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Arbeitsmarkttheorien und -konzepte | Arbeitsmarktpolitik | bpb.de

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Arbeitsmarkttheorien und -konzepte

Frank Oschmiansky

/ 11 Minuten zu lesen

Neben den beiden „Basistheorien“ (Keynesianisches und Neo-Klassisches Modell), welche eher zur grundlegenden Wirtschaftstheorie gehören, gibt es Theorien und Ansätze, die sich speziell auf den "Arbeitsmarkt" und seine Besonderheiten beziehen. Das Angebot an ökonomischen und soziologischen Arbeitsmarkttheorien ist so vielfältig, dass auf diesen Seiten nur einige ausgewählte vorgestellt werden können. Für weitergehend Interessierte sei auf die weiterführende Literatur verwiesen.

(© Public Domain)

Die Neoklassik

Die Metapher von der unsichtbaren Hand geht auf den Ökonomen Adam Smith zurück. (© Public Domain, Radierung von Cadell and Davies (1811), John Horsburgh (1828) oder R.C. Bell (1872). Ursprüngliche Darstellung von James Tassie (1787))

Das neoklassische Basismodell des Arbeitsmarkts folgt der Annahme, dass die "unsichtbare Hand" (invisible hand) des Wettbewerbs zu optimalen Allokationsergebnissen führt, solange die "richtigen" Rahmenbedingungen das freie Spiel der Marktkräfte zulassen und der Wettbewerb sich voll ausgewirkt hat. Unerwünschte Zustände auf dem Arbeitsmarkt werden durch Einschränkungen des freien Wettbewerbs erklärt.

In der neoklassischen Theorie wird davon ausgegangen, dass es sich beim Arbeitsmarkt um einen Markt wie jeden anderen Gütermarkt handelt. Ein Marktgleichgewicht zwischen Angebot (potentielle Arbeitnehmer) und Nachfrage (potentielle Arbeitgeber) wird wesentlich durch den Preismechanismus, also die Lohnhöhe, hergestellt. Arbeitslosigkeit kann daher nur in Folge überhöhter Reallöhne entstehen und kann auch nur durch Anpassung dieser zu hohen Löhne nach unten abgebaut werden (Markträumung). Konsequenz dieser Denkweise ist, dass es demzufolge keine dauerhafte, unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben kann. Wollen die Arbeitslosen tatsächlich arbeiten, müssen sie nur ihre Lohnforderungen nach unten schrauben. Arbeitslosigkeit kann demnach nur durch ein kurzfristiges Ungleichgewicht entstehen.

KritikKurt W. Rothschild

Zugespitzt könnte man sagen, während andere Theorien Arbeitslosigkeit sehen, sie zu erklären und eventuell zu beseitigen versuchen, erhebt sich für die neoklassische Theorie die Frage, wieso es überhaupt zu Arbeitslosigkeit kommen könne, da es sie ja gar nicht geben dürfte. (…) Da die Wirklichkeit von dem ausgefeilten und hochgezüchteten Modell stets beträchtlich abweicht und abweichen muss, ist es nicht schwer, den Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes aufrecht zu erhalten. Man kann stets auf "schuldhaftes" marktabweichendes, d.h. modellwidriges Verhalten hinweisen (Rigiditäten, Geldvermehrung etc.), das Marktstörungen und Arbeitslosigkeit nach sich ziehe.

Mehr als das. Gerade das, was stets als Plus der allgemeinen Gleichgewichtstheorie angesehen wird, nämlich ihr umfassend-zusammenhängender Erklärungsanspruch, führt immer wieder zu defensiven Forschungsstrategien, um das diffizile theoretische Gebäude vor Einbruchgefahr zu schützen. Das wirkt sich bei arbeitsmarktrelevanten Problemen besonders störend aus, da gerade hier der Abstand zwischen Realität und Modell besonders gravierend ist. Der Arbeitsmarkt, der sich durch extreme Heterogenität und mangelnde Transparenz auszeichnet, wo Kontrakte für die Zukunft abgeschlossen werden und somit Unsicherheit und Erwartungen eine entscheidende Rolle spielen, wo der Einfluss von Institutionen, Gruppenverhalten und Klassenkonflikten nicht zu übersehen ist, ist so weit von den Mechanismen des normalen Marktmodells mit seinen individualistisch-rationalen Optimierungskalkülen entfernt, dass der Versuch, ihn in dieses Modell zu zwängen, meiner Meinung nach erkenntnishemmend wirkt.

Rothschild, Kurt W. (1990): Kritische Darstellung der theoretischen Grundlagen der Vollbeschäftigungspolitik. In: Rothschild, Kurt W.: Arbeitslose: Gibt´s die?: Ausgewählte Beiträge zu den ökonomischen und gesellschaftlichen Aspekten der Arbeitslosigkeit. Hrsg. von Reiner Buchegger, Marburg; S. 89-104, hier S. 96.


