Bis in die achtziger Jahre war der Rhein auch in Basel ein Abflussrohr für Industriemüll. Doch dann wurde der Rhein sauber, und die Basler warfen sich in seine Fluten. Inzwischen soll sogar die ehemalige Rheininsel im Hafen wieder entstehen. Als neuer schicker Stadtteil im Fluss.
Soll ich, oder soll ich nicht? Vor mir prangt am Kleinbaseler Rheinufer der bunte Schriftzug des "Rhy-Lädeli" und lockt mit dem, was alle haben, nur ich nicht: Einen wasserdichten Sack namens "Wickelfisch" für die Klamotten und eine mobile "Strandkabine" fürs umziehen. Einmal um die eigene Achse gedreht, bedeutet mir der Rhein: Ja, ich soll!
Für 55 Schweizer Franken sichere ich mir Wickelfisch und Strandkabine, obwohl mich die Inhaberin des "Rhy-Lädeli" mit so verblüffender Unlust bedient als hätte ich soeben das Schweizer Bankgeheimnis gelüftet. "Was wollen sie wissen?" - "Ob der Wickelfisch wirklich wasserfest ist. Ich habe mein Handy dabei." - "Entweder etwas ist wasserdicht, oder es ist nicht wasserdicht." - "Also ist er wasserdicht." - "Wollen Sie jetzt eine Garantie oder was?" Solche Dialoge kenne ich sonst nur von der Spree.
Doch nach Kaufboykott ist mir nicht zumute, ich will in den Rhein. So wie Hunderte und vielleicht Tausende an diesem heißen Dreißiggradtag nahe dem Dreiländereck Schweiz, Deutschland, Frankreich. Schon auf der Mittleren, auf Baslerdeutsch also der ältesten Rheinbrücke, habe ich sie gesehen: Mit hoch gestreckten Köpfen, die Arme fest um den Sack geschlungen, rauschen sie mitten im Fluss wie eine Korkenarmee rheinabwärts. Manche haben sogar Flöße gezimmert, auf denen sie Partygut und Fahrräder transportieren. Andere schwimmen ganz ohne Beiwerk. Einen schier unerschöpflichen Nachschub bekommt der Fluss an Rheinschwimmern. Woher er kommt, konnte ich auf der Mittleren Brücke nicht in Erfahrung bringen. Die Rheinschwimmer kommen stromaufwärts geblickt um die Ecke – und machen ganz beiläufig dem Rheinknie ihre Aufwartung, jenem Ort, an dem der Hochrhein endet und der Oberrhein beginnt.
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Für die Nacktheit des verengten Rheinufers unterhalb Bingen erhält der Landschaftskenner keine Entschädigung. Die Hügel zu beiden Seiten haben nicht jene stolze, imposante Höhe, die den Beobachter mit einem mächtigen Eindruck verstummen heißt; ihre Einförmigkeit ermüdet endlich, und wenngleich die Spuren von künstlichem Anbau an ihrem jähen Gehänge zuweilen einen verwegenen Fleiß verraten, so erwecken sie doch immer auch die Vorstellung von kindischer Kleinfügigkeit. Das Gemäuer verfallener Ritterfesten ist eine prachtvolle Verzierung dieser Szene; allein es liegt im Geschmack ihrer Bauart eine gewisse Ähnlichkeit mit den verwitterten Felsspitzen, wobei man den so unentbehrlichen Kontrast der Formen sehr vermisst.
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Ja, mein Freund, der Rhein ist ein edler Fluss: aristokratisch, republikanisch, kaiserlich, würdig, sowohl Frankreich als auch Deutschland anzugehören.
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Wo heute noch der laute und wirre Jahrmarkt der Eitelkeiten tummelt, kann morgen der Garten der deutsch-französischen Freundschaft im Licht stehen. Nur hier.
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Geboren bin ich in Köln, wo der Rhein, seiner mittelrheinischen Lieblichkeit überdrüssig, breit wird, in die totale Ebene hinein auf die Nebel der Nordsee zufließt.
Woher und Wohin?
