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Analyse: Russland im Weltraum: Die 2020er Jahre | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Russland im Weltraum: Die 2020er Jahre

Pawel Lusin

/ 14 Minuten zu lesen

Die Ressourcen für das russische Weltraumprogramm sind begrenzt und die Kooperation mit dem Westen ungewiss. Doch Russland braucht die Weltraumpartnerschaft, um den eigenen Großmachtstatus zu halten.

Wenn das Weltraumprogramm sichtbare Leistungen erbringt, legitimiert es in den Augen der Bürger die bestehende Ordnung sowie die Verteilung von Macht und Reichtum im Land. (© picture-alliance/AP)

Zusammenfassung

Zu Beginn der 2020er Jahre und 60 Jahre nach dem Flug von Jurij Gagarin steht das russische Weltraumprogramm vor ernsten Herausforderungen: Es muss eine klare Strategie zu allen wichtigen Richtungen des Weltraumprogramms entwickelt werden. Die technologischen, industriellen und finanziellen Möglichkeiten sind sehr begrenzt und es besteht angesichts der anhaltenden Konfrontation eine zunehmende Ungewissheit hinsichtlich der Zukunft der Weltraumkooperation mit dem Westen. Dies alles erzeugt für Russland ernste außen- und innenpolitische Risiken. Es mag paradox erscheinen, doch besteht eines der wichtigsten Interessen Moskaus ausgerechnet in der Beibehaltung der Weltraumkooperation mit Europa und den Vereinigten Staaten.

Erfolge im Weltraum bringen innenpolitische Legitimität

60 Jahre nach Jurij Gagarins Flug in den Weltraum steht Russland mit seinem Weltraumprogramm vor einer Wahl, die sogar noch schwieriger und komplizierter ist als jene, die das Land vor 30 Jahren, zu Beginn der 1990er Jahre, getroffen hat, als in den Bereichen bemannte Raumflüge, Raketentriebwerke, Weltraumforschung und kommerzielle Raketenstarts eine Partnerschaft mit den USA, Europa, Kanada und Japan eingegangen wurde. Durch die Konfrontation mit dem Westen ist die Zukunft dieser Weltraumkooperation äußerst unklar, insbesondere angesichts des unausweichlichen Abschlusses der Arbeiten auf der Internationalen Raumstation (ISS) und des Beginns des amerikanischen Mondprogramms Artemis . Hinzu kommt der Umstand, dass das eigene wissenschaftliche, technische und industrielle Potenzial Russlands heute sehr begrenzt ist. Diese Beschränkungen werden durch die Sanktionen des Westens noch verschärft.

Es war nämlich die Weltraumpartnerschaft mit westlichen Ländern, die neben dem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und dem Atomarsenal für einen hohen Status Russlands in den internationalen Beziehungen gesorgt hat. Dieser Status sichert nicht nur das diplomatische Kapital Moskaus, sondern stützt auch die innenpolitische Ordnung des Landes, indem diese in den Augen der Bürger über den Großmachtstatus des Landes legitimiert wird. Und da dieser Status weder durch den Umfang der Wirtschaft oder den Wohlstand der Bevölkerung noch durch die Attraktivität des politischen Systems im Land untermauert wird, gerät die Erosion der Weltraumpartnerschaft zu einer der größten außenpolitischen Herausforderungen dieses Jahrzehnts.

Darüber hinaus ist auch schon das Weltraumprogramm an sich von großer innenpolitischer Bedeutung für Russland: Wenn es sichtbare Leistungen erbringt, legitimiert es – ganz wie der hohe außenpolitische Status – in den Augen der Bürger die bestehende Ordnung sowie die Verteilung von Macht und Reichtum im Land. Bleiben hingegen Erfolge im Weltraum aus, beeinträchtigt das die Legitimität und bedeutet für den Kreml spürbare innenpolitische Probleme. Dieser miteinander verwobene außenpolitische, innenpolitische und wirtschaftliche Kontext setzt die Bedingungen für die Entscheidung, wie Russland sein Weltraumprogramm im kommenden Jahrzehnt fortführen wird.

Das Problem der Planung

Als im April 2013 in Russland die aktualisierte Politik des Staates im Bereich der Weltraumfahrt für den Zeitraum bis 2030 und die weitere Zukunft beschlossen wurde, konnte noch nicht von einer weitreichenden Konfrontation mit dem Westen die Rede sein. Jedoch waren die Krisenerscheinungen der russischen Raumfahrt trotz der seit Anfang der 2000er Jahre um ein Mehrfaches gestiegenen Finanzierung deutlich geworden.

