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Kommentar: Russlands fehlende Modernisierung Konsequenzen für die EU | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Russlands fehlende Modernisierung Konsequenzen für die EU

Susan Stewart

/ 7 Minuten zu lesen

Neueste Komponente der Beziehungen zwischen der EU und Russland ist die "Partnerschaft für Modernisierung". Angesichts der schwerwiegenden Probleme in Russland, ist jedoch eine energische, flächendeckende Modernisierung unwahrscheinlich, so Susan Stewart. Vieles spricht also dafür, dass die EU zukünftig mit einem schwächeren und gefährlichen Russland konfrontiert wird.

Einleitung

Die Entwicklung des Verhältnisses zwi­schen der EU und Russland gibt keinen Anlass zur Begeisterung. Die Verhandlungen über ein neues Abkommen, das die Beziehungen auf eine zeitgemäße Grund­lage stellen soll, schleppen sich seit drei Jahren dahin. Die Fort­schrittsberichte zu den vier »gemeinsamen Räumen« weisen auf kleine Teilerfolge, aber auch erheb­liche Probleme in vielen Bereichen hin. Die noch junge »Partnerschaft für Modernisierung« steckt in Schwierigkeiten, weil die EU unter Modernisierung etwas anderes versteht als Russ­land. So bleibt der zivilgesellschaft­liche Austausch wegen russischer Bedenken außen vor. Auch die Menschenrechtskonsultationen finden auf russischen Wunsch ohne Ver­treter der Zivilgesellschaft statt und gelten u. a. deshalb daher als ineffektiv und ergeb­nislos. Schließlich zeigte das Treffen des russischen Kabinetts bei der Europäischen Kommission in Brüssel im Februar 2011, dass für beide Seiten die Energiethematik alle anderen möglichen Kooperationsfelder überlagert.

Hier entstand weiterer Streit, weil Russland nicht bereit ist, die Folgen des »dritten Pakets« zur Liberalisierung des EU-Energiemarktes zu akzeptieren. Diese sieht die Entflechtung der Teil­bereiche Produk­tion, Transport und Vertrieb vor. Gefordert wird auch der ungehinderte Zugang zu Transit­netzen. Der EU-Russland-Gipfel in Nischnij Nowgorod im Juni 2011 war davon über­schattet, dass Russ­land wegen der EHEC-Epidemie in Deutschland ein Embar­go auf bestimmte Lebensmittel aus der EU erlassen hatte. Nur bei den Visaerleichte­rungen zeichnen sich Erfolge ab: sowohl auf EU-Ebene, wo gemein­same Schritte konzipiert werden, als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten, wo grundsätz­liche Bereit­schaft besteht, in vielen Fällen lang­fristige Mehrfachvisa zu vergeben. Auch die russi­sche Seite ist zu Zugeständnissen bereit, so im Hinblick auf das Anmeldungsverfahren, das Ausländer in Russland durchlaufen müssen. Die russische Elite hat die Einführung eines visafreien Regimes zu einem Hauptziel der Beziehungen Russlands mit der EU erhoben.

Trübe Modernisierungsaussichten

Neueste Komponente der Beziehungen zwi­schen der EU und Russland ist die »Partnerschaft für Modernisierung«. Sie zeigt, dass die EU versucht, vermeintliche russische Ziele aufzugreifen und dem Verhältnis auf diese Weise neues Leben einzuhauchen. Inspiriert wurde die Partnerschaft von der Rhetorik des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedew, der seit seinem Amts­antritt im Mai 2008 für eine breit angelegte Moder­nisierung Russlands plädiert. In den Verhandlungen zur Gestaltung der Part­ner­schaft hat sich allerdings herausgestellt, dass das umfassende Verständnis der EU von Modernisierung auf eine wesentlich engere russische Agenda trifft, auf der stei­gende Auslandsinvestitionen und höherer Technologietransfer ganz oben stehen. Mehr noch: Die Ent­wicklung in Russland während der bisher drei Amtsjahre Med­we­dews hat profunde Zweifel gesät, dass eine Modernisierungsagenda im heu­tigen Russ­land überhaupt umzusetzen ist. Dabei sind die Probleme so schwerwiegend, dass deren weitere Vernachlässigung mittel­fristig die Exis­tenz des russischen politischen und wirt­schaftlichen Systems gefähr­den könnte.