Jedesmal, wenn ich in eine neue Stadt komme, suche ich als erstes den Fluss. Das gibt mir Orientierung, weil mich der Fluss, auch wenn ich fremd bin, mit Orten verbindet, die ich kenne. Vom Bodensee kommt der Hochrhein nach Basel, dort habe ich in Kressbronn bei Lindau als Kind meine Sommerferien verbracht. Gen Interner Link: Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl fließt der Oberrhein, die Brücke überquerten wir, wenn wir in den siebziger Jahren zum Onkel nach Illkirch-Graffenstaden fuhren. Dort staunte ich dann über die Autos mit den gelben Augen und die Zigaretten, die nicht qualmten, sondern stanken.
Womit ich nicht gerechnet habe: In Basel braucht der Rhein kein Woher und kein Wohin. So innig sind die Basler mit ihrem Fluss verwachsen, dass mir kein Vergleich einfällt für eine solche Symbiose. Was hatte ich erwartet? Die Abflussröhre von Interner Link: Sandoz und Ciba-Geigy, die sich nun, fusioniert, Novartis nennen? Die Schornsteine von Hoffmann-La Roche? Noch immer Fische, die mit dem Bauch nach oben in einer Kloake treiben?
Plötzlich wieder ein Fluss
Patrick Marcolli kennt die Geschichte der Basler und ihres Flusses. Er ist ein Kind der Stadt, ein Kind des Rheins war er nicht. "In den siebziger Jahren war der Rhein praktisch nicht existent. Alle haben sich von ihm abgewandt. Selbst die Mieten waren am Rheinufer billiger als in der Altstadt." Spuren dieser Missachtung sieht man noch heute. Ein paar Häuser neben dem "Rhy-Lädeli" befindet sich in bester Kleinbaseler Uferlage das Männerheim "Rheinblick". Welche Stadt kann das von sich behaupten: Eine Villa am Wasser für die Bedürftigsten?
Patrick Marcolli kennt nicht nur die Geschichte des abwesenden Rheins, er hat auch seine Wiederentdeckung erlebt. "Das war nach 1986, nach dem Unglück in Schweizerhalle", sagt er. "Das Datum kennt in Basel jeder, das war eine richtige Zäsur." Marcolli kann sich noch erinnern, wie plötzlich alles anders war als sonst. Wie die Basler fassungslos vernahmen, dass im Chemiewerk Schweizerhalle von Sandoz eine Lagerhalle mit einem Fassungsvermögen von 1.350 Tonnen Chemikalien brannte. Wie die 170.000 Basler über Lautsprecher aufgefordert wurden, ihre Fenster zu schließen. Wie die gesamte Aalpopulation auf einer Länge von 400 Flusskilometern vernichtet wurde. Wie sich der Rhein infolge des Löschwassers, dass in den Fluss geleitet wurde, blutrot färbte.
Sechzehn Jahre alt war Marcolli an jenem 1. November 1986. "Wir haben es in den Nachrichten gehört, meine Mutter hat in der Schule angerufen. Dürfen wir in die Schule oder nicht?" Der Schulleiter sagte: Ihr dürft nicht nur, ihr müsst. Es bestehe keine Gefahr. "Am Abend hieß es plötzlich, wir dürften am nächsten Tag doch nicht mehr in die Schule." Da hatte Patrick Marcolli schon in den blutroten Rhein geschaut.
"An diesem Tag erwachte in Basel das Umweltbewusstsein", erinnert sich Marcolli. "Es waren die Bürger und nicht die Industrie, den den Rhein gerettet haben. Überall gab es Demonstrationen, ich war auch dabei." Das Bild von den Protesten verbreitete sich rasch zwischen Bodensee und Nordsee. Wütend auf die Industrie, die den Rhein zum Abwasserkanal gemacht hatte, hatten die Basler ihre Brücken besetzt. "Plötzlich war der Rhein unser Rhein", weiß Marcolli. "Das haben wir uns bis heute nicht mehr nehmen lassen."
