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Das Ende des Ernährermodells | Arbeitsmarktpolitik | bpb.de

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Das Ende des Ernährermodells

Frank Oschmiansky Jürgen Kühl Tim Obermeier

/ 11 Minuten zu lesen

Das männliche Ernährermodell bezeichnet die Konstellation in einer Familie, in welcher der Mann einer bezahlten beruflichen, mit entsprechenden Sozialleistungen ausgestatteten Tätigkeit nachgeht und als Hauptverdiener die Familie ernährt. Die Frau leistet in erster Linie unbezahlte Arbeit (Versorgung der Familie und Hausarbeit) und erwirbt höchstens einen Zuverdienst. In den letzten Jahren haben sich jedoch vielfältige Arrangements der Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit gebildet.

Der Ausbau von Kindertagesstätten ermöglicht es mehr Frauen einen Beruf auszuüben. (© AP)

Das deutsche Wohlfahrtssystem wird im internationalen Vergleich als "starkes Ernährermodell" charakterisiert. Indikatoren dafür sind die geringe kontinuierliche Müttererwerbstätigkeit, die abgeleitete soziale Sicherung der Mütter sowie die geringe öffentliche Betreuungsleistung für Kinder.

Das (männliche) Alleinernährermodell hat allerdings seinen Status als absolut dominantes Rollenmodell auch in der Bundesrepublik verloren. Diesem Modell steht unterdessen ein Modell zweier "erwerbstätiger Erwachsener" ("adult worker model") gegenüber. Im "adult worker model" werden erwachsene Bürger grundsätzlich als Erwerbstätige angesehen und ihre Ansprüche auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen weitgehend an diesen Status geknüpft. Ausschlaggebend für diesen normativen Wandel sind gesellschaftliche, rechtliche, ökonomische und wohlfahrtsstaatliche Wandlungsprozesse. Als ein so genanntes modifiziertes Ernährermodell oder Zuverdienermodell gilt ein Regime, in dem beide Partner einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Der eine Partner, häufig die Frau, geht neben der Haus- und Familienarbeit einer Teilzeittätigkeit oder einer geringfügigen Beschäftigung nach, während der andere Partner, häufig der Mann, weiterhin Vollzeit erwerbstätig bleibt. Zunehmend finden sich Arrangements, bei denen nicht die Männer, sondern die Frauen den Großteil des Einkommens erwirtschaften. Man spricht dann von Familienernährerinnen. Endet also die Ära des männlichen Ernährermodells?

Das Modell des männlichen Familienernährers bildete nach 1945 nicht nur in der Bundesrepublik die Grundlage des Sozialstaatskompromisses. Das traditionelle Familienmodell der Nachkriegszeit in Westdeutschland sah eine Differenzierung der Geschlechterrollen vor. Die Übernahme der finanziellen Versorgung der Familie durch den Mann und die Zuweisung der Haus- und Erziehungsarbeit an die Frau. Insbesondere eine berufstätige Mutter entsprach nicht dem gesellschaftlichen Idealbild, war mangels männlicher Arbeitskräfte aber häufig unausweichlich. Sie stand unter dem Generalverdacht, dass ihr die Entwicklung ihrer Kinder nicht wichtig genug sei, um auf ihre "Selbstverwirklichung" im Erwerbsleben zu verzichten. Es entwickelte sich ein so genanntes "Drei-Phasen-Modell" in der Erwerbsbiographie vieler Frauen: Erwerbstätigkeit bzw. Ausbildung der Frau vor der Geburt des ersten Kindes als erste Phase; Mutter und Hausfrau als zweite Phase und erneute Erwerbstätigkeit nach der Zeit der Erziehung als dritte Phase. Seit den siebziger Jahren wurde dieses Geschlechterarrangement nicht nur aufgrund der ökonomischen Krisen, sondern auch von Seiten der neuen sozialen Bewegungen, insbesondere den Frauenbewegungen, zunehmend in Frage gestellt.

