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Wie wird Arbeitslosigkeit gemessen? | Arbeitsmarktpolitik | bpb.de

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Wie wird Arbeitslosigkeit gemessen?

Stefan Sell Lena Becher

/ 12 Minuten zu lesen

Die Erfassung von Arbeitslosigkeit unterliegt sozialrechtlichen Kriterien und ist somit politisch steuerbar. Wie viele Arbeitslose es offiziell gibt, hängt also davon ab, welche Definition von Arbeitslosigkeit dem Messkonzept zugrunde liegt. In Folge dessen ist nicht jede Person ohne bezahlte Beschäftigung auch arbeitslos im Sinne der Statistik.

Bekanntgabe der monatlichen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit im Oktober 2019 (© picture-alliance/dpa)

Monatlich verkündet die Bundesagentur für Arbeit (BA) die offizielle Zahl der Arbeitslosen, die in den Arbeitsagenturen und in den Jobcentern, den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende, erhoben wird. Im Jahresdurchschnitt 2018 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 2,34 Millionen. Doch diese Zahl wird nach sozialrechtlichen Vorgaben ermittelt und berücksichtigt nicht alle Menschen ohne Arbeit. Mehrere hunderttausend De facto-Arbeitslose, die zum Beispiel am Tag der Zählung aufgrund einer Krankheit oder aufgrund der Teilnahme an einer Maßnahme nicht als arbeitslos im Sinne der Statistik gelten, zählten im Jahr 2018 deshalb lediglich als „Unterbeschäftigte“.

Zusätzlich veröffentlicht das Statistische Bundesamt die Zahl der Erwerbslosen, die anhand des Messkonzepts der International Labour Organization (ILO) ermittelt wird. Ihre Zahl lag im Jahr 2018 bei knapp 1,47 Millionen und damit weit unter der von der BA verkündeten Zahl. Bei der Frage, wie viele Menschen in Deutschland keine Arbeit haben, gelangen die verschiedenen Messkonzepte also zu sehr unterschiedlichen Antworten, die einerseits aus den jeweiligen Definitionen von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit sowie andererseits aus der Methodik der Datengewinnung resultieren.

Wie unterscheiden sich Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit?

Die monatlich von der BA verkündete Zahl der Arbeitslosen wird zu einem festgelegten Stichtag aus den Geschäftsdaten der BA und der Jobcenter gewonnen und beruht somit auf einer Totalerhebung. Die Zahl der Erwerbslosen, die vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wird, ist hingegen die Hochrechnung aus einer Stichprobenbefragung der Bevölkerung, die im Rahmen des Mikrozensus vorgenommen wurde. In den zwei Messkonzepten der BA und der ILO müssen insgesamt vier Kriterien erfüllt sein, damit eine Person als arbeits- beziehungsweise erwerbslos gilt: Erwerbsfähigkeit, Beschäftigungslosigkeit, aktive Arbeitsuche und Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt. Bei der Definition dieser Kriterien unterschieden sich die beiden Konzepte allerdings voneinander. Die Begriffsbestimmung von Arbeitslosigkeit, die von der BA verwendet wird, findet sich im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III):

Quellentext§ 16 Arbeitslose (SGB III)

(1) Arbeitslose sind Personen, die wie beim Anspruch auf Arbeitslosengeld

  1. vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen,

  2. eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen und

  3. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben.

(2) An Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik Teilnehmende gelten als nicht arbeitslos.

Laut BA-Konzept können zudem nur erwerbsfähige Personen auch arbeitslos sein. Als erwerbsfähig gilt dabei, wer mindestens 15 Jahre alt und dabei jünger als die jeweilige Regelaltersgrenze sowie mindestens drei Stunden pro Tag arbeitsfähig ist. Auch müssen Arbeitslose dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehen. Das ist nur der Fall, wenn sie keiner Beschäftigung mit einem Umfang von mehr als 15 Stunden pro Woche nachgehen, sich bei der zuständigen Arbeitsagentur oder einem Jobcenter als arbeitslos registriert haben, nach einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung suchen und den Vorschlägen der öffentlichen Arbeitsvermittlung nachkommen.