Schweizerhalle und 1986, das teilt die Geschichte der Menschen und ihres Flusses in ein Vorher und ein Nachher. Bald wurde der Fluss sauberer. Schenkte man ihm wieder Aufmerksamkeit. Ging man am Ufer spazieren. Sprang in sein Wasser. Marcolli hat die Geschichte dieser Entdeckung als Redakteur der Basler Zeitung begleitet. Hat beobachtet wie der öffentliche Raum immer mehr genutzt wurde. Wie sich die Basler vor ihrem Fluss verneigten. Wie die innige Umarmung entstand, die mich an diesem Dreißiggradtag von den kühlen Fluten träumen und bei einer grimmigen Ladenbesitzerin 55 Schweizer Franken liegen lässt.
Faszinosum Rhein
Die Literatur weiß, dass es ein Vorher und ein Nachher am Rhein schon vor der Zäsur von Schweizerhalle gab. Voller Enthusiasmus etwa reimte Johann Peter Hebel in seinem Gedicht Erinnerung an Basel:
"Z'Basel an mim Rhi, ja dört möchti si! Weiht nit d'Luft so mild und lau, und der Himmel isch so blau an mim liebe Rhi!"
Auch den Franzosen blieb der Reiz des Rheinknies in Basel nicht verborgen. Lange nach Hebel, dessen Gedicht bald vertont und zur Hymne der Stadt wurde, begab sich 1845 Victor Hugo auf eine Rheinreise – und notierte erstaunt:
"Das Spiegelbild der Brücke sieht aus wie eine Riesenleiter, die man von einem Ufer zum andern gelegt hat. (…) Das alles lacht, singt, spricht, schwatzt, quillt, kriecht, flieht, geht, tanzt, glänzt in einem Ring von hohen Bergen, der sich nur am Horizont öffnet, um dem Rhein Einlass zu gewähren."
Beide Texte stammen aus dem Büchlein Basel erlesen, das Barbara Piatti und David Marc Hoffmann für den Lojze Wieser Verlag zusammengestellt haben. Ich habe es ins Reisegepäck genommen, weil ich etwas wissen wollte über das Verhältnis der Basler und der Baselbesucher zum Rhein. Doch die Herausgeber haben mir die Arbeit abgenommen. Im Nachwort ihrer hübschen Anthologie stellen sie fest: "Eine Stadt am Fluss – immer wieder ist von Brücken die Rede, vom Rheinufer, vom Wasser, das Basel in zwei Hälften teilt, in das reiche Großbasel und das ärmere Kleinbasel. Der Rhein ist die heimliche Hauptfigur in den hier versammelten Texten, beinahe kein Autor, keine Autorin lässt ihn unerwähnt: Rund hundertfünfzig Mal fällt sein Name." Julien Green, den Amerikaner in Basel, erinnerte der Rhein "mit seinen lehmfarbenen Wassern" sogar "an einen amerikanischen Fluss, dessen Dimensionen er im lauten Getöse seines Gefälles annimmt".
Leider ist in Basel erlesen nichts über das Nachher zu erfahren. Wie schmeckte den Baslern der Rhein als er stank und strahlte? Wann wurde das Kleinbaseler Ufer, das sie heute "Riviera" nennen, zum Hinterhof der Stadt und der "Rheinblick" zum Zufluchtsort für Gestrandete?
Das Tram mit der Nummer acht
Wer mit dem Tram Nummer 8 – die Straßenbahnen sind in Basel sächlich, wie so vieles Putzige auch, dem man einfach die Endung -li angehängt hat – vom Marktplatz in Basel in Richtung Kleinhüningen fährt, durchmisst alle Vorhers und Nachhers der Basler Stadt- und Rheingeschichte. Durch die Großbaseler Altstadt mit ihren teuren Restaurants und Einkaufsmeilen geht es vorbei an der Schifflände, wo die Ausflugsschiffe mit dem Slogan "R(h)ein ins Vergnügen" werben, auf die Mittlere Brücke. Basels Brückenschlag über den Rhein wurde 1225 mit einer hölzernen Konstruktion begonnen und begründete die Karriere der Stadt als Handelszentrum, dem bald der Buchdruck, Erasmus von Rotterdam und die Reformation folgten. Ganz so weltoffen und liberal aber war Basel nicht immer, wie die kleine Kapelle "Käppelijoch" mitten auf der Brücke vermuten lässt: Hier wurden noch im 16. Jahrhundert Ehebrecherinnen oder vermeintliche Hexen gefesselt in den Rhein "geschwemmt". Einen Wickelfisch und eine mobile Strandkabine hatten sie nicht dabei.
