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Analyse: Die innenpolitische Situation vor den Parlamentswahlen im Herbst | Polen-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die innenpolitische Situation vor den Parlamentswahlen im Herbst Polen-Analysen Nr. 313

Janusz A. Majcherek

/ 15 Minuten zu lesen

Im Herbst finden in Polen Parlamentswahlen statt. Noch zeichnet sich nicht ab, ob das rechtspopulistische Regierungslager oder die demokratische Opposition gewinnen wird.

Der Plenarsaal des polnischen Parlaments. (© picture-alliance/dpa, epa pap Pietruszka)

Zusammenfassung

Die Parlamentswahlen im Herbst in Polen werden nach Meinung unabhängiger Beobachter und Kommentatoren eine besondere, wenn nicht gar bahnbrechende Bedeutung haben, denn sie werden nicht nur darüber entscheiden, wer in den kommenden vier Jahren die Regierungsverantwortung übernehmen wird, sondern auch darüber, ob das seit zwei Legislaturperioden von der rechtspopulistischen Regierung aufgebaute autoritäre System zur Vollendung kommt. Sollte es dazu kommen, könnten dies die letzten Wahlen sein, welche die demokratische Opposition gewinnen könnte.

Der Aufbau des autoritären Systems in Polen findet seit acht Jahren statt. In dieser Zeit regierte das rechtspopulistische Lager, das von Jarosław Kaczyński, dem Parteichef von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), geführt wird. Wie bei Autokraten üblich, zeugt schon der gewählte Parteiname von Lug und Trug. Zwei Legislaturen lang wurden die Institutionen des demokratischen Staates mit Funktionären der PiS besetzt und dem Willen Kaczyńskis und der von ihm geführten Partei untergeordnet. Das betrifft auch die Gerichte, das Verfassungstribunal (Trybunał Konstytucyjny) inbegriffen, so dass es unmöglich ist, das eigenmächtige Vorgehen des Regierungslagers aufzuhalten oder anzufechten, das offenkundig die Verfassung, die Gewaltenteilung und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzt. Bei vollkommener Straffreiheit, die auch von der PiS-nahen Staatsanwaltschaft garantiert wird, wurde die organisierte Inbesitznahme des Staates und des öffentlichen Eigentums vollzogen.

Dieses Vorgehen wurde wiederholt von unabhängigen ausländischen und internationalen Institutionen, insbesondere der Europäischen Union, verurteilt und bestraft. Das wohl spektakulärste Beispiel ist hier die von der Europäischen Kommission zurückgehaltene Auszahlung von knapp 60 Milliarden Euro im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF), dem post-Covid-Hilfspaket, was auf die notorischen Verstöße der polnischen Regierung gegen die Rechtsstaatsprinzipien zurückzuführen ist (siehe Polen-Analysen 298, Externer Link: https://www.laender-analysen.de/polen-analysen/298/).

Das Kräfteverhältnis in der Opposition

Die Oppositionsparteien erhalten in den Wahlen manches Mal mehr Stimmen als die PiS, erlangen aber aufgrund ihrer Zersplitterung nicht die parlamentarische Mehrheit. Die in den Parlamentswahlen geltende Stimmauszählung nach dem d’Hondtschen System begünstigt die größten Parteien, diskriminiert die kleineren und schließt die kleinsten mit der Fünf-Prozent-Hürde aus. Vor einigen Monaten entstand daher das Konzept, eine gemeinsame Wahlliste für die gesamte demokratische Opposition aufzustellen, also für vier Gruppierungen. Die kleineren widersetzten sich, offensichtlich aus Angst, von der stärksten Oppositionspartei, der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), dominiert zu werden.

