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Amerika am Scheideweg | USA | bpb.de

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Amerika am Scheideweg

Dr. Christoph von Marschall

/ 10 Minuten zu lesen

Der Präsident und die Republikaner haben es in der Hand, ob die zweite Amtszeit Obamas eine Ära der Blockade oder eine Zeit der begrenzten Kompromisse wird.

Ort der Blockade oder des Kompromisses? Abendlicher Blick auf das Capitol in Washington, am 30. November 2011. (© picture-alliance/dpa)

Dicht an dicht standen die Menschen bei Präsident Obamas zweiter Amtseinführung auf der National Mall. Selbst am Washington Monument, dem Obelisken in der Mitte des breiten Grünstreifens, der sich im Herzen der Hauptstadt vom Capitol bis zum Lincoln Memorial erstreckt, war kein Ende des Meeres aus Mützen und Hüten abzusehen. Die Präsenz der mehreren Hunderttausend Menschen wirkte wie ein Manifest des guten Willens gegen alle Befürchtungen, dem Land drohe eine permanente parteipolitische Blockade. Die Stimmung war teils feierlich ernst, teils ausgelassen wie bei einem Popkonzert. Begeistert jubelte die Menge James Taylor zu, der „America, the Beautiful“ wie eine zärtliche Liebeserklärung an sein Land sang. Als der wiedergewählte Präsident auf dem Westbalkon des Capitols kurz vor 12 Uhr mittags die rechte Hand zum Schwur hob und dem Obersten Richter John Roberts die Formel nachsprach: „Ich, Barack Hussein Obama, gelobe feierlich …“ kehrte für einen Moment erhabene Stille ein. Diesmal gab es keinen Versprecher wie 2009, nur die letzten zwei Worte „United States“ verschliff Obama ein wenig. Aber das ging unter im anschwellenden Jubel.

„Glaube an Amerikas Zukunft“ hatte der Eröffnungsredner, der jüdische Senator Charles Schumer, als Motto ausgegeben. Auch alle, die nach ihm sprachen, beschworen Einheit, Zusammenarbeit und Kompromisswillen: Myrlie Evers-Williams, die Witwe eines schwarzen Bürgerrechtlers; Lamar Alexander, ein republikanischer Senator aus den Südstaaten; Richard Blanco, ein homosexueller Poet kubanischer Abstammung. Die Inauguration war eine Demonstration der Vielfalt Amerikas, die ein Reichtum sein kann, sich aber oft in Interessenkonflikten ausdrückt.

Obama stellte ebenfalls das Zusammengehörigkeitsgefühl in den Mittelpunkt seiner Rede. „Wir müssen gemeinsam handeln, als eine Nation, heute mehr denn je zuvor.“ Er zitiert das Versprechen aus der Unabhängigkeitserklärung, dass alle Menschen frei und gleich sind. In seiner 15 Minuten lange Rede legte er kein konkretes Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre dar. Vielmehr rief er seine Landsleute dazu auf, sich auf einen Grundkonsens der Werte zu besinnen und diesen auf die Gegenwart anzuwenden. „Wenn die Zeiten sich ändern, müssen auch wir uns ändern“, sagte er. Die Amerikaner glaubten an die Eigeninitiative und nicht daran, dass die Regierung alle Probleme lösen könne. Aber die Bürger gäben sich das Versprechen der Verantwortung für einander. Das Land könne nicht blühen, wenn es nur wenigen gut gehe. Sozialversicherungen seien keine Geldverschwendung, „sie machen uns stärker“.

Manche Medien interpretieren seine Rede als Kampfansage an die Republikaner, als die Ankündigung einer dezidiert linken Agenda: Maßnahmen gegen den Klimawandel, Gleichstellung der Homosexuellen, Verteidigung der sozialen Sicherungsprogramme für Rente und Gesundheitsversorgung, Einschränkungen beim Waffenrecht. Andere heben hervor, dass Obama den Zusammenhalt der Nation beschworen und die Republikaner um Kooperation gebeten habe.