Weiter nimmt die Acht ihren Weg durch Kleinbasel, zur Seite öffnet sich immer wieder ein Blick auf die Gassen des rechtsrheinischen Basels, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich zum Industriebasel wurde. Schon hinter dem Claraplatz, an dem das Tram links abbiegt und von nun an parallel zum Ufer fährt, sind die Straßen und Gassen nicht mehr verwinkelt, sondern schachbrettartig angelegt. Die Klybeckstraße mit ihren Seitenstraßen ist das gründerzeitliche Basel der Mietshäuser, Szene- und Armeleuteviertel zugleich.
So ging das, bis in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts die Dreirosenbrücke, die nördlichste der Basler Rheinbrücken, gebaut wurde. Sie trennte das Stadtgebiet fortan vom Hafenareal, das auf dem Gelände des einstigen Fischerdorfes Kleinhüningen entstand. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Interner Link: Wasserstraße Rhein stromaufwärts bis Basel verlängert worden – und Kleinhüningen, das Fischerdorf, verband die Industrie- und Handelsstadt fortan mit Interner Link: Rotterdam und der großen weiten Welt. Heute werden 18 Prozent des Schweizer Außenhandels über den "Port of Switzerland" abgewickelt. Eine Straßenbahn, zwei Welten. Bald werden es sogar drei: 2013 soll die Acht nach Weil am Rhein in Deutschland verlängert werden.
Die Baseler Riviera
Es werden immer mehr. Bald unterscheide ich die Orangen von den Nichtorangen. Die Orangen sind die mit dem Wickelfisch. Meist in Gruppen pilgern sie bedächtig die Kleinbasler Rheinpromenade, die sie die Riviera nennen, stromaufwärts. Die Nichtorangen sitzen auf den Stufen, die von der Promenade hinunter zum Wasser führen. Die Nichtorangen kennt man auch aus anderen Städten. Aus Paris, wo der "Paris Plage" 2001 zur Mutter aller Stadtstrände wurde. Oder aus Berlin, wo das "Strandbad Mitte" inzwischen fest in der Hand der Touristen ist. In Basel sind auch die Nichtorangen Basler, man hört es. Andächtig blicken sie auf das Konzertfloß, das fest im Rhein vertäut ist. In Basel ist mal wieder "Im Fluss", das Umsonst und Draußen Event des Sommers.
Bin ich jetzt ein Basler? Rasch die Schuhe ausgezogen, lässig werfe ich den Wickelfisch um die Schulter. Ich mische mich unter die Orangen und ordne mich dem Rivieratempo unter – und schon bin ich Teil des Basler Pilgerstroms. Meine Vorfreude ist groß. Immer mehr sind es, die im Rhein an mir vorbei in die Gegenrichtung treiben. Menschliches Treibgut im Fluss. Ein Sommervergnügen, dem sich, wie ich bald merke, ganze Familien hingeben.
Strandwärts geht es nun. Unterhalb der Mittleren Brücke trifft sich das Szenebasel an der "Kasernen-Buvette", es folgen die Restaurants am Oberen Rheinweg, dann die Wohnhäuser wie der "Rheinblick", hinter der Wettsteinbrücke dünnt Kleinbasel aus. Flacher wird das Ufer nun, es beginnt ein Kiesstrand, wie man ihn sonst von Gebirgsbächen kennt. Vielleicht auch deshalb heißt das organisierte Rheinbaden, das jedes Jahr im August stattfindet, "dr Bach ab", den Bach hinab.
