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Chinas Außen- und Wirtschaftspolitik in der Xi-Ära | China | bpb.de

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Chinas Außen- und Wirtschaftspolitik in der Xi-Ära

Nele Noesselt

/ 8 Minuten zu lesen

China ist zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft aufgestiegen. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ist die Volksrepublik auf internationalen Verhandlungstischen nicht mehr wegzudenken. Ein Überblick über Chinas außen- und wirtschaftspolitische Agenda.

US-Präsident Joe Biden (links) und Chinas Staatschef Xi Jinping (rechts) spielen Xiangqi. (© bpb, Yi Luo)

Innerhalb weniger Dekaden ist die VR China zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft aufgestiegen und strebt danach, die USA in ausgewählten Teilbereichen – beispielsweise mit Blick auf Innovationskapazitäten im Bereich Künstliche Intelligenz – bis 2030 eingeholt und überholt zu haben. Zugleich arbeitet die VR China an der Internationalisierung des chinesischen Renminbi ("Volkswährung", Einheit: Yuan) und kritisiert die weltweite Dominanz des US-Dollars. Obwohl der Renminbi nur bedingt die Kriterien einer "freien" Währung erfüllt, ist dieser doch in den Währungskorb des Interner Link: Internationalen Währungsfonds aufgenommen und damit im Kontext des globalen Finanzsystems aufgewertet worden. Auch bei Auslandsinvestitionen und bei Handelsgeschäften setzt die VR China verstärkt auf ihre eigene Währung und experimentiert mit einem Petro-Yuan als Konkurrenz zum Petro-Dollar.

Der Fokus der chinesischen Wirtschaftspolitik hat sich damit von der Modernisierung der nationalen Industrien hin zum globalen Wirtschafts- und Finanzsystem verschoben. Mit der "Going Out"-Initiative (1999) war zunächst die Aufforderung an chinesische Firmen erfolgt, international zu agieren und sich als "global champions" zu positionieren. Gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung, aber auch mit Blick auf großformatige Infrastrukturprojekte sind chinesische Unternehmen mittlerweile global omnipräsent.

Die Neue Seidenstraßen-Initiative

Mit dem Amtsantritt Xi Jinpings 2012/2013 ist eine Adjustierung der außenpolitischen Grundformeln erfolgt, mittels derer bereits gelebte Praktiken ex post formalisiert und institutionalisiert worden sind. Die Neue Seidenstraßen-Initiative, die Xi im Oktober 2013 vorgestellt hatte, wurde mit dem Bericht des 19. Parteitags als Leitidee der chinesischen Außenpolitik verankert. Die Neue Seidenstraßen-Initiative sieht den Bau von Transportkorridoren und Infrastruktur vor, eines weltumspannenden Netzwerkes, das von Peking aus koordiniert wird. Der Aufbau dieses Netzes soll Aufträge für chinesische Unternehmen sichern und zugleich weltweit neue Märkte für chinesische Produkte aufbauen. Parallel träumt China davon, durch die Diversifizierung seiner Transportkorridore die Verwundbarkeit seiner Wirtschaft durch maritimen Terrorismus, Piraterie oder Handelsblockaden zu reduzieren. Zentralen Regionen entlang der geplanten Seidenstraßen-Korridore werden hierzu Paketlösungen – die Finanzierung der Infrastrukturmaßnahmen durch chinesische Kredite und die Umsetzung durch chinesische Firmen – offeriert. China investiert in den Aufbau neuer Verbindungen wie auch in die Modernisierung vorhandener Häfen und Bahntrassen.