Neoklassische Empfehlungen zur Senkung der Arbeitslosigkeit sind in der Regel:

  • Zurückhaltende Lohnpolitik bzw. Senkung des Lohnniveaus

  • Stärkere Differenzierung der Lohnsätze zwischen Branchen und den Regionen

  • Aufhebung von Lohnrigiditäten nach unten in Tariflöhnen, ortsüblichen Entgelten und Mindestlohnregeln

  • Einhaltung des Lohnabstandsgebotes (Arbeitslosen- oder Sozialgelder sollen so bemessen sein, dass sich die Annahme von Arbeit lohnt)

  • Deregulierung der Arbeitsmärkte (insbesondere ein abgeschwächter Kündigungsschutz und vereinfachte Möglichkeiten, befristete Arbeitsverträge abzuschließen)

  • Reduzierung der Staatsquote (Anteil der Staatsausgaben am Bruttosozialprodukt)

Das Keynesianische Modell

Der Börsencrash von 1929 veränderte die Weltwirtschaft grundlegend. Die folgende Weltwirtschaftskrise zog einen Rückgang der Produktion, soziales Elend und vor allem Massenarbeitslosigkeit nach sich. Dies führte auch dazu, dass die neoklassische Theorie mit ihrem Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes in Frage gestellt wurde. Die theoretische Kritik fand ihren stärksten Ausdruck in der "General Theory of Employment, Interest and Money", welche der britische Ökonom John Maynard Keynes 1936 veröffentlichte.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883-1946). (© AP)

Die auf Keynes zurückgehende Theorie erklärt die Arbeitslosigkeit aus den Unternehmensentscheidungen auf den Güter-, Geld- und Kapitalmärkten im internationalen Zusammenhang. Im gesamtwirtschaftlichen Resultat der einzelwirtschaftlichen Entscheidungen ist die volle Ausschöpfung der Produktionsmöglichkeiten mangels effektiver Nachfrage nicht gesichert. Daraus folgt die Notwendigkeit einer koordinierten Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik, um die potenziell ausschöpfbare, jedoch brachliegende Nachfrage nach Arbeitskräften zu erhöhen.

Das beste Gegenmittel gegen Arbeitslosigkeit wie allgemein gegen Wirtschaftsflauten ist danach eine Stärkung der (Binnen-)Nachfrage, so dass die Wirtschaft in Schwung kommt und neue Arbeitsplätze entstehen. Die Folgerungen sind teilweise diametral jenen der reinen neoklassischen Theorie entgegengesetzt, denn zur Stärkung der Nachfrage sollte der Staat sich gerade in der Wirtschaftsflaute verschulden (um selbst Investitionen zu tätigen) und ferner darauf achten, dass Löhne nicht zu stark sinken und Arbeitslosengeld oder auch Kurzarbeitergeld gezahlt wird (weil dies ansonsten weitere Nachfrageausfälle zur Folge hätte).

KritikHans-Werner Sinn

Höhere Löhne, so das Argument, stärken die Massenkaufkraft und erhöhen auf dem Wege einer höheren Konsumgüternachfrage den Absatz der Unternehmen. Das wiederum führe zu Neueinstellungen und Einkommenserhöhungen bei den Unternehmen, was abermals die Konsumgüternachfrage steigere. Es gebe einen Multiplikatoreffekt, der schließlich alle Wirtschaftsbereiche erfasse. An diesem Argument ist zweierlei falsch. Erstens stimmt es nicht, dass Lohnerhöhungen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimulieren. Zwar wird die Konsumgüternachfrage durch Lohnerhöhungen belebt, doch fällt die Investitionsgüternachfrage. Lohnerhöhungen verringern die Gewinne, die die Unternehmen aufgrund von Investitionen erwarten können, und drücken auf diese Weise viele technisch mögliche Projekte unter die Rentabilitätsschwelle. Dies bedeutet, dass die Käufe von Investitionsgütern zurückgehen und dass die Investitionsgüterindustrie weniger Einnahmen erzielt und weniger Leute beschäftigt. (…) Und zweitens kommt es auf die Konjunktur nicht wirklich an. Deutschlands Probleme sind keineswegs konjunktureller Natur. (…) Etwa 85% der Arbeitslosigkeit sind (…) strukturell bedingt, und diese Arbeitslosigkeit kann man auch unter günstigen Bedingungen nicht durch nachfragebelebende Maßnahmen beseitigen. (…) Nein, mehr gesamtwirtschaftliche Nachfrage und mehr Kaufkraft sind es wirklich nicht, was Deutschland braucht. Unser Land braucht niedrigere Produktionskosten, damit wieder mehr wettbewerbsfähige Produkte angeboten werden können. Wettbewerbsfähige Produkte suchen sich die Nachfrage selbst.

Sinn, Hans-Werner (2003): Ist Deutschland noch zu retten, München; S. 99ff.