Hinter der Wettsteinbrücke sind die Orangen in der Mehrheit, die Bikini und Badehosen-Orangen. Ob ich in Jeans und T-Shirt komisch ausschaue? Ein älterer Herr beruhigt mich. "In Basel können sie rumlaufen, wie sie wollen. Sie dürfen am Strand Jeans anhaben und auf dem Marktplatz einen Bikini." Eine Stadt, in der Badekleidung zum Dresscode gehört – was für ein Alleinstellungsmerkmal. Und was für ein Trotz gegen den Trend. Wo die Städte immer gleichförmiger werden, feiert Basel seine schrullig-schräge Lokalkultur.
Die neue Rheininsel
Nein, sagt Marc Keller, hier darf man nicht baden. "An der Dreirosenbrücke beginnt der Hafen, da gelten andere Gesetze." Fast klingt es so, als wären das zwei paar Schuhe: Basel und der Hafen. Als hätten sich beide voneinander abgewandt, als sei der Gesprächsfaden gerissen, seitdem die Industrie, zu dem ja auch der Hafen gehört, den Rhein erst domestiziert und dann verseucht hat.
Marc Keller und seine Behörde haben den Gesprächsfaden wieder aufgenommen. Der 44-Jährige ist Sprecher des Bau- und Verkehrsdepartements des Kantons Basel-Stadt und zeigt mir in Kleinhüningen das Modell des neuen Alleinstellungsmerkmals Basels, dem die Architekturzeitschrift Hochparterre bereits das Label "Rheinhattan" verpasst hat.
"Bisher gehört die Uferstraße zum Hafen, doch das wird sich bald ändern". Weit beugt sich der Behördensprecher über ein Stadtmodell, das im Parterre des Bürokomplexes Uferstraße 90 ausgestellt ist. Anstelle der Hafenbahn soll bald wieder der einst zugeschüttete Arm des Alten Rheins entstehen – und die Uferstraße läge auf der "neuen Rheininsel", die das Herz der Planer höher schlagen lässt. "Das wird das größte Stadtentwicklungsprojekt Basels der vergangenen Jahrzehnte sein", verspricht Keller.
Allerdings auch eines der schwierigsten. Noch gehört das Gelände dem Hafen. Der Hafen boomt. Will wachsen. "Ohne Ausgleich wird der Hafen keine Flächen hergeben", weiß Keller. Doch der Durchbruch ist wohl geschafft. Nahe der Autobahn könnte ein neues, ungleich größeres Hafenbecken entstehen. "Ein trimodularer Hafen", sagt Keller, "mit Containerumschlag vom Schiff auf die Bahn und auf die LKW." Die Bahn, der das neue Gelände gehört, hat bereits Zustimmung signalisiert. Der Weg für die Rheininsel scheint frei.
Die Schweizer und das Wasser
Übers Baden dichtete einst Bertolt Brecht: "Im Sommer, wenn die Winde oben nur in dem Laub der großen Bäume sausen, muss man in den Flüssen leben oder Teichen." Vom Schwimmen in Seen und Teichen nannte Brecht sein Gedicht und befand sich damit in einer Art Traditionslinie, die schon Friedrich Schiller faszinierte als er seinen Wilhelm Tell rufen lässt: "Es lächelt der See, er ladet zum Bade".
Vor allem in der Schweiz hat das Baden in Teichen und Seen Tradition, und auch das Baden in den Flüssen. Zürich zum Beispiel kann fünf Flussbäder sein eigen nennen, mit insgesamt 40 Badeanstalten ist die Schweizer Wirtschaftsmetropole die Großstadt mit der höchsten Dichte an Bädern. In Bern lädt das "Badi Marzili" zum Schwimmen in die Aare, zumindest offiziell. Inoffiziell wird im Sommer der ganze Fluss zur Badeanstalt, dann rauschen Tausende in atemberaubender Geschwindigkeit an der Ufern der Schweizer Hauptstadt vorbei. Ganz offensichtlich gehören die Schweizer zu jenen Völkchen, die mangels eigenen Meers, ihr Verhältnis zum kühlenden Nass besonders innig pflegen.
