Die frühen Fernsehjahre in der Bundesrepublik sind geprägt von einem Nachholbedarf an verpasster Weltliteratur und der noch schwerfälligen Aufnahmetechnik. 1951 begann beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in Hamburg das Versuchsprogramm des Fernsehens mit Hans Farenburgs Inszenierung vom "Vorspiel auf dem Theater" aus Goethes "Faust". Dies war programmatisch gedacht. Bühnenstücke wurden auch zu den wichtigsten Vorlagen für die Fernsehinszenierungen . Deutsche Klassiker sowie Autoren des 20. Jahrhunderts und der internationalen Moderne von O’Neill bis Sartre dominierten das Fernsehspiel . Aber auch erste Roman-Adaptionen fanden Eingang in das neue Medium. 1955 stand Franz Peter Wirths Fernsehinszenierung von Albert Goes' Novelle "Unruhige Nacht" (SDR) für den Beginn der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg im Fernsehen . Dabei war das Fernsehspiel um einen Deserteur noch moderat in seiner Kritik am Krieg im Vergleich zur Kinoadaption von Falk Harnack drei Jahre später.
Schwerfällige Kameras und fehlende Autoren
Die schwerfälligen elektronischen Kameras beschränkten die Fernsehspielproduktion auf das Studio und zumeist auf ein Kammerspiel-Format, dem das Theater und das Hörspiel die besten Vorlagen boten. Da es noch keine Aufzeichnungsmöglichkeiten gab, fand der Fernsehspielabend live statt.
Dem Fernsehen fehlten anfangs nicht nur die eigenen, speziell für das Fernsehen geschriebenen Stoffe, ihm fehlten auch die Autoren für solche "Originalfernsehspiel" genannten Produktionen. Deshalb versuchten Redakteure einiger Fernsehanstalten (NDR, BR), Literaten der Gruppe 47 zu gewinnen. Fernsehspiele von Walter Jens ("Vergessene Gesichter", 1953) und Wolfgang Hildesheimer ("Begegnung im Balkan-Expreß", 1955; "Nocturno im Grand-Hotel", 1959) sind auf diese Kontakte zurückzuführen.
Erste Fernsehspiel-Aufnahmen mit der Filmkamera
Auf dem Weg zu einer eigenen Ausdrucksweise drängte das Fernsehspiel auch darauf, sich filmischer Produktionsmittel zu bedienen und von der schwerfälligen elektronischen Studiotechnik zu befreien. Denn die Praxis, vorproduzierte Filmszenen über einen Filmabtaster in das laufende Live-Spiel einzubauen, erwies sich als kompliziert und nervenaufreibend, musste doch der Zeitpunkt für die Einbindung der vorab gedrehten Szenen genau getroffen werden. Die Zahl der einzubauenden Filmsequenzen blieb deshalb beim einzelnen Spiel auch begrenzt. Es lag nahe, das Fernsehspiel gänzlich mit der Filmkamera aufzunehmen. Den Anfang machte 1957 die Dürrenmatt-Verfilmung "Der Richter und sein Henker" (SDR).
Debatte um "Besuch aus der Zone"
1958 entstand nach einem Hörspiel von Dieter Meichsner der Fernsehfilm "Besuch aus der Zone" (SDR) unter der Regie von Rainer Wolffhardt: Ein Unternehmer aus der sogenannten "Ostzone" kommt zu Besuch nach Stuttgart, wo ehemalige Mitarbeiter von ihm leben, und entdeckt dort, dass sie ein chemisches Verfahren zur Herstellung von Kunststofffasern, das er entwickelt hat, heimlich im Westen ausbeuten. Er ist empört und zieht es trotz lukrativer Angebote aus dem Westen aus menschlich-moralischen Gründen vor, in die DDR zurückzukehren. Denn er will nicht, dass wegen seines Wegbleibens ("Republikflucht") seine Mitarbeiter in der DDR Repressionen ausgesetzt sind. Der Film zog eine heftige Debatte im Bundestag nach sich: Die CSU warf dem SDR vor, DDR-freundliche Auffassungen zu propagieren.
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Politische Positionen im Fernsehfilm
Der Fernsehfilm hatte damit deutlich gemacht, dass das Fernsehspiel auch politische und weltanschauliche Positionen vermitteln konnte. 1960 erregte eine Inszenierung der Antikriegskomödie "Lysistrata" von Aristophanes (NDR) Aufsehen, weil der Regisseur Fritz Kortner eine Rahmenhandlung ergänzt hatte, die die bundesdeutsche Atomdebatte der 1950er Jahre einbezog und damit den antiken Stoff mit aktuellen Bezügen versah. Der Bayerische Rundfunk schaltete sich aus der Übertragung des im ARD-Gemeinschaftsprogramm "Deutsches Fernsehen" gesendeten Spiels aus, angeblich weil in einer Szene Romy Schneider mit leicht entblößter Brust zu sehen war. Der BR konnte offenbar öffentlich nicht vertreten, dass er wegen der pazifistischen Haltung des Stückes gegen die Ausstrahlung war.
Die erste Fernsehspiel-Szene im ostdeutschen Versuchsfernsehen war wie im Westen ein Klassiker, sie entstammte der Erzählung "Des Vetters Eckfenster" (DFF, 1953) von E.T.A. Hoffmann. Früh wandten sich die DDR-Dramaturgen Gegenwartsstoffen zu ("Die schwarze Liste", DFF, 1954). Auch hier waren die ersten Jahre bestimmt durch die Suche nach fernsehgeeigneten Darstellungsformen und nach einer fernsehgenuinen Dramaturgie.
Hörspiel vs. Filmische Erzählweise
Es standen sich zwei künstlerische Traditionen gegenüber: die eine orientierte sich am Hörspiel, die andere präferierte eine filmische Erzählweise. 1955 entstand "Der Tod von La Morgaine", ein Rennsport-kritisches Stück der Autoren Hans Müncheberg und Wolfgang Luderer (er führte auch Regie). In die Spielszenen im Studio wurden Dokumentarfilm-Passagen einmontiert, was unter den Bedingungen des Live-Spiels eine logistische Herausforderung war. Die Alternativen zu dieser Art von neuen Fernsehspielansätzen waren aus Hörspielen oder Theaterstücken entwickelte Kammerspiele wie "Morgendämmerung" (DFF, 1954) von Hermann Rodigast.
Dilemma der sozialistischen Gegenwartsdramatik
Erwünscht waren Zeitstücke, doch die sozialistische Gegenwartsdramatik befand sich in einem Dilemma: Welche psychologisch glaubwürdigen Konflikte eines Helden ließen sich erzählen in einer Gesellschaft, in der alle antagonistischen Widersprüche aufgehoben sein sollten? Außerdem ließen sich glaubwürdige Geschichten aus der Gegenwart nur schwer in der Form eines theaterhaften Kammerspiels ohne Außenaufnahmen darstellen.
Die 1950er Jahre sind deshalb im Osten wie im Westen durch zahlreiche Experimente und technische Erprobungen gekennzeichnet. Erst in der Praxis der Fernsehspielproduktion entstanden neue Formen und bildeten sich neue Gestaltungsgrundlagen heraus.