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Kriegsschauplatz und Ökozid

Ihor Pylypenko Daria Malchykova

/ 8 Minuten zu lesen

Der Dnipro versorgt mit seinen Stauseen fünf ukrainische Großstädte mit Trinkwasser. Das macht ihn zum russischen Kriegsziel – mit fatalen Folgen für die Umwelt.

Blick auf den Dnipro beim Wasserkraftwerk DniproHES in der Nähe der Stadt Saporischschja im Sommer 2024: Nach der Zerstörung des Kachovka-Staudamms im Südosten der Ukraine durch russische Truppen im Juni 2023 ist der Wasserstand stark gesunken. (© picture-alliance, Dmytro Smolienko / Avalon)

Der Dnipro ist gemessen an seinem Einzugsgebiet der drittgrößte Fluss Europas. Dabei speisen sich etwa 80 Prozent seines Abflusses – also der gesamten Wassermenge, die den Fluss durchfließt – aus den feuchten Waldgebieten der Ukraine, Belarus und Russlands. Südlich von Kyjiw durchquert der Fluss die Waldsteppen und im weiteren Verlauf die Steppenzone der Ukraine. Das ist eine wichtige geografische Voraussetzung für die wirtschaftliche Erschließung und Nutzung des Dnipro und seiner Wasserressourcen. Aufgrund des Wassermangels im Süden der Ukraine, insbesondere in der Steppe, wurde der Dnipro stets als Wasserressource betrachtet.

Die wirtschaftliche Nutzung des Dnipro in der Sowjetunion

Um die Wirtschaft der Sowjetunion in den 1940er- und 1950er Jahren zu fördern, wurde ein Programm zur umfassenden Nutzung der Wasserressourcen des Dnipro entwickelt. Die wirtschaftlichen Herausforderungen sollten durch den Bau von Staudämmen gelöst werden. Im Vordergrund standen dabei:

  1. die Nutzung des Flusses als kostengünstige Energiequelle;

  2. die Schaffung einer schiffbaren Wasserstraße mit Zugang zur Ostsee über die Flüsse Prypjat und Memel/Njemen;

  3. die Intensivierung der Bewässerungsfeldwirtschaft;

  4. die Wasserversorgung von Städten, Industrie und Landwirtschaft;

  5. die Förderung der Fischerei.

Um diese wirtschaftlichen Ziele zu erreichen, wurde eine Kaskade aus Wasserkraftwerken und Stauseen entworfen. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es am Dnipro nur einen einzigen Staudamm: das berühmte Dnipro-Wasserkraftwerk (DniproHES), das in den Jahren 1927 bis 1932 erbaut wurde. Dieses Prestigeprojekt war eines der Symbole der sowjetischen Industrialisierung und wurde nach den Entwürfen und unter technischer Aufsicht von US-amerikanischen Ingenieuren errichtet. So stammten acht der neun Turbinen sowie fünf der neun Generatoren aus US-amerikanischer Produktion.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann man mit der Ausarbeitung und Umsetzung eines Programms zur weiteren Nutzung des Dnipros. Auf Beschluss des Ministerrates der UdSSR vom 20. September 1950 wurde ein zweites Kraftwerk bei der Stadt Kachowka gebaut. Bereits 1955 wurde mit der Stromerzeugung begonnen, aber erst 1958 erfolgte die Aufstauung des Wassers bis zu einem Niveau von etwa 16 Metern über dem Meeresspiegel (NN).

Dieses zweite Wasserkraftwerk der Dnipro-Kaskade markierte den Beginn einer grundlegenden Umgestaltung des Flusses. Der Dnipro mit seinen natürlichen jahreszeitlichen Wasserschwankungen wurde in ein System riesiger künstlicher Seen umgewandelt. Während das erste Kraftwerk, DniproHES, mit einer Höhe von 38 Metern zwischen den Ufern einer relativ tiefen, aber schmalen Granitschlucht (die sich über 60 Kilometer von der Stadt Dnipro bis Saporischschja erstreckt) errichtet wurde, überflutete der Kachowka-Stausee mit seiner 16 Meter hohen Staumauer mehr als 2.000 Quadratkilometer einer einzigartigen Landschaft, die seit der Kosakenzeit als „Große Wiese“ (Welykyj Luh) bezeichnet wurde.

So begann man mit dem Bau riesiger Stauseen am Dnipro, die aufgrund ihrer geringen Stauhöhen allerdings nur ein begrenztes Potenzial zur Energiegewinnung hatten. Zum Vergleich: DniproHES erreichte nach seiner Modernisierung eine Leistung von über 1.500 MW, während das Wasserkraftwerk Kachowka lediglich 330 MW erbrachte.