Chinesische Schwimmbagger bei der Arbeit an der Baustelle des Colombo Hafens in Colombo, Sri Lanka, im Juni 2018. (© picture-alliance, Xinhua News Agency )

Die gestiegene chinesische Präsenz hat vielerorts alte Bedrohungsszenarien einer globalen Expansion des chinesischen Sozialismus, einer schleichenden Aushöhlung der westlich-liberalen, kapitalistischen Normen und Ordnungsstrukturen reaktiviert. Sri Lanka, das ein Seidenstraßen-Investitionsprojekt zur Modernisierung seines Hafens abgeschlossen hatte, verpachtete diesen aufgrund seiner Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit an ein chinesisches Unternehmen. Dies entfachte, insbesondere in den USA, eine Debatte über eine gezielte "Schuldenfallen"-Diplomatie der VR China zur Sicherung des Zugriffs auf geostrategisch relevante Knotenpunkte der weltumspannenden maritimen und transkontinentalen Transportinfrastruktur. Diesen Bedrohungsszenarien entgegen steht der Anspruch Chinas, mit seiner Neuen Seidenstraße Entwicklungsangebote im Sinne des gemeinsamen Nutzens (win-win) anzubieten und als verantwortungsbereites Mitglied einer globalen Schicksalsgemeinschaft zu agieren. Hegemoniale Machtambitionen weist die VR China entschieden zurück, ebenso wie jegliche territoriale Expansionsansprüche. Wenngleich mit der "Schicksalsgemeinschaft" und der "Neuen Seidenstraße" die grundlegenden Narrative der chinesischen Außenpolitik um globale Formeln erweitert worden sind, bedeutet dies nicht, dass hierdurch ein offizielles Abrücken von den außenpolitischen Grundkonstanten der (post-)maoistischen Diplomatie einhergegangen wäre. Die auf das Jahr 1955 zurückdatierenden Fünf Prinzipien der Friedlichen Koexistenz, die u.a. das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten umfassen, sind weiterhin gültig. So verwahrt sich die VR China entschieden gegen Interventionen und Friedensmissionen, die in die Kategorie der Schutzverantwortung (responsibility to protect) fallen.

Chinas Rolle in multilateralen Institutionen

Die globalen Aktivitäten chinesischer Unternehmen und Banken bedeuten auch, dass Krisen und Kriege fernab der chinesischen Staatsgrenzen nicht länger aus der strategischen Planung der Außenpolitik und Außenwirtschaft ausgeklammert werden können. Die VR China, die seit langem an Friedensmissionen der Interner Link: Vereinten Nationen unterstützend mitwirkt, hat sich unter Xi Jinping erstmals auch mit Kampftruppen an gemeinsamen Einsätzen beteiligt. Zudem sind auch chinesische Staatsangehörige Opfer von Terroranschlägen und Geiselnahmen des Interner Link: IS geworden – so dass Peking seine Definition von Sicherheit und Stabilität entsprechend überdacht hat. Die VR China modernisiert ihre Streitkräfte und hat eine Hochseemarine (blue water navy) aufgebaut, die sich an globalen Missionen beteiligen kann. Seit 2009 ist die chinesische Marine auf Mission im Kampf gegen Piraterie und maritimen Terrorismus vor der Küste Somalias (Golf von Aden) und betreibt seit 2017 eine (Militär)Basis in Dschibuti (der neue Fokus auf die Modernisierung der Marine ist allerdings auch im Kontext regionaler Spannungen im Süd- und Ostchinesischen Meer zu betrachten, wo sich die letzten Jahre eine Zuspitzung der Territorialkonflikte abzeichnet).

Vier Mitglieder der chinesischen Delegation vor einer Plenarsitzung am 14.06.1972. Vom 5. bis 16. Juni 1972 fand in Stockholm die Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen (kurz: Weltumweltkonferenz) statt. Es war die erste Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema Umwelt und gilt als Beginn der internationalen (globalen) Umweltpolitik. Der 05.06. wird seitdem jährlich als Weltumwelttag gefeiert. (© picture-alliance, TT News Agency)

