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Die Generation der stillen Verzweiflung | Europäische Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Die Leiden des lusitanischen Musterschülers Sparen unvermeidbar Zeigen Spanien, Irland und Portugal, dass die angebotsorientierte Politik sich auszahlt? Es schmerzt, aber die Reformen wirken Crash-Kurs mit jeder Menge Kollateralschäden Ist Spanien über den Berg? Von Gesundung kann keine Rede sein Rückkehr zum Normalzustand Hat die Sparpolitik Irland aus der Krise geholfen? Via Dolorosa ohne Alternative Die Generation der stillen Verzweiflung Hat die Politik der Troika Griechenland genutzt? Die Schrumpfpolitik ist gescheitert Griechenland hat alle Möglichkeiten Zur Rolle Deutschlands in der Schuldenkrise (2014) Ist Deutschland ein Modell für Europa? Die Mär vom gesunden Staat Marktkonform und doch sozial gerecht Hat Deutschlands Bilanzüberschuss die Krise beschleunigt? Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise Europa braucht Deutschland, Deutschland braucht Europa Bedrohen unterschiedliche Lohnkosten die Stabilität der Eurozone? Löhne und Produktivität müssen sich gleich entwickeln Konsum und Löhne in Deutschland müssen anziehen Videos: 6x6 Fragen zur Euro-Krise (2015) Hat die Eurozone in ihrer derzeitigen Form eine Zukunft? Sparen oder Investieren - wie sollte die Schuldenkrise überwunden werden? Wie kann Deutschland dazu beitragen, die Euro-Krise zu beenden? Handelt die EZB ohne demokratische Legitimation? In welchen Ländern lauern neue Gefahren für den Euro? Wie kann die Eurozone künftig Krisen besser vermeiden? 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Angebotsorientierte Politik Griechenland Spanien Italien Frankreich Deutschland Lohnkosten Deflation Anleihekaufprogramm Vermögensabgabe Interaktive Grafiken zur Europäischen Wirtschaftspolitik Infografiken zur Europäischen Schuldenkrise Glossar Redaktion

Die Generation der stillen Verzweiflung

Derek Scally

/ 4 Minuten zu lesen

Der Journalist Derek Scally macht darauf aufmerksam, dass in Irland trotz zuletzt positiver Wirtschaftsdaten eine ganze Generation in Überschuldung lebt. Die Rettungsmaßnahmen seien notwendig gewesen, hätten aber dazu geführt, dass viele Iren nun zwei Schuldenberge abtragen müssten: den öffentlichen Schuldenberg und ihren überteuerten Hauskredit.

Derek Scally (© Privat)

Nach dem Universitätsabschluss zog ich gleichzeitig mit einer College-Freundin nach Berlin. Nach einem Jahr ging sie zurück nach Irland. Es war genau die Zeit, als der keltische Tiger zum letzten Mal vernehmlich brüllte. Die Wirtschaft lief wie unter Drogen, Wohnungen waren in Dublin so unverschämt teuer, dass wir die Immobilienbeilagen der Zeitungen "Häuser-Porno" nannten. Der damalige Premierminister Bertie Ahern urteilte über irische Ökonomen, die sich Sorgen über die überhitzte Wirtschaft machten, Leute wie sie würden normalerweise "Selbstmord begehen". Das Land würde gerade eine Party ohne Ende feiern, sagte der Politiker. Und dass der Boom höchstwahrscheinlich sogar noch "boomiger" werden würde.

Meine Freundin ist eine sehr rational handelnde Frau. Eigentlich wollte sie sich nicht von der Massenpsychose vereinnahmen lassen. Aber nun war es auch für sie höchste Zeit, ein Eigenheim zu erwerben. "Ich weiß, es handelt sich um eine Immobilienblase", sagte sie. "Aber wenn ich warte, bis ich Kinder habe, muss ich zu Hause bleiben. Und allein mit dem Einkommen meines Mannes bekommen wir keinen Kredit von der Bank." Sie beugte sich also der ökonomischen Realität - und dem sozialen Druck - und kaufte in Dublin ein völlig überteuertes Haus in Schuhkarton-Größe. Das war etwa im Jahr 2008.

Dann begann für sie - wie für Tausende ihrer Generation -, ein Reality-TV- Katastrophenfilm mit Irland in der Hauptrolle: Zuerst gingen die irischen Banken, dann das ganze Land pleite. Das Wachstum kollabierte, die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe, die Immobilienpreise halbierten sich. Irland war unfähig, die Schulden der verstaatlichten Banken zurückzuzahlen, ohne die Lichter im Land auszuknipsen. Also bat die Regierung bei EU und Weltwährungsfonds um einen Kredit. Inzwischen haben wir das Programm verlassen und die wirtschaftliche Souveränität zurück. Aber nur nach drastischen Etatkürzungen: Wenn man diese auf Deutschland hochrechnen würde, käme man auf fast eine Billion US-Dollar.

"16 Prozent aller Hypothekenkredite sind im Rückstand. Insgesamt sind 400.000 irische Haushalte überschuldet, ein Viertel davon kann seine Hypotheken nicht mehr abbezahlen."