Unterstützt wurde die Nicht- oder eingeschränkte Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen durch ein Sozialleistungssystem, welches Sicherungsansprüche in der Renten- und Krankenversicherung vom Ehemann ableiteten und Familientransfers, die nicht neutral gegenüber dem Erwerbs- und Familienmodell waren, sondern die Ehe und die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern förderten. Das männliche Ernährermodell verband sich mit der Vorstellung eines Familienlohns als ein Erwerbseinkommen, welches nicht nur individuell existenzsichernd ist, sondern den ganzen Familienbedarf decken sollte.

Die Geschlechterbeziehungen und die Familienstrukturen haben sich allerdings in den vergangenen Jahren tiefgreifend verändert. So ist inzwischen eine Pluralisierung von Lebensformen eingetreten. Hier sind der zunehmende Anteil der Alleinerziehenden, der Bedeutungsverlust der Mehr-Generationenfamilie, der steigende Anteil unverheiratet zusammenlebender Paare, gleichgeschlechtliche Beziehungen und dauerhaft kinderlos bleibende Menschen zu nennen. 2017 lebten 1,55 Millionen Personen als alleinerziehende Mütter (88 Prozent) und Väter (12 Prozent) mit minderjährigen Kindern in Deutschland, die sich Erwerbs- und Sorgearbeit nicht teilen können und eine Doppelrolle erfüllen müssen.

Nach der britischen Sozialwissenschaftlerin Jane Lewis lassen sich nunmehr folgende Muster der Aufteilung der Erwerbs- und der Familienarbeit innerhalb von Paarbeziehungen unterscheiden:

In immer mehr Haushalten trägt die Frau einen größeren Anteil als der Mann zum gemeinsamen Einkommen bei. In den dargestellten Mustern der Aufteilung der Erwerbs- und der Familienarbeit innerhalb von Paarbeziehungen können somit auch die Frauen den Großteil der Erwerbsarbeit erledigen, während die Familienarbeit meistens weiterhin geteilt wird. Welche empirischen Belege gibt es also dafür, dass das "männliche Ernährermodell" seltener wird?

Daten und Fakten

Die Erwerbsbeteiligung der Frauen in der alten Bundesrepublik war bereits in den siebziger und achtziger Jahren kontinuierlich angestiegen. Der Trend steigender Erwerbsquoten setzte sich auch nach der Vereinigung fort, während die traditionell höhere Quote in Ostdeutschland 2000 mit 69,3 Prozent einen Tiefstand erreichte und dann aber wieder kontinuierlich stieg. Siehe hierzu auch den Artikel Interner Link: Angebot und Nachfrage: Entwicklungstrends des Arbeitskräfteangebotes bis 1990.

In den Jahren nach 1990 stieg die Erwerbsquote der Frauen um über 20 Prozentpunkte und erklomm seitdem jährlich immer neue Höchststände. Der geschlechtsspezifische Abstand zwischen den Erwerbstätigenquoten von Männern und Frauen hat sich in den letzten Jahren reduziert. Das männliche Ernährermodell wird also immer seltener und Frauen beteiligen sich immer häufiger am Erwerbsleben. Ein Großteil der Frauen arbeitet jedoch in Teilzeit, einschließlich der geringfügigen Beschäftigung („Minijobs“). Weitere Informationen zu der unterschiedlichen Wahl der Beschäftigungsverhältnisse zwischen Männer und Frauen finden sich im Kapitel Interner Link: Beschäftigungsverhältnisse.

Erwerbsquote und Erwerbstätigenquote

Die Erwerbsquote entspricht dem prozentualen Anteil der Erwerbspersonen im Alter von 15 Jahren und älter an der Bevölkerung dieser Altersgruppe. Die Zahl der Erwerbspersonen ergibt sich aus der Summe der Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Nichterwerbstätige Personen sind Personen, die in der Berichtswoche nicht erwerbstätig oder erwerbslos sind.