Zum einen gab es Anfang der 2010er Jahre zahlreiche Fehlstarts von Raketen und Satelliten sowie Versagen von für wissenschaftliche Forschung vorgesehenen Modulen. Zudem erzeugten russische Staatsunternehmen im Bereich der Raumfahrt dauernd Verluste. Zweitens warfen die mehrjährigen Verzögerungen bei der Entwicklung neuer Raumfahrttechnologien und der Umsetzung wissenschaftlicher Projekte im Rahmen des Weltraumprogramms für die Jahre 2006 bis 2015 schon damals die Frage auf, ob Russland in der Lage sein werde, zu den führenden Weltraummächten zu gehören. Drittens berührte das die Frage der längerfristigen Perspektiven einer Zusammenarbeit mit der NASA, der ESA sowie mit US-amerikanischen und europäischen Forschungszentren und -unternehmen. Daher waren auch damals neben der Verteidigung die Möglichkeiten für eine vollwertige Beteiligung an der internationalen Zusammenarbeit im Weltraum (einschließlich der Erforschung und Nutzung des Mondes, des Mars und anderer Objekte des Sonnensystems) als eines der wichtigsten Interessen Moskaus formuliert worden. Zu diesen Interessen wurden darüber hinaus die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Russlands und dessen Entwicklung zu einem der wichtigsten Akteure auf dem Markt für Weltraumprodukte und -dienstleistungen gezählt.

Gleichzeitig wurde ein grundlegendes Weltraumprogramm für die Jahre 2013 bis 2020 verabschiedet. Es umfasste das zivile Föderale Weltraumprogramm für die Jahre 2006 bis 2015 und dessen Nachfolgeprogramm für 2016 bis 2025, ein militärisches Weltraumprogramm, das Programm zur Entwicklung des Satellitennavigationssystems GLONASS für die Jahre 2012 bis 2020 und ein Programm zur Weiterentwicklung der Weltraumbahnhöfe und Raumfahrtindustrie. Der Sinn dieses übergeordneten staatlichen Programms bestand in einer Synchronisierung und verbesserten Koordinierung all dieser Vorhaben.

Zur gleichen Zeit wurde damit begonnen, die staatliche Weltraumindustrie im Rahmen einer einzigen staatlichen Korporation zu konsolidieren. Zuerst war dies die Vereinigte Raketen- und Weltraumkorporation (russ.: ORKK) unter der Ägide der Föderalen Weltraumbehörde Roskosmos ; dann wurde die Behörde selbst in eine staatliche Korporation gleichen Namens umgewandelt, in der auch die ORKK aufging.

Das war aber auch die Phase, in der der isolationistische und martialische antiwestliche Vektor der russischen Politik dominierend wurde; seit Februar 2014 ist dieser Vektor unumkehrbar geworden. Die Konfrontation schlug sich unmittelbar im Weltraumprogramm nieder. Die Sanktionen bedeuteten einen empfindlichen Schlag für die russische Weltraumindustrie, deren Hauptaufgabe es nun wurde, Ersatz für die früher importierten elektronischen Raumfahrtkomponenten und Geräte zu liefern. Die politische und wertemäßige Grundlage für eine Weiterentwicklung der Weltraumkooperation mit den USA und Europa war zu einem erheblichen Grad zerstört.

Die politische und technologische Sackgasse, in der Russland trotz aller Anstrengungen der vergangenen sieben Jahre steckt, ist bis 2021 endgültig deutlich geworden. Die Umsetzung des Föderalen Weltraumprogramms für die Jahre bis 2025, die als Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit gedacht war, erfolgt mit erheblicher Verzögerung. Die Veröffentlichung des Föderalen Programms zur Weiterentwicklung von GLONASS in den Jahren 2021 bis 2030 wie auch einer neuen Fassung des Weltraumprogramms für den gleichen Zeitraum verzögerte sich ebenfalls. Darüber hinaus verlor Russland eine wichtige Quelle für zusätzliche Ressourcen für seine Weltraumaktivitäten. Gemeint ist das Ende von Verträgen über die Lieferung von Raketentriebwerken vom Typ RD-180 für die amerikanische Atlas V-Rakete. Aktuell wird der Stückpreis auf rund 15 Millionen US-Dollar geschätzt, 125 Einheiten sind von 1999 bis 2020 geliefert worden. Für den Transport von Kosmonauten der ISS-Partnerländer mit Hilfe von Sojus-Raumschiffen bezahlte die NASA von 2006 bis 2020 insgesamt 3,6 Mrd. USD. Das alles hat dazu geführt, dass im Frühjahr 2021 innerhalb der russischen Regierung die heftige Diskussion über die Methoden und Kosten zur Lösung der angestauten Probleme weiterging. Gleichwohl sind die entscheidenden Aspekte und Wegscheiden des russischen Weltraumprogramms im kommenden Jahrzehnt insgesamt klar.

