Die Rolle von Geld im US-Wahlkampf
Der amtierende US-Präsident ist Milliardär, knapp die Hälfte aller Kongressabgeordneten haben Millionen auf ihren Konten. Geld spielt eine wichtige Rolle im US-Wahlkampf – doch sind die Summen wirklich wahlentscheidend?
Geld und Politik gehen in den USA eine symbiotische Beziehung ein. Wie engmaschig jene Verflechtung mitunter ist, lässt sich zum einen daran ablesen, dass knapp die Hälfte aller Kongressabgeordneten, mindestens zwei Drittel aller Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofs (Supreme Court) sowie mehr als drei Viertel aller Mitglieder der Trump-Administration Millionärinnen und Millionäre sind, der aktuelle Präsident sogar ein Milliardär. [1] Zum anderen verdeutlicht ein Blick in den Bereich des Lobbyismus sowie der Wahlkampffinanzierung, welch enorme Summen im Bereich der Interessensvermittlung beziehungsweise für die elektorale Besetzung politischer Ämter aufgewendet wird. So beliefen sich die Gesamtkosten des Präsidentschaftswahlzyklus 2020 auf knapp 14 Mrd. US-Dollar [2] – in keinem anderen Land der Welt erreichen Wahlkampfkosten auch nur ansatzweise vergleichbare Sphären. Geld ist, so hat es Jesse Unruh (von 1961-1969 Sprecher der California State Assembly) ausgedrückt, mit dem US-amerikanischen Regierungssystem untrennbar verbunden und kann daher als Muttermilch der Politik ("mother’s milk of politics“) charakterisiert werden. [3]
Rechtliche Bestimmungen in historischer Perspektive
Nahezu unbegrenzte Spendengelder, extensive finanzielle Beteiligung von Unternehmen und Banken sowie oftmals im Verborgenen bleibende Identitäten von Großspenderinnen und -spendern waren nicht immer Kennzeichen US-amerikanischer Wahlkämpfe. Vielmehr kann seit Mitte der 2000er Jahre ein stetiger Prozess der Deregulierung sowie Privatisierung beobachtet werden, der das ehemals konsistente und umfassende Gebäude der Wahlkampffinanzierungsregularien fast bis auf seine Grundmauern abgetragen hat. Der einstige Grundstein für jenes "Bauwerk" wurde 1907 mit dem so genannten Tillman Act gelegt. Vor dem Hintergrund korrumpierender Finanzierungspraktiken war es Unternehmen und Banken fortan verboten, Wahlkampfspenden an Kandidaten und deren Kampagnen zu transferieren. Nachdem dieses Verbot durch den Taft-Hartley Act 1947 auch auf Gewerkschaften ausgeweitet wurde, kam es infolge des Bekanntwerdens der Watergate-Affäre [4] ab Juni 1972 zu einer grundlegenden Erweiterung der rechtlichen Vorgaben, welche als Geburtsstunde der modernen Wahlkampffinanzierung gelten kann. Als Reaktion auf den größten Korruptionsskandal der US-amerikanischen Geschichte definierte der Federal Election Campaign Act (FECA) u.a. explizite Regeln für die Höhe von Einnahmen und Ausgaben sowie die öffentliche Deklarierung jener Gelder. Nur zwei Jahre später sollte der Supreme Court die Ausgabenbegrenzung im Fall Buckley v. Valeo (1976) jedoch für verfassungswidrig erklären. 2002 kam es dann mit dem Bipartisan Campaign Reform Act, der zahlreiche Schlupflöcher von FECA stopfen sollte (u.a. das s.g. soft money loophole), zur letzten wirklichen Erweiterung der Finanzierungsregularien. Seither hat sich das höchste Gericht zum bestimmenden Akteur im Bereich der Wahlkampffinanzierung aufgeschwungen. Nach einer Verschiebung der Mehrheit innerhalb des Supreme Courts setzte ein stetiger Prozess der Demontage von zum Teil mehr als 100 Jahre bestehenden Regularien ein. Kulminieren sollte diese Entwicklung schließlich in der Entscheidung Citizens United v. FEC (2010), die eine radikale Zeitenwende einläutete.In der äußerst knappen Entscheidung (5:4) urteilte die konservative Mehrheit unter den 9 Richterinnen und Richtern, dass Unternehmen und Banken (I.) über dieselben Rechte verfügten wie natürliche Personen (corporate personhood) und dass (II.) jede Spendenbegrenzung eine Beschneidung des Rechts auf freie Meinungsäußerung (money is speech-Doktrin) darstelle. Weil die daraus resultierenden unbegrenzten Geldströme aber nicht direkt an die traditionellen Akteure wie Kandidatinnen und Kandidaten und Parteien gespendet werden dürfen (inside spending), gründeten sich so genannte Super Political Action Comittees (PACs), die Wahlkampfspenden in unbegrenzter Höhe erhalten, aber nicht mit Kampagnen der Kandidatinnen und Kandidaten koordiniert [5] sein dürfen. Zwar sind direkte Spenden an Kandidierende und Parteien nach wie vor begrenzt (oder für Unternehmen sogar verboten), doch sind diese Regularien nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Denn mit Hilfe von Super PACs und 501-(c)-Gruppen lassen sich diese Restriktion mühelos umgehen und die Herkunft der Spenden darüber hinaus effektiv verschleiern. Der Harvard-Juraprofessor Lawrence Lessig hat den aktuellen Status quo wie folgt zusammengefasst: "Wir können heutzutage all das legal tun, was Nixon [im Zuge der Watergate-Affäre] auf illegalem Wege hatte tun müssen." [6]