Die USA begehen jede Inauguration wie ein Hochamt der Demokratie. Ausgelassen feiern die Bürger sich selbst und ihre Staatsform. Auf die Vereidigung folgt die traditionelle Parade mit Abordnungen aus allen 50 Bundesstaaten. Abends schließen sich mehrere Bälle an. Obama hat seine zweite Amtszeit mit verbesserten Umfragewerten begonnen. 52 Prozent der Bürger unterstützen ihn. Das sind zwar zehn Prozentpunkte weniger als zu Beginn der ersten Amtszeit 2009, aber deutlich mehr als die 45 Prozent Zustimmung im Januar 2012.

Die USA am Scheideweg

Das Land steht nach seiner Wiederwahl an einer Weggabelung: Die nächsten vier Jahre können politische Blockade bedeuten. Sie können aber auch zu einer Ära begrenzter Reformen werden wie in Bill Clintons zweiter Amtszeit. Obama wurde trotz schlechter Ausgangsposition im Amt bestätigt. Das verleiht ihm Macht. Die Republikaner haben jedoch ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verteidigt. Gegen sie läuft gar nichts. Obama kämpft jetzt um seinen Platz in den Geschichtsbüchern. In der ersten Amtszeit hat er Amerika aus der Rezession, die auf die Finanzkrise folgte, herausgeführt. Er hat die Gesundheitsreform und eine Finanzmarktreform durchgesetzt, die Rechte von Homosexuellen in den Streitkräften erweitert, zwei neue Verfassungsrichterinnen ernannt und einen Abrüstungsvertrag mit Russland geschlossen; ein Drittel der strategischen Atomraketen wird verschrottet. Das alles klingt bereits nach einer historischen Leistung. Als großer Präsident wird Obama jedoch nur in Erinnerung bleiben, wenn er die Konservativen nun zu weiteren Reformen bewegen kann: Schuldenabbau, Einwanderungsrecht, Energiepolitik.

Für die Republikaner geht es jetzt um ihre Zukunft. Sie müssen sich öffnen, sonst werden sie bald keine nationale Wahl mehr gewinnen können. Sich Öffnen für die Latinos, die größte und am schnellsten wachsende Minderheit. Sich Öffnen auch für Homosexuelle.

Das Wahlergebnis hat nur den groben Rahmen abgesteckt. Die tatsächliche Machtverteilung wird jeden Tag neu ausgehandelt. Des Präsidenten schärfste Waffe sind die öffentliche Rede und die darauf folgenden Meinungsumfragen sowie sein Vetorecht gegen Kongressbeschlüsse. Die Republikaner können ihm mit ihrer Parlamentsmacht jedoch die Luft zum Handeln abschnüren, ihm Abwehrkämpfe um den Haushalt aufzwingen und ihm die Bestätigung seiner Minister und Behördenleiter verweigern.

Von der Poesie zur Prosa

In den Reden nach einem Wahlsieg und bei der Inauguration darf Obama sich Poesie erlauben. Regieren muss er jedoch prosaisch. Wenn er etwas erreichen will, wird er sich von seiner Partei lösen, den Republikanern Kompromissangebote unterbreiten, sich als Präsident über beiden Lagern positionieren und um öffentliche Zustimmung für pragmatische Lösungen werben müssen. Und sobald sich bei den Republikanern jene durchsetzen, die nicht in Treue zur hergebrachten Ideologie untergehen, sondern 2014 die Kongresswahl und 2016 die Präsidentenwahl gewinnen wollen, werden sie hier und da auf Obamas Werben eingehen. Garantiert ist diese Wende zum Pragmatismus nicht. Falls der Streit um das Waffenrecht und die Schuldenobergrenze eskaliert, können sich die Fronten sogar verhärten. Im Moment mehren sich aber die Zeichen, dass die Republikaner von der nackten Erpressung, die sie im Sommer 2011 und jetzt in den Wochen seit der Wahl praktiziert hatten, Abstand nehmen. Es liegt an Obama, diese Signale zu erwidern. Der Moment für den Wechsel von Poesie zu Prosa ist jetzt.