Die Schwierigkeiten sind vielfältig und in ihrer Gesamtheit so erschreckend, weil sie einander verstärken. Erstens zeigen besorg­niserregende Zwischenfälle, etwa in Wasser­werken, beim Brandschutz und bei der Flug­­sicherheit, dass Investitionen in Indus­trie und öffentliche Infrastruktur während der letzten Jahrzehnte weit unter dem not­wendigen Niveau geblie­ben sind. Zweitens wird der Bevölkerungsschwund den künfti­gen russischen Arbeits­markt spürbar beein­trächtigen. Die Maß­nahmen der Regierung, die für Bevölkerungs­zuwachs sorgen sollen, sind wenig über­zeugend. Ferner macht die große Ausländer­feindlichkeit Russland für Arbeitnehmer aus anderen Ländern unattraktiv, so dass auch von ihnen keine nachhaltige Lösung der Arbeitsmarktprobleme zu erhoffen ist. Drittens funktionieren das Bildungs- und das Gesundheitssystem immer schlechter und sind von Korruption durchsetzt. Vier­tens wird die Kluft zwischen Arm und Reich nicht nur größer, sondern auch besser sichtbar, was wach­senden Unmut in den ärmeren Teilen der Bevölkerung er­zeugt. Außerdem vegetieren weite Teile der russischen Provinz vor sich hin, da die Jugend keine Zukunftsperspektive sieht und viele Männer dem Alkohol ver­fallen sind. Fünftens hat die russische Führung große Mühe, alle Teile des Landes unter Kontrolle zu halten. Dies trifft vorwiegend auf den Nordkaukasus zu, aber auch auf den Fernen Osten, der dünn besiedelt und unterentwickelt ist.

Hinzu kommt, dass die Jahre 2011 und 2012 im Zeichen des Wahlkampfs stehen. Im Dezember 2011 wird das Parlament, im März 2012 der Präsident gewählt. Dies zieht die politische und mediale Aufmerksamkeit auf sich, bindet Ressourcen und lenkt von dringenden Problemen ab. Allen voran trägt Ministerpräsident Wladimir Putin dazu bei, indem er neue Formate wie die Volks­front oder die sogenannten primaries ein­führte und eine Reihe von PR-Maßnah­men lancier­te, die für Schlagzeilen sorgten. Doch die Frage, ob Putin oder Medwedew kandidiert, ist irrelevant im Vergleich mit der Notwendigkeit, die genannten Miss­stände zu beseitigen. Keine Partei, kein Spitzenpolitiker hat ein über­zeugendes Konzept hierfür angeboten. Zwar gibt es ein Bewusstsein dafür, wie dramatisch die Lage ist, doch viele Faktoren verhindern, dass die Schwie­rigkeiten beherzt angegangen wer­den.

Erstens ist die russische Elite schon seit Jahren nicht auf das Wohl der Bevölkerung, sondern hauptsächlich darauf bedacht, sich zu bereichern und ihre Macht zu erhalten. Zweitens werden viele Ressourcen durch unterschiedliche Formen der Korruption abgezweigt. Drittens herrscht eine Kultur der »Nichtverantwortung«, das heißt die wenigsten (insbesondere unter den Beam­ten) sind bereit, die Initiative zu ergreifen oder für Entscheidungen geradezustehen. Dies führt dazu, dass das System erstarrt und sich verhärtet. Viertens existiert eine hartnäckige Tendenz zur »manuellen Steue­rung«, mit der versucht wird, die Entwicklung des Landes »von oben« zu kontrollieren. Das überfordert jedoch die »Kontrolleure« in einem riesigen Land wie Russland und frustriert diejenigen, die sich mit neuen Ideen »von unten« einbringen wollen. Fünftens profitieren viele einflussreiche Personen von den bestehenden Arrangements und haben deswegen kein Interesse daran, sie zu ändern. All diese Hindernisse machen es unwahrscheinlich, dass eine energische, flächendeckende Modernisierung stattfinden wird, die in der Lage wäre, die heutige Abwärtsspirale in der internen russischen Entwicklung umzukehren.

Negative Folgen für die EU

Vieles spricht also dafür, dass die EU es in den nächsten Jahren mit einem schwächer werdenden Russland zu tun haben wird. Da beide Seiten von einer funktionierenden Kooperation im Energiebereich abhängig sind, wird der Handel mit Rohstoffen sicherlich fortgeführt werden, obwohl er weiterhin nicht unproblematisch sein wird. Aber in vielen anderen Sphären wird Russlands fehlende Modernisierung unangenehme Konsequenzen für die EU und ihre Mitgliedsstaaten mit sich bringen.

