Europas Grenzen sind bis heute die Grenzen seiner Nationalstaaten. Nicht selten verlaufen diese Grenzen wie an Rhein, Oder, Donau und Memel entlang der großen europäischen Flüsse. Die Elbe bildete einst sogar die innerdeutsche Grenze. Bis heute hält sich deshalb das Bild von Flüssen als "natürlichen" Grenzen. Diese nationale Zuschreibung ist eine Hinterlassenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Onlinedossier Geschichte im Fluss der Bundeszentrale für politische Bildung wirft einen anderen Blick auf die europäischen Ströme. Immer haben Rhein, Oder, Memel, Elbe, Donau und Weichsel in ihrer Geschichte auch gemeinsame Räume hervorgebracht, haben Kulturlandschaften zu beiden Seiten ihrer Ufer zusammengehalten. Flüsse bilden nicht nur Grenzen, sie überwinden sie auch. Das aber erfordert einen mehr als nur nationalen Blick auf ihre Geschichte und Gegenwart. Gerade die großen Ströme Europas brauchen verschiedene Perspektiven. Als grenzüberschreitende Erinnerungsorte können sie die besten Botschafter Europas sein und ein Gegengift zur Renationalisierung der Erinnerung in Europa.
Evros - Meriç - Maritsa
Evros heißt er auf Griechisch, Meriç auf Türkisch und Maritsa auf Bulgarisch. Einst war dieser nur 515 Kilometer lange Fluss die Verbindung Europas zum Osmanischen Reich. Heute ist er vor allem eines: die Außengrenze der Europäischen Union. Die einen versuchen, sie zu überwinden. Die anderen wollen sie noch sicherer machen.
Die Wolga
Mit einer Länge von 3530 Kilometern ist die Wolga der größte Strom Europas. Und sie ist ein Mythos, hervorgebracht in zahlreichen Liedern oder Gemälden wie von Ilja Repin über die Wolgatreidler. Bevor die Wolga im 16. Jahrhundert zum Strom des Russischen Reiches wurde, war sie ein Vielvölkerstrom. Bis zu ihrer Deportation unter Stalin war die Wolga auch die Heimat der Wolgadeutschen, die auf Einladung der Zarin Katharina II. an der Wolga siedelten.
Die Marne
Über den Fluss weiß man wenig, über die Schlachten umso mehr. Zweimal - 1914 und 1918 - standen sich während des Ersten Weltkriegs Deutsche und Franzosen an der Marne gegenüber, und zweimal ging Frankreich als der Sieger aus den Schlachten hervor. Westlich des Rheins ist das "Wunder an der Marne" darum fest im kollektiven Gedächtnis verankert. In Deutschland steht der Fluss für zwei Niederlagen zu Beginn und zum Ende des Krieges. Doch die Marne hat es verdient, auch als Fluss wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken.

Die Weichsel
Die Weichsel ist Polens Nationalfluss. Schon zu Zeiten der Teilungen hat sie die österreichischen, russischen und preußischen Landesteile zusammengehalten. Doch die Weichsel mit ihren Städten Krakau, Warschau und Danzig ist auch ein großer europäischer Strom, berichten unsere Autoren aus Polen und Deutschland. Darüber hinaus wenden sich Städte wie Warschau wieder ihrem Fluss zu. Damit kann auch die Teilung in ein Polen A und ein Polen B überwunden werden.

Die Donau
Zu Zeiten des Habsburgerreichs war die Donau das blaue Band, das die verschiedenen Kronländer miteinander zur "Donaumonarchie" verband. Ende des zwanzigsten Jahrhunderts fanden dort die jüngsten Kriege in Europa statt. Aus Nachbarn waren Feinde geworden. Dennoch gibt die Donau wieder Anlass zur Hoffnung. Für unsere Autoren aus Österreich, Kroatien, Serbien, Bosnien, Bulgarien, Polen und Deutschland ist sie sogar "der Fluss Europas".

Die Elbe
Konrad Adenauer hat einst gescherzt, hinter der Elbe beginne die "asiatische Steppe". Tatsächlich ist die Elbe bis heute als Trennlinie bekannt. Auf 94 Kilometern bildete sie bis 1989 die innerdeutsche Grenze. Damit ist sie wie die Mauer in Berlin ein Symbol der europäischen Teilung. Doch in ihrer Geschichte hat sie immer auch verbunden, berichten unsere Autoren aus Tschechien und Deutschland. Böhmen lag und liegt, mit der Elbe, tatsächlich am Meer.

Die Memel
In Deutschland kennt man sie vor allem als "verlorenen Strom Ostpreußens" oder aus der ersten Strophe des Deutschlandlieds. Tatsächlich aber steht die Memel für das Zusammenleben von Weißrussen, Litauern, Polen, Juden und Deutschen in diesem Teil des Kontinents. Autorinnen und Autoren aus zahlreichen Ländern zeichnen den Lauf eines Stromes nach, der heute gleich zweimal die Außengrenze der EU bildet – und trotzdem viele Hoffnungen weckt.

