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Der Bürgerkrieg und das Erbe der Sklaverei | USA | bpb.de

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Der Bürgerkrieg und das Erbe der Sklaverei

Prof. Dr. Christof Mauch Christof Mauch

/ 11 Minuten zu lesen

Der militärische Konflikt zwischen den Nord- und Südstaaten von 1861 bis 1865 war die große Bewährungsprobe der noch jungen Republik. Im Zentrum stand der Streit um die Abschaffung der Sklaverei. In neuester Zeit bestimmen Debatten um Rassismus und Reparationszahlungen die Erinnerung an den Bürgerkrieg.

Afroamerikaner bergen Gefallene der Unionstruppen nach der "Schlacht in der Wilderness" in Virginia, 1864. (© picture-alliance, akg-images | akg-images)

Mehr als jedes andere Ereignis hat der Interner Link: Bürgerkrieg die Einheit der US-amerikanischen Nation infrage gestellt. Kein Krieg in der Geschichte der USA hat mehr amerikanische Leben gefordert – die Zahl der Opfer wird auf über 600.000 Soldaten und mehrere Hunderttausend Zivilistinnen und Zivilisten geschätzt. Vor Ausbruch des Krieges standen sich die Nordstaaten und die Südstaaten der USA in zwei Fragen unversöhnlich gegenüber: Die erste betraf die Interner Link: Sklaverei, die mit all ihren politischen, (staats)rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen zweifellos die Hauptursache für den Bürgerkrieg war. Wie ließ sich das Gleichheitsgebot der Interner Link: Unabhängigkeitserklärung mit der Interner Link: Unfreiheit von Millionen Schwarzer Amerikanerinnen und Amerikaner vereinbaren? Die Mehrheit im Norden plädierte für die Sklavenbefreiung, der Süden fürchtete dagegen, dass die Abschaffung der peculiar institution die Grundlage der südstaatlichen Plantagenwirtschaft zerstören würde. Der zweite Konfliktpunkt betraf die Interner Link: Einheit der Nation. Eine Mehrheit im Norden hielt den nationalen Zusammenhalt für permanent und unauflöslich. Der Süden vertrat dagegen in Teilen auch die Auffassung, die USA könne man als einen lockeren, möglicherweise aufkündbaren Zusammenschluss von souveränen Staaten sehen. Rückblickend erscheint es folgerichtig, dass der im Bürgerkrieg ausgefochtene Konflikt sowohl zur Abschaffung der Sklaverei als auch zur verfassungsmäßigen Einheit der Nation führte. Aber im Jahr 1861 stellte sich die Situation ganz anders dar. Die Geschichte hätte – etwa im Falle eines militärischen Siegs der Südstaaten – eine völlig andere Wendung nehmen und zur Spaltung der USA führen können.

"Blutendes Kansas" und der Fall Dred Scott

Der Bürgerkrieg brach nicht über Nacht aus. Schon 1856, fünf Jahre vor Kriegsbeginn, hatten Sklavereigegnerinnen und -gegner (die sogenannten Abolitionisten) und Befürworterinnen und Befürworter der Sklaverei im Streit um Kansas eine Art Stellvertreterkrieg geführt, was dem Territorium bald den unrühmlichen Beinamen "blutendes Kansas" eintrug. 700 militante Sklavereibefürworter gingen in einer gewaltsamen Aktion gegen die Abolitionistenhochburg Lawrence vor. Sie zerstörten Zeitungsverlage, plünderten Läden und brannten ganze Straßenzüge nieder. Aus Rache verübte der religiöse Fanatiker John Brown ein Massaker an unbeteiligten Sklavenhaltern. Seine Parole: "Bekämpft Feuer mit Feuer!" An den beiden Vorgängen entzündete sich ein Interner Link: Guerillakrieg, dem fast 200 Menschen zum Opfer fielen.