Die Suchtheorie

Weil die Neoklassik im Idealfall von homogenen, vollständig informierten und mobilen Arbeitskräften ausgeht, sieht sie in der Anpassung der Löhne einen hinreichenden Ausgleichsmechanismus zwischen Angebot und Nachfrage. In einem solchen Modell hat Arbeitsmarktpolitik daher auch gar keinen Platz. In der informationstheoretischen Weiterentwicklung der Neoklassik erhält die Arbeitsmarktpolitik wenigstens eine Vermittlerrolle: In der Suchtheorie wird der Arbeitsmarkt mit einer Menge von Inseln verglichen, zwischen denen Kommunikations- und Transportprobleme bestehen. Informationen von den anderen "Inseln" zu beschaffen kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit, in der gearbeitet werden könnte. Arbeitslose oder Arbeitsuchende, die ihren Arbeitsplatz verbessern wollen, finden ihren neuen Job erst nach einiger Zeit, und Unternehmen, die wegziehende oder in Rente gehende Beschäftigte ersetzen oder neue Jobs besetzen wollen, finden nicht sofort die beste Arbeitskraft. Arbeitslosigkeit und offene Stellen werden daher immer in einem gewissen Umfang nebeneinander existieren. Die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik ist es, bei der wechselseitigen Informationsbeschaffung Vermittlungsfunktionen zu übernehmen und die so genannte friktionelle Arbeitslosigkeit (siehe Interner Link: hier) auf ein Minimum zu senken. Hier findet jedoch schon ein erster Filterungsprozess statt. Die öffentlichen Arbeitsverwaltungen kennen meist nur ein Segment der offenen Stellen (im internationalen Vergleich erfahrungsgemäß bis zu einem Drittel), während ein Großteil der Suchprozesse über Anzeigen bzw. Online-Jobbörsen oder soziale Beziehungen läuft. Auf dem offenen Markt oder in Netzwerken haben jedoch die formal besser qualifizierten (Signalwirkung von Zertifikaten) und mobilen Arbeitskräfte größere Chancen als die formal weniger oder nur betriebsspezifisch qualifizierten Arbeitskräfte, zumal wenn letztere noch durch Familienpflichten (oder örtlich) gebunden sind.

Die Bundesagentur für Arbeit bemüht sich mittels Arbeitsvermittlung, Stellenbörsen, Betriebsinformationen, in Berufsinformationszentren und mit dem virtuellen Arbeitsmarkt die Suchzeiten und -kosten für Arbeitsuchende zu verringern. Gleiches gilt für die Betriebe, die kostenlos den Arbeitgeberservice, Vermittlungen auf Vorschlag, Vorauswahl von Bewerbern und Sonderleistungen für Großkunden beanspruchen können. Alle diese Dienstleistungen werden aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung finanziert.

ErläuterungThomas Hinz, Martin Abraham

Das von den Akteuren zu lösende Problem kann wie folgt charakterisiert werden: Nehmen wir an, ein Arbeitsuchender steht vor einer Lostrommel, in der eine Anzahl von Losen (die offenen Arbeitsplätze) liegen. Die Lose unterscheiden sich im Hinblick auf den "Gewinn", d.h. der Arbeitsplatzsuchende kann bessere und schlechtere Lohnangebote erhalten. Der Akteur muss für jedes Los, das er aus der Trommel entnimmt, einen Betrag bezahlen – dies entspricht den Suchkosten, die im Falle eines arbeitslosen Arbeitsplatzsuchers zum Beispiel dem entgangenen Lohn in der Suchperiode entsprechen. Zieht er neue Lose, so verfallen die alten Gewinne, einmal abgesagte Arbeitsangebote sind also verloren. Die Frage lautet nun: Wie viele Lose soll er kaufen, um einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen? Um eine Antwort auf dieses Problem geben zu können, muss der Akteur über ein Entscheidungskriterium verfügen, wann er die Suche abbrechen soll. Dies kann er nur, wenn er zumindest ungefähr weiß, welchen Lohn er erwarten kann. Daher nehmen Suchtheorien in der Regel an, dass der Suchende darüber informiert ist, wie viele Lose mit welchen Gewinnen in der Trommel vorhanden sind. Damit kann er vor jeder Losentnahme abschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit er ein Lohnangebot bestimmter Höhe erhält. Der Suchende muss nun nach jeder Losentnahme entscheiden, ob er das Angebot annehmen will oder ein neues Los kaufen soll. Dafür vergleicht er die Kosten des nächsten Suchschrittes mit einem Erwartungswert des Gewinns, den er aufgrund seines Wissens über die in der Lostrommel existierenden Angebote bildet. Übersteigen die Kosten diesen Erwatungswert, so nimmt er das aktuelle Angebot an, erwartet er dagegen, dass das zukünftige Angebot seine Kosten mehr als wettmacht, so sucht er weiter.

Hinz, Thomas / Abraham, Martin (2005): Theorien des Arbeitsmarktes: Ein Überblick. In: Abraham, Martin / Hinz, Thomas (Hrsg.). Arbeitsmarktsoziologie. Probleme, Theorien, empirische Befunde, Wiesbaden.

Die Humankapitaltheorie

Die Humankapitaltheorie räumt mit der Annahme homogener Arbeitskräfte auf und stellt das Risiko von Bildungsinvestitionen in Rechnung. Investitionen in Humankapital sind ein Abwägungsproblem: Einerseits verursacht Ausbildung direkte Kosten und während der Ausbildungszeit muss auf Einkommen weitgehend verzichtet werden; andererseits besteht die Erwartung, im Verlauf des Erwerbslebens ein höheres Einkommen zu erzielen. Diese Rendite ist jedoch aus zwei Gründen unsicher: Rationale Einzelentscheidungen können wegen ihrer Wechselwirkung kollektiv irrational werden; wenn etwa alle in die vermeintlich sicheren Berufe investieren, sinken die Renditen. Darüber hinaus ist der technische Strukturwandel nicht voraussehbar, so dass Berufe bzw. Berufsabschlüsse schnell obsolet werden können. Änderungen verfehlter Bildungsinvestitionen brauchen jedoch Zeit, so dass Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage auf der Tagesordnung stehen. Es besteht daher die Gefahr sowohl zu geringer als auch falscher Investitionen in Humankapital.