Diese gewann an neuer Dynamik durch Donald Tusk, der erneut ihre Führung übernahm, nachdem er aus Brüssel zurückgekehrt war, wo er fünf Jahre die EU-Ratspräsidentschaft ausgeübt hatte. Noch vor seiner Rückkehr nach Polen und vor den letzten Parlamentswahlen verbündete sich die PO mit der Partei Die Grünen (Partia Zieloni) und einer der kleineren linken Gruppierungen und tritt seitdem als Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO) auf. Tusk zeigt sich seit vielen Monaten sehr aktiv, vor allem in Form von Treffen und Diskussionen mit den Einwohnern von Städten und Regionen, die großen Zuspruch erhalten. Das offene und spontane Format dieser Diskussionen steht in deutlichem Kontrast zu den für Jarosław Kaczyński organisierten Veranstaltungen, zu denen Parteiaktivisten gebracht und bei denen vorher vorbereitete Fragen vorgelesen werden, und die insgesamt allzu offensichtlich von Spezialisten des politischen Marketing inszeniert werden.

Als Höhepunkt der Aktivitäten Tusks und als sein außerordentlicher Erfolg erwies sich die Antiregierungsdemonstration, die von ihm initiiert und am 4. Juni 2023 durch die Straßen Warschaus geführt wurde. Es war der Jahrestag der halbfreien Wahlen im Jahr 1989, die die Kommunisten von der Macht abgelöst und den Weg zu einem demokratischen Polen eröffnet hatten. Die mehrere Hunderttausend zählende Menschenmenge, die gegen die autoritäre Regierung des rechten Lagers in fröhlicher und optimistischer Atmosphäre protestierte, machte einen starken Eindruck auf Beobachter, Kommentatoren und Bürger. Außer der zentralen Demonstration in der Hauptstadt gab es auch in anderen Städten solche Manifestationen. Es waren vermutlich die größten Straßendemonstrationen seit 1989.

Getragen von dem geweckten Enthusiasmus, rief Tusk zu weiteren Antiregierungsdemonstrationen auf, beginnend in Posen (Poznań), wo sich mehrere Tausend Einwohner versammelten, und fortgesetzt in anderen Regionen mit vergleichbarem Erfolg.

Die Anerkennung für die Aktivitäten Tusks und der KO spiegelte sich auch in den Umfragen. Die vorher zwischen 25 und 27 Prozent liegenden Werte steigerten sich auf 30 Prozent und mehr.

Die Stärkung der KO vollzieht sich allerdings auf Kosten der übrigen demokratischen Oppositionsparteien, folglich vergrößert sich die Gesamtunterstützung für diese nicht und sie gewinnt kein deutliches Übergewicht gegenüber der PiS. Tusk vollzog eine Umorientierung der von ihm geführten konservativ-liberalen PO nach links. Er legte fest, dass er niemanden auf den Kandidatenlisten zulässt, der sich gegen die Legalisierung von Abteibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ausspricht, er befürwortete die Erhöhung öffentlicher Investitionen und versprach ein Programm zur finanziellen Unterstützung von Müttern, die auf den Arbeitsmarkt zurückkehren wollen. Als Kaczyński die Erhöhung des Kindergeldes von 500 auf 800 Zloty (ca. 180 Euro) ab dem kommenden Jahr ankündigte, schlug Tusk vor, die Erhöhung noch vor den Parlamentswahlen einzuführen, um ihr den Charakter der Erpressung zu nehmen („die PiS gibt die Erhöhung, wenn ihr sie wählt“), was die Regierungspartei in Verwirrung brachte. Sie behandelt Tusk als ihren größten Feind und bekämpft ihn mit allen, auch niederträchtigen, Mitteln. Je mehr sie von seiner Aktivität in die Defensive gedrängt wird, desto brutaler beißt sie um sich.

Die Linkswende Tusks und der KO hat dem linken politischen Spektrum, das sich aus einigen kleineren Gruppierungen zusammensetzt, einen Teil der Wähler genommen. In den letzten Wahlen hat das linke Bündnis mehr als zwölf Prozent erhalten, jetzt zeigen die Umfragen seit vielen Monaten weniger als zehn Prozent Unterstützung an. Tusks linksorientierte Erklärungen nähern sie jedoch ihm und der PO an. Tusk hatte die Anführer der Linken eingeladen, auf der Demonstration am 4. Juni zu sprechen, was sie wahrnahmen und was gut aufgenommen wurde.

