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Valérie Pécresse | Frankreich | bpb.de

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Valérie Pécresse „Ich bin zu zwei Dritteln Merkel und zu einem Drittel Thatcher“

Jacob Ross

/ 4 Minuten zu lesen

Überraschend hat Valérie Pécresse im Dezember 2021 die Vorwahlen der Républicains gewonnen. Bis zu den Wahlen im April stand ihr ein Balanceakt bevor: Um als erste Frau in den Élysée-Palast einzuziehen, hätte Pécresse konservative Wähler/-innen aus zwei Lagern zurückgewinnen müssen: von Macrons Partei auf der einen und von den rechtsextremen Kandidaten Marine Le Pen und Éric Zemmour auf der anderen Seite.

Valérie Pécresse, Wahlkampf in Le Cannet, 18.02.2022 (© picture-alliance/AP)

Als Präsidentin der Region Île-de-France ist Pécresse der französischen Öffentlichkeit gut bekannt. In den vergangenen Jahren hat sie sich einen Ruf als rigorose Haushälterin erarbeitet. Auf dieser Grundlage greift sie nun Präsident Macron an und verurteilt die rapide Zunahme der Staatsverschuldung in den vergangenen Jahren. Über die Einbindung ihrer Konkurrenten/-innen aus dem Vorwahlkampf hat Pécresse ein Team von „Botschaftern“ für ihr Regierungsprogramm aufgestellt und mit geschickten Kompromissen innerparteiliche Streitigkeiten befriedet. Besonders wichtig ist dabei ihr größter Konkurrent, Éric Ciotti. Auf den als Hardliner bekannten Ciotti gründet Pécresse die zweite Säule ihrer Wahlkampfstrategie, bei der sie wie alle Kandidaten/-innen des rechten französischen Parteienspektrums auf das Thema innere Sicherheit setzt.

Beste Startbedingungen für eine steile Karriere

Valérie Pécresse wuchs in Neuilly-sur-Seine auf, einem Vorort von Paris und der Kommune mit dem höchsten Durchschnittseinkommen Frankreichs. Dem Abitur mit 16 Jahren folgten ein Studium an der Elite-Wirtschaftshochschule L’École des hautes études commerciales de Paris (HEC) und die anschließende Ausbildung an der École nationale d’administration (ENA; seit dem 1. Januar 2022 Institut national du service public, INSP). Als Zweitplatzierte ihres ENA-Jahrgangs hatte Pécresse für ihre erste Position in der französischen Verwaltung die freie Wahl und entschied sich für ein hohes Amt im Staatsrat. 1998 wurde die bekennende Katholikin Pécresse vom damaligen Staatspräsidenten Jacques Chirac als Beraterin für Zukunftstechnologien engagiert. Seitdem galt Chirac als ihr Mentor, der ihren schnellen Aufstieg in der Politik förderte. Von 2002 bis 2007 und von 2012 bis 2016 war Pécresse für zwei Legislaturperioden Abgeordnete der Nationalversammlung (Union pour un mouvement populaire, UMP; ab 2015 Les Républicains). Zwischen ihren Parlamentsmandaten wurde sie darüber hinaus zunächst als Ministerin für Hochschulwesen und Forschung in die Regierung François Fillons berufen und war bis zum Regierungswechsel 2012 auch Haushaltsministerin.

Hoffnung der rechtsbürgerlichen Républicains

2015 wurde Pécresse zur Präsidentin der Region Île-de-France gewählt. Mit 12,3 Millionen Einwohnern/-innen und einem Budget von fast 5 Milliarden Euro für das Haushaltsjahr 2022 ist die Île-de-France die bevölkerungsreichste Region Frankreichs und verfügt über die größten finanziellen Mittel. Im Juni 2021 verteidigte Pécresse ihr Mandat erfolgreich in den Regionalwahlen. Pécresse entschied im Dezember 2021 zur Überraschung vieler Beobachter die Vorwahlen für sich, nachdem ihr stärkster Konkurrent, der Präsident der Region Hauts-de-France, Xavier Bertrand, bereits in der ersten Wahlrunde ausgeschieden war. In der zweiten Runde setzte Pécresse sich dann mit 61 Prozent gegen Éric Ciotti, der 39 Prozent der Stimmen erzielte, durch. Dass sie 2017 in Flügelkämpfe innerhalb der Républicains verstrickt und nach der Europawahlniederlage 2019 sogar aus der Partei ausgetreten war, schadete ihr offensichtlich nicht. Mit der Ankündigung ihrer Präsidentschaftskandidatur im Juli 2021 trat sie der Partei wieder bei.