KritikLester C. Thurow

Die Wirtschaftlichkeitsberechnung eines College-Studiums möge als Beispiel dienen. Erst nach 16 Jahren teurer Investitionen setzen die ersten Rückflüsse ein. Rund 65.000 Dollar sind in Amerika in zwölf Jahre Schulbildung zu investieren. Rechnet man vier Jahre College hinzu, kommen je nach Qualität der Bildungsstätte 80.000 Dollar bis 120.000 Dollar zusammen. Diese sechzehn Jahre Schulbildung entsprechen einem Einkommensverzicht in Höhe von rund 68.000 Dollar. 16 Jahre qualitativ hochwertiger Bildung kosten pro Kind rund 250.000 Dollar. Das Risiko, dass sich diese Investition nicht amortisieren wird, ist äußerst hoch. In den Jahren, in denen die höchsten Gehälter verdient werden – zwischen 45 und 54 – verdienen in Amerika 26 Prozent aller Weißen mit einem B.A. (akademischer Grad, der mit dem College-Abschluss erworben wird) weniger als der weiße Durchschnittsamerikaner mit High-School-Abschluss. 21 Prozent aller weißen Männer mit High-School-Abschluss verdienen mehr als der durchschnittliche Weiße mit einem B.A. (…) Weitere Risiken kommen hinzu. Ob sich ein College-Abschluss lohnt, hängt davon ab, wie sich die Einkommensunterschiede zwischen High-School- und College-Absolventen über die Lebensarbeitszeit entwickeln werden.

Thurow, Lester C. (1996): Die Zukunft des Kapitalismus, Düsseldorf, München; S. 414f.

Die Humankapitaltheorie betrachtet bei der Analyse des Produktionsfaktors Arbeit die Angebotsseite. Damit bleibt sie eng an der neoklassischen Perspektive. Die Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt können aus humankapitaltheoretischer Sicht nur dadurch beseitigt werden, dass alle un- oder fehlqualifizierten Arbeitskräfte sich durch eine der Nachfrage entsprechenden Ausbildung oder Weiterbildung konkurrenzfähig machen.

Arbeitsmarktpolitik kann auch hier Vermittlerfunktionen durch systematische und umfassende Bereitstellung von Informationen über die Zukunft des Arbeitsmarkts übernehmen. Sie kann das Risiko der individuellen Investitionsentscheidung mindern, indem sie einen Teil der Kosten mit übernimmt, der später auf Grund externer Effekte auch der Gesamtheit und nicht nur der einzelnen Person zugutekommt. Es liegt nahe, dass hier ein zweiter Filterprozess zuungunsten der weniger Qualifizierten stattfindet, die sich laufende Bildungsinvestitionen nicht leisten können, oder zuungunsten der Älteren, deren Investitionen sich langfristig nicht mehr auszuzahlen scheinen. Darüber hinaus legen Investitions- und Lerntheorie nahe, dass mit zunehmender Dauer des Nichtgebrauchs von Qualifikationen nicht nur diese Fähigkeiten buchstäblich "erodieren", sondern auch Selbstvertrauen, Mut und Motivation der betroffenen Menschen zerstören. Solche Prozesse können schließlich zu "Teufelskreisen" führen, d.h. zu sich selbstverstärkender Arbeitslosigkeit, in der ökonomischen Fachterminologie auch "Hysteresis" genannt. Inwieweit die Arbeitsmarktpolitik in dieses Strukturproblem korrigierend eingreifen kann, hängt stark von ihrer Professionalität sowie von der politischen Rückendeckung ab. Beispiele sind das Nachholen eines Schulabschlusses, die Anerkennung ausländischer Schul- und Ausbildungsabschlüsse, Umschulung, Aus- und Weiterbildung.

Die Vertragstheorie (oder Kontrakttheorie)

Die Annahme unbegrenzter Lohnflexibilität wird vor allem von der Vertragstheorie bestritten. Viele Arbeitnehmer sind risikoscheu, so die Annahme. Statt stark schwankenden Löhnen bei wechselhaften Marktbedingungen bevorzugen sie eine immer gleich gefüllte Lohntüte. Dafür nehmen sie einen niedrigeren Durchschnittslohn in Kauf als den auf dem Markt erzielbaren. Auf Grund dieser "Risikoprämie" haben Arbeitgeber bei einer Konjunkturverschlechterung zunächst einen Spielraum, die Beschäftigung zu halten, bis die Grenzproduktivität an den tatsächlich gezahlten Lohn heranreicht. Danach werden sie jedoch zu Entlassungen greifen, um die Löhne für diejenigen zu halten, mit denen sie ebenfalls einen meist stillschweigenden (impliziten) Vertrag geschlossen haben, die jedoch für das Wohl und Wehe der Firma von großer Bedeutung sind.