Deutlich schwächer wird die neue Gruppierung, die nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 von dem damaligen Präsidentschaftskandidaten Szymon Hołownia gegründet wurde, einem recht populären und beliebten katholischen Publizisten und Fernsehmoderator. Er hatte ziemlich unerwartet kandidiert, ohne vorherige politische Erfahrung und organisatorische Unterstützung und erhielt fast 14 Prozent der Stimmen. Gestützt auf dieses Ergebnis beschloss er, eine politische Bewegung ins Leben zu rufen, die eine Alternative zu den beiden dominierenden Lagern sein sollte, deren Vertreter im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen gegeneinander antraten (es gewann der mit der PiS verbundene Andrzej Duda, der mit einigen Hunderttausend Stimmen den Kandidaten der PO, Rafał Trzaskowski, überholte). Ein Teil der öffentlichen Meinung wirft Hołownia vor, die Opposition auseinanderzubringen, da er die wiederholt vorgebrachte Einladung, seine Kräfte mit der KO zu bündeln, standhaft ablehnte. Er berief sich dabei darauf, dass es der Gründung einer politischen Repräsentation für diejenigen Wähler bedürfe, die sich in der polarisierten politischen Konfrontation nicht wiederfinden. Weiter argumentierte er, dass sich in Ungarn eine gemeinsame Wahlliste der gegen das autoritäre Regierungslager gerichteten Opposition nicht bewährt hat. Sicherlich ging es ihm auch darum, seine selbständig startende politische Bewegung in den Wahlen zu testen.

Der Reiz des Neuen brachte seiner Gruppierung, die den etwas anmaßenden Namen Polen 2050 (Polska 2050) trägt, deutlich mehr als zehn Prozent Unterstützung in den Umfragen, später fielen die Werte dauerhaft unter zehn Prozent. Er entschied sich dann zur Zusammenarbeit mit der seit langem in der polnischen Politik präsenten Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL), deren Umfragewerte gefährlich um die fünf Prozent schwankten und die ebenfalls einen Verbündeten suchte. Hołownia hat klar erkannt, dass ein Bündnis mit einem schwächeren Partner seine Position nicht in der Weise wie mit einem stärkeren Akteur untergraben würde. Im Ergebnis dieser Vereinbarung entstand das Bündnis Dritter Weg (Trzecia Droga). Nach den ersten relativ hohen Umfragewerten pendelte es sich ebenfalls um die zehn Prozent ein. Hier scheint die ernstzunehmende Gefahr auf, dass es in den Wahlen unter acht Prozent fallen könnte, der Grenzwert für Wahlbündnisse. Sollte irgendeine der oppositionellen Gruppierungen unter diese Schwelle sinken und daher keine Mandate im Sejm erhalten, würde das der Opposition mit großer Wahrscheinlichkeit die Chance auf die Regierungsübernahme nehmen und die Regierungszeit der Rechtspopulisten verlängern. Inoffiziellen Signalen zufolge, die allerdings von Hołownia dementiert werden, wird die PSL bei fortgesetzt niedrigen oder schwächer werdenden Ergebnissen des Dritten Weges das Projekt fallen lassen und sich der PO anschließen. In den Jahren 2007 bis 2015 haben sie gemeinsam die Regierungsverantwortung übernommen und außerdem gehören beide zur selben Fraktion im Europäischen Parlament; die Grundlagen für eine Zusammenarbeit sind also solide.