Wahlkampf in Paris, 13.02.2022 (© picture-alliance/AP)

Den Kärcher wieder hervorholen

Während Pécresse als Regionalpräsidentin bewiesen hat, dass sie Milliarden-Budgets verwalten kann, bot diese Position ihr bisher kaum Möglichkeiten, sich auf dem Feld der inneren Sicherheit zu profilieren. Das hindert die Kandidatin nicht daran, im Wahlkampf immer wieder medienwirksam zu diesem Thema Stellung zu nehmen: Pécresse will „gesetzlose Zonen säubern“ und „in Frankreichs Straßen für Ordnung sorgen“. Unkontrollierte Einwanderung will sie stoppen und den Islamismus entschieden bekämpfen. Im Januar sorgte die Kandidatin für Schlagzeilen, als sie ankündigte, „den Kärcher wieder aus dem Keller zu holen“, den die Präsidenten Hollande und Macron dort vergessen hätten. Mit der Kärcher-Metapher zitiert Pécresse den ehemaligen Staatspräsidenten und Mentor Nikolas Sarkozy. Sarkozy, damals Innenminister, hatte 2005 angekündigt, angesichts von Kriminalität und Unruhen die Vorstädte „mit dem Kärcher zu säubern“. Dass Pécresse mit dem Kärcher provoziert, liegt auch daran, dass es ihr schwerfällt, eigene thematische Akzente zu setzen. Noch immer dominiert die Covid-19-Pandemie die mediale Berichterstattung und die Regierung profitiert von der Aufmerksamkeit, die ihr das Krisenmanagement einbringt.

Europapolitik

In europapolitischer Hinsicht unterscheidet sich Valérie Pécresses Programm erstaunlich wenig von der Politik Macrons: Nur innerhalb der EU sei es möglich, international konkurrenzfähige Industrien zu erhalten oder die amerikanischen Internetgiganten zu regulieren. Eine Reform des Schengen-Raums sei dringend nötig, ebenso wie eine gemeinsame EU-Migrationspolitik. Allerdings wirft Pécresse Macron vor, die zeitliche Überschneidung der Ratspräsidentschaft mit dem Präsidentschaftswahlkampf in Kauf genommen und durch die Abhängigkeit von europäischen Mitteln für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung nach der Covid-19-Pandemie Frankreichs Position geschwächt zu haben. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik wäre auch auf europäischer Ebene zweifellos dasjenige Politikfeld, in dem sich die französische Position unter einer Präsidentin Pécresse am stärksten verändern würde.

Der Krieg in der Ukraine rückt den Präsidentschaftswahlkampf seit Ende Februar in den Hintergrund. „Wir haben keinen Wahlkampf und wir haben keinen Gegner“, stellte Pécresse eine Woche nach dem Beginn der russischen Invasion des Nachbarlandes ernüchtert fest. Die LR-Kandidatin bemüht sich zwar, ihre Kompetenz auch in geopolitischen Fragen unter Beweis zu stellen, etwa in einem Expertenrat mit ehemaligen konservativen Ministern und Fachpolitikern. Angesichts der russischen Bedrohung fällt es ihr wie allen Kandidaten/-innen aber sichtlich schwer, sich vom amtierenden Präsidenten abzusetzen, der geschickt zwischen seinen Rollen als Wahlkämpfer, Staatspräsident und Armeechef wechselt.

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Jacob Ross ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit beschäftigte er sich bereits im Rahmen seiner Arbeit im französischen Außenministerium und als parlamentarischer Assistent der Vorsitzenden des Europa-Ausschusses der französischen Nationalversammlung.