Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
Tim ObermeierFrank OschmianskyJürgen Kühl
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Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Dafür stellt die Grundsicherung aktive und passive Leistungen bereit. Die Höhe und Berechnung der Leistungen sind seit Einführung der Grundsicherung immer ein strittiges Thema.
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ist zum 1. Januar 2005 mit der der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eingeführt worden. Die Leistungen der Grundsicherung setzen sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen: den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, den Kosten der Unterkunft sowie einem etwaigen Mehrbedarf. Hinzu kommt noch die Versicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie bis Ende 2011 in geringem Umfang in der Rentenversicherung. Solange die Voraussetzungen für den Leistungsbezug erfüllt sind, werden die Leistungen unbefristet gewährt. Allerdings ist der entsprechende Antrag von den Beziehern regelmäßig zu erneuern. Doch wie sind genau die Leistungen in der Grundsicherung in Deutschland ausgestaltet und welche Anspruchsvoraussetzungen müssen erfüllt sein? Die Rechtsmaterie des Sozialgesetzbuch II (SGB II) ist äußert komplex und entwickelt sich durch Urteile der Sozialgerichte regelmäßig weiter. Die Darstellungen sind deshalb nicht abschließend, sondern sie sollen nur einen ersten Einblick in die Leistungen der Grundsicherung ermöglichen.
Im Jahr 2019 erhielten 5,53 Millionen Menschen als Regelleistungsberechtigte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (7,2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland). Dabei erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II und nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (i. d. R. Kinder) Sozialgeld. Weitere Zahlen zur Grundsicherung finden Sie im Text Interner Link: Grundsicherung für Arbeitsuchende: Daten, Zahlen und Fakten
Rechtliche Rahmenbedingungen
Grundlegendes Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist es, die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, zu stärken und dazu beizutragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Sie soll erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen und ihren Lebensunterhalt sichern, soweit sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können. Diese Ziele sind im § 1 SGB II festgehalten.
Das SGB II ist als ein kombiniertes Arbeitsmarkt- und Fürsorgegesetz konzipiert und knüpft an das Konzept des aktivierenden Sozialstaats und den Grundsatz des Förderns und Forderns an. Im Bereich des Förderns orientiert sich das SGB II stark an den Instrumenten des SGB III, indem es im § 16 Abs. 1 den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den Zugang zu einem Großteil der SGB III-Instrumente eröffnet. Über die SGB III-Leistungen hinaus können weitere kommunale Eingliederungsleistungen erbracht werden, beispielsweise Schuldnerberatung, Suchtberatung und psychosoziale Betreuung (§ 16a SGB II).
Einen Überblick über die Instrumente der Förderung im SGB II und ihre Wirkung finden Sie im Abschnitt Interner Link: Förderung .
Deutlich schärfere Regeln als das SGB III normiert das SGB II im Bereich des Forderns. Danach müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten müssen aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken. Welche Arbeit dabei zumutbar ist und welche Sanktionen verhängt werden können, ist weiter unten Thema.
Die Bezieher von Leistungen der Grundsicherung haben grundsätzlich die Möglichkeit, gegen Entscheidungen des Jobcenters Widerspruch einzulegen. Wenn das Widerspruchsverfahren durchlaufen ist, kann auch Klage eingereicht werden. Vor den Sozialgerichten entstehen für sie dafür keine Kosten. Im kurzen Zeitraum seit Einführung der Grundsicherung im Jahr 2005 gab es eine Vielzahl von Gesetzesnovellen, die zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit beitrugen. Diese schlägt sich u.a. in einer hohen Zahl von Widersprüchen und Klagen gegen Bescheide der Grundsicherungseinrichtungen nieder.
Im Jahr 2019 legten die Leistungsberechtigten über 577.000 Widersprüche gegen Entscheidungen der Jobcenter ein. Die Gründe waren vielfältig und reichten von Widersprüchen bei Sanktionen, den Kosten der Unterkunft oder der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Über 34 Prozent dieser Widersprüche hatten Erfolg. Nur noch etwas über 95.000 Mal erhoben die Leistungsberechtigten Klagen vor den Sozialgerichten. In 8,2 Prozent der Fälle wurden diese Klage mit Urteil/Beschluss ganz oder teilweise stattgeben. Damit korrigierten die Sozialgerichte eine hohe Anzahl von Entscheidungen der Jobcenter. In den letzten Jahren sind die Zahlen der Widersprüche und Klagen deutlich zurückgegangen. Während zu Beginn der Einführung der Grundsicherung hohe Rechtsunsicherheit herrschte und in den Jahren 2009 und 2010 noch über 800.000 Widersprüche und über um die 150.000 Klagen eingingen, hat sich mittlerweile, auch durch viele Urteile der Sozialgerichte, die Situation entspannt. Die 302 Jobcentern, die als gemeinsamen Einrichtungen fungieren, haben 2019 20,7 Millionen Leistungsbescheide versendet, gegen die 483.000 Widersprüche und 77.000 Klagen eingereicht wurden. Die Widerspruchsquote lag rechnerisch bei 2,3 Prozent, die Klagequote bei 0,4 Prozent.
Wer erhält Leistungen der Grundsicherung?
Leistungsberechtigt ist, wer den Bedarf (Lebensunterhalt, Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt weiterer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft) für sich und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend durch Arbeitsaufnahme, Einkommen oder Vermögen einschließlich Hilfe anderer decken kann. Soweit jemand seinen Bedarf decken kann, aber nicht den der Bedarfsgemeinschaftsangehörigen, ist er selbst nicht leistungsberechtigt, gilt aber bei Bedürftigkeit von Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern insoweit auch als leistungsberechtigt im Sinne des SGB II.