Glossar
Soft money loophole
Super PACs
501-(c)-Gruppen
Inside spending & outside spending
Dark money spending
Permanent campaigning
Von Rekordsumme zu Rekordsumme
Wie zu erwarten haben die juristischen Schleusenöffnungen zu einem erneuten Anstieg der ohnehin schon bemerkenswerten Spendensummen geführt. Betrachtet man Wahlzyklen, in denen sowohl Präsidentschafts- als auch Kongresswahlen stattfanden, haben sich die Gesamtkosten der Wahl innerhalb von nur zwei Dekaden nahezu vervierfacht – von 3,1 Mrd. US-Dollar im Jahr 2000 auf 13,88 Mrd. US-Dollar im Jahr 2020. [7] Das Gros der Kostenzunahme entfällt dabei auf die Kongresswahlen, für die seit 1998 eine ununterbrochene Zunahme der Gesamtkosten beobachtet werden kann. [8] Der unmittelbare Effekt der Citizens United-Entscheidung sollte sich darüber hinaus insbesondere anhand von drei Entwicklungen zeigen: einem Anstieg des outside und dark money spending sowie der deutlichen Zunahme von Spenden vermögender Einzelpersonen. Beim outside spending handelt es sich um diejenigen Gelder, die von den neu gegründeten Super PACs investiert werden.[9] Nachdem sich diese Summe im Jahr 2000 lediglich auf 33,8 Mio. US-Dollar belief, schoss sie bis 2020 buchstäblich durch die Decke und wuchs um mehr als 7.500 % auf 2,6 Mrd. US-Dollar an. [10] Als Subkategorie dieses Geldstromes wuchsen auch Wahlkampfspenden, deren Ursprung aufgrund löchriger Transparenzpflichten nicht bekannt ist – 2020 summierten sich diese dark money-Gelder auf insgesamt 101,02 Mio. US-Dollar.[11]Spätestens seit 2016 setzte jedoch ein Gegentrend zu jenen intransparenten und oftmals aus den Konten von nur wenigen vermögenden Einzelpersonen stammenden Geldströmen ein. Allen voran Kandidierende aus dem demokratischen Lager (D), vereinzelt aber auch aus dem republikanischen Lager (R) (insb. Trump), sammelten zunehmend Kleinspenden, die einen Geldwert von 200 US-Dollar nicht überschreiten. Im Vergleich zum Wahlzyklus 2016 stieg der Anteil der Kleinspenden an der Gesamtspendensumme von 15,2 % um rund sieben Prozentpunkte auf 22,4 % im Wahljahr 2020.[12] Durch den bewussten Verzicht auf Super PAC-Spenden soll einerseits die Kritik am zu großen Einfluss des Geldes glaubwürdig artikuliert sowie andererseits signalisiert werden, dass man nicht in korrumpierender Abhängigkeit zu vermögenden Einzelinteressen steht. Strategisch erhofft man sich zudem, nicht nur ein breites Netzwerk an Spendern, sondern auch potentiellen Wählerinnen und Wählern generieren zu können.
Wahl oder Auktion?
Der Wahlzyklus 2020 stellt eine Melange aus den oben skizzierten Finanzierungspraktiken dar. Einerseits konnte Bernie Sanders (D) als Bewerber um eine Kandidatur im Vorwahlkampf 54% der insgesamt 180 Mio. eingeworbenen US-Dollar aus Kleinspenden generieren, [13] andererseits sprudeln die outside spending-Quellen nahezu unverändert. Hinzu kommt, dass mit Tom Steyer (D), Michael Bloomberg (D) und Donald Trump (R) erstmals drei Milliardäre in einem Präsidentschaftswahlkampf angetreten sind, die ihre Kampagnen teils vollständig aus eigenen Konten finanzieren. Bloomberg investierte in seine Kandidatur 1,1 Mrd. US-Dollar und gab allein im Februar jeden Tag 16 Mio. US-Dollar für seine Bewerbung um das höchste Amt der USA aus.[14]Dass Bloomberg seine Kandidatur jedoch nach nur knapp dreieinhalb Monaten einstellte und lediglich die als eher unbedeutend einzustufende Vorwahl im Außengebiet Amerikanisch-Samoa für sich entscheiden konnte, zeigt jedoch auch, dass der Faktor Wahlkampfspenden nicht zwingend in einem proportionalen Verhältnis zu den generierten Wählerinnen- und Wählerstimmen stehen muss. Anders als viele Berichte nahelegen, gewinnen nicht notwendigerweise diejenigen Kandidierenden, deren Geldkoffer am besten gefüllt sind. Stattdessen kann insbesondere auf Präsidentschaftsebene der Effekt beobachtet werden, dass die Wirkung des eingesetzten Geldes nach dem Überschreiten eines gewissen Schwellenwertes deutlich abnimmt. [15] Die Wirkung des ersten investierten Dollars ist deshalb erheblich größer als die des zehn- oder hundertmillionsten. Für Kandidierende ist es folglich unverzichtbar, programmatische Positionen sowie Informationen zur eigenen Person innerhalb der Wählerschaft zu Beginn eines Wahlkampfes zu bewerben. Sind diese Informationen aber einmal verbreitet und allgemein bekannt, nimmt der stimmensteigernde Effekt deutlich ab. Wahlkampfspenden können folglich als wahlvoraussetzender, aber nicht zwingend wahlentscheidender Faktor eingestuft werden. Letztendlich entscheiden andere Faktoren, wie die Erfahrung, Kompetenz und programmatische Position einer oder eines Kandidierenden, oder aber ökonomische Rahmenbedingungen über den Ausgang der Wahl. Jene Faktoren also, die auch einen Wahlkampf entscheiden würden, in welchem beide Kandidierenden über die exakt gleiche Geldsumme verfügen würden.