Russlands zunehmende Schwäche wird seine Elite eventuell dazu veranlassen, in bestimmten Bereichen eine begrenzte Zusammenarbeit mit der EU aktiv zu suchen. Dennoch wird die Hauptreaktion eher eine defensive sein, die die Beziehungen zwischen Russland und der EU erschwert. Russland wird vermutlich bestrebt sein, seine innere Schwäche außen­politisch zu kompensieren, und zwar über­wiegend im postsowjetischen Raum, wo es die EU immer stärker als Konkurrenten wahrnimmt. Eine solche Kompensation hat zumindest zwei Aspekte. Erstens lenken russische Handlungen von internen Problemen ab und können Russland unter Umständen gegenüber dem einheimischen Publikum als erfolgreichen außenpolitischen Akteur darstellen. Zweitens kann Russland auf diese Weise aus anderen postsowjetischen Ländern Ressourcen gewinnen, die in Russland selber knapp werden, und so eine fehlende Effizienzsteigerung im eigenen Land kompensieren.

Die fehlende Modernisierung wird auch Folgen im Wirtschaftsbereich haben. Eine Zusammenarbeit deutscher und ande­rer europäischer Großkonzerne mit russi­schen Partnern wird gewiss auch weiterhin mög­lich sein, da diese Konzerne im russi­schen Gefüge gut vernetzt sind. Allerdings wäre zu erwarten, dass die Situation kleine­rer und mittlerer Unternehmen sich nicht wesentlich verbessert. Es ist wahrscheinlich, dass Russland sich wirtschaftlich stärker abschotten wird, da es mit der west­lichen ökonomischen Entwicklung immer weniger mithalten kann. Dadurch wird der Zugang zum russischen Markt erschwert, erst recht wenn der geplante Beitritt Russ­lands zur Welthandelsorganisation (WTO) ausfiele. In diesem Fall dürfte die Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Belarus an Bedeutung gewinnen, was stärkere protektionistische Maßnahmen nach sich ziehen würde. Wird Russland nicht Mit­glied der WTO, werden sich die Aussichten für das neue EU-Russ­land-Abkommen voraussichtlich weiter verdüstern. Ohne öffentliche Investitionen, die dringend nötig sind, können Unterneh­men außerhalb einiger kleiner »Inseln« in der russi­schen Provinz immer seltener mit einer funktionierenden Infrastruktur rech­nen. Der Mangel an Rechtssicherheit wird wohl ebenfalls bestehen bleiben, da die russische Elite mit ganz anderen Problemen beschäf­tigt sein und die Gerichte im Falle einer sich verschlechternden Wirt­schaftslage stärker für ihren Machterhalt einspannen dürfte.

Schließlich dürfte die prognostizierte Entwicklung auch eine Reihe sicherheitspolitischer Folgen zeitigen: Durch Russlands inne­ren Verfall würde der Nordkaukasus immer mehr außer Kontrolle geraten. Dies würde die unmittelbare Umgebung destabi­lisieren und zusätzliche Anforderungen an die Europäische Nachbarschaftspolitik der EU im Südkaukasus stellen. Die Klimapolitik, noch nie ein Schwerpunkt der russi­schen Führung, würde noch mehr ins Hin­ter­treffen geraten. Infolgedessen könnten Umwelt­katastrophen auch auf Länder der EU übergreifen. Je mehr sich die Lage in Russland verschlimmert, desto mehr ist mit Migration in Richtung EU zu rechnen. Schon jetzt zeigen Umfragen, dass ein beachtlicher Prozentsatz der Russen über Auswanderung nachdenkt.

Die EU und Deutschland haben Programme entwickelt, die Russland helfen können, sich auf vielfältige Weise zu modernisieren. Allerdings liegt die Entscheidung über eine Teilnahme bei der russischen Elite. Wenn sie diese Angebote in Kombination mit entsprechenden eigenen Maßnahmen nicht wahrnimmt, könnte Russland durch die gravierende, umfassende und sich verstärkende Natur seiner internen Herausforderungen bald in eine Abwärtsspirale geraten. In diesem Fall wird die EU mit einem schwächeren und gefährlicheren Russland konfrontiert werden. Der Umgang mit einem solchen Russland wird ganz andere Instrumente als eine »Partnerschaft für Modernisierung« erforderlich machen.

Fussnoten

Susan Stewart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Russland/GUS an der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der vorliegende Kommentar basiert auf: Susan Stewart, »Wenn Russland schwächer wird: Gravierende Folgen für die Beziehung zwischen der EU und Russland«, SWP-Aktuell 2011/A42, September 2011, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik