Anne Hidalgo
„Frankreich reparieren und für die Gerechtigkeit kämpfen“
Hatim Shehata
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Für den Parti socialiste, die französischen Sozialdemokraten, trat die amtierende Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo als Präsidentschaftskandidatin an. Dazu bewogen habe sie die Coronakrise, der Klimawandel und die französische Sozialpolitik. Nach einem schwierigen Start, infolge eines schwachen parteiinternen Votums für ihre Kandidatur, kämpfte Hidalgo mit schlechten Umfragewerten. Schlussendlich konnte Hidalgo nur 1,7% der Wählerstimmen gewinnen.
Anne Hidalgo hat große Pläne. Seit 2014 ist sie Bürgermeisterin der französischen Hauptstadt und die erste Frau überhaupt in diesem symbolträchtigen Amt. Erst im Juni 2020 wurde sie wiedergewählt. Dabei entspricht ihr Werdegang keineswegs dem der französischen Polit-Elite: Die 63-jährige Hidalgo stammt aus einer spanischen Arbeiterfamilie, ihr Vater war Elektriker, ihre Mutter Schneiderin. Die Eltern flüchteten vor dem Franco-Regime, als Hidalgo noch ein Kleinkind war. Die Familie ließ sich in Lyon nieder, dem Ort, an dem Hidalgo später die Schule und ein Studium der Sozialwissenschaften absolvierte.
Von 1997 bis 2002 war sie als arbeits- und sozialpolitische Beraterin für verschiedene vom Parti socialiste geführte Ministerien und als Gleichstellungsbeauftragte sowie stellvertretende Bürgermeisterin von Paris tätig. Während dieser Zeit zog es Hidalgo nie ins grelle Rampenlicht der Öffentlichkeit. Stattdessen stieg die erklärte Feministin und Mutter von drei Kindern im Hintergrund der Partei auf, bis sie schließlich das Pariser Rathaus mit ihren umwelt- und sozialpolitischen Positionen eroberte.
Eine neue sozial-ökologische Politik
Der sozial-ökologische Wandel war und ist bis heute eines der zentralen Wahlkampfthemen Hidalgos, ebenso wie Fragen der Umverteilung und der sozialen Gerechtigkeit. Als Bürgermeisterin von Paris setzte sie sich für eine autofreie Stadt ein, ließ Radwege massiv ausbauen, Parkplätze zu Straßencafés umfunktionieren und führte vielerorts ein Tempolimit ein. Auch die horrenden Mieten in Paris ließ sie deckeln und ging im Zuge dessen juristisch gegen illegale Vermietungen auf umsatzstarken Internetplattformen vor, um den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten. Zudem sollen Haushalte mit einer hohen CO2-Bilanz laut Hidalgo künftig eine Klimasteuer zahlen.
Ihre grüne Programmatik, die keineswegs der klassischen Ausrichtung des Parti socialiste entspricht, will Anne Hidalgo über die Pariser Stadtgrenzen hinaus auf Frankreich ausweiten. Dass der Sprung vom Pariser Hôtel de Ville in den Élysée-Palast gelingen kann, bewies auch einst der konservative Jacques Chirac. Allerdings war Chirac im Gegensatz zu Hidalgo stark in der Provinz verankert. Darum verwundert es nicht, dass Anne Hidalgo ihre Kandidatur entgegen allen Erwartungen nicht in Paris, sondern in der französischen Hafenstadt Rouen bekanntgab.
Hidalgo erklärte, sie wolle der Arbeit der oftmals „Unsichtbaren“ durch eine angepasste Lohnpolitik künftig mehr Wertschätzung entgegenbringen. Kassierer/-innen, Krankenpfleger/-innen oder Lehrer/-innen sollen, gerade in den Zeiten der globalen Coronapandemie, mehr Geld für ihre systemrelevanten Tätigkeiten erhalten. Mit Verweis auf den amtierenden Staatspräsidenten Emmanuel Macron erklärte Hidalgo, sie wolle den Leuten nicht mit Herablassung, sondern mit Respekt begegnen, im Team regieren und das Land dezentralisieren.