Infolge der Übertragung des Ständigen Sitzes "Chinas" im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an die VR China (1971) ist Peking zahlreichen internationalen Organisationen und multilateralen Abkommen beigetreten. Im Dezember 2001 erfolgte die Aufnahme in die Welthandelsorganisation (Interner Link: WTO). Hatte sich die VR China in den 1980er Jahren zunächst als passive Beobachterin positioniert, so hat sie sich seit den Erschütterungen der globalen Institutionenordnung durch regionale und globale Krisen (wie die US-Banken- und Finanzkrise 2007/2008) verstärkt mit Reformideen und Reformforderungen zu Wort gemeldet. Im Zuge der Reformen des Interner Link: Internationalen Währungsfonds sind einige dieser Punkte aufgegriffen worden – die Quoten, und damit auch die Stimmrechte, der VR China sind erhöht worden. Dennoch gehen diese Reformen der chinesischen Seite noch nicht weit genug – denn weiterhin werden aus chinesischer Sicht die Bretton-Woods-Organisationen von den USA dominiert und kontrolliert, die über ein Vetorecht verfügen. Während die VR China auf der einen Seite immer wieder ihre Forderung nach weitergehenden Reformen der bestehenden Institutionen artikuliert, hat sie auf der anderen Seite damit begonnen, auf den Aufbau von Parallel- und Alternativinstitutionen hinzuarbeiten. Dazu zählen die Neue Entwicklungsbank (New Development Bank) der Interner Link: BRICS-Staaten und die Asiatische Infrastruktur Investment Bank (AIIB), die beide ihren Hauptsitz in China haben. Allerdings besitzt die VR China in beiden lediglich eine Sperrminorität und ist somit zur Durchsetzung ihrer Interessen auf die Sicherung strategischer Mehrheiten angewiesen.

Peking positioniert sich nicht nur proaktiv in Debatten über mögliche Reformen und Restrukturierungsmaßnahmen der nach Ende des 2. Weltkriegs errichteten internationalen Institutionenordnung. In den Fokus der chinesischen Außenpolitik sind zunehmend unerschlossene oder partiell unterregulierte Räume gerückt. Nach dem erfolgreichen Start und Ausbau des chinesischen Monderkundungsprogramms ist das nächste Ziel der Mars. Neben der Kartographie des Weltraums genießt im Zuge der Neuen Seidenstraße auch die Regulierung des digitalen Raumes, des Cyberspace, hohe Priorität. Die VR China beteiligt sich nicht nur an internationalen Regulierungsdebatten, sondern richtet selbst die World Internet Conference aus. Der Aufbau einer "digitalen Neuen Seidenstraße" ist mit den maritimen und transkontinentalen Transportnetzwerken eng verknüpft: Die VR China exportiert auf Algorithmen gestützte (teil-)automatisierte Logistikmodelle und Smart City-Paketlösungen. Insbesondere im Zuge der globalen Ausbreitung von Covid-19 haben einzelne Staaten gerade im arabischen Raum auf die chinesische Corona-Tracking-App zurückgegriffen. Und damit nicht nur eine Software-Anwendung, sondern auch die dieser unterliegenden technischen Standards und gesellschaftspolitischen Steuerungsprinzipien übernommen.

Vom rule taker zum rule maker

Das Strategiepapier China Global Standards 2035 bringt deutlich zum Ausdruck, dass die Phase der anfänglichen diplomatischen Anlehnung und Anpassung an bestehende Regelwerke als abgeschlossen gilt – und die VR China sich nun verstärkt als aktive Mitgestalterin der Weltpolitik versteht (rule maker statt rule taker). Dies hatte sich bereits in dem Strategiepapier Made in China 2025 widergespiegelt, mit dem China sich als Zentrum globaler Innovation neu erfindet. Seit 2014 ist die VR China offiziell in die Phase der "Neuen Normalität" (xin changtai, wörtlich übersetzt: neuer Dauerzustand/Normalzustand) eingetreten. Wobei sie weiterhin auf das Ziel hinarbeitet, in symbolischen einhundert Jahren in die finale Phase des Sozialismus einzutreten. Seit den 1980er Jahren gilt China als in der "Frühphase des Sozialismus" befindlich, in der Interner Link: Mischformen planwirtschaftlicher und marktwirtschaftlicher Elemente nicht nur erlaubt sind, sondern als erforderlicher Zwischenschritt des chinesischen Weges der nachholenden Modernisierung gelten. Mit der "Neuen Normalität" nimmt die VR China Abstand von dem zuvor verfolgten überhitzten Turbowachstum und steuert in Richtung einer nachhaltigen, ausgewogeneren Entwicklung um. Entsprechende Maßnahmen wurden auch im 13. Fünf-Jahres-Plan der VR China verankert. Im Herbst 2020 bereitete das Fünfte Plenum des 19. Zentralkomitees den Folgeplan, den 14. Fünf-Jahres-Plan, vor – wobei die (Ent-)Kopplung zwischen nationaler und globaler Wirtschaftsentwicklung und Möglichkeiten der integrierten Planung und Formulierung global gültiger Normen und Standards thematisiert wurden.