ErläuterungWolfgang Franz

Welche Relevanz kann der Theorie impliziter Kontrakte zugebilligt werden? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sie zur Erklärung von Lohnrigiditäten im Rahmen von Lohnbildungsprozessen außerhalb kollektiver Vereinbarungen entwickelt wurde – also beispielsweise für den "non-union" Sektor der USA, der ungefähr 70 % der gesamten Lohnsumme erfasst. Diese Regelungen sind in der Bundesrepublik mit Ausnahme von reinen Saisonbetrieben unüblich. Davon unberührt bleibt, dass die Idee einer Risikoteilung im Rahmen von Arbeitsverträgen eine plausible Hypothese ist, wobei es natürlich denkbar ist, dass auch kollektive Lohnverträge Versicherungskomponenten implizit enthalten. In höherem Umfang dürfte die kontrakttheoretische Idee auf den Kreis (außertariflich entlohnter) Arbeitskräfte mit hoher Qualifikation bzw. Spezialisierung zutreffen. Zusammengenommen liefert die Theorie impliziter Kontrakte mithin für einen Teilbereich der Löhne eine Erklärung für Lohnrigiditäten.

Franz, Wolfgang (1991): Arbeitsökonomik, Berlin, Heidelberg; S. 300.

Effizienzlohntheorien

Im Gegensatz zur Kontrakttheorie begründen Effizienzlohnmodelle das Interesse an festen und nichtmarkträumenden Lohnsätzen aus Unternehmensinteressen. Ein solches Interesse kann verschiedene Gründe haben: Vermeidung von Transaktionskosten (Einstellungs-, Einarbeitungs- oder Entlassungskosten), die Kontrolle von "Bummelanten", Reputation, Leistungsanreiz. In all diesen Fällen erhöhen sich für die Arbeitnehmer die Opportunitätskosten einer Entlassung oder Kündigung, so dass sich ihre loyale Betriebsbindung verstärkt und damit ihre Produktivität erhöht.

ErläuterungUwe Blien

Das schlimmste, was einem Arbeiter passieren kann, der sich bei der Arbeit drückt, ist, dass er entlassen wird. Da er jedoch sofort wieder eingestellt werden kann, zahlt er keine Strafe für sein Vergehen. Erhält der betreffende Arbeiter jedoch einen besseren Lohn, als dem Marktdurchschnitt entspricht, wirkt sich eine Kündigung für ihn unangenehm aus. Er wird sich mehr anstrengen, um ihr zu entgehen.

Blien, Uwe (1986): Unternehmensverhalten und Arbeitsmarktstruktur. Eine Systematik und Kritik wichtiger Beiträge zur Arbeitsmarkttheorie; BeitrAB 103, Nürnberg, S. 274.

Ein weiterer Aspekt der Effizienzlohntheorie ist die Auslesefunktion. Das Unternehmen reagiert auf die Lohnforderungen des Bewerbers. Falls diese niedriger sind als ein intern vom Unternehmen angesetztes Niveau, wird der Bewerber abgelehnt, weil die Firma davon ausgeht, dass qualifizierte Bewerber eine entsprechend hohe Selbsteinschätzung besitzen.

Die Insider-Outsider-Theorie

Die Insider-Outsider-Theorie stellt eine Erweiterung zum neoklassischen Arbeitsmarktmodell dar und erklärt Arbeitslosigkeit mit einem Konflikt zwischen arbeitslosen und beschäftigten Arbeitnehmern. Die Insider-Outsider-Theorie zeigt, wie die Insider aufgrund von Einstellungs- und Entlassungskosten gegen eine marginale Unterbietung durch die Outsider geschützt werden. Dabei gründet sich die Machtposition der Insider hauptsächlich auf Kostenvorteilen gegenüber den Outsidern, die nicht voll ausgeschöpft sind. Die Ersparnis, die sich durch Nichtaustausch der Beschäftigten ergibt, kann von den Insidern in Lohnverhandlungen abgeschöpft werden. Dadurch wird das Lohnniveau so stark über den markträumenden Gleichgewichtslohn angehoben, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit entsteht. Die Outsider können durch Unterbieten der herrschenden Löhne ihre Ausgangssituation nicht verbessern, denn die Insider sind durch kooperatives strategisches Handeln in der Lage, sowohl gegenüber den Unternehmen als auch gegenüber den Outsidern die Anstellung von Arbeitslosen für die Unternehmen so kostspielig zu machen, dass die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit kein wirkungsvolles Druckmittel auf die Beschäftigten (Insider) darstellt. Die Theorie unterstellt, dass bei kollektiven Lohnverhandlungen die Gewerkschaften bei ihren Lohnforderungen allein die Interessen der Insider vertreten.