Ganz besonders innig ist dieses Verhältnis in Basel und am Rhein, der "Basler Küste", wie die Basler Zeitung das Kleinbasler Rheinufer nennt. Lange aber währt die Tradition an dieser Schweizer Nabelschnur zur Nordsee noch nicht. "Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass dieses Vergnügen bis ins 18. Jahrhundert verboten war", heiß es im Basler Stadtblog Uferlos. "Nicht etwa, weil es damals des reißenden, noch nirgendwo gestauten Stroms wegen noch ziemlich gefährlich war, sich in die Fluten zu stürzen, sondern weil es – spätestens seit der Reformation, unter dem sittenstrengen Regime der Zünfte – unvorstellbar war, sich im Freien unbekleidet zu zeigen, genauso wie öffentlich sichtbar zum reinen Vergnügen zu baden."
Die erste offizielle Rheinbadeanstalt in Basel wurde 1831 eingeweiht. 1847 folgte bereits die zweite. In diesen "Rhybadhysli" wurde, streng getrennt nach Damen und Herren, noch in Unterwäsche gebadet. Ende des 19. Jahrhunderts folgte dem Baden die Bademode, doch es sollte noch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts dauern, bis die Baseler Behörden das Zurschaustellen jener Mode im Stadtraum nicht unter Strafe stellte. Doch da wollte schon keiner mehr baden im stinkenden und blubbernden Rhein.
Brecht, Schiller, Basler Bademode: Ich habe das alles gelesen, als sich der ICE der Schweizer Grenze näherte. Soll ich, oder soll ich nicht? Aus der Ferne betrachtet, war die Sache klar. Lieber ein gutes Foto als selbst ein – womöglich lächerliches – Fotomotiv.
Marc Keller kann sich gar nicht so weit übers Modell bücken, so weit geht sein Blick jetzt. "Die erste Testplanung für die Rheininsel war ein Basler Projekt", betont er. Den Anstoß hatten zwei Architektinnen aus Stuttgart gegeben, die in ihrer Masterarbeit Basel Waterfront erstmals von der neuen Rheininsel gesprochen hatten, die Anfang des 20. Jahrhunderts dem Hafenbau zum Opfer gefallen war.
"Bald schon haben wir gemerkt, dass wir als Basel alleine da nicht weiter kommen". Marc Keller wäre froh, wenn er nun einen Zeigestock hätte. "Da drüben", sagt er, und deutet über das Rheinufer, "könnte in Huningue ein neuer Stadtteil entstehen." Und dann sind da noch die Deutschen, die in Basel bereits den Badischen Bahnhof betreiben. "Weil am Rhein hat noch immer keinen richtigen Zugang zum Fluss." Auch das ließe sich ändern, wenn die Rheininsel zu einer trinationalen Planung gehörte, wie sie das Architektenteam MVRDV/Cabane/Josephy 2011 unter dem Namen "3Land" vorgeschlagen hat.
Think Big, das wäre nicht nur nach dem Geschmack der Investoren. Am Rhein in Basel gäbe es dann nicht nur die schrullig-schräge Lokalkultur des Rheinbadens, sondern auch ein Central-Business-District. Rheinhattan: Ein bisschen haben es die Basler noch immer nicht verwunden, dass ihnen Genf den zweiten Rang nach Zürich abgelaufen hat. Mit der Rheininsel könnte sich Basel dann mit den anderen Städtebauprojekten am Fluss messen: Der Hafencity in Hamburg, dem Innenhafen in Duisburg oder dem Medienhafen in Düsseldorf.
Die Buvetten
Rheinaufwärts, an der Basler Küste wird nicht groß gedacht, sondern lokal. Sehr lokal. Als Jérôme Beurret, der Inhaber des Restaurants "Rhyschänzli" im Frühjahr 2012 seine Kasernen-Buvette öffnen wollte, hagelte es Proteste von den Anwohnern. Zu laut, zu viele "Wildpinkler", überhaupt sei das hier keine Küste, sondern ein ordentliches Wohngebiet.