Die VR China bezeichnet sich selbst als "Großmacht" (daguo), wobei sie sich dem Anspruch nach damit deutlich von der Politik früherer Großmächte und Imperien abgrenzt – insbesondere von den Weltordnungskonzeptionen der USA. Xi Jinping formulierte anstelle eines globalen Führungsanspruches das Prinzip des "zweifachen Anleitens" (liang’ge yindao), womit symbolisch ein Mitgestaltungs- aber kein Machtmonopolanspruch zum Ausdruck gebracht wurde. Zu dem Konzept des daguo zählen neben technologischen Innovationskapazitäten auch ökonomische und militärische Stärke – die VR China treibt die Modernisierung ihrer Streitkräfte weiterhin voran, hält aber das Narrativ hoch, eine dem Frieden und der gemeinsamen Lösung globaler Herausforderungen verpflichteten Außen- und Weltpolitik zu verfolgen.

Die VR China hat seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik an Wirtschafts- und Finanzmacht gewonnen. Eine ganz zentrale Dimension des chinesischen Machtbegriffs, wie auch das daguo-Konzept illustriert, sind Anerkennung und Reputation. So erklären sich viele außenpolitische Aktionen als Versuche, negativen China-Perzeptionen entgegenzuwirken und Bedrohungsszenarien zu entkräften. In der Trump-Ära haben sich insbesondere die Beziehungen mit den USA verschlechtert. Die USA haben ihre Unterstützung für Taiwan nicht zuletzt mit dem TAPEI Act untermauert, Hongkong seinen Sonderstatus aberkannt – und Peking zugleich den Bruch der Interner Link: Ein Land, zwei Systeme-Formel vorgeworfen. Mit den Nachbarstaaten Chinas haben die USA ihre Sicherheitsallianzen erneuert. Dieser Druck hat zusätzlich dazu beigetragen, dass Peking seine Außen- und Handelskontakte weitergehend diversifiziert hat. 2020 unterzeichnete Peking ein Investitionsabkommen mit der EU und trat dem Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP)-Abkommen bei, das die Schaffung eines integrierten (südost-)asiatischen Wirtschaftsraumes avisiert. Die USA ihrerseits reagieren auf die globale Sichtbarkeit Chinas, insbesondere im strategischen Hinterhof der USA, in Lateinamerika und der Karibik.

Während einerseits weltweit die Skepsis bezüglich einer "Schuldenfallen"-Diplomatie gestiegen ist, ist es der VR China doch andererseits gelungen, Anhänger unter den wenigen Staaten zu gewinnen, die bislang die Interner Link: Republik China/Taiwan als alleinige Vertretung Chinas anerkannt hatten. Inwiefern Peking seine Anziehungskraft auf weite Teile des sogenannten Globalen Südens weiter ausbauen kann, wird maßgeblich von der zukünftigen Positionierung der USA abhängen. Diese hatten sich unter Präsident Trump aus internationalen Abkommen – wie dem Pariser Protokoll zur Bekämpfung des Klimawandels – verabschiedet und waren zeitweise auf einen stark handelsprotektionistischen Kurs abgedriftet. Das hierdurch – und durch die Bankenkrise in den USA und den Rückgang US-amerikanischer Investitionen – entstandene Vakuum hatte Peking erkannt und gekonnt bespielt. Die seitdem entstandenen neuen Strukturen und Machtverteilungen sind jedoch nicht auf ewig fixiert und können sich nur allzu schnell erneut umschichten – wie die Reden des im November 2020 neu gewählten und seit Januar 2021 offiziell mit den Amtsgeschäften betrauten US-Präsidenten Joe Biden nur allzu deutlich untermauern. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz sendete er mit seiner Ankündigung "America is back" ein deutliches Signal – nicht nur an Europa, sondern auch an den Konkurrenten und Rivalen in Asien, die VR China.