ErläuterungHans Schmid, Doris von Dosky, Benedikt Braumann

Der zentrale Gedanke dieser These ist, dass beschäftigte, gewerkschaftlich organisierte Arbeiter – die "Insider" – Marktmacht besitzen und damit auf Kosten der arbeitslosen "Outsider" gruppenegoistische Ziele durchsetzen. Die Insider besitzen Marktmacht, weil es für das Unternehmen kostspielig ist, sie zu ersetzen. Kündigungsschutz und Abfindungszahlungen sind direkte Kosten der Entlassung. Aber indirekt entstehen weitere Kosten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter: Diese haben in der Regel noch kein betriebsspezifisches Humankapital. Sie müssen über längere Zeit trainiert und geschult werden und belasten dabei alte, erfahrene Mitarbeiter, die bei ihren eigentlichen Aufgaben fehlen. Die Fluktuationskosten oder "Turnover Costs" schrecken die Firma davon ab, eingesessene Insider zu entlassen. Dadurch geben sie den Insidern einen gewissen Spielraum bei der Lohnsetzung, den diese so weit wie möglich ausnutzen. Sie werden den Lohn gerade so hoch setzen, dass sich ihre Entlassung für die Firma nicht lohnt. Damit wird es für die Firma zu teuer, neue Mitarbeiter einzustellen, was den Insidern nicht ungelegen kommt. Sie haben nämlich gar kein Interesse an zusätzlichen Kollegen, auf die sie bei späteren Lohnverhandlungen nur Rücksicht nehmen müssten. Jeder neue Gast am Tisch bedeutet ein kleineres Kuchenstück für alle. Jeder neue Mitarbeiter bedeutet – entsprechend der Arbeitsnachfrage – einen tieferen Reallohn für die eingesessenen Beschäftigte.

Schmid, Hans / von Dosky, Doris / Braumann, Benedikt (1996): Ökonomik des Arbeitsmarktes; Bern, Stuttgart, Wien; 2. Aufl., S. 157f.

Regulationstheorie

Regulationstheorien behaupten, dass die Arbeitsmärkte in Europa durch gesetzliche (z.B. Kündigungsschutz) und tarifliche (z.B. Flächentarife) Regelungen eingeschnürt werden, so dass die Anpassungsfähigkeit der europäischen (insbesondere der deutschen) Arbeitsmärkte an den Strukturwandel erheblich eingeschränkt ist (Eurosklerose). Daher können nach der Regulationstheorie neue und sichere Arbeitsplätze nicht durch mehr, sondern durch weniger arbeitsrechtliche Schutzvorschriften geschaffen werden.

Dieser Ansatz fand in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Koalitionswechsel 1982 (Helmut Kohl wurde Bundeskanzler einer CDU-FDP-Koalition) eine große politische Anhängerschaft. Unter dem Eindruck des angeblichen "amerikanischen Beschäftigungswunders" gerieten u.a. die rigiden Lohnstrukturen, starre Arbeitszeitregelungen und der hoch entwickelte Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse ins Zentrum der Kritik. Die Regulationstheorie setzt stärker auf Deregulierung des Arbeitsrechts als auf Änderungen der Arbeitsmarktpolitik. Aktive Arbeitsmarktpolitik hat im Rahmen der Regulationstheorie kaum eine Bedeutung.

ErläuterungRüdiger Soltwedel

"Die Regulierung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik ist für viele Unternehmen mit Kosten verbunden, die zu einem Rückgang der Nachfrage nach Arbeit führen können. Sie kann daher zu Lasten von Arbeitswilligen gehen, die zu den herrschenden und von der Regulierung festgeschriebenen Reallöhnen und Lohnnebenkosten keinen Arbeitsplatz finden. (…) Regulierungen, die wie der Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse die Arbeitskosten erhöhen, führen auf Dauer zu einem niedrigeren Beschäftigungsniveau. Die Anforderungen an die Arbeitskräfte hinsichtlich ihres zu erbringenden Wertgrenzprodukts steigen. Dadurch sinken aber gerade die Beschäftigungschancen derjenigen Arbeitskräfte, die eigentlich geschützt werden sollten: der Arbeitnehmer mit dem geringsten Produktivitätspotential (das sind Arbeitnehmer ohne Berufsausbildung, aber auch ältere Arbeitnehmer, solche mit gesundheitlichen Risiken und Mitglieder von Problemgruppen). Nicht nur, dass sie bei Änderungen der Nachfrage nach Arbeit am ehesten ihre Beschäftigung verlieren; sie werden auch wegen der Entlassungskosten nicht so leicht wieder eingestellt, wenn sie erst einmal arbeitslos geworden sind."

Soltwedel, Rüdiger et al. (1990): Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik; Tübingen; S. 179 und 181.

Segmentationstheorien

Wie die Insider-Outsider-Ansätze beschäftigen sich auch die Segmentationstheorien mit einzelnen Subgruppen des Arbeitsmarktes. Während traditionelle Arbeitsmarkttheorien nach Berufen, Industriezweigen und Regionen differenzieren, sind der duale Arbeitsmarkt sowie interne und externe Arbeitsmärkte ihre zentralen Konzepte. Die Grundgedanken des Segmentationskonzeptes wurden in den USA bereits in den 1950er Jahren entwickelt und Anfang der 1970er Jahre dort weiterentwickelt. In den 1970er Jahren wurden auch in Deutschland Segmentationskonzepte aufgegriffen und fortentwickelt.