Bemannte Raumflüge genießen immer noch Vorrang

Moskau wird bei der zivilen Raumfahrt weiterhin vor allem auf das Programm bemannter Raumflüge setzen, auf das mehr als die Hälfte der jährlichen Ausgaben des Föderalen Weltraumprogramms entfallen. Es sind die bemannten Flüge, die eine offensichtliche Präsenz im Weltraum bedeuten und auch Potenzial für internationale Zusammenarbeit bieten. Zudem ist ein erheblicher Teil der russischen Weltraumindustrie auf das Programm der bemannten Raumflüge ausgerichtet.

Die größte Herausforderung hier ist der Bau des teils wiederverwendbaren Raumschiffes Orjol (dt.: "Adler", frühere Bezeichnung Federazija  – "Föderation"), das das einmalig verwendbare Raumschiff Sojus ablösen soll. Die Entwicklung läuft seit Mitte der 2000er Jahre und das Raumschiff soll in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre regelmäßige Flüge aufnehmen. Dabei sind nicht nur Flüge auf erdnahen Umlaufbahnen vorgesehen, sondern auch darüber hinaus und in erster Linie zum Mond. Neben objektiven technologischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf diesem Weg, die das Projekt noch weiter verzögern können, fehlt es Russland bislang auch an einer klaren Vision für seine bemannte Raumfahrt nach dem Ende der ISS.

Für Ausflüge in erdnahe Umlaufbahnen erwägt Moskau derzeit die Möglichkeit, eine kleinere Raumstation mit wechselnden Besatzungen zu bauen, und zwar auf der Grundlage dreier russischer Module für die ISS, die derzeit entwickelt werden und deren Start zwischen 2021 und 2024 geplant ist. Es handelt sich um das Labormodul Nauka (dt.: "Wissenschaft"), das Anlegemodul Pritschal (dt.: "Anlegestelle") und ein Forschungs- und Energieversorgungsmodul, die bereits Anfang bis Mitte der 2010er Jahre hätten in Dienst gehen sollen. Hier hängt zugegebenermaßen viel davon ab, wie lang die ISS nach 2024 arbeiten wird, wie sehr die Module außerhalb der ISS einsatzbereit sein werden usw. Was jedoch ein bemanntes Mondflugprogramm betrifft, so verfügt Russland hierzu heute weder über klare Pläne noch über die nötigen Ressourcen. Im Großen und Ganzen liegt es auf der Hand, dass das Land nicht allein Kosmonauten auf den Mond schicken wird und dazu auch grundsätzlich nicht in der Lage sein dürfte.

Die Trägerraketen – die Entscheidung über die Jahre 2020 bis 2030 wurde vor einem Vierteljahrhundert getroffen

Ein weiterer unabdingbarer Aspekt der russischen Raumfahrt sind die Trägerraketen. In erster Linie betrifft das Raketen der Typengruppe Angara , die seit 1995 entwickelt werden und die für eine Serienproduktion ab 2023 vorgesehen sind. Heute wird auf zwei Hauptversionen dieser Rakete gesetzt. Zum einen ist das die leichte Trägerrakete vom Typ Angara-1.2 , die jene Trägerraketen für militärische und kommerzielle Zwecke ersetzen sollen, die aus sowjetischen ballistischen Interkontinentalraketen gebaut worden sind. Zweitens geht es um die schwere Trägerrakete vom Typ Angara-A5 , die die bereits aus der Produktion genommene Trägerrakete Proton-M ersetzen wird. Obwohl die schwere Version dieser Rakete in Bezug auf ihre Eigenschaften hinter den amerikanischen, europäischen und chinesischen schweren Trägerraketen hinterherhängt (wie auch hinter der japanischen Rakete vom Typ N3, an der gebaut wird), verfügt Russland derzeit über keine Alternative. Und stets geht es um die Triebwerke.