Das dritte Kraftwerk am Dnipro wurde in Krementschuk gebaut und war nach Fläche (2.250 Quadratkilometer) und Nutzwasservolumen der größte Stausee. Es wurde zwischen 1954 und 1960 errichtet. Es folgten das Wasserkraftwerk in Kyjiw (1960 bis 1964) und das Mitteldnipro-Kraftwerk in Kamjanske (bis 2017: Dniprodserschynsk), das von 1956 bis 1964 erbaut wurde. Das letzte Wasserkraftwerk am Dnipro wurde schließlich 1975 bei Kaniw fertiggestellt. Die Kraftwerke hatten unterschiedliche Kapazitäten und erzeugten jeweils bis zu 1,5 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr. Die Kaskade von Wasserkraftwerken und Stauseen speicherte bis zu 44 Kubikkilometer Wasser, was nahezu dem jährlichen Abfluss des Dnipro entsprach. Das nutzbare Volumen der Stauseen betrug etwa 18 Kubikkilometer.

Ein besonderer Aspekt der Ressourcennutzung am Dnipro ist der Wasseraustausch zwischen den verschiedenen Flussgebieten. Um den Wasserhaushalt auszugleichen, wurde Wasser durch Kanäle in andere Regionen der Ukraine transportiert. Eine dieser Regionen war der Donbas (Donezbecken), der in der Steppenzone liegt und von Natur aus eine geringe Luftfeuchtigkeit aufweist. Die industrielle Entwicklung des Donbas begann im 19. Jahrhundert, als der britische Ingenieur John Hughes in der späteren Stadt Donezk eine metallurgische Produktion auf der Basis von Kokskohle aufbaute. Die Stadt Donezk trug bis 1924 sogar den Namen Jusowka (nach John Hughes) und von 1924 bis 1961 den Namen Stalino zu Ehren von Josef Stalin.

Dank des Abbaus und der Weiterverarbeitung von Steinkohle entwickelte sich der Donbas zu einer starken Industrieregion, ähnlich dem Ruhrgebiet in Deutschland. Die Metall- und chemische Industrie sowie die fast 8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner benötigten große Mengen an Wasser. Noch bevor KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow 1961 die Kohleregionen der Ukraine besuchte, wurde Mitte der 1950er-Jahre der Sewerskij-Donez-Donbas-Kanal gebaut. Er sollte die Wasserknappheit im industriellen Ballungsraum Donezk verringern.

Mit dem Wachstum des Donbas stieg auch der Wasserbedarf. Traditionell war der Dnipro Wasserquelle für andere Regionen. In den 1980er-Jahren wurde der 263 Kilometer lange Dnipro-Donbas-Kanal gebaut, um Wasser aus dem Kamjansker Stausee in den Sewerskij-Donez zu leiten. Heute ist der Kanal teilweise Kriegsschauplatz und beschädigt, so dass kein Wasser mehr in den Donbas gelangt. Ein separater Abzweig dieses Kanals leitet Wasser aus dem Dnipro nach Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine.

Ein weiteres Beispiel für die Nutzung der Ressourcen des Dnipros außerhalb seines unmittelbaren Einzugsgebietes ist der Kachowka-Stausee, der als Wasserreservoir für die gesamte Autonome Republik Krim und die ukrainischen Gebiete nördlich des Asowschen Meeres (von Melitopol bis Berdjansk) diente. Krywyj Rih, das Zentrum der ukrainischen Metallindustrie, erhielt ebenfalls Wasser für industrielle und private Zwecke über den Dnipro-Krywbas-Kanal, der speziell zur Behebung des Wassermangels gebaut wurde. Die Nutzung des Wassers aus dem Kachowka-Stausee wird in einer unserer früheren Arbeiten näher untersucht.

Der Dnipro als strategisches Ziel im Ukraine-Krieg

Als Teil der Energie- und Verkehrsinfrastruktur sind die Kraftwerke am Dnipro seit dem russischen Überfall auf die Ukraine zum Ziel militärischer Angriffe geworden. Dabei stehen insbesondere die allgemeinen Auswirkungen und spezifischen Herausforderungen für Wasserkraftwerke in Kriegssituationen im Fokus. Alle Kraftwerke sind direkt oder indirekt betroffen.

In Zeiten von Energieknappheit spielt die Dnipro-Kaskade eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des ukrainischen Energiesystems, insbesondere im Hinblick auf die Netzfrequenz und -spannung. Die technische Fähigkeit, die Kraftwerke schnell auf Höchstleistung hochzufahren, dient als Instrument, um Verbrauchsspitzen zu bewältigen, Netzschwankungen infolge von Störungen zu stabilisieren und die Auswirkungen von Angriffen auf die Energieinfrastruktur zu mindern.