Dagegen gewinnt seit Monaten eine Gruppierung mit dem Namen Konföderation (Konfederacja) an Stärke, die radikale Libertäre mit ebenso radikalen Nationalisten und Antieuropäern verbindet und deren Profil an die AfD in Deutschland erinnert. Seit einiger Zeit übersteigt sie regelmäßig die zehn Prozent und liegt in manchen Umfragen auf dem dritten Platz (bei den letzten Wahlen erreichte sie 6,81 Prozent). Manchen Interpretationen zufolge ist der Anstieg der Werte für die Konföderation auf den Schwenk der PO nach links und die Preisgabe der konservativen Liberalen zurückzuführen, deren Unterstützung der sowohl präsente als auch demagogische Anführer der Konföderation, Sławomir Mentzen, abgefangen haben soll. Auch wenn er und andere Akteure der Konföderation erklärtermaßen eine Zusammenarbeit mit der PiS und die Bildung einer gemeinsamen Regierung nach den Wahlen ausschließen und dies mit Uneinigkeit über die sozialen Versprechungen der PiS begründen, wird die Konföderation doch als potentieller Bündnispartner für die an Unterstützung verlierende Regierungspartei gesehen – wenn vielleicht auch nicht in Form einer offiziellen Koalition, so doch als potentieller Personalbestand. Die PiS ist bekannt für ihre Bereitschaft und Fähigkeit, einzelne Abgeordnete mit lukrativen Posten in PiS-nahen öffentlichen Institutionen zu versorgen.

Gleiche und faire Wahlen?

Der Bereich und das Ausmaß dieser Unterordnung bewirkt, dass die Parlamentswahlen im Herbst sicherlich nicht gleich und nicht fair sein werden. Für den Erfolg der PiS arbeiten alle öffentlichen Medien, die seit langem eine aufdringliche Pro-Regierungs- und Anti-Oppositionspropaganda betreiben. Sie tun dies straffrei, denn auch die Institutionen der Medienaufsicht wurden mit PiS-Funktionären besetzt, die die unabhängigen Medien drangsalieren. Staatliche Konzerne senden Werbefilme, die im Grunde Wahlspots für die PiS sind und ihre Regierung preisen. Für die Regierungspartei arbeitet auch die Polnische Nationalbank (Narodowy Bank Polski –NBP), die von Adam Glapiński, einem langjährigen engen Mitarbeiter Kaczyńskis, geführt wird und eine Geldpolitik nach seinen Wünschen und Anordnungen auflegt. Befürchtungen weckt außerdem die mit Kaczyński-Leuten besetzte Kammer des Obersten Gerichts (Sąd NajwyższySN), die die Gültigkeit der Wahlen und das Wahlergebnis bestätigen soll.

Kaczyński selbst und seine Mitarbeiter unternehmen zusätzliche Versuche, auf das Ergebnis der kommenden Wahlen Einfluss zu nehmen. Dazu gehört u. a., dass zusätzliche Wahllokale in Dörfern und Kleinstädten eingerichtet werden sollen, insbesondere in der Nähe von Kirchen, und die Kommunen zu dem Angebot verpflichtet werden, ältere Wähler zu den Wahllokalen zu bringen. Die Wählerschaft auf dem Land (welche die älteste ist und kirchlich geprägt) sind die treusten Kaczyński- und PiS-Anhänger. Die Wahlen finden traditionell an einem Sonntag statt, also am Tag der katholischen Gottesdienste, nach denen viele Teilnehmer direkt zur Stimmabgabe gehen. Gleichzeitig blockiert die PiS die seit langem von der Staatlichen Wahlkommission (Państwowa Komisja Wyborcza  – PKW) empfohlene Korrektur der Anzahl der Mandate, die auf die einzelnen Wahlkreise entfallen und die sich aus Veränderungen bei der Anzahl der Bevölkerung und der wahlberechtigten Einwohner ergibt. Die Korrektur würde bedeuten, dass den Wahlkreisen in den Großstädten mehr Mandate zugeordnet werden – in den Großstädten gewinnt gewöhnlich die Opposition.

Kaczyński verkündete auch die Absicht, zusammen mit den Parlamentswahlen ein Referendum zur von der EU angepeilten Relokation von Flüchtlingen durchzuführen. Da der gesellschaftliche Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus außereuropäischen Ländern deutlich ist, zählt Kaczyński sicherlich darauf, dass die, die in einem möglichen Referendum dagegen stimmen, ihre Stimme auch lieber seiner Partei geben, die sich dem Relokationsmechanismus widersetzt. Rasch zeigte sich allerdings, dass Polen keineswegs am Relokationsprogramm teilnehmen muss, da es über eine Million ukrainischer Geflüchteter aufgenommen hat, sondern sich vielmehr um Unterstützung bemühen kann. Die Bedingung war, an die Europäische Kommission mit einem entsprechenden Antrag der polnischen Regierung heranzutreten, was sie aber nicht getan hat. Dies brachte der Regierung nicht nur Kritik ein, sondern auch Spott.

