Risiko aussetzen könnten“ und „die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen zu vermeiden“.
Hieran zeigt sich ein akutes Dilemma im westlichen Umgang mit transnationaler Repression. Wie sollen Demokratien mit übergriffigem Verhalten von Autokratien umgehen, welches geltendes Recht und Gesetz verletzt? Das Sicherheitsgesetz beschränkt sich nicht nur auf Hongkong, sondern gilt auch extraterritorial. Somit kriminalisiert es ebenfalls regimekritische Chinawissenschaft im Ausland. Dies Interner Link: schränkt die Wissenschaftsfreiheit auch im Westen ein. Wer sich in Forschung und Lehre kritisch gegenüber der Pekinger Regierung oder der KPCh äußert, muss eine Verweigerung der Einreise nach Hongkong oder im schlimmsten Fall eine Verhaftung befürchten.
Leider handelt es sich hierbei nicht nur um ein Worst-Case-Szenario. Menschenrechtsaktivisten wie Benedict Rogers von Hong Kong Watch, Kenneth Roth von Human Rights Watch und dem deutschen Tibet-Aktivisten David Missal wurden bereits die Einreise nach Hongkong verweigert. Eine Hongkonger Studentin, die sich während ihres Studiums in Japan auf Facebook für Hongkongs Unabhängigkeit ausgesprochen hatte, wurde nach ihrer Rückkehr festgenommen und zu zwei Monaten Haft verurteilt. Damit hat sich Hongkong von einem Interner Link: Brückenpfeiler bei der Vermittlung zwischen den Welten zu einem No-Go-Territorium für all jene entwickelt, die sich Zensurgeboten der Pekinger Führung nicht beugen wollen.
Quo vadis?
2019 hatte ich in meinem Buch The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan and Hong Kong die Demokratiebewegung in der ehemaligen Kronkolonie als „Kanarienvogel in der Kohlenmine“ bezeichnet, eine Art Frühwarnsystem für die graduelle Erosion der demokratischen Freiheiten. Seither hat sich gezeigt, was passiert, wenn Bürger auf sich allein gestellt sind und nur schwach ausgebildete demokratische Institutionen keinen ausreichenden Schutz gewährleisten und auch selbst genießen. Wer in Hongkong geblieben ist, lebt mittlerweile in einer Stadt, die zwar wirtschaftlich hoch entwickelt, aber wie auch die Metropolen Peking und Shanghai unfrei ist. Und wer Hongkong verlassen musste, findet sich in einem größeren Käfig wieder: vermeintlich frei, aber selbst im Ausland noch im Schatten der chinesischen Autokratie lebend.
Während der Protestbewegung 2019-2020 wurde häufig der Slogan skandiert: „Gestern Xinjiang, heute Hong Kong, morgen Taiwan“. Mit dieser Metapher wurde eine Verbindung zwischen der Unterdrückung der Interner Link: Uiguren, der Drangsalierung der Demokratiebewegung in Hongkong und den militärischen Drohungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee gegen Interner Link: Taiwan gezogen. Im Jahr 2025 wachsen die Sorgen, dass es im Windschatten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu einem Interner Link: Krieg um Taiwan kommen könnte. Hongkong, das war einmal ein Versprechen für eine mögliche demokratische Zukunft Chinas. Heute dient Hongkong als Warnung dafür, was passiert, wenn Autokraten keine liberale Alternative zulassen und die internationale Gemeinschaft weitgehend tatenlos zuschaut.