Die Erwerbstätigenquote beschreibt den Anteil der Erwerbstätigen einer Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung derselben Altersgruppe.
Erwerbstätige Personen sind alle Personen, die in der Berichtswoche mindestens eine Stunde gegen Entgelt gearbeitet haben. Dazu zählen außerdem Personen, die z. B. aufgrund von Krankheit, Mutterschutz oder Elternzeit vorübergehend nicht gearbeitet haben. Erwerbslose Personen sind all diejenigen, die in der Berichtswoche nicht gearbeitet, aber in den letzten vier Wochen aktiv nach Arbeit gesucht haben. Um als erwerbslose Personen zu gelten, müssen die Arbeitssuchenden innerhalb von zwei Wochen eine Tätigkeit aufnehmen können. Auf den zeitlichen Umfang der gesuchten Tätigkeit, sowie der Meldung bei einer Agentur für Arbeit oder einem kommunalen Trägers kommt es nicht an.

Die Angaben beruhen auf dem international vergleichbaren Konzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und werden aus den Daten der Arbeitskräfteerhebung, die in allen Staaten der Europäischen Union sowie in der Schweiz, Norwegen und Island durchgeführt wird, ermittelt. In Deutschland ist die Arbeitskräfteerhebung in den Mikrozensus integriert.

Quelle: Statistisches Bundesamt

Auch das Arbeitsvolumen, also die tatsächlich geleistete Arbeitszeit der Frauen, ist seit 1991 angestiegen. 2016 entfielen 39,3 Prozent aller geleisteten Arbeitsstunden auf Frauen. Im Vergleich zu der insgesamt stark gestiegenen Anzahl erwerbstätiger Frauen in Deutschland hat das durchschnittliche Arbeitsvolumen aller Frauen aber nur leicht zugenommen. Grund ist die Verbreitung von Teilzeitbeschäftigung und geringfügiger Beschäftigung bei Frauen.

Trotz der zunehmenden Erwerbsbeteiligung steht Deutschland im internationalen Vergleich der Erwerbstätigenquote von Frauen im Mittelfeld. Der Teilzeitanteil an allen Erwerbstätigen ist jedoch hoch und liegt über dem OECD Durchschnitt. Die folgende Tabelle zeigt die Erwerbstätigenquoten der Frauen in ausgewählten Ländern im Jahr 2018 sowie die Teilzeit- und Arbeitslosenquoten.

Mütter sind in Deutschland noch immer seltener berufstätig als Väter. Dennoch zeigt sich, dass das Dreiphasenmodell, bei dem nach der Geburt von Kindern die Erwerbstätigkeit von Frauen für eine Familienphase unterbrochen wird, sich langsam wandelt. Die Berufstätigkeit von Müttern mit Kindern unter 15 Jahren ist in den letzten Jahren gestiegen. Doch mit der Geburt eines Kindes gibt weiterhin ein Teil der Mütter ihre Erwerbstätigkeit zeitweise auf und kehrt erst mit zunehmendem Alter des Kindes wieder in das Erwerbsleben zurück. Bei Vätern hingegen ist nur eine minimale Veränderung der Erwerbstätigenquote in Abhängigkeiten vom Alter der Kinder festzustellen. Die Erwerbsbeteiligung von Vätern mit Kindern unter 15 Jahren hat sich in den letzten Jahren auch kaum verändert. Bei den Vätern ist die traditionelle „Ernährerrolle“ immer noch weit verbreitet. Die egalitäre Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern ist somit noch lange nicht erreicht.

InfoCare-Arbeit

Care-Arbeit oder Sorgearbeit beschreibt die Tätigkeiten des Sorgens und Sichkümmerns. Darunter fällt Kinderbetreuung oder Altenpflege, aber auch familiäre Unterstützung, häusliche Pflege oder Hilfe unter Freunden. Bislang wurden diese Arbeiten überwiegend von Frauen geleistet, oft als unbezahlte Hausarbeit gesellschaftlich als notwendig und selbstverständlich angesehen. Aber mit dem Wandel der Geschlechterordnung werden auch Hausarbeit, Sorge und Fürsorge neu verteilt – weiterhin überwiegend zwischen Frauen. Migrantinnen aus armen Ländern bedienen die steigende Nachfrage in Ländern des globalen Nordens.