Das Raketentriebwerk RD-191 ist eine Weiterentwicklung des Raketentriebwerks RD-170, des fortschrittlichsten sowjetischen Triebwerks, das im Rahmen des sowjetischen Programms für das Spaceshuttle Buran gebaut wurde und in der Version RD-171 in den ukrainischen Trägerraketen Senit zum Einsatz kam. Das Triebwerk RD-180, das Russland seit Ende der 1990er Jahre für Atlas-V-Raketen in die USA lieferte, sowie das Raketentriebwerk RD-181, das an das US-amerikanische Unternehmen Northrop Grumman für dessen Antares -Raketen geliefert wird, sind übrigens ebenfalls Weiterentwicklungen des Triebwerks RD-170. Parallel stellt Russland eine weitere modifizierte Variante dieses sowjetischen Triebwerks her, das RD-171MW, das für die neue mittelschwere Trägerrakete Sojus-5 (auch Irtysch genannt) vorgesehen ist. Diese Rakete, die eine lokale und modernisierte Version der sowjetisch-ukrainischen Trägerrakete Senit-2 darstellt, soll die Nische zwischen den Trägerraketen Sojus-2 und Angara-A5 besetzen.

Die russische Industrie versucht unter anderem mit Hilfe von Maßnahmen der Regierung (die eine Modernisierung der Unternehmen finanziert) wie auch von Roskosmos (das die Leitung dieser Modernisierung übernimmt), sich an diese Strategie anzupassen. Wichtig ist hier nicht die Schaffung neuer Fertigungsanlagen, sondern auch die Umwandlung der alten sowjetischen Industriegiganten in kompaktere Unternehmen, die einen Teil der operativen Kosten reduzieren könnten.

So nimmt die Raketentriebwerksfabrik Energomasch in Perm die Produktion des Triebwerks RD-191 auf (geplant ist ab 2023 die Produktion von bis zu 40 Triebwerken pro Jahr); im Moskauer Vorort Chimki sollen die Triebwerke RD-171MW hergestellt werden (geplant sind 20 Triebwerke in den Jahren 2021 bis 2026). Die Raketenfabriken in Omsk und Samara hingegen richten die Serienherstellung der Trägerraketen Angara bzw. Sojus–5 ein. Daher wird sich Russland zumindest die kommenden zwei Jahrzehnte im Weltraum auf diese Technik stützen – hier steht alles bereits fest.

Die russische Führung setzt ihre Hoffnung auf erweiterte Möglichkeiten beim Raketenbau auf KBChA, einen in Woronesch ansässigen Hersteller und Entwickler für Energomasch . Wenn es dort in den 2020er Jahren gelingt, ein mit Erdgas betriebenes Raketentriebwerk zu entwickeln, könnten in den 2030er Jahren die mittelschweren Trägerraketen Sojus-2 (derzeit die am häufigsten verwendeten Raketen Russlands) ersetzt werden – diese sind eine Weiterentwicklung jener Raketen vom Typ R-7, mit denen u. a. der erste Sputnik und die Kapsel mit Jurij Gagarin ins All befördert wurden. Falls es dem Unternehmen gelingt, ein mit Wasserstoff arbeitendes Triebwerk zu bauen, könnte Russland dies in der zweiten Stufe der schweren Trägerrakete Angara-A5 einsetzen und dadurch deren Traglast erheblich erhöhen (Angara-5AW). Ein solches Triebwerk würde es erlauben, ernsthaft an den Bau einer superschweren Trägerrakete zu denken, mit deren Entwicklung offiziell begonnen wurde. Diese hängt aber rundum sowohl vom Entwicklungsstand des wasserstoffbetriebenen Raketentriebwerks wie auch des Triebwerks RD-171MW ab. Daher können wir wohl kaum von einer Entwicklung vor den 2030er Jahren ausgehen. Und das wäre noch das optimistische Szenario, berücksichtigt man die wirtschaftliche Lage in Russland und den Mangel an Humankapital und Technologien im Bereich der Raumfahrt.

Aus all dem ergibt sich, dass die Anzahl der jährlichen Raketenstarts, die Russland in diesem Jahrzehnt und danach vollziehen kann, im Bereich von 20 bis 25 liegen dürfte, falls die Nachfrage ausländischer kommerzieller Auftraggeber konstant bleibt. Das war auch die Spannbreite, die Russland in den vergangenen fünf Jahren vorweisen konnte. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Ziffer sogar niedriger ausfallen könnte. Schließlich wurden 2020 nur 17 russische Raketen ins All geschickt (einschließlich der Starts von Französisch-Guayana aus), während die USA und China trotz der Pandemie jeweils mehr als 30 Raketen starteten. Zum Vergleich: Bis 2016 hatte Russland nicht selten 30 und mehr Starts vollzogen.