Neue Seidenstraße

Die Formel der Neuen Seidenstraße – auch bekannt als "One Belt, One Road" (OBOR) oder "Belt(s) and Road(s) Initiative" (BRI) – hatte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im September und Oktober 2013 während seiner Staatsbesuche in Kasachstan und Indonesien eingeführt. Aufgebaut werden soll ein globales Transportnetzwerk, das bis nach Afrika reicht und auch die Erschließung einer neuen Arktis-Route (in Kooperation mit Russland) umfasst.

Neben der Modernisierung und dem Neubau von Häfen, Flughäfen, Autobahnen und Schienennetzen beinhaltet die chinesische Neue Seidenstraße auch den Aufbau von Telekommunikations- sowie Elektrizitätsnetzen. Nicht nur Lateinamerika und Afrika, sondern insbesondere die Länder Mittel- und Osteuropas sind Ziele der chinesischen Seidenstraßen-Offerten. Mit 16 Ländern Mittel- und Osteuropas unterhält Peking ein besonderes Kooperationsformat: Das 16+1-Gipfeltreffen, mit Griechenland erweitert zum 17+1-Format. Die Investitionen des chinesischen Staatsunternehmens COSCO in den Hafen von Piräus und der Bau von Eisenbahnverbindungen zwischen Griechenland (Piräus), Budapest (Ungarn) und Belgrad (Serbien) haben insbesondere in Brüssel für Diskussionen über die langfristigen Implikationen der chinesischen Aktivitäten für das übergeordnete Ziel einer außen- und handlungspolitisch geschlossenen auftretenden EU gesorgt. Nachdem zunächst die USA nationale Sicherheitsbedenken bezüglich der Einbindung chinesischer Unternehmen in den Aufbau von 5G-Netzen geäußert hatten, ist auch innerhalb der EU die Skepsis gegenüber Pekings Digitaler Neuen Seidenstraße gewachsen.

Die VR China setzt bei ihrem globalen Aufbau von Seidenstraßen-Korridoren auf die Intensivierung ihrer Kontakte mit regionalen Zusammenschlüssen. So vereinbarten Interner Link: Peking und Moskau eine "Verknüpfung" zwischen Chinas eurasischer Landbrücke, dem durch Zentralasien verlaufenden Seidenstraßenkorridor der VR China, und der von Moskau propagierten Interner Link: Eurasischen Wirtschaftsunion. 2020 wurde mit dem Abschluss des RCEP-Abkommens ein asiatischer Wirtschaftsraum (bislang ohne Indien) mit Potential zur Freihandelszone begründet, der neben den ASEAN-Staaten auch die VR China einbezieht. Mit der EU hofft Peking seit langem auf ein Freihandelsabkommen – vereinbart wurde im Dezember 2020 zunächst ein Investitionsabkommen, das auf die oben skizzierten Bedenken der EU bezüglich chinesischer Investitionen reagiert und grundlegende Spielregeln fixiert.

Autorin: Nele Noesselt, Universität Duisburg-Essen

Die neue Seidenstraße. Durch Klick auf den Kartenausschnitt wird eine Karte der gesamten Seidenstraße angezeigt. Interner Link: Download als PDF (mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Fussnoten

Fußnoten

  1. Chinesische Staatsfirmen sind als Großinvestoren weltweit in die Modernisierung von Hafenanlagen eingestiegen – in Europa u.a. in Piräus und Thessaloniki. Der Sonderfall Sri Lanka hat auch in Brüssel ein Umdenken in den Kooperationsstrategien mit der VR China angestoßen.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Nele Noesselt für bpb.de

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Weitere Inhalte

Nele Noesselt ist Inhaberin des Lehrstuhls für Politikwissenschaft und China/Ostasien am Institut für Politikwissenschaft (IfP) und dem Institute of East Asian Studies (IN-EAST) an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Internationale Beziehungen, Global Governance und Vergleichende Politikwissenschaft.