Dred und Harriet Scott im Jahr des Supreme-Court-Urteils, 1857. Das Ehepaar klagte ab 1846 ihre Freiheit ein. (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library)

Im Jahr darauf goss der Interner Link: Supreme Court mit einem Urteil pro Sklaverei noch mehr Öl ins Feuer. Das oberste Gericht der USA nahm den Fall des in Virginia geborenen Sklaven Dred Scott, der zwischenzeitlich im sklavenfreien Staat Illinois gelebt hatte und deshalb die Freiheit für sich und seine Familie einklagen wollte, zum Anlass, eine Grundsatzentscheidung zur Sklaverei zu fällen. In der Urteilsbegründung verwarf der Oberste Richter die Klage Dred Scotts: Auch freie Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner seien keine Staatsbürger/-innen, sondern "Wesen einer niedrigen Ordnung", die keine Rechte hätten. Präsident James Buchanan, der sich auf Seiten der Sklavenbesitzerinnen und Sklavenbesitzer in die juristische Entscheidung einmischte, hatte die illusionäre Hoffnung gehegt, ein solcher Beschluss könne die innere Situation befrieden. Das Gegenteil war der Fall. Die Gegnerinnen und Gegner des Sklavensystems zeigten sich weniger denn je bereit, die Südstaatensympathien des Obersten Gerichtshofs zu akzeptieren.

Sezession und Kriegsbeginn

Porträt des 16. US-Präsidenten Abraham Lincoln während des Bürgerkriegs, um 1863. (© picture-alliance, akg-images | akg-images)

Unmittelbar nachdem der Republikaner Abraham Lincoln 1860 zum Präsidenten gewählt worden war – Lincoln hatte eine moderat kritische Position in der Sklavenfrage bezogen und war deshalb am ehesten mehrheitsfähig –, schritten die radikalen Sklavereibefürworter, die sogenannten Fire Eaters, zur Tat und drängten auf die Abspaltung der Südstaaten vom Norden. Zwischen Dezember 1860 und Februar 1861 lösten sich nacheinander sieben Staaten (South Carolina, Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana und Texas) aus der Union der Vereinigten Staaten heraus, erklärten sich souverän und bildeten eine neue Republik, die Interner Link: Konföderierten Staaten von Amerika. Zum Präsidenten wurde der aus einer wohlhabenden Pflanzerfamilie stammende ehemalige Senator und Kriegsminister Jefferson Davis gewählt. Lincoln sah darin eine umstürzlerische Aktion. Zur militärischen Auseinandersetzung kam es im April 1861, als Jefferson Davis dem US-Präsidenten die Versorgung von Fort Sumter in South Carolina verwehrte, das Fort beschießen ließ und schließlich zur Kapitulation zwang. Für den Süden hatte damit der "Krieg zwischen den Staaten" begonnen; im Norden sprach man dagegen vom "Rebellionskrieg".

"Totaler Krieg" und Sklavenbefreiung

Zu Beginn des Krieges rechneten beide Seiten mit einem raschen Sieg. Die Union plante den Durchmarsch nach Richmond, Virginia. Die Konföderierten hofften dagegen auf den militärischen Beistand der Engländer; sie spekulierten darauf, dass Großbritannien nicht auf die Baumwollproduktion der Südstaaten verzichten könne. Aber beide Rechnungen gingen nicht auf. Statt eines kurzen Krieges kam es zu einem langjährigen, brutalen Ringen. Der Bürgerkrieg wurde zum Vorläufer der "totalen Kriege" des 20. Jahrhunderts: Militärische Terrorkampagnen, Grabenkriege, Zensur, Luftaufklärung (aus dem Heißluftballon) sowie der Aufbau einer modernen Kriegsmaschinerie, -wirtschaft und -infrastruktur wurden zur Signatur des Civil War. Aus den hohen Verlusten an Menschenleben, die auf die Feuerkraft der Artillerie und die Zielgenauigkeit der Gewehre zurückgingen, erwuchs darüber hinaus erstmals der Zwang zur Einführung der Wehrpflicht, gegen die es im Norden erheblichen Widerstand gab.

Soldaten der Unionsarmee bei Atlanta, 1864. Der Feldzug in Georgia unter William Tecumseh Sherman gilt als frühes Beispiel des "totalen Kriegs". (© picture-alliance, Glasshouse Images | Circa Images)