Anspruchsberechtigt sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte zwischen 15 Jahren und der aktuell gültigen Regelaltersgrenze der Rentenversicherung sowie die Angehörigen, die mit ihnen in einem Haushalt (Bedarfsgemeinschaft) leben. Als erwerbsfähig gilt, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 8 SGB II). Personen, die bedürftig, aber nicht erwerbsfähig sind, erhalten Sozialhilfe nach dem SGB XII.
Zuständig für die Feststellung, ob die Arbeitsuchenden erwerbsfähig sind, ist die Agentur für Arbeit (44a SGB II). Da im Regelfall die Jobcenter die Aufgaben der Agentur für Arbeit im SGB II wahrnehmen, treffen diese die Feststellung für die Arbeitsagentur. Bei fehlender Erwerbsfähigkeit können auch Leistungsansprüche gegen andere Träger bestehen, insbesondere gegen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Hier ist vor allem an Ansprüche auf Renten wegen voller Erwerbsminderung zu denken (§ 43 Abs. 2 SGB VI). Es existieren also Interessenkonflikte zwischen den Arbeitsagenturen und Jobcentern auf der einen und Sozialhilfeträgern sowie gegebenenfalls den Rentenversicherungsträgern auf der anderen Seite.
In der Startphase des SGB II wurde davon ausgegangen, dass der Frage der Erwerbsfähigkeit eine Schlüsselrolle bei der Vermeidung von Drehtüreffekten und Verschiebebahnhöfen zukommen könnte. Allerdings zeigte sich schnell, dass aufgrund der weiten Definition der Erwerbsfähigkeit, die einen großen Personenkreis einschließt, insgesamt nur wenige Personen als nicht erwerbsfähig eingestuft werden. Die weite Definition ermöglicht gleichzeitig einer großen Anzahl an Personen den Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Leistungen.
Bürger der Europäischen Union haben in der Regel in den Mitgliedsstaaten den gleichen Zugang zu Sozialleistungen wie die jeweiligen Bürger und können somit auch Arbeitslosengeld II beantragen. Das SGB II enthält jedoch einen Leistungsausschluss für Unionsbürger, die sich nur zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II). Diese Regelung sind weiterhin umstritten und einige deutsche Sozialgerichte haben Unionsbürgern trotzdem Leistungen zugesprochen, weil der Leistungsausschluss gegen europarechtliche Gleichheitsgrundsätze verstoßen würde. Im Anschluss daran hat die Bundesregierung mit dem „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ klargestellt, welche Personengruppen künftig von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für fünf Jahre ausgeschlossen sind. Dazu gehören Personen ohne materielles Aufenthaltsrecht aus dem Freizügigkeitsgesetz/EU, Personen, die sich mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, sowie Personen, die ihr Aufenthaltsrecht nur aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 (Wanderarbeitnehmerverordnung) ableiten. Der Zugang von Unionsbürgern (Ausländern) in das SBG II und die Sozialhilfe ist eine hoch komplexe Angelegenheit. Insgesamt wurde mit dem in Kraft treten des Gesetzes im Jahr 2016 das Zugangsrecht deutlich verschärft und der Kreis der anspruchsberechtigten Unionsbürger deutlich reduziert.
Bedürftigkeitsprüfung
Leistungen der Grundsicherung werden nur gewährt, soweit nicht eigenes Einkommen und Vermögen vorhanden ist, welches zuerst eingesetzt werden muss. Was alles unter Einkommen und Vermögen zu fassen ist, ist umstritten. In der Regel werden u.a. darunter gefasst: Abfindungen, Arbeitsentgelt, Bankguthaben, Darlehensrückzahlungen, Erbschaften, Glücksspielgewinne, Insolvenzgeld, Kaufpreiserlöse, Nachzahlungen, Renten, Schadensersatzleistungen, Schenkungen über einer Bagatellgrenze, Steuererstattungen, Wertpapiere, Zinsen und Erträge.
Allerdings muss nicht das gesamte Einkommen und Vermögen eingesetzt werden; es gibt so genannte Freibeträge. Diese Freibeträge sind höher als bei der vormaligen Sozialhilfe, aber geringer als bei der vormaligen Arbeitslosenhilfe:
Es gilt ein Vermögensfreibetrag von 150 Euro pro vollendetem Lebensjahr. Mindestens anrechnungsfrei sind 3.100 Euro und maximal 9.750 Euro pro Person für vor dem 1. Januar 1958 Geborene, 9.900 Euro für nach dem 31. Dezember 1957 Geborene und 10.050 für nach dem 31. Dezember 1963 Geborene.
Zusätzlich existiert ein Freibetrag in Höhen 750 Euro für notwendige Anschaffungen für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Leistungsberechtigten.
Geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, sind unter bestimmten Bedingungen ebenfalls anrechnungsfrei. 48.750 Euro für vor dem 1. Januar 1958 Geborene, 49.500 Euro für nach dem 31. Dezember 1957 Geborene und 50.250 für nach dem 31. Dezember 1963 Geborene.
Zum geschützten Vermögen zählt auch ein "angemessenes" Auto.
Kein anrechenbares Vermögen ist eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim, sofern diese/s eine angemessene Größe nicht überschreitet.
Bei der Anrechnung sind Einkommen und Vermögen zusammenlebender Ehepartner zu berücksichtigen. In Anrechnung kommen auch Einkommen und Vermögen der Eltern bei Hilfebedürftigkeit von minderjährigen Kindern bzw. von Kindern unter 25, die ihre Erstausbildung noch nicht abgeschlossen haben.
QuellentextSozialstaatskonzept der SPD
Wir wollen Menschen diese Sorgen nehmen und sie dabei unterstützen, sich auf die Arbeitsplatzsuche konzentrieren zu können. Deswegen werden wir bei denjenigen, die aus dem Bezug von ALG I kommen, für zwei Jahre Vermögen und die Wohnungsgröße nicht überprüfen.