Trotz aller Bemühungen nimmt der Wahlkampf um Anne Hidalgo nur langsam an Fahrt auf. Ihre Umfragewerte sind deutlich schlechter als die ihrer Mitbewerberinnen und Mitbewerber und bewegen sich konstant zwischen drei und sieben Prozentpunkten. Dass aber die schwachen Umfragewerte weniger an der Person Hidalgos liegen als vielmehr am generellen Kurs ihrer Partei, zeichnet sich seit geraumer Zeit ab. Seit der Präsidentschaft von François Hollande befindet sich der Parti socialiste im gesamten Land in der Krise.
Frankreichs politische Linke ist deutlich zersplittert. Neben Anne Hidalgo bewerben sich Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung Unbeugsames Frankreich (La France insoumise), Yannick Jadot von den französischen Grünen (EELV) und die ehemalige Justizministerin und Ikone der Linken, Christiane Taubira, um das Präsidentenamt. Allen Kandidaten/-innen werden nur geringe Chancen bei den Wahlen eingeräumt. Anne Hidalgo weiß um den desolaten Zustand ihrer Partei und um ihre schlechten Aussichten bezüglich der Präsidentschaftswahl. Vor diesem Hintergrund forderte sie zuletzt, die politische Linke Frankreichs müsse den Schulterschluss wagen und sich in einer Vorwahl auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten bzw. eine -kandidatin einigen. Nur so könne eine linke Neuausrichtung Frankreichs in greifbare Nähe rücken. Im Zweifel werde Hidalgo ihre eigene Kandidatur zugunsten ihrer aussichtsreicheren Mitbewerber/-innen zurückstellen. Diese lehnen Hidalgos Vorschlag jedoch bisher ab.
Europapolitik
Hidalgos Pläne für Europa klingen vielversprechend und decken sich mit ihren innenpolitischen Ambitionen. Im Dezember 2021 kündigte sie an, sich grundlegend für Reformen auf EU-Ebene einzusetzen. Dazu zählt beispielsweise die Schaffung eines Gesetzesinitiativrechtes des Europäischen Parlaments – bislang obliegt es der EU-Kommission, Gesetzesvorhaben einzubringen. Dies dürfte die Rolle des Parlaments stärken und dem Wählerwillen in der Ausgestaltung Europas mehr Ausdruck verleihen. Auch will Hidalgo sozialpolitische Maßnahmen in den Fokus der europäischen Politik rücken sowie die Bekämpfung des Klimawandels zur Richtschnur europäischen Handelns erklären. Was die deutsch-französischen Beziehungen angeht, so äußerte sich Hidalgo in der Vergangenheit positiv hinsichtlich einer weiteren Vertiefung der Freundschaft beider Länder. Was Olaf Scholz (SPD) als Bundeskanzler anbelangt, so existieren deutliche Überschneidungen und Gemeinsamkeiten mit der Politik Hidalgos und des Parti socialiste.
Schon zu Beginn der russischen Aggression verurteilte Anne Hidalgo das dortige Geschehen und rief zu europäischer Geschlossenheit angesichts des offensichtlichen Völkerrechtsbruchs in der Ukraine auf. Hidalgo nahm unter anderem an einer Friedensdemonstration für die Ukraine in Paris teil. Zugleich verurteilte sie die Reaktion der Präsidentschaftskandidaten/-innen der extremen Linken sowie der extremen Rechten in Frankreich. Diese würden sich durch ihre Zurückhaltung angesichts der Situation zu „Komplizen von aggressiven Nationalisten und Imperialisten“ machen.
Hatim Shehata ist wissenschaftlicher Assistent im Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er studierte internationale Beziehungen im Kooperationsstudiengang der Freien Universität Berlin, der Humboldt Universität zu Berlin und der Universität Potsdam.