Anders verhält es sich beim Labour-Force-Konzept der ILO, das die Zahl der Erwerbslosen bestimmt. Die Erwerbslosigkeit in Deutschland wird dabei nicht von der ILO selbst statistisch erhoben. Stattdessen ermittelt das Statistische Bundesamt die Zahl der Erwerbslosen in einer Stichprobenbefragung der Bevölkerung im Rahmen des Mikrozensus, der Arbeitskräfteerhebung. Die Ergebnisse dieser Befragung werden anschließend auf die Gesamtheit der Bevölkerung hochgerechnet. Dieses Vorgehen unterliegt der Annahme, dass die Befragten wahrheitsgemäße Angaben über ihren Erwerbsstatus und ihre Arbeitsuche machen (können) und die Erwerbslosigkeit unter den Befragten genau so verbreitet ist, wie beim Rest der Bevölkerung, der nicht befragt wurde.

Gemäß dem ILO-Konzept zählen über 15- bis unter 75-Jährige Personen als erwerbslos, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, sich in den letzten vier Wochen vor der Befragung aktiv um eine Arbeitsstelle bemüht haben und innerhalb von zwei Wochen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können. Eine Registrierung als Arbeitsloser bei einer BA-Geschäftsstelle oder einem Jobcenter ist hingegen keine Voraussetzung für Erwerbslosigkeit. Anders als im Messkonzept der BA zählen nicht nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse als Arbeit. Vielmehr wird Erwerbstätigkeit von der ILO als bezahlte Arbeit mit mindestens einer Wochenstunde definiert. Hierunter fallen somit auch selbstständige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sowie Tätigkeiten als mithelfende Familienangehörige. Im Ergebnis führt die weiter gefasste Erwerbstätigkeits- bzw. Arbeitsdefinition der ILO dazu, dass die Zahl der Erwerbslosen deutlich unter der Zahl der Arbeitslosen nach BA-Konzept liegt.

Die abweichenden Begriffsdefinitionen von BA und ILO deuten auf normative Unterschiede der Messkonzepte hin. Die BA betont die sozialpolitische Prägung ihrer Definition von Arbeitslosigkeit, wohingegen die ILO-Definition eine ökonomische Sichtweise widerspiegele. Das wird vor allem angesichts der Gewichtung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in der BA-Erhebung deutlich: Die Tatsache, dass auch geringfügig Beschäftigte (sogenannte „Minijobber“) in der BA-Statistik zu den Arbeitslosen zählen können, deutet auf die normative Annahme hin, dass nicht jede Art der Lohnarbeit gleichwertig in Bezug auf den Beschäftigungsstatus einer Person ist. Im Erwerbslosenkonzept der ILO ist der Arbeitsbegriff dagegen breiter definiert, sodass bereits Beschäftigungen mit nur geringem Umfang zu einem Ende der Erwerbslosigkeit führen.

Die Messung von Arbeitslosigkeit in Deutschland unterliegt aufgrund ihrer Verankerung im Sozialrecht den Veränderungen durch den Gesetzgeber. Des Weiteren variiert die statistische Erfassung von Arbeitslosigkeit zwischen den verschiedenen Nationalstaaten. Das erschwert sowohl zeitliche, als auch internationale Vergleiche von Arbeitslosenzahl und Arbeitslosenquote. Diese Einflussfaktoren sind bei der Messung von Arbeitslosigkeit nach der ILO-Definition ausgeschlossen, sodass viele Nationalstaaten zusätzlich oder ausschließlich dieses Messkonzept anwenden. Die internationale Vergleichbarkeit der damit berechneten Zahl der Erwerbslosen hat dazu geführt, dass das Messkonzept der ILO nicht nur vom Statistischen Bundesamt, sondern auch vom Statistikamt der Europäischen Union (Eurostat) sowie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angewendet wird.

Wie wird die Arbeitslosenquote berechnet?

Formel zur Berechnung der Arbeitslosenquote (© bpb)

Die Quote, die medial verbreitet wird, ist die Arbeitslosenquote auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen. Bei dieser Berechnung zählen alle abhängigen zivilen Erwerbspersonen, Selbstständige und mithelfende Familienangehörige zu den Erwerbstätigen. Alternativ berechnet die BA die Arbeitslosenquote auf Basis der abhängigen zivilen Erwerbspersonen. In diesem Fall werden ausschließlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einschließlich der Auszubildenden, der geringfügig Beschäftigten, Personen in Arbeitsgelegenheiten (sogenannte „Ein-Euro-Jobber“), Beamte (ohne Soldaten) und Grenzpendler den Erwerbstätigen zugerechnet. Die Zahl der Erwerbspersonen fällt bei dieser Berechnungsweise entsprechend geringer und die Arbeitslosenquote somit höher aus.