Jedes Mal, wenn ich die wohlmeinenden, aber letztlich simplen Analysen aus Deutschland über die Erholung in Irland lese, denke ich an meine Freundin in Dublin - und an meine gesamte Generation. Wir waren die gebildetsten, weltoffensten Leute, die Irland jemals hervorgebracht hat. Allerdings müssen die, die ihr Land nicht wie ich verlassen haben, nun gleich zwei Schuldenberge abtragen: Der mit den 67 Milliarden Euro, die wir uns von der EU und dem Interner Link: IWF geborgt haben, um Banken und Wirtschaft wieder aufzupäppeln und der, mit dem viele Iren ihre überteuerten Hauskredite abbezahlen.

Irland: ökonomische Schlüsseldaten

Studien zeigen, dass der einstige irische Traum vom Eigenheim für viele zum Alb geworden ist. 16 Prozent aller Hypothekenkredite sind im Rückstand. Insgesamt sind 400.000 irische Haushalte überschuldet, ein Viertel davon kann seine Hypotheken nicht mehr abbezahlen. Die Ausgaben für Konsum, Immobilien und die Tilgung von Schulden belasten irische Privatleute weit mehr als jene in anderen Ländern Europas. Der Anteil der Iren mit Immobilienbesitz liegt mit 70 Prozent auf vergleichsweise hohem Niveau. Allerdings fielen die Preise in diesem Segment zum Teil um die Hälfte – mit fatalen Auswirkungen auf die Realwirtschaft.

Es gibt zwar gute Nachrichten - für 2014 wird ein Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent erwartet - aber auch viele Unsicherheiten. Neben dem Hypothekendesaster haben die Banken auch heftige Probleme in ihrem sonstigen Geschäft: Mehr als die Hälfte der Kredite an die Privatwirtschaft sind faul. Die Häuserpreise sind innerhalb der letzten zwölf Monate mehr als 23 Prozent gestiegen - wenn auch nur in Dublin. Es drängt sich die Frage auf, ob es sich dabei um eine Preiskorrektur oder eine neue Blase handelt.

Vielerorts wurden die Sparbemühungen gelobt, die Ratingagenturen haben ihre Bewertungen für irische Staatsanleihen angehoben, aber für einen ausgeglichenen Haushalt fehlten auch 2013 noch gut zwölf Milliarden Euro. Die geringe Interner Link: Inflation hat derweil den realen Effekt, dass der 206 Milliarden Euro hohe Schuldenberg - mittlerweile 124 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - weiter wächst.

"Die Verschwender aus den Zeiten des keltischen Tigers sparen heute fast wie eine schwäbische Hausfrau."

Obwohl über 60 Milliarden Euro Richtung irische Kreditinstitute gepumpt wurden, warnte die Irische Zentralbank unlängst, dass das nationale Bankensystem immer noch "weit davon entfernt ist, gut zu funktionieren".

Die Verschwender aus den Zeiten des keltischen Tigers sparen heute fast wie eine schwäbische Hausfrau: Ein Drittel der Iren legt nun regelmäßig Geld zur Seite. Und während die, die Geld haben, lieber sparen als ausgeben, hat meine Generation nach Boom und Pleite gar nichts mehr übrig, wenn sie für Lebensmittel gezahlt und ihre Kreditraten bedient hat. Da ist es nur ein kleines Wunder, dass die deutschen Discounter Aldi und Lidl zweistellig wachsen und inzwischen einen Marktanteil von fast 16 Prozent erreicht haben. Die Kehrseite des Märchens vom irischen Wunderknaben ist, dass nun 15 Prozent der Bevölkerung in Armut leben, darunter 200.000 Kinder. Die Arbeitslosenquote liegt bei viel zu hohen zwölf Prozent.

Ja, es gibt wieder gute Nachrichten aus Irland, aber es gibt auch eine neue Generation der stillen Verzweiflung. Meine College-Freundin lebt nun in einem winzigen Haus mit drei Zimmern und zwei heranwachsenden Kindern. Die Überschuldung führt dazu, dass sie das Haus weder verlassen noch hier auf Dauer bleiben kann. Ein frei verfügbares Einkommen hat sie nicht.

Die Sparpolitik hat Irland aus der Krise geholfen, viele der Sparmaßnahmen waren notwendig, um das Boot wieder flott zu machen. Allerdings verfehlten die Retter in einem entscheidenden Punkt ihr Ziel: Indem man es den Iren nicht erlaubte, sich wenigstens eines Teils der Schulden zu entledigen, haben unsere Partner in der EU meine Generation - und damit diejenigen, die die Tilgung der Schulden schultern muss -, ins Unterdeck der irischen Galeere verbannt. Hier müssen sie ihre - und die Schuld anderer - bis zum Ende ihrer Tage abarbeiten.

Martin Alioth (© Annette Boutellier)

Standpunkt Martin Alioth:

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Derek Scally, Jahrgang 1977, berichtet seit dem Jahr 2000 für die Irish Times aus Berlin.