Die Satelliten: GLONASS, das militarisierte Weltall und SFERA

Die Satellitenproduktion ist die Achillesferse der russischen Raumfahrt. Das größte Problem ist hier der Mangel an Elektronik: In den fortschrittlichsten russischen Apparaten werden europäische und amerikanische Komponenten eingesetzt, zu denen der Zugang seit 2014 durch die Sanktionen sehr stark eingeschränkt ist. Russland ist aber objektiv nicht in der Lage, die notwendigen Komponenten allein herzustellen. Hinzu kommt die Überbeanspruchung der Kräfte.

Insgesamt sind derzeit rund 170 russische Satelliten in der Umlaufbahn, von denen rund 100 militärischen Zwecken dienen, darunter 27 Satelliten für das Navigationssystem GLONASS, 47 Nachrichtensatelliten, 15 Satelliten für die nachrichtendienstliche optische, Radar- und elektronische Aufklärung sowie eine Reihe anderer. Die zivilen und kommerziellen Satelliten gehören überwiegend Roskosmos oder anderen Staatsunternehmen. Daher werden angesichts fehlenden privaten Kapitals und des geringen Umfangs des Binnenmarktes in einem riesigen Raum wie auch der geringen Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt sogar kommerzielle Fernseh- und Fernmeldesysteme im Weltraum von der russischen Regierung auf Kosten der Steuerzahler finanziert. Das fördert die russische Industrie, aber nicht die Entwicklung des Landes.

Gleichzeitig steigen die Kosten dafür, was Russland als lebensnotwendig betrachtet. So hat sich beispielsweise der Bau einer neuen Generation von GLONASS-Satelliten stark verlangsamt, während die Kosten des Gesamtsystems gestiegen sind. Wenn 2012 bis 2020 hierfür noch 270 Milliarden Rubel ausgegeben wurden (über 5 Mrd. USD nach den jährlichen Wechselkursen), so dürfte die Summe für das Programm 2021 bis 2030 rund 480 Milliarden betragen (nach dem durchschnittlichen Wechselkurs seit Anfang 2021 etwa 6,7 Mrd. USD).

In dieser Situation wird bei Roskosmos vom Projekt SFERA gesprochen, in dessen Rahmen einige Gruppen kleiner Kommunikationssatelliten und Satelliten zur Erdbeobachtung aus einer erdnahen Umlaufbahn gebaut werden sollen, insgesamt einige Hundert Satelliten. Ungeachtet des Umstandes, dass ein solches Projekt insgesamt über die Kräfte des Landes geht und ein erheblicher Teil des Plans wie Ballast fallengelassen wird, besteht das wichtigste Motiv hier in dem Versuch, eine fatale Rückständigkeit und Isolierung zu vermeiden, den Zugang zu ausländischen Weltraumtechnologien aufrechtzuerhalten und damit die Handlungsfreiheit im All zu bewahren. Diese Satelliten sind zwar ziviler Natur, doch können sie hypothetisch auch Grundbedürfnisse der Militärs befriedigen.

In der gleichen Weise sind auch die Versuche der russischen Führung zu betrachten, die Last der Ausgaben für den Weltraum und die Modernisierung der Raumfahrtindustrie zu verteilen. So baut das Unternehmen Gasprom Kosmitscheskije Sistemy (dt.: "Gazprom Weltraumsysteme"), das der staatlichen Gazprom gehört, in der Moskauer Oblast eine Fabrik für die Montage sowohl kleiner Kommunikations- wie auch Erdbeobachtungssatelliten. Die für diese Produktion benötigten Komponenten werden wohl aus Asien und möglicherweise aus Europa importiert werden. Einfacher gesagt: Russland sucht nach Methoden, die Kosten für seine Weltraumprogramme zu senken, wobei Moskau in modernen kleineren kommerziellen Satelliten wie etwa Starlink oder OneWeb , die 150–300 Kilogramm schwer sind und bei einer Serienherstellung rund eine Million US-Dollar pro Stück kosten, den rettenden Ausweg zu sehen scheint.