Der Süden verfügte nicht nur über ein vorzügliches Offizierskorps, sondern hatte auch den Vorteil, auf eigenem Territorium zu kämpfen; außerdem stellten mehrere von West nach Ost verlaufende Flüsse natürliche Verteidigungsbarrieren dar. Demgegenüber waren die Vorteile der Nordstaatler dennoch immens. Nordstaatengeneral William Tecumseh Sherman hatte nicht ganz unrecht, wenn er kurz vor Beginn des Krieges, am 24. Dezember 1860, in einer Unterhaltung mit dem Professor David Boyd vom Louisiana Seminary erklärte, dass in der Geschichte "noch nie eine Nation von Landwirten" gegen eine "Nation von Mechanikern" siegreich gewesen sei: "Ihr seid dazu verdammt, den Krieg zu verlieren!" Außerdem lebten viel mehr Menschen im Norden als im Süden: 22 Millionen standen neun Millionen im Süden gegenüber. Im Norden wurden diverse landwirtschaftliche Nahrungsmittel angebaut, im Süden hingegen hatte sich die Pflanzeraristokratie auf Baumwolle spezialisiert. Rohstoffe und verarbeitende Industrien fanden sich ebenfalls fast ausschließlich im Norden. Dieser verfügte außerdem über ein modernes Eisenbahn- und Telegrafensystem. Der Süden war dagegen technologisch weit zurückgeblieben.

Trotz solcher Überlegenheit konnte Lincoln den Sieg vor allem dadurch sichern, dass es ihm gelang, die Grenzstaaten (Delaware, Maryland, Virginia, Missouri und Arkansas) auf die Seite des Nordens zu ziehen. Wären diese auf Seiten des Südens in den Krieg gezogen, hätte sich das militärische und ökonomische Gleichgewicht deutlich verändert. Von besonderer Bedeutung war allerdings auch die Sklaverei. Die Befürwortung der Sklaverei kostete den Südstaaten die militärische Unterstützung der Engländer. Außerdem schweißte kein anderes Kriegsziel die Nordstaatenbevölkerung so eng zusammen wie der ideologische Kampf zur Befreiung der Sklaven, die ab 1863 als frei ("emanzipiert") galten, wenn sie sich in den von Rebellen kontrollierten Gebieten aufhielten. Damit durften sie auch in der Unionsarmee kämpfen. Das große Ziel der Sklavenbefreiung, das Lincoln zu Kriegsbeginn noch nicht im Visier gehabt hatte, sollte die noch zu erbringenden Opfer des Krieges rechtfertigen.

Nach den legendären Schlachten vom Juli 1863 (Schlacht von Gettysburg und Kapitulation der Festung Vicksburg) erhielt Lincolns Partei wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen 1864 durch den Fall Atlantas moralischen Auftrieb. Das sicherte die Wiederwahl des Präsidenten und stärkte Lincolns Position. In der Sklavereifrage gab es von nun an, auch wenn Lincoln die Einheit der Nation für wichtiger erachtete als die Abschaffung der Sklaverei, "kein Zurück". Mit dem Interner Link: 13. Verfassungszusatz wurde die Sklavenhaltung 1865 im gesamten Geltungsbereich der Verfassung verboten; die Verfassungszusätze 14 und 15 gaben Schwarzen das Bürger- und Wahlrecht in den Vereinigten Staaten.

Fortdauernde Entrechtung und Rassentrennung

Nach dem Abzug der letzten Bundestruppen aus den Südstaaten, setzte sich die Diskriminierung der ehemaligen Sklavinnen und Sklaven fort. Da gezielte Einschüchterung und Terror den einflussreichen weißen Kreisen in den Südstaaten offenkundig nicht ausreichte, um die Afroamerikaner/-innen, deren Zahl sich innerhalb von 30 Jahren nach dem Krieg verdoppelte, von der politischen Beteiligung am Gemeinwesen fernzuhalten, setzten sie zunehmend auf Restriktionen, die von Kopfsteuern bis zu Lese- und Schreibtests reichten. Vor allem aber sorgten eine Fülle von Gesetzen dafür, dass sich die Rassenschranken im öffentlichen Raum durchsetzten und ausweiteten. Benannt nach einer populären Unterhaltungsfigur der minstrel-Shows, die schwarze Charaktere stereotyp, mit rassistischen Untertönen darstellte, forderten die sogenannten Interner Link: Jim-Crow-Gesetze, die radikale Segregation: die Trennung von Weißen und Schwarzen im öffentlichen Raum. Diese galt für Schulen, Krankenhäuser, Friedhöfe, Parks, Theater und für öffentlichen Verkehrsmittel. Einige Gerichte verboten sogar die Verwendung ein und derselben Bibel für Schwarze und Weiße. Im Fall Plessy v. Ferguson erklärte der Supreme Court 1896 ausdrücklich die räumliche Trennung für rechtmäßig, wenn die Behörden Schwarzen und Weißen "getrennte, aber gleichwertige" Einrichtungen zur Verfügung stellten. Die "separate but equal"-Doktrin verlor endgültig erst mit dem Civil Rights Act von 1964 und dem Voting Rights Act von 1965 ihre gesetzliche Grundlage. Da die Einzelstaaten in den USA entsprechend Interner Link: Artikel 1, Abschnitt 4 der Verfassung darüber bestimmen dürfen, wie sie Wahlen durchführen und den Kongress besetzen, existiert auch noch im 21. Jahrhundert, insbesondere im Süden, eine deutliche Benachteiligung von Minderheiten, insbesondere der Schwarzen.

Forderungen nach Reparationen

Mit dem Erstarken der Interner Link: "Black Lives Matter"-Bewegung, die Gewalt gegen Schwarze verurteilt, ist in den USA seit 2013 das Bewusstsein für Interner Link: Rassismus und Diskriminierung deutlich gewachsen. Im gleichen Zusammenhang trat auch das einstige Randthema der Interner Link: Reparationen an die Nachfahren von Sklavinnen und Sklaven ins Zentrum der politischen Debatte. Die Verfechterinnen und Verfechter von Reparationszahlungen verweisen darauf, dass Sklavinnen und Sklaven im 19. Jahrhundert in ökonomischer Hinsicht eine noch größere Wohlstandsquelle darstellten als die gesamte US-Fabrikproduktion. 1865 hatte der Unionsgeneral William Tecumseh Sherman in einem Armeebefehl befreiten Sklavenfamilien bis zu 40 Morgen (d.h. 16 Hektar) Land und ein Maultier versprochen. Es blieb bei einem Versprechen ohne Konsequenzen. Die ökonomische Ungleichheit zwischen Schwarzen und weißen US-Amerikanerinnen und -Amerikanern ist mehr als 150 Jahre später noch immer signifikant. Im Jahr 2019 lag das durchschnittliche Vermögen einer Schwarzen Familie bei 10 Prozent einer weißen Familie (das Durchschnittseinkommen bei etwa 60 Prozent). Vor diesem Hintergrund argumentiert etwa der Schriftsteller Ta-Nehisi Coates, dass mit finanziellen Entschädigungen geschehenes Unrecht anerkannt und eine historische Schuld abbezahlt würde. Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bartelet, forderte 2019 die USA zur Wiedergutmachung für die Sklaverei auf, da "heutige rassistische Gewalt" ein "Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus" sei. Im gleichen Jahr fand die erste Anhörung zu Entschädigungen im US-Kongress statt. Auch im Demokratischen Wahlkampf um die Nachfolge von US-Präsident Interner Link: Donald Trump spielte das Thema eine Rolle. Eine zunehmende Zahl von US-Amerikanerinnen und -Amerikanern befürwortet Reparationszahlungen, aber 73 Prozent lehnten sie im Juni 2020 noch ab. Der Oberste US-Gerichtshof hat Klagen für den Ausgleich unbezahlter Sklavenarbeit allerdings mehrfach mit dem Argument abgelehnt, dass die Bevorzugung aufgrund von Rassenzugehörigkeit verfassungswidrig sei.

Das Erbe des Krieges

Mit der Ermordung Abraham Lincolns durch den Anführer einer südstaatlichen Verschwörergruppe avancierte der Präsident zum Märtyrer und Sinnbild der unteilbaren Nation. Im Süden entstand dagegen die Legende vom Lost Cause: Die materielle Überlegenheit des Nordens hatte nach dieser Geschichtsversion die Tugenden der südstaatlichen Aristokratie, die Wirtschaftsordnung und den Southern Way of Life zerstört. Den Konföderierten, so argumentieren noch heutige Verfechterinnen und Verfechter dieser Ansicht, sei es nicht um den Erhalt der Sklaverei gegangen, sondern um persönliche Freiheit, Rechte der Bundesstaaten und Senkung von Abgaben.