Die Republikaner haben in den Tagen vor und nach der Inauguration ihre Drohungen nicht wiederholt, die Regierungsarbeit zu blockieren, falls es keine Einigung auf eine drastische Kürzung der Staatsausgaben gibt. Sie wollen zwar noch immer nicht der Erhöhung der Schuldenobergrenze zustimmen. Aber sie geben Obama zunächst Zeit bis Ende Mai, um den Schuldenabbau einzuleiten. So regt sich die vorsichtige Hoffnung, dass auf manchen Gebieten wie der Haushaltspolitik und dem Einwanderungsrecht Kompromisse möglich sind.

In den anderthalb Jahren zuvor hatten die beiden Lager harten Wahlkampf geführt und die Wahl zur wichtigsten Richtungsentscheidung einer ganzen Generation stilisiert. Doch dann entschieden sich die Wähler ganz anders. Sie stimmten gegen zu viel Wandel. Amerika bestätigte den „Status Quo“: Der Demokrat Barack Obama bleibt Herr im Weißen Haus. Die Republikaner behaupten ihre klare Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Und im Senat verteidigen die Demokraten ihren knappen Vorsprung vor den Konservativen.

Auftrag: Selbstkritik

Beide Lager stehen nach wie vor unter Druck, die Ursachen dafür zu analysieren, warum die Wähler ihre jeweiligen Hoffnungen nicht erfüllt haben. Das gilt ganz besonders für die Republikaner. Sie hatten 2012 eine denkbar gute Ausgangsposition, um alle drei Institutionen unter ihre Kontrolle zu bringen: das Weiße Haus, das Abgeordnetenhaus und den Senat. Der Amtsinhaber, Barack Obama, war angeschlagen. Die Zustimmung zu ihm lag seit langem unter 50 Prozent. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung sah das Land auf dem falschen Weg, im Herbst 2011 waren es über 70 Prozent. Auch die anhaltend hohe Arbeitslosenrate und das laue Wirtschaftswachstum sprachen gegen Obama. Das wichtigste Wahlmotiv in westlichen Demokratien ist in der Regel die gefühlte Lage im eigenen Portemonnaie. Mit Zahlen wie diesen gewinnt ein Präsident normalerweise keine Wiederwahl.

Und doch haben die Republikaner zwei dieser drei Kämpfe verloren. Sie werden sich nun fragen, was sie ändern müssen, um künftig besser abzuschneiden. Auch die Demokraten haben Anlass zum Nachdenken. Sie stellen zwar weiterhin den Präsidenten und kontrollieren den Senat, aber insgesamt kann der Wahlausgang nicht als Bestätigung ihres Programms gelesen werden. Dafür ist der Erfolg der Konservativen bei der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses zu deutlich.

Das Land bleibt gespalten

Die tiefe Spaltung der Gesellschaft setzt sich fort. Etwa gleich große Gruppen unterstützen die Demokraten und die Republikaner. Auch an den großen Zweifeln, die eine Mehrheit der Amerikaner dem Staat entgegenbringt, hat sich nichts geändert. Die Regierung solle sich nicht zu sehr in das Leben der Bürger einmischen. Eigenverantwortung ist in den Augen der Amerikaner staatlicher Fürsorge vorzuziehen. Deshalb ist die Skepsis gegen die Gesundheitsreform, gegen schärfere Regeln für die Finanzaufsicht und gegen eine von oben regulierte Energiewende so groß. Die politische Mitte der USA liegt deutlich weiter rechts als in Deutschland. In vielen Bereichen stemmen sich die Bürger in großer Zahl gegen den gesellschaftlichen Wandel.