Seit Oktober 2022 zielen Raketen- und andere Luftangriffe vor allem auf die Energieinfrastruktur, insbesondere auf Umspannwerke – auch die von Wasserkraftwerken. Im Jahr 2023 und Anfang 2024 waren bereits die zentralen Elemente der Kraftwerke – die Maschinenhallen – Ziel von Raketenangriffen. Im März 2024 wurde das leistungsstärkste Wasserkraftwerk am Dnipro, das DniproHES, angegriffen. Daraufhin wurde die Energieproduktion eingestellt, was das ukrainische Energiesystem vor große Probleme stellte. Denn Ende März beginnen die saisonalen Frühjahrshochwasser am Dnipro und die Kraftwerke sollen in dieser Zeit die maximal mögliche Menge an Energie erzeugen.

Am 1. Juni erfolgte ein weiterer Angriff, der schließlich beide Maschinenhallen des DniproHES vollständig zerstörte. Ähnliche Angriffe trafen auch andere Wasserkraftwerke. Da diese jedoch weiter von der Front entfernt liegen, mehr Zeit zur Reaktion auf Bedrohungen blieb und Flugabwehrsysteme im Einsatz waren, konnte die Energieerzeugung dort aufrechterhalten werden.

Eine besondere Geschichte hat das mittlerweile zerstörte Kraftwerk Kachowka. Es wurde nur neun Stunden nach Beginn der vollumfänglichen russischen Invasion am 24. Februar 2022 eingenommen. Auf den 280 Flusskilometern zwischen Saporischschja und Cherson führten lediglich zwei Verkehrsverbindungen über den Dnipro – eine davon über das Kraftwerk. Die Bedeutung des Kraftwerks lag aber nicht nur in seiner Funktion als Verkehrsverbindung über den Fluss, sondern auch in der Kontrolle des Nord-Krim-Kanals, der 2013 noch 85 Prozent des Wasserbedarfs der Krim deckte.

Ökologische Folgen der Zerstörung des Kachowka-Stausees

Am 4. Juni 2023 begann die ukrainische Armee einen Gegenangriff im Gebiet Saporischschja mit dem Ziel, an das Asowsche Meer vorzudringen. Ein weiterer Vorstoß zielte darauf ab, den Dnipro zwischen Kachowka und Cherson zu überqueren, um die Krim auf dem Landweg zu erreichen. Die katastrophale Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka in den frühen Morgenstunden des 6. Juni 2023 verhinderte zunächst die Umsetzung dieses Plans, im November 2023 konnte er jedoch teilweise realisiert werden.

Die verheerende Flutkatastrophe und die darauffolgenden Überschwemmungen forderten über 30 Menschenleben, etwa ebenso viele Personen gelten noch als vermisst. Diese Zahlen sind jedoch nur Schätzungen, da eine genaue Erfassung erst nach der Befreiung der links des Dnipros liegenden Territorien des Gebietes Cherson möglich sein wird.

Das Schicksal des Kraftwerks Kachowka weist historische Parallelen zum DniproHES im Zweiten Weltkrieg auf. Im August 1941 war es angesichts der drohenden Eroberung des Staudamms durch die vorrückenden deutschen Truppen vom sowjetischen Militär gesprengt worden, was auch damals zu einer plötzlichen Flutwelle geführt hatte.

Bei den neuerlichen Zerstörungen belaufen sich die wirtschaftlichen Verluste aktuell allein im Energiesektor auf über 14 Milliarden Hrywnja, das sind etwa 320 Millionen Euro. Um den Wassermangel auszugleichen, wurden in kürzester Zeit Wasserleitungen aus flussaufwärts gelegenen Stauseen nach Kachowka verlegt. Zudem war ein fast zweifacher Rückgang des Wasserspiegels in Brunnen und Quellen zu beobachten.

Hervorzuheben ist, dass das künstlich angelegte, aber dennoch funktionierende Ökosystem des Kachowka-Stausees vollständig zerstört wurde. Die menschengemachten und natürlichen Landschaften flussabwärts blieben für lange Zeit überflutet. Das Ausmaß und die Intensität dieser Veränderungen erfüllen nach Ansicht mancher Experten die Kriterien eines Ökozids.