Die Arbeitslosenquoten für ein gesamtes Kalenderjahr sind jeweils der Durchschnitt der zwölf Monatswerte eines Jahres. Während die monatlichen Zahlen saisonalen Schwankungen am Arbeitsmarkt unterliegen, werden diese in der jährlichen Quote also durch die Berechnung eines Mittelwerts für das gesamte Jahr bereits ausgeglichen. Um dennoch kurzfristige Veränderungen am Arbeitsmarkt abbilden zu können, berechnet die BA zusätzlich auch für jeden Monat eine saisonbereinigte Arbeitslosenquote.

Wie wird die Dauer von Arbeitslosigkeit gemessen?

Einen besonderen Stellenwert in der Beobachtung des Arbeitsmarkts hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Die Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit im Verhältnis zur Arbeitslosigkeit insgesamt wird beispielsweise dazu genutzt um eine Verhärtung von Arbeitslosigkeit in bestimmten Personengruppen zu untersuchen. Allerdings hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen, wie sie von der Bundesagentur für Arbeit erhoben wird, aufgrund des verwendeten Messkonzepts nur eine eingeschränkte Aussagekraft. Da die rechtlichen Bestimmungen zur Messung der Dauer von Arbeitslosigkeit mehrfach verändert wurden, ist eine Betrachtung der Langzeitarbeitslosigkeit im Zeitverlauf zusätzlich erschwert.

Laut §18 Abs. 1 SGB III sind Langzeitarbeitslose Personen, die seit mindestens einem Jahr bei der Bundesagentur für Arbeit oder bei einem Jobcenter arbeitslos gemeldet sind. Die Zählung der Langzeitarbeitslosen erfolgt analog zur Zahl der Arbeitslosen monatlich zu einem vorher bestimmten Stichtag und wird ebenfalls aus den Geschäftsdaten der BA gewonnen. Problematisch bei dieser Messung ist allerdings, dass Arbeitslosigkeit laut §18 SGB III nicht nur durch die Aufnahme einer (sozialversicherungspflichtigen) Beschäftigung, sondern auch durch weitere sogenannte „schädliche Unterbrechungen“ beendet werden kann. Diese führen dazu, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit nicht nahtlos erfasst wird und somit das Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit statistisch unterzeichnet wird.

Die Aufnahme einer Beschäftigung von mindestens 15 Wochenstunden führt bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsaufnahme zu einer Unterbrechung der Arbeitslosigkeit, egal wie lange das Beschäftigungsverhältnis anschließend existiert. Zusätzlich sind als schädliche Unterbrechungen im Dritten Sozialgesetzbuch auch Arbeitsunfähigkeit, die länger als sechs Wochen andauert, oder die Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme (außer Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung) aufgeführt. Auch Arbeitslose, die länger als sechs Wochen Angehörige oder Kinder pflegen und deshalb nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, werden bei der Zahl der Langzeitarbeitslosen nicht (mehr) berücksichtigt. Nach einer schädlichen Unterbrechung beginnt die Dauer der Arbeitslosigkeit – jedenfalls im statistischen Sinne – von vorn. So wird in vielen Fällen (Langzeit-)Arbeitslosigkeit beendet, ohne dass es zu einer Arbeitsaufnahme gekommen ist.


Um ein vollständigeres Bild von verhärteter Arbeitslosigkeit zu erhalten, kann alternativ die Langzeiterwerbslosenstatistik gemäß ILO-Konzept herangezogen werden. In dieser kann Erwerbslosigkeit ausschließlich durch Erwerbstätigkeit unterbrochen werden, wobei auch hier die Schwelle von Kurz- zu Langzeiterwerbslosigkeit auf die Dauer von einem Jahr festgelegt ist. Zudem ermöglicht die Verwendung der Erwerbslosenstatistik nach ILO-Definition erneut den internationalen Vergleich. Nach einer Erhebung der OECD waren im Jahr 2018 41 Prozent aller Erwerbslosen in Deutschland 12 Monate und länger erwerbslos. Im Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten lag Deutschland 12,4 Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt.

Warum sind nicht alle Menschen ohne Arbeit auch offiziell arbeitslos?