In den letzten Wochen wurde ein weiterer Versuch unternommen, auf den Verlauf und die Ergebnisse der Wahlen Einfluss zu nehmen, indem eine Sonderkommission berufen werden soll, die russische Einflüsse auf die polnische Politik untersuchen soll. Es handelte sich um das für die PiS typische Manöver, eine Narration umzukehren: In einigen von unabhängigen Investigativjournalisten veröffentlichten Büchern sowie in vielen Presse- und Fernsehbeiträgen wurden zahlreiche Fälle von Verbindungen zwischen Akteuren der aktuellen Regierung und Organisationen, die direkt oder indirekt vom Kreml gesteuert werden (sog. „Einflussagenten“), dokumentiert. Um die Aufmerksamkeit von den eigenen Verstrickungen abzuwenden und gleichzeitig die Opposition zu schwächen, soll die besagte Sonderkommission Beweise für angebliche prorussische Aktivitäten der Regierung von Donald Tusk (2007 bis 2014) liefern und diesem das Recht entziehen, öffentliche Funktionen auszuüben, und dies alles willkürlich, ohne Gericht und die Möglichkeit, in Berufung zu gehen, und dabei straflos, denn den Mitgliedern der Kommission wird Immunität zugesichert. Die Abstimmung im Sejm und die Unterzeichnung des Gesetzes zur Berufung einer Kommission, die Assoziationen an die berüchtigte McCarthy-Kommission auslöst und die paradoxerweise an die russischen Vorschriften für ausländische Agenten angelehnt ist, rief Empörung und Proteste europäischer und US-amerikanischer Institutionen hervor. Die Reaktionen hatten die Vertreter der Regierung sowie Präsident Duda selbst mit Erklärungen angeheizt, dass die protestierenden Europäer und Amerikaner die Gründe für die Entstehung der Kommission und die Bedingungen ihres Funktionierens angeblich nicht verstehen. Duda erklärte, er werde US-Präsident Joe Biden alles persönlich erklären, womit er Spott auf sich zog. Unter dem Einfluss solcher Reaktionen unternahm Duda einen raschen Versuch, das Gesetz zu novellieren, das er wenige Tage zuvor eilfertig unterschrieben und laut gelobt hatte, was ihm neuen Spott einbrachte. Diese Novelle wurde vom Sejm mit Mehrheit bestätigt. Die Sonderkommission soll es geben, aber sie wird nicht so weit gefasste Befugnisse haben, wie im ursprünglichen Gesetz festgelegt. Die Regierung erweckt den Anschein, als wolle sie keinen schnellen Einsatz der Kommission, für den sie sich zuvor beeilt hat. Die gesamte Opposition kündigte den Boykott der Kommission an.

Erfolglose Versuche, die Narration umzukehren

Gleichzeitig startete das der Regierung vollkommen untergeordnete öffentliche Fernsehen die Ausstrahlung einer Dokumentarserie, die die angeblich prorussische Einstellung und Aktivitäten Tusks sowie seiner Mitarbeiter und mit ihm verbundener Politiker belegen soll. Bereits nach der Ausstrahlung des ersten Teils protestierte ein amerikanischer Finanzfachmann, der seit Jahren Geschäfte mit Russland macht und dessen Äußerung in der Dokumentation verwendet wurde. Seiner Aussage nach handelt es sich um eine Manipulation und er hebt hervor, dass „er nicht viele Leute kennt, die sich so erfolgreich wie Radek [Radosław Sikorski, Außenminister von 2007 bis 2014, JAM] Putin entgegen gestellt haben“, während im Film versucht worden war, Sikorski als Günstling Russlands darzustellen. Ähnlich reagierte der britische Publizist Edward Lucas, dessen Aussage ebenfalls im Film eingesetzt wurde, worüber er „entsetzt“ sei, wie er schrieb.