Quelle: Interner Link: Themenseite „Care-Arbeit“

Empirisch zeigt sich also, dass das "Ernährermodell" in Deutschland zwar seltener wird, aber weiterhin noch häufig anzutreffen ist. Am weitesten verbreitet ist das „modernisierte Ernährermodell“, bei dem der Vater vollzeit- und die Mutter teilzeiterwerbstätig ist. 2017 hatten fast drei Viertel (72%) aller Ehepaare und über die Hälfte (54%) alles nichtehelichen Lebensgemeinschaften dieses Arrangement. Das beliebteste Erwerbsmuster ist nicht das Alleinverdienermodell, sondern die Kombination Mann Vollzeit, Frau Teilzeit. Häufig ist es jedoch so, dass auch Paare mit einer egalitären Vorstellung von familiärer Arbeitsteilung, nach Geburt des Kindes in eine traditionelle Arbeitsteilung zurückfallen. Man spricht von einer Traditionalisierungsfalle. Möglicherweise werden diese Diskrepanzen durch das Familien-, Sozial- und Steuerrecht begünstigt.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Rollenerwartungen sind durch Rechtsnormen beeinflusst. In Westdeutschland wurden von Beginn an das Ernährermodell durch Regeln der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik verfestigt. Die Umsetzung gleicher Teilhabechancen mit dem Ziel der egalitären Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit vollzieht sich seitdem eher langsam. Wichtige Schritte bislang waren u.a.

  • das Gleichberechtigungsgesetz von 1958 (bis 1958 konnte eine Ehefrau nur mit Zustimmung ihres Ehemanns erwerbstätig sein),

  • die Ehe- und Scheidungsrechtsreform von 1977 (Hier wurde die Hausfrauenehe als gesetzliches Leitbild aufgegeben. Der § 1356 BGB legte für die Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit fest, dass Ehegatten die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln haben),

  • das Gesetz zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs von 1979 (ermöglichte einen Mutterschaftsurlaub von bis zu sechs Monaten nach Geburt des Kindes),

  • das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgesetz von 1980 (Im Zuge einer Anpassung bundesdeutschen Rechts an Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft wurden in das BGB Diskriminierungsverbote im Hinblick auf das Geschlecht aufgenommen; § 611a ff. BGB),

  • das Erziehungsgeldgesetz von 1986 und seine Revisionen bis hin zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz von 2007 (siehe unten),

  • das Teilzeit- und Befristungsgesetz von 2001 (mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit für Vollzeitbeschäftigte wurde die Möglichkeit einer "parallelen" Vereinbarung von Beruf und Familie gestärkt). 2019 wurde ein Anspruch auf zeitlich begrenzte Teilzeitarbeit („Brückenteilzeit“) mit Rückkehrrecht in die vorherige Arbeitszeit eingeführt.

  • Ausbau der Kinderbetreuung und Rechtsanspruch ab dem 01. August 2013 auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege für Kinder unter 3 Jahren.

Eine Vielzahl von Regelungen im Sinne des "Ernährermodells" bestehen allerdings noch, z.B.