Als künstlicher Wasserspeicher in der wasserarmen Steppenzone der Ukraine bildete der Kachowka-Stausee den Kern spezifischer wirtschaftlicher Systeme. Die Bewässerung ermöglichte eine Spezialisierung der Landwirtschaft im Süden der Ukraine mit einem hohen Anteil an Gemüse- und Melonenanbau sowie bestimmter Getreide- und Industriepflanzen. Der Wasserstand des Stausees war auch entscheidend für das Funktionieren des Energiesektors. So wurden in der Stadt Enerhodar ein Atomkraftwerk und mehrere Wärmekraftwerke errichtet, die im Jahr 2021 etwa 30 Prozent des ukrainischen Stroms erzeugten. Diese Kraftwerke sind auf eine stabile Brauchwasserversorgung angewiesen – insbesondere gilt dies für das Kühlsystem des Atomkraftwerks. Die Befüllung und der Betrieb des Stausees als Kühlbecken sind ein kritischer Sicherheitsfaktor für das gesamte Kernkraftwerk und erfordern eine gesonderte Betrachtung.

Die Natur im Gebiet des ehemaligen Stausees erholt sich derzeit außergewöhnlich schnell. Ein junger Wald wächst heran, und die ersten Prognosen über mögliche negative Folgen nach der Zerstörung des Kraftwerks haben sich nicht bewahrheitet. Eine Wüste auf dem Grund des ehemaligen Stausees entsteht nicht.

Anfang 2024 bezogen weiterhin vier der fünf größten ukrainischen Städte ihr Trinkwasser aus dem Dnipro – Kyjiw, Dnipro, Charkiw, Donezk und Odesa. Drei davon (Charkiw, Donezk und Odesa) befinden sich sogar außerhalb des eigentlichen Einzugsgebiets des Flusses.

Wasserkraftwerke sind verwundbar und können als militärische Angriffsziele dienen. Wenn Kraftwerke Ufer verbinden, die von verfeindeten Kriegsparteien gehalten werden, ist aufgrund der Erfahrungen von Kachowka (2023) und DniproHES (1941) mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie zerstört werden.

Die katastrophalen Folgen der Zerstörung von Staudämmen lassen sich in kurzfristige und langfristige Folgen unterteilen. Zu den kurzfristigen gehören Hochwasser, Überschwemmungen, der Tod von Menschen und Tieren, die Zerstörung von Siedlungen, landwirtschaftlichen Flächen und Naturschutzgebieten. Dies wurde im Juni 2023 nach der Zerstörung des Kachowka-Kraftwerks deutlich.

Wirtschaftlich weitaus gravierender sind jedoch die langfristigen Folgen: die Zerstörung traditioneller Wirtschaftsformen, eine veränderte Rolle von Regionen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft und, verbunden mit dem erzwungenen Strukturwandel, auch der Verlust regionaler Identität.

Kapazitäten in der Energieerzeugung sowie Wasserreserven und deren Verteilung auf die riesigen Flächen gingen verloren. Das Problem der Wasserversorgung wird weitreichende Konsequenzen haben und an Dringlichkeit zunehmen – insbesondere im Gebiet Cherson links des Dnipro, in den ukrainischen Küstenregionen am Asowschen Meer und auf der Krim. Wasser in einer Steppe bedeutet Leben. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Hauptleidtragenden der militärischen Auseinandersetzungen und ihrer direkten und indirekten Folgen die Menschen sind.

Aus dem Ukrainischen übersetzt von Lukas Joura.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Krywbas (von ukr. Kryworiskyj salisorudnyj bassejn) wird die von Eisenerzbergbau und Stahlindustrie geprägte Wirtschaftsregion um die Stadt Krywyj Rih genannt.

  2. I. Pylypenko, D. Malchykova: Der Kachovka-Stausee – Wirtschaftsmotor und Kriegsschauplatz. In: Osteuropa, 73(1-2), 2023, S. 53–60. Online unter: Externer Link: https://zeitschrift-osteuropa.de/site/assets/files/52991/oe230105.pdf (Stand: 05.05.2025).

  3. Я. Дідух, А. Куземко, О. Ходосовцев, … І. Мойсієнко: Перший рік відновлення заплавних лісів на дні колишнього Каховського водосховища. In: Chornomorski botanical journal, 20(3), 2024, S. 305–326. DOI: 10.32999/ksu1990-553X/2024-20-3-5 (Stand: 05.05.2025)

  4. A. Wendland: Das Kernkraftwerk Zaporižžja: Kriegsschauplatz und Testfall der Reaktorsicherheit. In: Osteuropa, 73, 2023, S. 125–161. DOI: 10.35998/oe-2023-075 (Stand: 05.05.2025)

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autoren/-innen: Ihor Pylypenko, Daria Malchykova für bpb.de

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Ihor Pylypenko ist Professor am Lehrstuhl für Geografie und Ökologie der staatlichen Universität Cherson.

Daria Malchykova ist Professorin am Lehrstuhl für Geografie und Ökologie der staatlichen Universität Cherson.