Unterdessen wurden von WikiLeaks US-amerikanische Geheimnachrichten aus dem Jahr 2008 enthüllt, d. h. aus der Zeit, als Tusk Ministerpräsident und Sikorski Außenminister war. Sie belegen, dass man in der damaligen US-Administration Angst vor einer zu stark antirussischen Einstellung der polnischen Regierung hatte. Verwendet wurde sogar die Formulierung „Sikorski-Doktrin“, der zufolge der damalige Außenminister vorgeschlagen haben soll, jede Maßnahme Russlands mit dem Ziel, die Grenzen eines Landes zu verändern, als Gefahr für die europäische Sicherheit anzuerkennen und mit einer „angemessen Antwort des gesamten Nordatlantikpaktes“ zu reagieren. Weiter habe er gewarnt, dass Polen eine „Wiederholung des georgischen Szenarios in der Ukraine“ nicht tolerieren werde. Nach Bewertung der US-amerikanischen Botschaft sei Polen ein treuer Bündnispartner der USA und befürworte, eine Politik zu betreiben, die Russland Einhalt gebiete, das es für eine ernste Gefahr halte. Amerikanische Diplomaten in Moskau wiederum schickten Nachrichten nach Washington, in denen sie darüber informierten, dass die russische Regierung über einen Auftritt Sikorskis empört sei, bei dem er vor Russland gewarnt und die US-Regierung zur Stationierung amerikanischer Truppen in Polen aufgerufen hatte, was vom Kreml als feindlicher Akt vonseiten der polnischen Regierung aufgefasst wurde.

In diesem Zusammenhang wurde auch daran erinnert, dass Sikorski sich deutlich gegen den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 gestellt und die deutsch-russische Vereinbarung darüber als Hitler-Stalin-Pakt bezeichnet hatte, was damals sogar von vielen unabhängigen Kommentatoren als zu scharf verurteilt worden war.

Die Beschwörung des Themas russischer Einflussnahme hatte bei unabhängigen Journalisten und Medien zur Folge, dass sie an früher bereits bekannte bzw. neuere Fälle von Verwicklungen der Politiker des Regierungslagers in zweideutige Beziehungen zu Personen erinnern, die der Verbindung zu Russland verdächtigt werden.

Das Regierungslager gegenüber der Gefahr einer Wahlniederlage

Tusk die Ausübung öffentlicher Ämter zu verweigern, sollte dazu führen, dass er nicht noch einmal das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen kann, falls die KO stärkste Kraft im Parlament wird. Die Maßnahmen, die den Machtverlust der PiS verhindern sollen, zeigen aber auch, dass ihre Funktionäre mit einer Wahlniederlage rechnen. Je intensiver und zahlreicher die außerrechtlichen und informellen Versuche, den Wahlsieg der Opposition zu verhindern, desto stärker der Verdacht, dass das Regierungslager die eigene Niederlage als wahrscheinlich betrachtet.

Dies bestätigte Duda indirekt, als er überraschend eine angebliche Systematisierung von Kompetenzfragen vor der regulären Übernahme der EU-Präsidentschaft durch Polen in der ersten Jahreshälfte 2025 vorschlug. Als er seinen Gesetzesentwurf dazu vorstellte, zeigte sich, dass dieser ihm viele Vorrechte im Bereich der Europapolitik einräumt, die der aktuellen Regierung dienen. Er könnte u. a. Kandidaturen polnischer Vertreter für Institutionen in der Europäischen Union bestätigen, also auch blockieren, sowie Polen auf EU-Gipfeln der Staats- und Regierungschefs repräsentieren. Das nährt den Verdacht, dass auch er sich auf eine Regierung der aktuellen Opposition vorbereitet und im Vorhinein versucht, ihren Handlungsspielraum zu beschneiden. Unabhängig von diesem Vorgehen hat er ohnehin das Vetorecht für Parlamentsgesetze, von dem er sicherlich häufig Gebrauch machen wird, wenn die aktuelle Opposition die Mehrheit hat. Dudas Amtszeit endet im Herbst 2025.