SPD (2019): Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit: Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit
Bedarfsgemeinschaft
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nachrangig gegenüber anderen Hilfen. Dazu gehört auch die partnerschaftliche Solidarität (Ehegatten- und Partnersubsidiarität), die den Vorrang der Solidarität unter Partnern vor der staatlichen Solidarität bezeichnet. Partner oder Ehegatten müssen sich also in Notlagen gegenseitig materiell unterstützen und das Einkommen des einen Partners wird bei Arbeitslosigkeit des anderen Partners angerechnet. Viele Autoren sehen in dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft eine Fortsetzung des männlichen Ernährermodells und einer traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (mehr dazu Interner Link: hier).
Was unter einer Bedarfsgemeinschaft verstanden wird, wird im Gesetz auf komplexe Art definiert. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören danach:
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
Lebenspartner (Ehegatte, eheähnlicher Partner) der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (seit August 2006 auch der/die homosexuelle, nicht eingetragene Partner oder Partnerin),
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
Eine Wohngemeinschaft unterscheidet sich von einer Bedarfsgemeinschaft durch die fehlende familiäre oder persönliche Bindung und den fehlenden wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Dieser wird vermutet, wenn Partner
länger als ein Jahr zusammenleben,
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
Der Nachweis darüber, dass keine Lebensgemeinschaft vorliegt, ist von den Mitgliedern der vermeintlichen Bedarfsgemeinschaft zu führen. Die Beweislast liegt also bei den Leistungsberechtigten. Die 5,55 Mio. Personen in Bedarfsgemeinschaften lebten im Dezember 2019 in knapp 2,8 Mio. Bedarfsgemeinschaften. Über die Hälfte aller Bedarfsgemeinschaften (55 Prozent) bestand nur aus einer Person. Größere Bedarfsgemeinschaften mit mehr als drei Personen sind eher selten. Im Dezember 2019 lebten in über 966.00 oder in 34,5 % aller Bedarfsgemeinschaften 1,88 Mio. Kinder unter 18 Jahren.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts – der Regelbedarf
Mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist an die Stelle der durch das Bemessungsentgelt hergestellten Statusbezogenheit der Arbeitslosenhilfe eine bedarfsorientierte Mindestsicherung getreten. Zum 1. Januar 2005 wurde die maßgebende Regelleistung (Eckregelleistung) zunächst generell und pauschaliert auf den Betrag von 345 Euro (West) bzw. 331 (Ost) festgesetzt. Seit Juli 2007 ist die Leistung in Ostdeutschland auf das westdeutsche Niveau angehoben worden. Der Regelsatz soll das soziokulturelle Existenzminimum der Leistungsempfänger abdecken. Die Regelleistung sind in den letzten Jahren regelmäßig angehoben worden und der Regelsatz für eine alleinstehende Person beträgt seit dem 1. Januar 2020 432 Euro.
Um den Einkommensausfall beim Übergang von der lohnbezogenen Leistung Arbeitslosengeld auf die Grundsicherungsleistung Arbeitslosengeld II in einem begrenzten Maße abzufedern, wurde Arbeitslosen bis Ende 2010 ein auf zwei Jahre befristeter Zuschlag auf die Regelleistung gezahlt. Er betrug zwei Drittel der Differenz zu dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld zuzüglich Wohngeld und dem gezahlten Arbeitslosengeld II. Er wurde nach einem Jahr halbiert. Der Zuschlag war im ersten Jahr begrenzt auf 160 (alleinstehend) bzw. 320 Euro (mit Partner) und 60 Euro je Kind; im zweiten Jahr halbierten sich auch diese Maximalbeträge. Zum 01.01.2011 ist der befristete Zuschlag beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II gestrichen worden.
Ob die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereinbar mit dem Grundgesetz ist, wurde vom Bundesverfassungsgericht einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen. Am 09.02.2010 verkündete der Erste Senat sein Urteil, was weitreiche Änderungen nach sich zog. Nach Klagen dreier Familien entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Berechnung des Arbeitslosengeldes II (und somit auch der Sozialhilfe nach SGB XII) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist und die Höhe der Hartz-IV-Regelleistungen nicht das soziokulturelle Existenzminimum von Familien abdecken. Zwar stufte das Bundesverfassungsgericht die damals geltenden Regelleistungen "nicht als evident unzureichend ein". Es verpflichtete die Bundesregierung aber bis zum 31.12.2010 eine gesetzliche Neuregelung zu treffen, die auf einer transparenten und nachvollziehbaren Berechnung besteht, sowie für Kinder ausreichend Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten schafft. Korrigiert werden sollte auch die prozentuale Ableitung der Sätze für Kinder von denen der Erwachsenen. Dem Gesetzgeber wurde auferlegt, für Kinder einen spezifischen Bedarf zu ermitteln, der sich an den kindlichen Entwicklungsphasen und einer kindgerechten Persönlichkeitsentfaltung auszurichten hat. Kritisiert wurde vom Bundesverfassungsgericht insbesondere, dass notwendige Aufwendungen für Schulbedarf unberücksichtigt blieben, obwohl diese zum existentiellen Bedarf eines Kindes gehören.
Dass die Höhe der Regelsätze sich nach dem Ausgabeverhalten von Geringverdienern richtete, hielten die Richter dagegen für zulässig. Ausdrücklich gelobt wurde, dass als Referenzgruppe mit den "unteren 20 Prozent" eine möglichst breite Gruppe gewählt wurde. Kritisiert wurde aber, dass es bei der Referenzgruppe zu Zirkelschlüssen gekommen war. Die Richter verlangten daher, dass bei der Neuberechnung Zirkelschlüsse zu vermeiden seien. Diese entstehen, wenn man das Verbrauchsverhalten von Hilfeempfängern selbst zur Grundlage der Bedarfsermittlung macht.