Der Rhein
Kaum ein Strom wurde in Deutschland so besungen wie der "Vater Rhein". Mythen ranken sich um ihn, aber auch handfeste politische Konflikte. Frankreich beanspruchte ihn einst als "natürliche Grenze". Nikolaus Becker hielt dagegen: "Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein". Heute ist der Rhein als Wasserstraße eine der großen Wirtschaftsräume in Europa. Wie es dazu kam, schildern Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.

Die Oder
Kein anderer Fluss in Europa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr auf seine Funktion als Grenze reduziert wie die Oder. Als Oder-Neiße-Grenze war sie geradezu ein Synonym für die Nachkriegsordnung nach 1945. Doch die Oder war, vor allem in Schlesien, immer eine Brücke zwischen Deutschen und Polen. Autorinnen und Autoren aus beiden Ländern schildern, wie die Oder das Image als Grenze abstreifen und zum gemeinsamen narrativen Raum in Europa werden konnte.

Adolf Stock
Flüsse als religiöse Symbole
Die Elbe protestantisch, der Rhein katholisch? So einfach ist es nicht. Europas religiöse Landkarte ist so fließend wie der Lauf der Flüsse. Dennoch markieren die Dome, Kirchen, Kathedralen und Moscheen an ihren Ufern, welche symbolische Bedeutung Flüsse für Katholiken, Protestanten, Orthodoxe und Muslime haben.
Mediathek
Flucht auf der Elbe
Im April 1948 ist die Elbe Schauplatz einer ungewöhnlichen Flucht. Ein tschechischer Binnenschiffer bringt den nach dem kommunistischen Februarputsch in Ungnade gefallenen Politiker Ladislav Feierabend auf seinem Elbkahn in den Westen. Eine bisher unbekannte Geschichte aus dem Europa des Kalten Krieges und eine tschechisch-deutsche Heimatgeschichte.
Ein Mikrokosmos Europas
Ein Interview mit dem Historiker Dr. Andreas Kossert
Der Historiker Andreas Kossert spricht über die Memel in Geschichte und Gegenwart und ihre Bedeutung als europäischer Fluss.

Die Deutschen an der Weichsel
Von der Wanda, die den Deutschen nicht wollte bis zum Deutschen, der die Wanda nicht will. Das Verhältnis der Deutschen zur Weichsel hat nie einen geraden Lauf genommen.

Bildergalerie: Europäisches Amazonien
Die Drau und die Save, zwei rechte Nebenflüsse der Donau, sind bis heute noch weitgehend naturbelassen. Die Drau mäandert ohne menschliche Eingriffe durch die Baranja-Ebene, an der Save leben die Menschen am und mit dem Fluss. Doch diese intakten Flusslandschaften sind bedroht.

Die Elbe - Lauf der Geschichte
Deutscher Fluss, tschechischer Fluss
Viele Tschechen, die in Mělník zusehen, wie Elbe und Moldau zusammenfließen, fragen sich, warum der Strom im weiteren Verlauf Elbe heißt und nicht Moldau. Bis heute nämlich hält sich in Tschechien die Vorstellung des 19. Jahrhunderts von der Moldau als dem nationalen Fluss der Tschechen und der Elbe als "deutschem Fluss". Davor allerdings war ganz selbstverständlich die Elbe der große Strom Böhmens.

Die Donau: Hüben und drüben
Der kroatische Kampf um Vukovar
Offiziell bekennt sich Kroatien zu den Minderheitenrechten der Europäischen Union. Tatsächlich aber kämpfen Nationalisten für ein Kroatien der Kroaten. Vor allem in Vukovar, wo nach dem Krieg wieder 35 Prozent Serben leben, wird der Kampf gegen das Kyrillische zu einem neuen Kreuzzug. Einzig die Donau macht Hoffnung.
Der Rhein
Der Lauf des Rheins ist vielen Deutschen bekannt: Was aber ist der Lauf seiner Geschichte? Welche Reiche lagen ihm zu Füßen, welche Herrscher? Wann wurde er zum Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich und wann zu einem europäischen Strom? In acht Karten samt Beschreibungen präsentiert das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" den Rhein zu Zeiten Karls des Großen bis in die Gegenwart. Ein innovatives Format, das Geografie und Geschichte, Raum und Zeit verbindet.
Dossier
Hochwasserschutz
Das Hochwasser im Mai und Juni 2013 war eine der bislang kostspieligsten Naturkatastrophen in Deutschland. Städte und Dörfer an Donau und Elbe sowie ihren Nebenflüssen wurden überschwemmt, tausende Bewohner mussten evakuiert werden. Zwar hatte sich seit dem Elbehochwasser 2002 vielerorts der Hochwasserschutz verbessert, die Diskussion um nachhaltige Lösungen ist jedoch von Neuem entbrannt.
"Was der Fluss weiß"
Eine Gruppe von Studierenden, Wissenschaftlern und Künstlerinnen fährt auf Kanus den Mississippi hinunter: 3778 Kilometer von der Quelle bis zur Mündung, einmal quer durch den Mittleren Westen der USA, von der Grenze Kanadas bis an den Golf von Mexiko. Ein Journalist der ZEIT begleitet sie dabei etappenweise. Seine lesenswerte Reportage ist weit mehr als ein Reisebericht. Es ist der Versuch zu zeigen, wie sich die Widersprüche unserer Zeit in einem Fluss spiegeln.