Der Präsident kann aber noch auf eine andere Art das Wahlergebnis beeinflussen. Zu seinen Befugnissen gehört es, den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu designieren, dem dann innerhalb einer bestimmten Zeit das Vertrauen ausgesprochen werden muss, d. h. er muss die Mehrheit im Sejm hinter sich versammeln. Da es wahrscheinlich ist, dass Kaczyńskis Gruppierung die meisten Stimmen und Abgeordnetenmandate erhalten wird – solange die Opposition verteilt auf drei gesonderte Listen die Wahlen antreten wird –, könnte Duda einen PiS-Vertreter für den Posten des Ministerpräsidenten designieren, der ihm von Kaczyński angewiesen wird. Duda selbst und die gesamte aktuelle Regierungsmannschaft würden Zeit bekommen, einzelne Abgeordnete der anderen Gruppierungen zu korrumpieren und auf die eigene Seite zu ziehen. Sollten nur wenige Stimmen zur Mehrheit im Sejm fehlen, könnte ein solches Manöver glücken und sich die Regierungszeit der populistischen Rechten verlängern und die Einführung der Autokratie in Polen vollenden.

Das Regierungslager befand sich zweifellos in einer Imagekrise und in der politischen Defensive, was sogar manche seiner Akteure öffentlich einräumen. Intern kommt es zu fieberhaften und dadurch chaotischen Versuchen, die politische Initiative wiederzuerlangen. Zuerst wurde der Chef des PiS-Wahlkampfbüros ausgetauscht und danach wurde Kaczyński selbst als Vizeministerpräsident in die Regierung aufgenommen, was als Wunsch einer stärkeren internen Kontrolle gedeutet wurde. Das ist allerdings insofern ein kurioser Schritt, als er genau vor einem Jahr von diesem Regierungsposten abtrat und argumentierte, dieser lasse sich nicht mit der Ausübung seines Parteivorsitzes vereinbaren.

Solcherlei chaotische und sonderbare Maßnahmen verstärken den Eindruck, dass Wege gesucht werden, eine drohende Wahlniederlage abzuwenden. Diese ist allerdings nicht vorherbestimmt und einige Monate vor den Wahlen halten die Aktivitäten an, das Kräfteverhältnis zu beeinflussen.

Das polnische Parlament besteht, ähnlich wie der Bundestag, aus zwei Kammern und im Senat hält gegenwärtig die Opposition die Mehrheit, die in den vergangenen Wahlen eine gemeinsame Liste für den Senat aufgestellt hat. Ähnlich wird sicherlich im Herbst verfahren werden, mit der Absicht, zusätzliche Sitze im Senat zu erhalten und die bisherige Mehrheit noch zu stärken. Der Opposition kommt das Mehrheitswahlrecht für den Senat zugute, denn wie bereits gesagt, erhält die Opposition gewöhnlich mehr Stimmen als die PiS und wenn sie in jedem Senatswahlkreis einen gemeinsamen Kandidaten aufstellt, gewinnen diese in der Mehrheit der Kreise. Allerdings legte die parlamentarische Praxis, die notorisch den Interessen und dem Willen der den Sejm bestimmenden Regierungsmehrheit untergeordnet ist, die Schwäche des Senats offen, da fast alle seine Einwände, Gegenvorschläge und Initiativen abgelehnt wurden. Die Mehrheit im Senat zu erhalten, reicht nicht aus, um die Gefahr der vollständigen Autokratisierung Polens abzuwenden.

Folglich kann nur ein hoher, unanfechtbarer Sieg in den Wahlen zum Sejm der aktuellen demokratischen Opposition die Chance eröffnen, die rechtspopulistische Regierung von der Macht abzuziehen und der Vollendung des autoritären Systems vorzubeugen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

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ist Professor der Philosophie und Doktor der Soziologie und aktuell an der Akademia WSB in Dąbrowa Górnicza tätig. Er kommentiert politische und gesellschaftliche Themen in unabhängigen polnischen Medien (u. a. Gazeta Wyborcza, Polityka und TVN24) und arbeitet mit dem Deutsch-Polnischen Magazin DIALOG zusammen.