Jérôme Beurret ist einer von drei Buvetten-Betreibern in Basel. Neben seiner Kasernen-Buvette, die unterhalb des gleichnamigen Kulturzentrums ihren Platz gefunden hat, gibt es seit 2006 die Dreirosen-Buvette von Dana Poeschel. Die dritte Buvette steht am Ufer Höhe Oettlinger-Straße. Wäre es nach der Allmende-Verwaltung gegangen, die in Basel für den öffentlichen Raum zuständig ist, hätte 2012 auch noch eine Buvette an der Florastraße eröffnet. Denn die stilvoll angestrichenen Restaurant-Container mit den Stühlen am Rheinufer gehören zur "Mediterranisierung" in Basel, die das "Draußensein" zelebriert. So sieht es die Stadt.
Andere sehen das nciht so. Bei der Buvette an der Florastraße hatten diejenigen Erfolg, denen weniger am "Draußen-Sein" als am "Nach Draußen-Schauen" und ansonsten an Ruhe gelegen ist. In Basel tobt ein Kulturkampf um den öffentlichen Raum am Rhein, und so bald wird er nicht zu Ende sein. Die Basler Verwaltung, in vergangenen Jahren eher Verhindererin als Ermöglicherin, hat sich nämlich auf die Seite der Open-Air Freunde und der "Basler Küste" geschlagen. Mittelfristig seien sogar neun Buvetten-Standorte möglich, heißt es in einem Konzept, das die Stadt Basel im Oktober 2011 vorgelegt hat.
Buvette, noch so eine lokale Kultur, die der Globalisierung trotzt. Die Übersetzungsmaschinen im Internet wissen auch nicht so recht, wie sie die Basler Sommer-Container einordnen sollen: "Refreshment Bar" schlägt die englische Übersetzung vor, "Buffet" die deutsche. Die Basler selbst verzichten ohnehin auf Übersetzungen. Aber vielleicht reiht sich Buvette einfach ein in die "B"'s der Basler Küste, die die Basler Zeitung aufzählt: "Boule-Spieler sind da, Ballspieler auch, Bücherleser, Bikini-Trägerinnen, Bong-Raucher, Büchsenbiertrinker, Badelatschen, Bratwürste auf Grills, Bronzehaut da und dort und der Himmel ist so blau."
Vor der Uferstraße 90 ist von alldem nichts zu sehen. Brachen gibt es hier, wo einmal "Rheinhattan" entstehen soll, industrielle Hinterlassenschaften, Zäune. Nun soll die Küste in Basel verlängert werden. "Ein Kulturschiff ist schon da", freut sich Marc Keller und spricht von den Pioniernutzungen, mit denen die Entwicklung der neuen Rheininsel beginnen soll. "Im nächsten Jahr wird es dann auch hier eine Buvette geben", ist er sich sicher. Nur schwimmen wird man dann noch immer nicht dürfen.
Der Kulturkampf in Basel hat auch das Großbasler Ufer erreicht, erzählt mit der Fährmann, als ich mit der "Münsterfähre" übersetze. Noch immer sind die vier traditionellen Basler Fähren in Betrieb, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts den Verkehr über den Fluss sicherten. Damals war die Mittlere Brücke die einzige Brücke über den Rhein.
Inzwischen gehören die Basler Fähren den Touristen. "Und die fragen immer wieder, wie sie in Großbasel zum Anleger kommen", klagt der "Fährimaa", der Fährmann. Ein durchgängiger Uferweg auf der Altstadtseite fehlt – und so wird das auch bleiben. "Ein Uferweg auf einem Steg sollte hier entstehen", ärgert sich der Fährimaa, "doch die Konservativen haben es verhindert. Die Konservativen, das sich die Traditionalisten, die Heimatschützer, wie sie sich in Basel nennen. Der Blick aufs Münster, verunstaltet mit einem Uferweg? Undenkbar! Auch das gehört wohl zur schrullig-schrägen Lokalkultur.
Gut zu wissen, dass wenigstens die Kleinbasler auf Distanz gehen. Sogar einen eigenen Feiertag haben sie drüben, im Armeleutebasel. Gewidmet ist er dem "Vogel Gryff", dem heraldischen Wappentier von Kleinbasel. Immer im Februar feiern sie ihren Greif. Ein Floß kommt dann den Rhein herab, man nennt es die "Rheinfahrt des Wilden Mannes", erklärt der Fährimaa. "So gibt es also eine Kleinbasler Konkurrenz zur Basler Fastnacht."