QuellentextLeitsätze zum Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010
Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.
Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.
Der Gesetzgeber kann den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken, muss aber für einen darüber hinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen.
Das Bundesarbeitsministerium interpretierte das Urteil wie folgt: "Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Höhe der Regelleistungen/Regelsätze für Erwachsene und Kinder nicht offensichtlich zu niedrig ist. Auch die Ermittlungsmethode (Statistikmodell) wurde von den Richtern grundsätzlich bestätigt. Die Kritik bezieht sich auf einzelne der Berechnung zugrunde gelegte Positionen beziehungsweise unzureichende Begründungen." Die Folgemonate waren geprägt von Diskussionen über die Höhe der zukünftigen Regelleistung und insbesondere über die Umsetzung eines Bildungspaketes für Kinder. Mit diesem sollten die vom Bundesverfassungsgericht monierten unzureichenden Bildungsleistungen für Kinder kompensiert werden.
Ein erster Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch stieß bei der Opposition, aber auch Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, auf große Kritik. Nach zähen Verhandlungen konnte erst Anfang 2011 mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII ein Kompromiss gefunden werden. Zentrale Inhalte waren das neue Bildungs- und Teilhabepaket, die Neuberechnung des Regelsatzes und neue Sanktions- und Zuverdienstregelungen sowie weitere Änderungen in der Grundsicherung.
Die Höhe des Regelsatzes
Die Berechnung der Regelbedarf erfolgte in der Sozialhilfe nach der Warenkorbmethode. Bei der Warenkorbmethode stellten Experten einen Warenkorb zusammen, der die notwendigen Güter und Dienstleistungen enthält. Die preisliche Bewertung dieses Warenkorbs ergab den damaligen Sozialhilferegelsatz. Seit den 1990er Jahren wird ein empirisch statistisches Verfahren angewendet. Diese Methode wird als Statistikmodell bezeichnet. Statistische Basis ist die Europäische Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS).
QuellentextEinkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS)
Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ist eine wichtige amtliche Statistik über die Lebensverhältnisse privater Haushalte in Deutschland. Sie liefert unter anderem statistische Informationen über die Ausstattung mit Gebrauchsgütern, die Einkommens-, Vermögens- und Schuldensituation sowie die Konsumausgaben privater Haushalte. Einbezogen werden dabei die Haushalte aller sozialen Gruppierungen, so dass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ein repräsentatives Bild der Lebenssituation nahezu der Gesamtbevölkerung in Deutschland zeichnet. Die EVS wird alle fünf Jahre durchgeführt. Es werden rund 60 000 private Haushalte in Deutschland befragt. Zuletzt fand die EVS im Jahr 2018 statt. Quelle: Statistisches Bundesamt Externer Link: https://www.forschungsdatenzentrum.de/de/haushalte/evs
Die Regelsätze der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden mit Hilfe des Statistikmodells berechnet, das die Warenkorbmethode ablöste. Die folgende Grafik erläutert den Prozess der Regelsatzermittlung auf Basis des Statistikmodells.
Das Statistikmodell berechnet das soziokulturelle Existenzminimum und damit den Regelbedarf auf der Basis des statistisch erfassten Ausgaben- und Verbrauchsverhaltens unterer Einkommensgruppen (Referenzgruppen) für bestimmte, dem soziokulturellen Existenzminimum zugeordnete Güter.
Warenkorb- und Statistik-Modell
Während das Warenkorbmodell danach fragt: "Was braucht der Mensch zum leben?", orientiert sich das Statistik-Modell an der Frage: "Was geben vergleichbare Einkommensgruppen aus?"
Quelle: Sozialpolitik und soziale Lage. Band 1: Grundlagen, Arbeit, Einkommen und Finanzierung. 4. Auflage. S. 323.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem erwähnten Urteil das Statistikmodell als angemessen beurteilt. Aber auch in diesem Verfahren gibt es eine normative Setzung und zwar bei der Frage, wer zur Referenzgruppe zählt. So wurde kritisiert, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Referenzgruppe von den unteren 20 Prozent der nach dem Nettoeinkommen geordneten Alleinstehenden, auf die unteren 15 Prozent verkleinert wurde. Die Auswahl der Referenzgruppe wird kritisiert, weil damit eine Bezugsgruppe herangezogen wird, die selbst von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgehängt ist.
In Jahren, in denen keine Neuermittlung erfolgt, wird der Regelsatz jährlich zum 1. Januar mit einem Mischindex, bestehend aus Preisentwicklung regelbedarfsrelevanter Güter und Dienstleistungen (70 Prozent) sowie der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Nettolöhne und –gehälter (30 Prozent), angepasst. Das BMAS hat sechs sogenannte Regelbedarfsstufen entwickelt, die die Höhe der Regelbedarfe anzeigen und Basis für die jährliche Anpassung sind.
Mit der Einführung der Grundsicherung wurden die für die vormalige Sozialhilfe typischen Einmalleistungen überwiegend abgeschafft und der Regelsatz pauschal erhöht. Diese Pauschalierung der Einmalleistungen bezieht sich z.B. auf die Beschaffung und Instandhaltung von Bekleidung, Hausrat oder Gebrauchsgüter von längerer Gebrauchsdauer und höherem Anschaffungswert. Ziel der Pauschalierung der einmaligen Leistungen war u.a. die Reduzierung des Verwaltungsaufwandes der mit Einzelfallprüfungen verbunden ist. Bei unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligen und besonderem Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums besteht ein zusätzlicher Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung (Härtefallmehrbedarf). Bei einzelnen Gruppen von Personen, die sich in besonderen Lebenslagen befinden (u.a. Schwangere), sind ergänzende Mehrbedarfszuschläge vorgesehen.