  • das Ehegattensplitting, das eine geschlechterhierarchische Arbeitsteilung steuerlich belohnt,

  • die beitragsfreie Mitversicherung von nicht-erwerbstätigen Ehepartnerinnen und Ehepartnern in der Kranken- und Pflegeversicherung,

  • Unterhaltsverpflichtungen von Eltern gegenüber erwachsenen Kindern – zum Beispiel während der Ausbildung oder in der Bedarfsgemeinschaft des SGB II,

  • die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft im SGB II, die durch die eingeführten gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen familiäre Abhängigkeiten der Ehe auf nicht-eheliche Lebensgemeinschaften und Hausgemeinschaften ausweitet,

  • die in Deutschland trotz des Anspruchs auf einen KITA-Platz noch rückständige Infrastruktur von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen,

  • bestehende Mini-Job-Regelungen, die die arbeitnehmerseitige Sozialversicherungsfreiheit für geringfügig Beschäftigte formulieren und insofern der Vorstellung eines "Hinzuverdienstes" zum eigentlichen Familieneinkommen entsprechen.

Anders als in anderen Ländern (allen voran die skandinavischen), in denen nicht die Absicherung über die Ehe, sondern eine individuelle Existenzsicherung - auch für verheiratete Frauen und Mütter - gefördert wird, ist in der Bundesrepublik das soziale Sicherungssystem durch seine starke Verknüpfung mit der Ehe geprägt. Dies alles bedeutet eine Reihe von Nachteilen für Frauen: Altersarmut von Frauen, ihre Abhängigkeit von der Unterstützung durch ihre Männer in und nach der Ehe, während eine eigenständige Existenzsicherung durch Anreizsysteme für Nicht-Erwerbstätigkeit (Ehegattensplitting, Versorgungsausgleich, Hinterbliebenenversorgung) bzw. wegen fehlender Möglichkeiten der Vereinbarung von Familie und Beruf (fehlende Krippenplätze vor allem in Westdeutschland, keine oder eingeschränkte Rückkehrrechte in den Beruf) systematisch erschwert wird. Besonders hervorgehoben wird im Allgemeinen die hohe Abgabenlast für Zweitverdiener, die das "männliche Ernährermodell" wesentlich begünstigt.

Das Bundeselterngeldgesetz

Zum 1. Januar 2007 trat das Bundeselterngeldgesetz in Kraft und trat an die Stelle des Bundeserziehungsgeldgesetzes. Kernelement des Elterngeldes ist gerade im Vergleich zum Erziehungsgeld die Anknüpfung an das Erwerbseinkommen. 2015 wurde dieses Basiselterngeld durch das ElterngeldPlus mit Partnerschaftsbonus ergänzt, damit eine Teilzeittätigkeit von Eltern nach der Geburt eines Kindes wirtschaftlich besser abgesichert werden kann. Je nach Einkommen beträgt das Basiselterngeld zwischen 300 und 1.800 Euro im Monat, das ElterngeldPlus zwischen 150 und 900 Euro im Monat.

Mit dem Elterngeld wird das Ziel verfolgt, die Kosten, die durch die zeitweise Unterbrechung der Erwerbstätigkeit aufgrund der Geburt eines Kindes entstehen, durch eine Lohnersatzleistung zu kompensieren. Es orientiert sich am zuvor bezogenen Erwerbseinkommen und belohnt damit, anders als es beim Erziehungsgeld der Fall war, die Erwerbsbeteiligung. Mit dem Elterngeld wurde außerdem ein Anreiz geschaffen, partnerschaftlich Teilzeiterwerbsarbeit und Kindererziehung zu teilen. Es wird daher als wichtiger Schritt zur Überwindung des "Ernährermodells" interpretiert.

Im Vergleich zum Erziehungsgeld ist der Anteil der Väter, die die Leistung in Anspruch nehmen, deutlich gestiegen. Waren es beim Erziehungsgeld nur 3,3 Prozent, so lag der Anteil beim Elterngeld im Jahre 2016 bei 36 Prozent. Allerdings stellt eine Mehrheit der Väter nur Anträge für die Partnermonate, weshalb auch die durchschnittliche Bezugsdauer von Vätern 2016 bei 3,1 Monaten lag. Weiterhin ist interessant, dass Väter häufiger eine Auszeit nehmen, wenn ihre Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Insgesamt trägt das Elterngeld dazu bei, Familien- und Erwerbsarbeit gerechter zu verteilen.

