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Zur historischen Entwicklung von Neoklassik und Keynesianismus

Till van Treeck

/ 5 Minuten zu lesen

Welche Denkschulen bestimmen heute den volkswirtschaftlichen Diskurs und wie haben sie sich entwickelt? Von der Neoklassik über den Keynesianismus und Friedmans neoklassische Gegenrevolution bis hin zum "Neuen Konsens der Makroökonomik" stellt der Text die wichtigsten Strömungen vor.

Milton Friedman (1912-2006) und John Meynard Keynes (1883-1946) (© Friedman (links): Public Domain; Keynes (rechts): picture alliance / akg)

Die "keynesianische Revolution" der 1930er Jahre

Die Neoklassik war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die dominierende Denkschule in der Volkswirtschaftslehre. Eine traditionelle Schlussfolgerung der Neoklassik ist, dass Arbeits-, Güter- und Finanzmärkte zur Selbstregulierung neigen und ohne verzerrende staatliche Eingriffe zu einer Gleichgewichtssituation tendieren. Dieses Gleichgewicht ist dadurch gekennzeichnet, dass keine übermäßige Arbeitslosigkeit vorliegt und die wirtschaftlichen Interessen von privaten Haushalten und Unternehmen über den Marktmechanismus (Angebot und Nachfrage) zum gegenseitigen Vorteil koordiniert werden.

In den späten 1920er und 1930er Jahren wurde das volkswirtschaftliche Denken allerdings durch die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise, die auch als "Große Depression" bezeichnet wird, erschüttert. Mitten in der Krise veröffentlichte der britische Ökonom John Maynard Keynes 1936 seine "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes", eines der einflussreichsten volkswirtschaftlichen Werke des 20. Jahrhunderts. Keynes meinte, den starken Rückgang der Produktion und den damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu Beginn der 1930er Jahre durch einen allgemeinen Mangel an Güternachfrage erklären zu können, welcher in der neoklassischen Theorie zumindest in ihrer damaligen Auslegung kaum möglich erschien. Er empfahl daher eine aktive Steuerung der Nachfrage durch die Zinspolitik der Zentralbank, einen aktiven Staat mit hohen Staatsausgaben und eine Reduzierung der Einkommensungleichheit zur Stärkung der Massenkaufkraft. In den Wirtschaftswissenschaften spricht man in diesem Zusammenhang von der "keynesianischen Revolution".

In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war der Keynesianismus die dominante Denkschule in der Wirtschaftspolitik. Der Wohlfahrtsstaat wurde in den reichen Ländern auf Basis von hohen Steuern und Sozialversicherungsabgaben ausgebaut; die Finanzmärkte waren stark reguliert und internationale Kapitalströme wurden begrenzt; die Arbeitslosigkeit war gering, die Gewerkschaften befanden sich in einer starken Verhandlungsposition, und es wurden weitgehende verteilungspolitische Maßnahmen ergriffen, die die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen gering halten sollten. Große Teile der Wirtschaft waren durch staatliche Unternehmen bzw. staatliche Regulierung geprägt.

Die "neoklassische Gegenrevolution" der 1970er Jahre

Allerdings geriet auch diese Ausrichtung der Wirtschaftspolitik in die Krise. In den 1970er Jahren kam es zu einem Anstieg der Inflation bei gleichzeitigem Anstieg der Arbeitslosigkeit ("Stagflation"). Es kam zu zunehmend harten Verteilungskämpfen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, die sich gegenseitig mit immer höheren Lohnforderungen und Preissteigerungen überboten. In einigen Ländern lähmten vermehrte Streiks die wirtschaftliche Dynamik. Die traditionellen keynesianischen Rezepte der Geld- und Fiskalpolitik erschienen ungeeignet, die Stagflation zu überwinden. Vor diesem Hintergrund setzte in den 1970er Jahren in Wissenschaft und Politik eine "neoklassischen Gegenrevolution" ein. Eine wichtige Rolle spielten hier die Arbeiten des Ökonomie-Nobelpreisträgers Milton Friedman, durch dessen Ideen u.a. die Regierungen von Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA inspiriert wurden. In den meisten Ländern wurden nun angebotsseitige Reformen durchgesetzt. Ziel war es, Ineffizienzen im Staatsapparat zu beseitigen und verstärkte Leistungsanreize für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie private Unternehmen zu schaffen, um die Angebotsbedingungen der Volkswirtschaft zu verbessern. Zu diesem Zweck wurden Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen gesenkt. Außerdem wurde in vielen Ländern durch die Deregulierung des Arbeitsmarkts (z.B. Abbau des Kündigungsschutzes, Kürzung der Arbeitslosenunterstützung) die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt. Gleichzeitig wurden die nationalen Zentralbanken zunehmend unabhängig von der Politik, und der staatlichen Ausgabenpolitik wurden Grenzen gesetzt. Hierdurch sollte verhindert werden, dass durch staatlich betriebene Nachfragesteigerung lediglich kurzfristige "konjunkturelle Strohfeuer" erzeugt werden und die eigentlich notwendigen strukturellen Reformen vergessen werden.

Im Zuge der in den 1980er Jahren einsetzenden und sich mit der Auflösung des kommunistischen Ostblocks zu Beginn der 1990er Jahre beschleunigenden Globalisierung wurden zunehmend auch internationale Handelsbeschränkungen abgebaut. Die internationalen Finanzmärkte wurden dereguliert. Hierdurch sollte der internationale Wettbewerb gestärkt werden und Ineffizienzen beseitigt werden, die auf die Abschottung der nationalen Ökonomien vor internationaler Konkurrenz zurückgeführt wurden.

Das "Ende der Geschichte"?

Während der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Zusammenhang mit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West sogar vom "Ende der Geschichte" sprach, schienen auch in der makroökonomischen Theorie in den 1990er und 2000er Jahren die Grenzen zwischen neoklassischen und keynesianischen Ansätzen nach und nach zu verschwinden. Einige Ökonominnen und Ökonomen sprachen daher auch vom "Neuen Konsens der Makroökonomik". Danach wurde das kurzfristige Auf und Ab der Konjunktur mit Nachfrageschwankungen erklärt und sollte entsprechend mit keynesianischen Instrumenten begrenzt werden (Konjunkturpolitik). Als entscheidend für die längerfristige Entwicklung der Wirtschaftsleistung galten aber angebotsseitige Bedingungen (Strukturreformen). Für die kurzfristige Konjunktursteuerung galt die Geldpolitik der Zentralbank als bevorzugtes Instrument, während die staatliche Ausgabenpolitik kritisch gesehen wurde. Gründe hierfür waren, dass staatliche Ausgabenprogramme als tendenziell ineffizient im Vergleich zu privaten Initiativen angesehen wurden und dass ein weiterer Anstieg der Staatsverschuldung befürchtet wurde.

Die Rückkehr der Denkschulen

Spätestens mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 und mit der Eurokrise seit 2010 ist der theoretische Grundkonflikt zwischen Neoklassik und Keynesianismus mit voller Macht in die wirtschaftspolitische Debatte zurückgekehrt. Zunächst reagierten die meisten Regierungen in den Jahren 2008 und 2009 mit umfangreichen, keynesianisch inspirierten, Ausgabenprogrammen auf die Krise. Viele Ökonominnen und Ökonomen argumentierten, dass diese Notfallmaßnahmen nötig waren, um einen wirtschaftlichen und politischen Niedergang vom Ausmaß der Großen Depression zu vermeiden. Zunehmend wurden in den Wirtschaftswissenschaften auch Stimmen laut, welche den Anstieg der Einkommensungleichheit in vielen Ländern als eine wichtige Ursache für die Finanzkrise ansehen. Ihr Argument ist, dass die unteren und mittleren Einkommensschichten sich in vielen Ländern (v.a. USA und Großbritannien) verschulden mussten, um ihre Konsumnachfrage hoch zu halten, weil ihre Einkommen nicht mehr oder kaum noch stiegen. Viele sprechen in diesem Zusammenhang von der "Rückkehr des Keynesianismus" und fordern eine gleichmäßigere Einkommensverteilung als Antwort auf die Überschuldung vieler Privathaushalte.

Mittlerweile sind viele Regierungen wieder zu einer angebotsorientierten Politik, inspiriert durch neoklassische Denkmuster, zurückgekehrt. Vielerorts wird eine entschlossene staatliche Sparpolitik (Austerität) betrieben, weil die wirtschaftlichen Probleme als im Wesentlichen strukturell bedingt interpretiert werden. In der Europäischen Union und speziell in der Eurozone wird diese Politik insbesondere von der deutschen Bundesregierung gefordert. Zugleich kritisieren einige internationale Beobachter die aus ihrer Sicht antikeynesianischen Positionen in Deutschland und diagnostizieren der Eurozone sogar ein "Deutschland-Problem" im Zusammenhang mit den aus ihrer Sicht negativen Folgen der Austeritätspolitik. Viele Anhänger neoklassischer Konzepte halten hingegen den Keynesianismus nach den Erfahrungen der 1970er Jahre nach wie vor für gescheitert. Somit ist gegenwärtig noch unklar, in welche Richtung sich das ökonomische Denken in den nächsten Jahren entwickeln wird.

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Till van Treeck ist Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Er studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Lille, Münster und Leeds. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Einkommensverteilung aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, Wirtschaftspolitik und (sozio-)ökonomische Bildung.