Folgt man der Logik der gesetzlichen Definition, ist Voraussetzung für Arbeitslosigkeit, dass die betroffene Person dem Arbeitsmarkt vollumfänglich zur Verfügung steht. Dies bezieht sich nicht nur auf die Bereitschaft einer Person, eine Beschäftigung aufzunehmen, sondern auch auf die äußerden Lebensumstände wie beispielsweise ihre gesundheitliche Verfassung oder die Verantwortung für Sorgearbeit in der Familie. Erwerbsfähige Menschen ohne bezahlte Arbeit, die sich in der Schule, im Studium oder in einer vollqualifizierende Berufsausbildung absolvieren, ziehen sich bewusst vom Arbeitsmarkt zurück und zählen genau wie Personen, die Haushaltsangehörige pflegen oder erziehen, nicht zu den Arbeitslosen.

Darüber hinaus gibt es Erwerbsfähige, die nur kurzfristig nicht ihre Arbeitskraft anbieten, wie Teilnehmende an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und kurzzeitig Arbeitsunfähige. Deshalb differenziert die Bundesagentur für Arbeit zwischen Arbeitslosen, Personen, die im weiteren Sinne arbeitslos sind, Personen, die nahe am Arbeitslosenstatus sind und Personen, die weit weg vom Arbeitslosenstatus sind. Die BA will auf diesem Wege das Defizit an regulärer Beschäftigung abbilden, ohne dass der Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zu Verzerrungen führt, und veröffentlicht diese Ergebnisse in der Statistik der Unterbeschäftigung.

Komponenten der Unterbeschäftigung gemäß Bundesagentur für Arbeit

Die Unterbeschäftigung setzt sich aus drei Personengruppen zusammen:

  • Arbeitslose nach § 16 SGB III,

  • Teilnehmende an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme,

  • Personen in einem arbeitsmarktbedingten Sonderstatus.

Zu diesen Sonderstatus gehören:

  • Über 58-jährige Arbeitslose, die entweder seit mehr als einem Jahr kein Jobangebot mehr erhalten haben oder durch auslaufende vorruhestandsähnliche Regelungen Arbeitslosengeld oder Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“) unter erleichterten Bedingungen beziehen,

  • Arbeitslose, die am Tag der Erfassung krankgeschrieben waren und

  • Personen in Kurzarbeit oder Altersteilzeit.

Die Teilnahmen an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen umfassen ein breites Spektrum. Sowohl öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse wie Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“) und seit 2019 auch die geförderte Beschäftigung mit Sozialversicherungspflicht am sogenannten „Sozialen Arbeitsmarkt“, als auch Umschulungen oder kurze Bewerbungstrainings führen dazu, dass die Teilnehmenden nicht als Arbeitslose zählen.

Im Jahr 2018 summierte sich die Zahl der Unterbeschäftigten auf rund 3,26 Millionen und lag somit knapp 923.000 Personen über der offiziellen Arbeitslosenzahl. Werden zusätzlich Kurzarbeiter und Personen, die finanzielle Unterstützung beim Aufbau ihrer Selbstständigkeit erhielten, bei der Unterbeschäftigung berücksichtigt, waren es im Jahr 2018 sogar knapp 3,33 Millionen Unterbeschäftigte. Die folgende Grafik zeigt die Verteilung auf die einzelnen Sonderkategorien und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im Jahresdurchschnitt der zwölf Monatswerte aus 2018.


Die Stille Reserve

Die Daten aus der BA-Statistik beziehen sich ausschließlich auf Personen, die ihre Arbeitsuche gegenüber der Arbeitsverwaltung bekannt gegeben haben. Doch nicht alle Personen, die de facto beschäftigungslos sind, lassen sich bei einer Arbeitsagentur oder einem Jobcenter registrieren. Dies trifft auch auf bereits Beschäftigte zu, die sich weiterhin auf der Arbeitsuche befinden. All diese Personen können aber nach den aktuellen sozialrechtlichen Maßstäben nicht in der Arbeitsmarktstatistik der BA erfasst werden. Um das Arbeitskräftepotenzial der Bevölkerung dennoch korrekt abbilden zu können, ermittelt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) daher die Stille Reserve, die aus verschienen Gründen nicht in der BA-Statistik erscheint. Dabei unterscheidet das IAB zwischen der Stillen Reserve im engeren Sinne und der Stillen Reserve in Maßnahmen. Die vom IAB ermittelten Werte beruhen auf einer Schätzung.