In der politischen und wissenschaftlichen Diskussion ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob die Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende armutsvermeidend sind. Was Armut ist und wer folglich zu den Armen gehört ist umstritten. Das Armutsmaß, das sowohl dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zugrunde liegt, als auch von der OECD benutzt wird, ist 60 Prozent vom Median des Nettoäquivalenzeinkommens. Arm ist demnach, wessen Einkommen deutlich (mindestens 40 Prozent) unterhalb des Medianeinkommens liegt. Das Ausmaß der Armut wird also im Verhältnis zur Einkommensverteilung der Bevölkerung gesetzt. 2018 galten 16 Prozent der Bevölkerung in Deutschland als armutsgefährdet. Die Armutsschwelle lag im Jahr 2018 bei 1.035 Euro im Monat für einen Alleinlebenden. Arbeitslose stellen die am stärksten von Armut bedrohte Gruppe dar.
Von dieser statistischen Definition und Messung des relativen Armutsrisikos unterscheidet sich das soziokulturelle Existenzminimum, das mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende abgesichert ist. Die Inanspruchnahme dieser Mindestleistungen zeigt das Ausmaß, in dem Teile der Bevölkerung einen zugesicherten Mindeststandard nur mit Unterstützung des Systems der sozialen Sicherung erreichen. Deshalb wird in diesem Zusammenhang auch von bekämpfter Armut gesprochen. Zu diesem Mindeststandard gehört in Deutschland nicht nur die Erhaltung der physischen Existenz, sondern eine der Würde des Menschen entsprechende Teilhabe am gesellschaftlich üblichen Leben. Ob die Höhe der Grundsicherung armutsvermeidend ist, ob sie das soziokulturelle Existenzminimum gewährt, ob sie überhaupt verfassungskonform ist, wurde und wird, wie zuvor beschrieben, immer wieder in Zweifel gezogen.
Kosten der Unterkunft
Die Unterkunftskosten werden, da sie sehr unterschiedlich ausfallen, in ihrer tatsächlichen Höhe und nicht als pauschalierte Regelleistung übernommen (Miete und Betriebskosten einschließlich Heizkosten; nicht jedoch die Kosten für Kochenergie, Beleuchtung, Warmwasserzubereitung und den Betrieb elektrischer Geräte, die bereits im Regelsatz enthalten sind). Die Kosten müssen allerdings "angemessen" sein. "Unangemessen" hohe Kosten sind längstens für sechs Monate zu übernehmen, wenn durch Wohnungswechsel oder Untervermietung eine Senkung der Aufwendungen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
Ob die Kosten angemessen sind, wird beurteilt nach:
den individuellen Verhältnissen des Einzelfalles (Zahl der Familienangehörigen, Alter),
der vorhandenen Wohnfläche,
der durchschnittlichen Höhe der örtlichen Mieten und den Möglichkeiten des örtlichen Wohnungsmarktes im unteren Preissegment.
Die Kosten der Unterkunft und ihre komplexe Bestimmung sind Anlasse vieler Klagen in der Grundsicherung. In vielen Jobcentern gibt es Rechtsstreitigkeiten über die Höhe und Angemessenheit der Unterkunftskosten, die Größe der Wohnung oder die Art der Beheizung. Zur Vereinfachung wird deshalb vorgeschlagen, die Unterkunftskosten zu pauschalieren, was jedoch umgekehrt vielfach kritisiert wird, da die Kosten der Unterkunft stets den individuellen Bedarf und die regional unterschiedlichen Kosten berücksichtigen müssen.
Passiv-Aktiv-Transfer
Parallel zur Einführung des Teilhabechancengesetzes zum 1. Januar 2019 und den damit verbundenen neuen Instrumenten zur öffentlich geförderten Beschäftigung hat der Bund die Grundlagen für die Umsetzung des Passiv-Aktiv-Transfers (PAT) geschaffen. Dahinter steht die Idee, dass es sinnvoller ist Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Die passiven Leistungen wie Regelsatz, Kosten der Unterkunft sollen zur Finanzierung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung genutzt werden. Die Idee des Passiv-Aktiv-Transfers wurde innerhalb der Wohlfahrtsverbände entwickelt. Viele Parteien und Verbände haben sich den Forderungen angeschlossen und im Koalitionsvertrag zwischen der CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode wurde die Einführung vereinbart. Der Passiv-Aktiv-Transfer ist nicht unumstritten. Kritiker bemängeln u.a. die hohen Kosten und die Schwierigkeiten bei der Berechnung der eingesparten Mittel sowie mögliche Fehlanreize.
QuellentextKritik am Passiv-Aktiv-Transfer
Das Handwerk lehnt diese Finanzierungsweise ab, denn Passiv-Aktiv-Tausch bedeutet, dass sich die geförderte Beschäftigung als arbeitsmarktpolitisches Instrument deutlich „verbilligt“ im Sinne der Kosten für Eingliederungsleistungen und damit ein Anreiz besteht, sie letztlich in deutlich größerem Umfang einzusetzen.
Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. – Stellungnahme zum Gesetzentwurf „Teilhabechancengesetz“, Ausschussdrucksache 19(11)185
Die Haushaltsentwürfe für 2019 und 2020 der Bundesregierung sehen den Passiv-Aktiv-Transfer mit Bundesmitteln vor, begrenzt auf eine Gesamthöhe von 700 Mio. Euro. Die Jobcenter können nur für Förderfälle nach §16i SGB II („Teilhabe am Arbeitsmarkt“) den Passiv-Aktiv-Transfer nutzen. Um den Aufwand für die Jobcenter gering zu halten, hat das BMAS monatliche Pauschalen definiert (Single-BG ohne Kinder 500 Euro, BG mit Kindern 600 Euro, alle andere Fällen 700 Euro). Für jede Integration nach § 16i SGB II erhalten die Jobcenter diese Mittel zusätzlich für die Finanzierung weiterer Fördermittel.