Warum wurde Obama dennoch wiedergewählt? Amerika sieht sich an einer Zeitenwende vom Gestern zum Morgen. Die alten Gewissheiten tragen nicht mehr oder müssen zumindest an die neuen Koordinaten der globalisierten Welt angepasst werden. Dieses Gefühl war entscheidend für den Ausgang der Präsidentenwahl, wichtiger noch als Arbeitslosenrate, Wirtschaftswachstum und Schuldenlast. Obama schnitt weit besser ab als erwartet. Trotz der negativen ökonomischen Gesamtstimmung siegte er in nahezu allen „Swing States“, die auf der Kippe standen. Das so genannte „Popular Vote“, die Summe der landesweit abgegebenen Stimmen gewann er mit rund drei Millionen Stimmen Vorsprung. Prozentual siegte er mit 50 zu 48 Prozent.

Die Präsidentenwahl ist in erster Linie eine Persönlichkeitswahl und erst in zweiter Linie eine Entscheidung für das eine oder das andere Sachprogramm. Für die Mehrheit der Amerikaner verkörpert Obama die Führungspersönlichkeit, die das Land in diesen Umbruchzeiten braucht, besser als sein Gegenkandidat Mitt Romney. Romney ist ein Mann der Vergangenheit: weiß, reich, klassische Elite. Obama wirkt wie ein Mann der Zukunft: multiethnische Identität, geboren auf Hawaii; mehrere Kindheitsjahre hat er in Asien verbracht, in Indonesien. Er ist ein sozialer Aufsteiger und ein Mensch mit Gespür für neue Strömungen.

Obamas Vorsprung an Modernität betrifft einerseits die technische Revolution, die er für seinen Internetwahlkampf nutzte. Auch da triumphierte moderne Technik über klassische Methoden. Andererseits geht es um soziale Trends. Parallel zur Präsidenten- und Kongresswahl stimmten die Amerikaner mancherorts über die Legalisierung von Marihuana und die Gleichstellung der Homo-Ehe ab. Überwiegend – freilich nicht überall – sagen die Wähler den Konservativen, dass sie sich bewegen müssen. Sonst stehen sie „auf der falschen Seite der Geschichte“, wie man in Amerika gerne sagt.

Amerika wird bunter

Die USA sind ein Einwanderungsland, den größten Zuwachs erfahren die Latinos. Sie sind ein entscheidender Teil der bunten Koalition, die Obama für eine zweite Amtszeit gewählt hat. Die Republikaner müssen ihnen etwas anbieten, wenn sie künftig Wahlen gewinnen wollen. So enthält der Ausgang vor allem eine Botschaft an beide Lager: Vergesst die Ideologien. Die Mehrheit der Wähler wünscht praktische Lösungen.

Obama hat keinen Auftrag, einen Reformkurs zu verfolgen, der die USA näher an Europa heranführt. Er wird Abstriche an seinen Entwürfen machen, wenn er, zum Beispiel, erneut ein Energiewendegesetz vorlegt. Die Amerikaner wollen schon, dass erneuerbare Energien eine größere Rolle spielen. Sie wollen es aber nicht von oben vorgeschrieben bekommen. Der Staat hat aus ihrer Sicht nicht das Recht, den Wandel mit Subventionen und scharfen Vorgaben zu forcieren. Die Entwicklung muss aus dem Markt kommen, technische Neuerungen sollen helfen, nicht Ökosteuer oder der Zwang zum C0-2-Handel.

Die Republikaner wiederum dürfen sich nicht länger der neuen gesellschaftlichen Realität verweigern. Sie müssen sich stärker den Latinos, Asiaten und Schwarzen zuwenden. Wenn sie sich weiter fast ausschließlich auf ihre traditionelle Wählerschaft älterer Weißer stützen, werden sie sehr bald strukturell unfähig sein, Mehrheiten zu erringen. Sie müssen sich, zum Beispiel, bei der Reform des Einwanderungsrechts bewegen. Amerika hat also eine Machtbalance gewählt – oder, wie man in den USA sagt: „divided government“. Präsident Obama soll die neuen Strömungen aufnehmen und das Land in die Zukunft führen. Die republikanische Mehrheit soll darauf achten, dass dies ohne ideologischen Überschwang geschieht.