Ohne den Bürgerkrieg hätte die Befreiung der Sklavinnen und Sklaven sicher noch lange Zeit auf sich warten lassen. Denn anders als etwa in Haiti, wo sich die ehemaligen Sklaven Toussaint Louverture und Jean-Jacques Dessalines Interner Link: zu Revolutionsführern erhoben und sich letzterer 1804 sogar zum Kaiser erklärte, stellte die afroamerikanische Bevölkerung in den Südstaaten fast überall nur eine Minderheit. Widerstandswillige Sklavinnen und Sklaven hatten kaum Aussicht auf den Erfolg eines Aufstandes. Für die Südstaaten bedeutete deren Befreiung eine psychologische und wirtschaftliche Niederlage und einen sozialen Umbruch, dessen Folgen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den Charakter der Region und die Mentalität der Bevölkerung prägten.

Die schreckliche Verwüstung weiter Landstriche, die immense Zahl der Todesopfer und die Mythen, die sich um den Bürgerkrieg und dessen Protagonisten ranken, haben dazu geführt, dass es heute in den USA nahezu 150 Gedenkstätten und Museen zum Bürgerkrieg gibt und dass sich der Krieg wohl nachhaltiger in die kollektive Erinnerung der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner eingeschrieben hat als irgendein anderes Ereignis in der US-Geschichte.

In Richmond, der ehemaligen Hauptstadt der Konföderierten Staaten, wird 2020 eine Statue von General J.E.B. Stuart entfernt. Im Hintergrund ein weiteres Südstaaten-Monument zu Ehren von Robert E. Lee. (© picture-alliance, ASSOCIATED PRESS | Steve Helber)

Seit Anfang 2017 ist an zahlreichen Orten in den ehemaligen Südstaaten ein Konflikt um den Umgang mit Konföderierten-Denkmälern, etwa für den General des Südstaatenheeres Robert E. Lee oder den Südstaaten-Präsidenten Jefferson Davis, ausgebrochen. Auf der einen Seite der teilweise gewaltsamen Auseinandersetzung stehen Aktivistinnen, Historiker sowie Politikerinnen, die für die Entfernung von Monumenten streiten, die an Sklaverei, Diskriminierung und Rassismus erinnern. Auf der anderen Seite stehen rechtsgerichtete Gruppen, wie etwa die "League of the South", die die rebellische Vergangenheit der Konföderation verherrlicht und das Entfernen von Monumenten als "kulturelle und ethnische Säuberung" bezeichnet. Im Jahr 2020 wurden zwar zahlreiche (168) Konföderierten-Denkmäler und -Symbole entfernt oder umbenannt, dennoch existieren nach Angaben der Interner Link: Bürgerrechtsorganisation SPLC (Southern Poverty Law Center) im Jahr 2021 noch etwa 2100 Symbole und Monumente, die einst zu Ehren der Konföderation errichtet wurden, etliche unter Beteiligung des Interner Link: Ku-Klux-Klans. In sechs Bundesstaaten gibt es außerdem Feiertage zur Erinnerung an die Zeit der Konföderation. Solche Ehrungen stehen einem kritischen Gedenken an den Bürgerkrieg und die Verbrechen der Sklaverei gegenüber. Nicht nur die afroamerikanische Bevölkerung in den ehemaligen Konföderierten-Staaten sieht die Denkmäler als Symbol für Rassismus, weil sie zu Ehren von "Südstaatenhelden" errichtet wurden, die ihre Vorfahren versklavt hatten. Mehrere Südstaaten haben Gesetze erlassen, die den Abbau öffentlicher Kriegsdenkmäler grundsätzlich verbieten. Eine Versöhnung der beiden Seiten – zu den Gegnern des Denkmal-Abbaus gehört auch der ehemalige US-Präsident Trump – ist nicht in Sicht.

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Christof Mauch ist Professor für Amerikanische Kulturgeschichte und Direktor des Rachel Carson Center for Environment and Society an der LMU München, außerdem Honorarprofessor an der Renmin Universität in Peking. Mauch ist Herausgeber und Autor bzw. Koautor von mehr als 50 Büchern, darunter "Die 101 wichtigsten Fragen: Amerikanische Geschichte", 2. Aufl. 2016; "Geschichte der USA, 7. Auflage" 2020 sowie "Die Präsidenten der USA: 46 historische Portraits von George Washington bis Joe Biden" 2.Aufl. 2021.