Ein zweidimensionales Modell des Gesamtarbeitsmarktes. Quelle: Sengenberger, Werner (1987): Struktur und Funktionsweise von Arbeitsmärkten. Die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich; Frankfurt/M.; New York; S. 212. (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Gemeinsames Kernstück der ansonsten recht heterogenen Segmentationstheorien ist die Vorstellung, dass sich der Gesamtarbeitsmarkt in eine Reihe von Teilmärkten aufgliedert, die eine innere Struktur aufweisen, mehr oder weniger gegeneinander abgeschirmt sind, mit unterschiedlichen Anpassungsformen und –instrumenten verknüpft sind und unterschiedliche Beschäftigungschancen aufweisen. Die Mobilitätsmöglichkeiten zwischen ihnen sind eingeschränkt; die Zugangschancen zu ihnen sind unterschiedlich hoch.

Nach dem zweidimensionalen Konzept von Werner Sengenberger (1987; siehe Literaturangabe unter zum Weiterlesen) lassen sich die Organisations- und Funktionsformen des jeweiligen Teilarbeitsmarktes mit den Qualitäten der Beschäftigungsverhältnisse kombinieren. Hierzu zählen neben der Lohnhöhe und den Lohnnebenkosten, der Arbeitsbelastung und –umgebung, der Chance der beruflichen Entwicklung etc. auch die Arbeitsplatzsicherheit. Danach lassen sich folgende vier Teilarbeitsmärkte unterscheiden:

  1. Der berufsfachliche Teilarbeitsmarkt setzt standardisierte, relativ breite Qualifikationen der Arbeitskräfte voraus, die in regulären, mehrjährigen Ausbildungsgängen erworben und die durch überbetriebliche Instanzen über Zertifikate kontrolliert werden. Die Arbeitgeber sparen bei der Neueinstellung von Arbeitskräften mit den geforderten zertifizierten Qualifikationen Informationsaufwand sowie Anlern- und Einarbeitungskosten.

  2. Auf dem betriebsinternen Teilarbeitsmarkt befinden sich Arbeitskräfte, die betriebsintern qualifiziert sind, aber keine oder nur geringe überbetriebliche Qualifikationen aufweisen und daher wenig Transfermöglichkeiten zwischen Betrieben haben. Innerbetrieblich haben sie jedoch relativ hohe Mobilitätschancen und werden bei Anpassungsvorgängen Außenstehenden gegenüber bevorzugt.

  3. Der unstrukturierte ("Jedermanns-")Teilarbeitsmarkt ohne wechselseitige Bindung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht aus Arbeitskräften mit Allgemeinkenntnissen, jedoch ohne fachliche und betriebsspezifische Qualifikationen. Unstrukturierte Märkte entwickeln sich fast ausschließlich für einfache, unqualifizierte oder wenig qualifizierte Tätigkeiten. Die Fluktuationsraten sind hoch aufgrund fehlender vertikaler Mobilitätschancen und niedriger Kosten infolge eines Arbeitsplatzwechsels.

  4. Der abhängige externe „Puffermarkt“: Die Beschäftigungsverhältnisse sind qualitativ minderwertig wie beim unstrukturierten Teilarbeitsmarkt, die Arbeitsplätze und Arbeitskräfte stehen hier jedoch mit Beschäftigungsverhältnissen in anderen Segmenten in Beziehung. Puffermärkte dienen der Abwälzung von Kosten und Risiken und stabilisieren damit andere Beschäftigungsverhältnisse. Der Anlass kann in Nachfrageschwankungen, in der Entwicklung neuer Techniken und Verfahren, aber auch in bestimmten Kosten und Risiken der Arbeitskräftenutzung bestehen. Die „Abpufferung“ kann innerbetrieblich organisiert werden; bestimmte Arbeitskräfte sind dann von Beschäftigungsrisiken betroffen oder im Rahmen zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung werden bestimmten Betrieben oder Betriebstypen die Beschäftigungsrisiken aufgebürdet.

ErläuterungJürgen Zerche, Werner Schönig, David Klingenberger

Das zentrale Interesse der Segmentationsansätze gilt den Determinanten der Arbeitsmarktstrukturierung, d.h. den Arbeitsplätzen, wohingegen die Arbeitnehmer in den Hintergrund treten. Sie widersprechen damit dem Ansatz der neoklassischen Analyse, einen einheitlichen Arbeitsmarkt wenn auch nicht als gegeben, so doch als Referenzpunkt der Arbeitsmarkttheorie anzusehen. Aufgrund der vielfältigen Determinanten der Arbeitsmarktstrukturierung werden Segmentationsansätze häufig als sozialwissenschaftliche Ansätze bezeichnet, was insofern richtig ist, als sowohl Ursachen als auch Wirkungen der Segmentation nicht mehr hinreichend mit der neoklassischen Analyse erfasst werden können. Damit zählen die Segmentationstheorien zu institutionalistischen Ansätzen und damit zu jenen der nicht-neoklassischen Ökonomik.

Zerche, Jürgen / Schönig, Werner / Klingenberger, David (2000): Arbeitsmarktpolitik und –theorie: Lehrbuch zu empirischen, institutionellen und theoretischen Grundfragen der Arbeitsökonomik, München, S. 222.