Die Stille Reserve im engeren Sinne beschreibt Personen, die zum Zeitpunkt der Erhebung nicht aktiv nach einer Arbeitsstelle suchen, bei veränderten Rahmenbedingungen jedoch eine Arbeit aufnehmen würden. Die Stille Reserve in Maßnahmen umfasst hingegen Personen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen, aber nicht erwerbstätig sind. Zum Beispiel Teilnehmende in „Ein-Euro-Jobs“ zählen somit nicht zur Stillen Reserve in Maßnahmen. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung des Ausmaßes der registrierten Arbeitslosigkeit und der Stillen Reserve in den letzten Jahren.

Im Jahr 2018 setzte sich das Ausmaß der Unterbeschäftigung und der verdeckten Arbeitslosigkeit in der Stillen Reserve wie folgt zusammen: Rund 2,34 Millionen Arbeitslose waren bei den Agenturen für Arbeit und den Trägern der Grundsicherung als Arbeitslose registriert. Dazu kamen rund 828.000 Teilnehmende an bestimmten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die deshalb in der amtlichen Statistik nicht als Arbeitslose geführt wurden. 344.000 Personen rechnet das IAB zur Stillen Reserve im engeren Sinne. In Summe lag die Zahl der Menschen ohne Arbeit im Jahr 2018 also bei mehr als 3,51 Millionen Menschen. Weiterhin müssten noch Personen hinzugerechnet werden, die nur in Teilzeit arbeiten und gerne ihre Arbeitszeit ausdehnen würden, sowie die Kurzarbeiter.

Ungenutztes Arbeitskräftepotential

Einmal jährlich ermittelt das Statistische Bundesamt den gesamten Umfang des ungenutzten Arbeitskräftepotentials. Dieses setzt sich einerseits aus Beschäftigten, die ihren Arbeitsumfang ausdehnen wollen sowie andererseits aus Menschen ohne Arbeit zusammen. Das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial errechnet das Statistische Bundesamt also aus drei Kennzahlen: den Erwerbslosen gemäß ILO-Konzept, den Unterbeschäftigten und der Stillen Reserve nach Definition des Statistischen Bundesamtes. Die hierbei verwendeten Definitionen der Stillen Reserve und der Unterbeschäftigung weichen dabei von den jeweiligen Konzepten der BA und des IAB ab.

Nach Definition des Statistischen Bundesamts bezeichnet der Begriff Unterbeschäftigte ausschließlich bereits Erwerbstätige, die ihre Arbeitszeit erhöhen wollen und dies auch faktisch umsetzen könnten. Ihre Zahl belief sich im Jahr 2018 auf rund 2,19 Millionen. Ihnen gegenüber stehen knapp 1,42 Millionen Überbeschäftigte, die sich eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit wünschen. Sie werden allerdings nicht in die Berechnung einbezogen. Für 2018 nennt das Statistische Bundesamt eine Zahl von 925.000 Personen in der Stillen Reserve. Im Gegensatz zum IAB berücksichtigt das Statistische Bundesamt dabei nicht nur die Personen, die eine Arbeit aufnehmen könnten, sich aber nicht aktiv der Arbeitsuche zur Verfügung stellen und als Arbeitslose registrieren, sondern auch Personen, die sich eine Arbeit wünschen, diese jedoch nicht binnen zwei Wochen tatsächlich aufnehmen könnten. Gemeinsam mit den knapp 1,47 Millionen Erwerbslosen weist das Statistische Bundesamt für 2018 ein ungenutztes Arbeitskräftepotenzial von nahezu 4,59 Millionen Personen aus.

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Stefan Sell ist Direktor des Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM) an der Hochschule Koblenz und dort Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften im Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Zuvor war er Referent für Grundsatzfragen der Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsvermittlung im Landesarbeitsamt Baden-Württemberg in Stuttgart und Referent für Arbeitsmarktpolitik im Bundeskanzleramt in Bonn. Er ist Herausgeber des sozialpolitische Informationsportals "Aktuelle Sozialpolitik": Externer Link: www.aktuelle-sozialpolitik.de

ist Politikwissenschaftlerin, seit Juni 2020 Beraterin in der Abteilung Arbeitsgestaltung und Fachkräftesicherung bei der G.I.B. mbH. Zuvor war sie von April 2017 bis Mai 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz (ISAM) und verantwortliche Redakteurin von Externer Link: O-Ton Arbeitsmarkt.