Ich weiß nicht so recht, ob ich dem Fährmann glauben soll. In einer Broschüre, die ich mir gegriffen habe, heißt es, dass die Leute auf der Fähre so allerhand Geschichten erzählen. Sogar ein geflügeltes Wort haben sie in Basel dafür gefunden: "Verzell du daas em Fäärimaa!"
Scherben bringen Glück
Wann, wenn nicht jetzt. Die Klamotten sind im Wickelfisch verstaut. Der Sack sieben Mal gewickelt, so steht es auf der Gebrauchsanleitung. Hat die Frau im "Rhy-Lädeli" das nicht gelesen? Egal. Rein den Zeh in den Rhein, dann einen Fuß, dann den ganzen Rheinschwimmer. Die Strömung zerrt, ich gebe mich ihr hin, dann bin ich Teil des Flusses, er führt mich in atemberaubender Geschwindigkeit stromabwärts. Wie lange würde ich wohl brauchen bis zur Interner Link: Europabrücke, bis zur Interner Link: Loreley, zum Kölner Dom oder zum Hafen in Interner Link: Rotterdam.
Das Manövrieren erfordert Geschick. Nur mit Mühe steuere ich an einer Boje vorbei, die plötzlich vor mir auftauchte. Das nächste Hindernis ist das Kulturfloß. Rechts oder links vorbei. Ich entscheide mich für rechts und schwimme wie wild Richtung Ufer. Steinufer. Trete in eine Scherbe. Scherbenufer. Komme blutend an Land. Bringen Rheinscherben Glück?
Eine halbe Stunde später ist alles vergessen. Die Mitarbeiter des Open Air Festivals "Im Fluss" hatten Kompresse und Mullbinde parat. "Passiert hier öfter", sagte einer und zog den Mund breit. Auf der Promenade pilgern sie noch immer mit ihren orangen Wickelfischen stromaufwärts. Die, die den Rhein hinunter treiben, steigen spätestens an der Kasernenbuvette aus dem Fluss. Bis zur Rheininsel ist es noch ein weiter Weg, denke ich, und nippe an einem Glas Weißwein. Ob die neue Buvette die beiden Welten in Basel tatsächlich verbinden kann? Sieben Kilometer lang wäre dann die Basler Küste, von der Eisenbahnbrücke bis zur deutschen Grenze.
So ganz scheint auch Marc Keller, der Sprecher des Bau- und Verkehrsdepartements, noch nicht an die Rheininsel zu glauben. "10.000 Menschen könnten auf der Insel wohnen", hatte er gesagt, als er sich über das Modell von "3Land" gebeugt hatte. Erst auf mehrfaches Nachfragen räumte er ein, dass Basel nicht wachse, sondern sogar Einwohner verliere. Aber vielleicht retten ja Deutschland und Frankreich das neue, schicke Rheinprojekt. Die Fußgängerbrücke zwischen Weil und Huningue überqueren täglich Tausende. Aber das ist eine andere Geschichte aus dem Dreiland, das allerdings einen gemeinsamen Nenner hat: Einen Fluss, den man wieder feiert.
Auch an der Basler Küste feiern sie an diesem Abend. Bei "Im Fluss" spielt die britische Indieband "Fanfarlo" Post-New-Wave. Vielleicht 5.000 Zuhörer haben sich am Ufer in Kleinbasel versammelt. Der Marktplatz in Großbasel ist dagegen leer. 25 Jahre nach Schweizerhalle hat der Rhein Basel eine neues Zentrum geschenkt.
Uwe Rada, geboren 1963, lebt als Journalist und Publizist in Berlin. Er beschäftigt sich seit langem mit der Rolle der Flüsse in der Geschichte und veröffentlichte zuletzt im Siedler-Verlag die beiden Bücher Die Oder. Lebenslauf eines Flusses (2009) und Die Memel. Kulturgeschichte eines europäischen Stromes (2010). 2013 erscheint Die Elbe. Europas Geschichte im Fluss. Uwe Rada koordiniert das Projekt Geschichte im Fluss der Bundeszentrale für politische Bildung.