Zusammenfassend beschreiben die Segmentationstheorien, dass zwischen den Arbeitsmarktsegmenten kein oder nur ein gestörter Ausgleich besteht, so dass der Gesamtarbeitsmarkt nicht zum Ausgleich, sondern zum Ungleichgewicht tendiert. Arbeitslosigkeit ist nach dieser Theorie hauptsächlich ein Problem der Arbeitskräfte ohne Berufsausbildung bzw. der instabilen Randbelegschaft. Arbeitsmarktpolitik kann demnach nur erfolgreich sein, wenn die vorhandene Segmentierung des Arbeitsmarktprozesses berücksichtigt wird.

Die Theorie der Übergangsarbeitsmärkte

Erweitert man den Arbeitsbegriff und dehnt ihn weit über das Verständnis von sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung, so kann sich ein neues Verständnis von Beschäftigung und Vollbeschäftigung ergeben, das neue strategische Optionen eröffnen könnte. Es geht dann um „Brücken“ bzw. Schnittstellen zwischen verschiedenen Arbeitsformen, um die Verbindung von Arbeit, Einkommen und sozialer Sicherung.

Übergangsarbeitsmärkte. Quelle: Schmid, Günther (1993): Übergänge in die Vollbeschäftigung. Formen und Finanzierung einer zukunftsgerechten Arbeitsmarktpolitik. Berlin (Discussion Paper FS I 93-208, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Ausgangspunkt des lebenszyklusorientierten Konzeptes der Übergangsarbeitsmärkte waren zwei Befunde: Zum einen die fortschreitende Abnahme des so genannten „Normalarbeitsverhältnisses“, also der abhängigen, unbefristeten Vollzeitbeschäftigung. Zum anderen die Stagnation der Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau.

Die Konzeption verknüpft beide Befunde und empfiehlt, die Flexibilisierung der Erwerbsformen und die Pluralisierung der Lebensformen zu nutzen, um die Barrieren zwischen den dauerhaft Vollzeitbeschäftigten einerseits und den Arbeitslosen, Langzeitarbeitslosen und den vielen Personen in prekären Beschäftigungsverhältnissen andererseits zu senken und auf diese Weise für alle Erwerbspersonen die Zugänge zu den Arbeitsmärkten zu öffnen. Es geht darum, die Variabilität der Erwerbsverhältnisse zu fördern und für alle Erwerbspersonen (für die „Outsider“ und die „Insider“) flexible, aber auch sozialstaatlich gesicherte Übergänge zwischen verschiedenen Erwerbs- und Arbeitszeitformen sowie zwischen Erwerbsarbeit und anderen gesellschaftlichen oder persönlich nützlichen Aktivitäten (wie Bildung und Weiterbildung, Kindererziehung, unbezahlter kultureller, politischer und sozialer Arbeit) zu schaffen.

Kernpunkt des Konzeptes der Übergangsarbeitsmärkte ist der Gedanke, Flexibilität und soziale Sicherheit miteinander zu verbinden. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich im Sinne der Strategie der Übergangsarbeitsmärkte auflösen, wenn sie folgende Bedingungen erfüllt:

  • die Kombination bezahlter mit unbezahlter Arbeit, die gleichwohl nützliche Werte schafft wie z.B. Eigenarbeit, Weiterbildung, Erziehen, Pflegen, kulturellem Gestalten, politischer Betätigung und sozialem Engagement,

  • die Kombination von Löhnen mit Transferzahlungen aus solidarischen Beiträgen oder Steuermitteln oder mit Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen,

  • den Erwerb von Rechtsansprüchen auf Nutzung von Übergängen unter Bedingungen, die durch Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder Gesetz festgelegt und daher verhandelbar und einklagbar sind,

  • die Finanzierung von Beschäftigung oder nützlichen Aktivitäten statt der Finanzierung von Arbeitslosigkeit mit Geldern, die sonst für Lohnersatzleistungen genutzt werden müssten.

Systematisch unterscheidet die Konzeption fünf Arbeitsmarktübergänge, die durch die Arbeitsmarktpolitik zu dauerhaften und in beide Richtungen begehbaren Beschäftigungsbrücken ausgebaut werden sollen.

ErläuterungGünther Schmid

Die Theorie der Übergangsarbeitsmärkte verdeutlicht auch die Gefahren der sozialen Ausschließung, die mit der Bewältigung kritischer Übergänge verbunden sind, und auf Ansatzpunkte, diese unvermeidlichen Krisen erfolgreich zu bewältigen. (…) Im Kern sind Übergangsarbeitsmärkte nichts Neues. Ihre größere Verbreitung, das Hinzufügen innovativer Formen sowie eine gesetzliche oder kollektivvertragliche Absicherung würden jedoch mehr Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen und damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit leisten.

Schmid, Günther (2002): Wege in eine neue Vollbeschäftigung. Übergangsarbeitsmärkte und aktivierende Arbeitsmarktpolitik; Frankfurt/Main, S. 233f.

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Fussnoten

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Frank Oschmiansky ist Diplom Politologe und Partner in der Partnerschaftsgesellschaft ZEP – Zentrum für Evaluation und Politikberatung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Implementation und Evaluation der Arbeitsmarktpolitik; Geschichte der Arbeitsmarktpolitik; atypische Beschäftigungen; Entwicklung der Sozialpolitik und Übergangssystem Schule-Beruf.