Das Bildungs- und Teilhabepaket
Die Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets geht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurück, welches u.a. die prozentuale Ableitung des Regelsatzes für Kinder vom als verfassungswidrig eingeordneten Regelsatz für einen Erwachsenen monierte und konstatierte: „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“. Das Bundesverfassungsgericht forderte eine eigenständige Ermittlung des kinderspezifischen Bedarfs, der vor allem bei Schulkindern zu erwarten sei. Der Kompromiss war die Einführung des Bildungs- und Teilhabepaketes. Die Bundesregierung sah die Lösung nicht in einer Erhöhung der Geldleistungen für Kinder, sondern wollte die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts durch Bildungsleistungen erfüllen, die tatsächlich bei den Kindern und Jugendlichen ankommen. In der Öffentlichkeit wurden Befürchtungen laut, dass die Eltern zusätzliches Geld in Form eines höheren Regelbedarfs der Kinder ansonsten für den Konsum von Alkohol oder Tabak zweckentfremden würden. Einige Wissenschaftler sprechen deswegen von einem Paradigmenwechsel der darin besteht, dass dem Ansatz des Bildungs- und Teilhabepakets vor allem ein generelles Misstrauen gegen die Eltern der betroffenen Kinder in der Grundsicherung zugrunde liegt und ihnen die Kompetenz für und der Anspruch auf eine autonome Mittelverwendung entzogen wird.
Seit dem 1. Januar 2011 wird das materielle Existenzminimum der Kinder über das Sozialgeld gewährleistet, während die vom Bundesverfassungsgericht monierte fehlende Berücksichtigung der Bildungs- und Teilhabebedarfe in Form von antragsabhängigen Sachleistungen aus dem neuen Bildungs- und Teilhabepaket erbracht werden. Damit ist das System der sozialen Mindestsicherung in Deutschland um eine neue Leistung erweitert worden.
Einen Rechtsanspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket haben nicht nur Kinder von Eltern, die Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld beziehen, sondern auch Kinder, deren Eltern Sozialhilfe, den Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen. Trägerschaft und Umsetzung des Bildungspakets liegen vollständig in der Verantwortung der Kommunen. Für Arbeitslosengeld II-Bezieher setzen die Kommunen das Bildungspaket aber in der Regel im örtlichen Jobcenter um. Für Familien, die Wohngeld oder den Kinderzuschlag erhalten, sind die Jobcenter nicht zuständig. Im Rathaus oder Bürgeramt können diese Familien den zuständigen Ansprechpartner für die Leistungen aus dem Bildungspaket erfragen. Die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten Kinder, Jugendliche, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Im Einzelnen besteht das Bildungspaket aus folgenden Komponenten:
Schul- und Kitaausflüge: Die Kosten hierfür werden in tatsächlicher Höhe übernommen.
Schulbedarfspaket: Zu Beginn des Schuljahres wird bedürftigen Kindern für Lernmaterialien 100 Euro und jeweils im Februar darauf 50 Euro gezahlt.
Schülerbeförderung: Fallen Beförderungskosten für den Schulweg an und werden diese nicht anderweitig abgedeckt werden die Kosten erstattet.
Lernförderung: Bedürftige Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen Lernförderung in Anspruch zu nehmen.
Mittagessen in Kita, Schule und Hort Aufwendungen für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung werden ohne Eigenanteil übernommen.
Kultur und Sport: Bedürftige Kinder sollen nicht in der Freizeit ausgeschlossen werden, sondern beispielweise beim Sport mitmachen. Hierfür wird ein Betrag von monatlich bis zu 15 Euro für Mitgliedsbeiträge und Kurse übernommen.
Mit dem Starke-Familien-Gesetz sind ab August 2019 einige Leistungen beim Bildungs- und Teilhabepaket verbessert worden. Zum Beispiel wurde das Schulbedarfspaket von 100 Euro auf 150 Euro erhöht.
Die Inanspruchnahme des Bildungspakets lief zunächst sehr schleppend an. In der Presse wurde das Bildungspaket daher schnell als „Flop“ tituliert. Gerade in der Startphase gingen nur sehr wenige Anträge ein. Erst danach ließ sich eine Zunahme beobachten. Als Schwachstelle des Paketes werden insbesondere der anfänglich hohe bürokratische Aufwand sowie die schwierige Erreichbarkeit der Zielgruppe genannt.
Mittlerweile hat sich das Bildungs- und Teilhabepaket als Sozialleistung weitgehend etabliert. Der Endbericht der wissenschaftlichen Untersuchung zur bundesweite Inanspruchnahme und Umsetzung Leistungen für Bildung und Teilhabe kommt zu dem Ergebnis, dass eine große Mehrheit (85 Prozent der Befragten) die BuT-Leistungen als eine gute (zusätzliche) Unterstützung für Kinder und Jugendliche betrachten. Gleichzeitig hatten aber ungefähr ein Fünftel (20 Prozent) der Leistungsberechtigten bisher noch keinen Antrag gestellt.
Sanktionen
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern. Dabei ist fast jede Arbeit oder arbeitsmarktpolitische Maßnahme zumutbar. Die Zumutbarkeitsregeln sind im § 10 SGB II geregelt. Kommen die Leistungsempfänger den Mitwirkungspflichten ohne wichtigen Grund nicht nach, können Sanktionen verhängt werden und die Leistungen gemindert werden. Die Mitwirkungspflichten werden in einer Eingliederungsvereinbarung als zentralem Bindeglied zwischen Fördern und Fordern zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten festgehalten.