Zwischen Pest und Cholera

Die größte Herausforderung sind die angehäuften Schulden. Anfang 2013 betrugen sie 16,4 Billionen Dollar; das entspricht mehr als hundert Prozent des BIP. In jedem der vier Haushaltsjahre seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 haben die USA ein Drittel ihrer laufenden Staatsausgaben aus neuen Krediten finanziert und den Schuldenberg um eine Billion Dollar wachsen lassen. Das kann nicht so weiter gehen. Die Ökonomen befürchten eine Rezession, wenn die Regierung die Steuern erhöhen und gleichzeitig die Ausgaben kürzen würde, um das Budget auszugleichen. Aber das muss nicht im Hauruck-Verfahren geschehen. Ein sanfter Kurswechsel ist überfällig, um den Schuldenabbau einzuleiten. Die USA befinden sich zwischen Pest und Cholera, Rezession und Überschuldung. Es genügt nicht, dass Parlament und Präsident die Pest abwenden. Sie müssen auch etwas gegen die Cholera tun.

In der Außenpolitik hat Obama das wichtigste Hindernis für eine freiere Gestaltung überwunden: die Kriege im Irak und in Afghanistan, die er von seinem Vorgänger George W. Bush geerbt hatte. Aus dem Irak sind die USA komplett abgezogen, der weitgehende Rückzug aus Afghanistan ist für 2014 geplant. Neue Herausforderungen ergeben sich aus dem Streit um Irans Atomprogramm, den Folgen der arabischen Revolutionen, dem wirtschaftlichen Aufstieg Asiens und der Suche des Terrornetzwerks Al Qaida nach neuen Gastländern, deren Regierungen so schwach sind, dass sie Terroristen nicht aus eigener Kraft verfolgen. Den Konflikt mit Iran möchte Obama auf dem Verhandlungsweg lösen. Er wird aber alles daran setzen, dass Teheran keine Atomwaffen entwickelt, zunächst mit Sanktionen, notfalls auch mit Militärschlägen, falls die Mullahs nicht nachgeben. Er hat keine Scheu, Amerikas Militärmacht einzusetzen. Den Drohnenkrieg gegen Terrorverdächtige in Pakistan und im Jemen hat Obama ausgeweitet.

Partnerschaftsabkommen EU-USA

Europa bleibt der engste Verbündete und für die nächsten Jahre der wichtigste Handelspartner. Auch bei den Direktinvestitionen sind Amerika und Europa füreinander jeweils die erste Wahl. Obama unterstützt das Projekt eines breiten Partnerschaftsabkommens zwischen den USA und der EU. Durch den Abbau der letzten Zölle und Barrieren für den Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie für Investitionen könnten die Volkswirtschaften auf beiden Seiten des Atlantiks nach Schätzung von Experten um 1,5 Prozent wachsen. Es ist freilich unklar, an welcher Stelle dieses Vorhaben auf Obamas Prioritätenliste steht. Sein wichtigstes Ziel ist jetzt „Nationbuilding at home“: die Gesundung der amerikanischen Wirtschaft samt Investitionen in Bildung und Infrastruktur.

Weitere Inhalte

Christoph von Marschall berichtet seit 2005 für das bundesweit erscheinende Berliner Blatt „Der Tagesspiegel“ aus den USA. Er ist der bisher einzige deutsche White-House-Korrespondent. Und er ist Autor von Biographien über "Barack Obama - Der schwarze Kennedy" (2008) und preisgekrönt über "Michelle Obama - Ein amerikanischer Traum" (2009). Zum Wahljahr 2012 erschienen gleich zwei Bücher, im Januar "Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“ und bereits im September "Der neue Obama - Was von der zweiten Amtszeit zu erwarten ist".