Das Elterngeld orientiert sich in seinen Regelungen stark an ähnlichen Modellen in Skandinavien. So gibt es in Dänemark einen 12-monatigen (inklusive zwei Väterwochen) Elterngeldanspruch. Er beträgt in den ersten sechs Monaten 100 Prozent, in den Folgemonaten 90 Prozent des vorherigen Lohns. In Schweden besteht ein 13-monatiger (inklusive zwei Partnermonate) Anspruch auf ein Elterngeld als 80-prozentige Lohnersatzleistung, die als Leistung der Sozialversicherung gezahlt wird.

Für die Zeit nach Bezug des Elterngeldes gibt es ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Herauszuheben ist hier der seit 2013 geltende Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte oder bei Tagesmüttern und -vätern für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Damit wurde eine potentielle Betreuungslücke nach Ende des Elterngeldbezugs geschlossen, denn zuvor gab es bundesweit nur den Anspruch auf Betreuung in einem Kindergarten für Kinder zwischen drei und sechs Jahren.

Regelungen im SGB III und im SGB II

Bereits § 1 Abs. 1 des SGB III normiert, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Ziel zu verfolgen ist. § 8 SGB III ist dann die zentralen Kernnormen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Frauen und insbesondere von Müttern, aber auch für Männer bzw. Väter.

Sozialgesetzbuch§ 8 SGB III Vereinbarkeit von Familie und Beruf

  1. Die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sollen in ihrer zeitlichen, inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung die Lebensverhältnisse von Frauen und Männern berücksichtigen, die aufsichtsbedürftige Kinder betreuen und erziehen oder pflegebedürftige Angehörige betreuen oder nach diesen Zeiten wieder in die Erwerbstätigkeit zurückkehren wollen.


  2. Berufsrückkehrende sollen die zu ihrer Rückkehr in die Erwerbstätigkeit notwendigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung unter den Voraussetzungen dieses Buches erhalten. Hierzu gehören insbesondere Beratung und Vermittlung sowie die Förderung der beruflichen Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten. Inwieweit diese Regelungen in der Praxis der Arbeitsförderung Anwendung finden, wird im Modul Förderung ausführlich dargestellt.


Auch im SGB II werden grundlegende gleichstellungspolitische Anforderungen formuliert: In § 1 SGB II heißt es: "Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist als durchgängiges Prinzip zu verfolgen." Seit 2011 gibt es in jedem Jobcenter eine "Beauftragte für Chancengleichheit", die in Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Frauenförderung sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei beiden Geschlechtern unterstützen und beraten soll.

Überwiegend kritisch werden die leistungsrechtlichen Regelungen des SGB III und des SGB II hinsichtlich der Aufweichung des Ernährermodells interpretiert. Im SGB III führt die prozentuale Bindung des Arbeitslosengeldes an den letzten Nettolohn dazu, dass Männer in der Regel aufgrund der häufig günstigeren Steuerklasse und des höheren Lohnes ein höheres Arbeitslosengeld beziehen. In der früheren Arbeitslosenhilfe fielen Frauen häufiger aus dem Bezug als Männer, weil die Einkommensanrechnung des Partnereinkommens Frauen überproportional benachteiligte. Durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Anpassung der neuen Berechnungsverfahren für das Arbeitslosengeld II an die Regeln der Sozialhilfe verschärft sich die "Ehegattensubsidiarität", d.h. die Heranziehung des Partners zur Finanzierung der Existenzsicherung der Partnerin nochmals. Andererseits wird im SGB II eine Aktivierungspolitik definiert, die für Leistungsberechtigte faktisch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Erwerbspartizipation mehr kennt. Damit wird die Orientierung an der "Ernährerehe" aufgegeben, woraus sich positive Wirkungen für die Unterstützung der Arbeitsmarktintegration von Frauen ergeben können. Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die das SGB II aus gleichstellungspolitischer Sicht betrachtete, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Gleichstellungspolitik "bislang nicht systematisch in die Prozesse und Abläufe" der Jobcenter integriert ist.