Die Sanktionsnorm des SGB II (§ 31 SGB II) war von Beginn an strenger als die entsprechende Norm im alten Bundessozialhilfegesetz. Die Sanktionsnorm sah stufenweise Leistungskürzungen bei Fehlverhalten vor. Bei Meldeversäumnissen oder Nichterscheinen zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin wird der Regelsatz unter Wegfall des Zuschlages um 10 Prozent gekürzt. Weitere Pflichtverletzungen (innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr) dieser Art erhöhten die Sanktion um jeweils weitere 10 Prozent.
Alle anderen Pflichtverletzungen wurden (wiederum unter Wegfalls des Zuschlages) mit einer Kürzung der Regelleistung von 30 Prozent sanktioniert. Das Gesetz nennt folgende Situationen:
Weigerung eine angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen,
Nichterfüllung der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung insbesondere fehlende Eigenbemühungen,
Ablehnung oder Abbruch einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung oder Fördermaßnahme.
Auch hier wurde bei wiederholter Pflichtverletzung aufsummiert. Eine zweite Pflichtverletzung führt also zu einer Minderung um 60 Prozent. Bei einer dritten und jeder weiteren Pflichtverletzung konnte das Arbeitslosengeld II um 100 Prozent gemindert werden. Hier waren also auch Leistungen für Unterkunft und Heizung betroffen. Eine verschärfte Form der gesetzlichen Sanktionen richtete sich an Jugendliche unter 25 Jahren. Bei ihnen wurde bereits bei der ersten Pflichtverletzung die Leistung auf die Kosten der Unterkunft begrenzt. Die Absenkung und der Wegfall der Leistungen dauerten drei Monate. Bei Jugendlichen unter 25 Jahren konnte die Dauer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auf sechs Wochen verkürzt werden. In der Statistik zeigen sich deutlich die Auswirkungen der verschärften Regelungen für Jugendliche. Sie sind wesentlich häufiger von einer Sanktion betroffen.
QuellentextKritik an Sanktionen in der Grundsicherung
Jeder Dritte, der sanktioniert wird, lebt mit Kindern zusammen. Das heißt, Hartz-IV-Sanktionen gefährden Kindeswohl.
Katja Kipping, DIE LINKE, Bundestag 7.11.2019
Ob die Sanktionen mit dem Grundgesetz vereinbar sind, war seit Einführung der Grundsicherung eine strittige Frage. Am 5. November 2019 hat das Bundesverfassungsgericht hierzu ein lang erwartetes Urteil gefällt. Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Vorlage des Sozialgerichts Gotha und den Fall eines Arbeitslosen aus Erfurt zu urteilen, dem die Leistungen gekürzt wurden, weil er zunächst ein Arbeitsangebot abgelehnt und anschließend Probearbeit verweigert hatte. Das Sozialgericht Gotha stellte die Unvereinbarkeit von SGB II-Sanktionen mit dem Grundgesetz fest und legte die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. Die Gothaer Richter sahen insbesondere eine Verletzung der Menschenwürde und des Grundrechts auf Berufsfreiheit.
QuellentextUrteil des BverfG vom 5. November 2019
Der Gesetzgeber kann die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz binden, solche Leistungen also nur dann gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können. Er kann erwerbsfähigen Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II auch zumutbare Mitwirkungspflichten zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit auferlegen, und darf die Verletzung solcher Pflichten sanktionieren, indem er vorübergehend staatliche Leistungen entzieht. Aufgrund der dadurch entstehenden außerordentlichen Belastung gelten hierfür allerdings strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers ist hier beschränkt. Je länger die Regelungen in Kraft sind und der Gesetzgeber damit deren Wirkungen fundiert einschätzen kann, desto weniger darf er sich allein auf Annahmen stützen. Auch muss es den Betroffenen möglich sein, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung nach einer Minderung wieder zu erhalten.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil entschieden, dass Mitwirkungspflichten und deren Durchsetzung mithilfe Sanktionen im Grundsatz verfassungskonform sind. Teilweise sind die Sanktionsregelungen jedoch unverhältnismäßig und bedürfen einer Neuregelung durch den Gesetzgeber. Bis eine gesetzliche Neuregelung in Kraft tritt, werden die Sanktionen unabhängig von der Anzahl der Verstöße und vom Alter auf maximal 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt. Zudem kann auf eine Sanktion verzichtet werden, wenn diese zu außergewöhnlichen Härten führen würden oder den Zielen des SGB II widersprechen würde. Darüber hinaus darf eine Sanktion höchstens noch einen Monat andauern, wenn der Leistungsberechtigt ernsthaft und nachhaltig erklärt, zukünftig mitwirken zu wollen. Die Kürzungen bei Meldeversäumnissen und die Regelung für Personen unter 25 Jahren waren nicht Gegenstand der Entscheidung.
QuellentextArbeitslose fördern statt ins Existenzminimum eingreifen
„Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind immer nur verfassungsrechtliche Grenzen, über die der Gesetzgeber auch hinausgehen kann. Denn nicht alles, was unsere Verfassung vielleicht gerade noch so zulässt, ist auch im Interesse von Arbeitsuchenden und Beschäftigten. Und längst nicht alles, was gut und richtig ist wie beispielsweise der Mindestlohn, ergibt sich aus der Verfassung. Der Gesetzgeber kann und muss sicherstellen, dass das Existenzminimum durch Sanktionen nicht unterschritten wird.“
Derzeit arbeitet das Bundesarbeitsministerium an einer nach dem BVerfG-Urteil notwendig gewordenen gesetzlichen Änderung des SGB II zu einer rechtskonformen Weiterentwicklung. Dabei wird es vor allem um die Zukunft der Sanktionen gehen.
QuellentextSanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende weiterhin notwendig
„Die Leistungsberechtigten arbeiten in der ganz überwiegenden Zahl gut mit den Jobcentern zusammen. Wir sind uns aber einig, dass es für die kleine Minderheit, die Mitwirkungspflichten verletzt, weiterhin Sanktionen geben muss. Das Prinzip des ‚Förderns und Forderns‘ hat sich bewährt.“
Insgesamt wurden im Jahr 2019 über 800.000 Sanktionen neu festgestellt. Im Jahresdurchschnitt 2019 waren jeden Monat rund 121.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte von mindestens einer Sanktion betroffen. Die Zahlen gehen seit einigen Jahren deutlich zurück. Der Unterschied der Zahlen hängt damit zusammen, dass eine Person mehrere Sanktionen erhalten kann, die dann einzeln gezählt werden. Der Anteil der Sanktionierten an allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (Sanktionsquote) lag bei 3,1 Prozent. Damit sind Sanktionen insgesamt sehr selten, haben für die Betroffenen aber enorme Auswirkungen. Die verschärften Sanktionsregeln für unter 25 Jahren führen dazu, dass bei ihnen die Sanktionsquote mit 3,9 Prozent wesentlich höher liegt. Im Jahr 2019 waren 8,3 Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mindestens einmal sanktioniert (Sanktionsverlaufsquote).
Die häufigste Ursache für Sanktionen waren im Jahr 2019 Meldeversäumnisse (78 Prozent). In 8,1 Prozent der Fälle wurden Sanktionen verhängt, weil die Leistungsempfänger sich weigerten eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen oder deren Pflichten nachzukommen. Erst an dritter Stelle folgen Sanktionen wegen der Weigerung eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder sonstige Maßnahme auszuführen (10,3 Prozent). In den letzten Jahren haben vor allem die Sanktionen wegen Meldeversäumnissen zu- und die Sanktionen wegen der Weigerung eine Arbeit aufzunehmen abgenommen. Die Bundesagentur für Arbeit führt diese Entwicklung auf die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und die intensivere Betreuung in den Jobcentern zurück.
Hinzuverdienstmöglichkeiten
Die Regelungen zu Freibeträgen bei Erwerbstätigkeit wurden bereits gründlich verändert, da die Erstregelung als zu kompliziert und wenig effektiv galt. Seit dem 1. Juli 2011 gilt folgende Regelung: Zum Arbeitslosengeld II können 100 Euro anrechnungsfrei monatlich hinzuverdient werden. Einkommen, das den Grundfreibetrag von 100 Euro übersteigt, wird gestaffelt auf das Arbeitslosengeld II angerechnet, und zwar folgendermaßen:
Von einem Erwerbseinkommen von 101 Euro bis 1.000 Euro werden 80% auf das Arbeitslosengeld II angerechnet, 20% sind also anrechnungsfrei.
Von einem verdienten Bruttoeinkommen von 1.000 bis 1.200 Euro (1.500 Euro für Personen oder Haushalte mit minderjährigen Kindern) werden 90% auf das Arbeitslosengeld II angerechnet, 10% sind anrechnungsfrei.
Darüber hinaus gehendes Bruttoeinkommen wird zu 100% auf das Arbeitslosengeld II angerechnet.
QuellentextFDP: Zuverdienstregelungen für ALG II-Empfänger reformieren
Selbstverdientes Einkommen soll nur prozentual und geringer als heute angerechnet werden. Wir wollen eine trittfeste Leiter in die finanzielle Eigenständigkeit bauen: Gerade Menschen, die es am Arbeitsmarkt schwer haben, gelingt über eine Teilzeittätigkeit im Rahmen eines Mini- oder Midijobs oft der erste Schritt. Gerade für Menschen im heutigen Arbeitslosengeld II („Hartz IV-Aufstocker“), lohnt es sich jedoch kaum, mehr Stunden zu arbeiten und so mehr zu verdienen. Denn die Zuverdienstregelungen sind demotivierend und werfen den Menschen Knüppel zwischen die Beine. Deshalb wollen wir diese in einem ersten Schritt reformieren.
Tim Obermeier ist Referent für Grundsatzfragen Arbeitsmarktpolitik im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Zuvor war er als Geschäftsführer und Projektleiter am Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM) Hochschule Koblenz beschäftigt. Er studierte Sozialwissenschaften an den Universitäten Göttingen und Córdoba/Spanien.
Frank Oschmiansky ist Diplom Politologe und Partner in der Partnerschaftsgesellschaft ZEP – Zentrum für Evaluation und Politikberatung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Implementation und Evaluation der Arbeitsmarktpolitik; Geschichte der Arbeitsmarktpolitik; atypische Beschäftigungen; Entwicklung der Sozialpolitik und Übergangssystem Schule-Beruf.
Ph.D., geb. 1965; Direktor des Department of Border Region Studies, University of Southern Denmark, Aabenraa, Dänemark. Anschrift: Department of Border Region Studies, University of Southern Denmark, Persillegade 6, 6200 Aabenraa, Dänemark E-Mail: E-Mail Link: jgk@sam.sdu.dk
Veröffentlichungen u.a.: (Hrsg. zus. mit Robert Bohn und Uwe Danker) Zwischen Hoffnung, Anpassung und Bedrängnis. Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzraum in der NS-Zeit, Bielefeld 2001; Dänisch-deutsche Grenzregion: Erfahrungen zwischen Deutsch und Dänisch, in: Christian Banse/Holk Stobbe (Hrsg.), Nationale Grenzen in Europa. Wandel der Funktion und Wahrnehmung nationaler Grenzen im Zuge der EU-Erweiterung, Frankfurt/M. 2004; (Hrsg. zus. mit Robert Bohn) Ein europäisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland 1945 - 2005 (i.E., Bielefeld 2005).