QuellentextProf. Dr. Matthias Knuth (IAQ – Institut Arbeit und Qualifikation)

In einer Gesellschaft, die das Ernährermodell grundsätzlich überwunden, ihr Steuer- und Sozialversicherungssystem individualisiert und günstige Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte Erwerbstätigkeit der Geschlechter – insbesondere auch von Vätern und Müttern - geschaffen hätte, wären Lohnersatzleistungen, die auf dem Ernährermodell basieren, ein Anachronismus.

In einer Erwerbsordnung wie der deutschen dagegen, in deren Steuer, Sozialversicherungs- und Bildungssystem das Ernährermodell trotz seiner Überholung durch die gesellschaftliche Realität tief eingeschrieben bleibt, läuft diese Reform auf eine Aufkündigung des Ernährermodells "von unten" hinaus. Gerade diejenigen, die ihm am tiefsten verhaftet sind – z.B. aus dem Ausland nachgezogenen nichterwerbstätige Ehefrauen ohne berufliche Qualifikation und ohne Sprachkenntnisse - sollen dieses Modell nun nicht mehr praktizieren dürfen, während die Gattinnen von Führungskräften bequem vom Splittingvorteil leben können oder jedenfalls könnten.

Gleichzeitig aber – darin liegt die Widersprüchlichkeit – werden langzeitarbeitslose Frauen, deren Ehemänner erwerbstätig sind, durch engere Grenzen bei der Bedürftigkeitsprüfung von deren Einkommen abhängiger als bisher, und durch fehlende Rentenbeiträge bei fehlendem Leistungsanspruch auch abhängig von abgeleiteter Alterssicherung. "Hartz IV" hat den Männern etwas genommen, ohne den Frauen etwas zu geben.

Quelle: Knuth, Matthias (2006): "Hartz IV" – die unbegriffene Reform. In: Sozialer Fortschritt 7; S. 160-168; hier S. 165.

Weitere Inhalte

Frank Oschmiansky ist Diplom Politologe und Partner in der Partnerschaftsgesellschaft ZEP – Zentrum für Evaluation und Politikberatung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Implementation und Evaluation der Arbeitsmarktpolitik; Geschichte der Arbeitsmarktpolitik; atypische Beschäftigungen; Entwicklung der Sozialpolitik und Übergangssystem Schule-Beruf.

Ph.D., geb. 1965; Direktor des Department of Border Region Studies, University of Southern Denmark, Aabenraa, Dänemark.
Anschrift: Department of Border Region Studies, University of Southern Denmark, Persillegade 6, 6200 Aabenraa, Dänemark
E-Mail: E-Mail Link: jgk@sam.sdu.dk

Veröffentlichungen u.a.: (Hrsg. zus. mit Robert Bohn und Uwe Danker) Zwischen Hoffnung, Anpassung und Bedrängnis. Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzraum in der NS-Zeit, Bielefeld 2001; Dänisch-deutsche Grenzregion: Erfahrungen zwischen Deutsch und Dänisch, in: Christian Banse/Holk Stobbe (Hrsg.), Nationale Grenzen in Europa. Wandel der Funktion und Wahrnehmung nationaler Grenzen im Zuge der EU-Erweiterung, Frankfurt/M. 2004; (Hrsg. zus. mit Robert Bohn) Ein europäisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland 1945 - 2005 (i.E., Bielefeld 2005).

Tim Obermeier ist als Geschäftsführer und Projektleiter am Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM) Hochschule Koblenz beschäftigt. Zuvor arbeitete der bei zoom - Gesellschaft für prospektive Entwicklung e.V. und am Soziologischen Forschungsinstitut e.V. (SOFI) Göttingen in verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Projekten. Er studierte Sozialwissenschaften an den Universität Göttingen und Córdoba/Spanien.