Forschung und die Zukunft der internationalen Zusammenarbeit

Der russische Staat betrachtet die Weltraumforschung in erster Linie unter dem Aspekt, ob sie sich in politisches Kapital, also in Prestige, in Möglichkeiten zur internationalen Zusammenarbeit usw. umwandeln lässt. Dabei steht das Weltraumforschungsprogramm in einem Wettkampf um Ressourcen. Und zwar sowohl gegenüber militärischen Programmen wie auch gegenüber kommerziellen Projekten, da diese von staatlichen Unternehmen betrieben werden. Darüber hinaus darf die Forschung keine Veränderungen im Bildungs- und Forschungssystem wie auch des Wirtschaftsmodells des Landes erfordern, weil dies für den Kreml langfristige innenpolitische Risiken erzeugen würde. Das ist der Grund, warum die Regierung auf die ständigen mehrjährigen Verzögerungen bei den Forschungsmissionen insgesamt ruhig reagiert. Denn die Balance des Systems ist wichtiger als bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse, die immer mit großen technischen und organisatorischen Risiken verknüpft sind und somit möglicherweise auch die Reputation in Gefahr bringen können.

Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Russland sich bei seiner Weltraumforschung heute auf den Mond konzentriert. Es ist nämlich so, dass die internationalen Aktivitäten auf dem Mond von den US-amerikanischen und chinesischen Ambitionen bestimmt werden, wie auch von den Bemühungen der Europäer, Japaner, Inder und Israelis. Für Moskau ist es nicht möglich, hier außen vor zu bleiben, ohne Schaden für seinen internationalen Status befürchten zu müssen. Zudem muss Moskau die Frage beantworten, was nach dem bevorstehenden Ende der ISS zu tun ist.

Daher plant Russland, 2021 zum ersten Mal in postsowjetischer Zeit eine Mondsonde, die Luna 25, ins All zu schicken. Sie soll vor allem der Erprobung von Technologien der nachfolgenden Missionen dienen. 2024 und 2025 sollen vollwertige Mondmissionen erfolgen: mit Luna 26 in der Umlaufbahn und Luna 27 auf der Oberfläche. Dabei hat Russland eine Koordinierung von Luna 26 mit dem chinesischen Mondprogramm verabredet, während Luna 27 in Partnerschaft mit der Europäischen Raumfahrtagentur ESA unternommen werden soll.

Das wichtigste Ziel Russlands besteht jedoch in einer Beteiligung an der US-amerikanischen Raumstation Lunar Gateway auf einer Mondumlaufbahn sowie insgesamt an dem bemannten Mondprogramm Artemis der NASA. Und obwohl es bisher nicht gelingt, sich auf politische Bedingungen für eine solche Beteiligung zu einigen, die Moskau zufriedenstellen würden, verhandelt Moskau weiter. Auch die im März 2021 unterzeichnete russisch-chinesische Absichtserklärung über eine Zusammenarbeit bei der zukünftigen Erschließung des Mondes ist im Kontext dieser Verhandlungen zu sehen. Parallel hierzu setzt Russland auch im Rahmen der militärischen Agenda diplomatische Hebel in Gang. In den letzten Jahren treibt es verstärkt das Projekt eines Vertrages über die Verhinderung einer Waffenstationierung im Weltall voran (englische Übersetzung des Arbeitstitels: "Treaty on Prevention of the Placement of Weapons in Outer Space and of the Threat or Use of Force against Outer Space Objects" – PPWT). Ein Entwurf war gemeinsam mit China erstmals 2008 vorgelegt worden.

Falls es Russland wegen der anhaltenden Konfrontation in den nächsten Jahren nicht gelingt, sich mit den USA auf eine russische Beteiligung an Lunar Gateway zu einigen, dürfte Moskau angesichts der technologischen, industriellen und institutionellen Realität, in der das russische Weltraumprogramm umgesetzt wird, auf eine ernste Probe gestellt werden.

In diesem Fall wird Russland versuchen, die Weltraumkooperation gesondert mit Europa zu verstärken, unter anderem über eine mögliche bemannte Raumstation (falls es gelingt, eine solche aus den Überresten des russischen Segments der ISS zu bauen) sowie über andere Projekte nach Art der Starts von Sojus-2 -Raketen in Französisch-Guayana oder des Projekts ExoMars . Ebenso müssen neue Anknüpfungspunkte zu China und ein Ansatz für Japan gefunden sowie große Anstrengungen für einen beträchtlichen Ausbau der bestehenden Zusammenarbeit mit Indien unternommen werden. Auch die Beziehungen zu Entwicklungsländern müssen weiter ausgebaut werden. Das bedarf einer sehr mühevollen Arbeit sowie organisatorischer Veränderungen innerhalb der russischen Raumfahrt sowie des Bildungs- und Wissenschaftssystems; das gilt auch für die Politik gegenüber dem Privatunternehmertum. Die Konstellation der in diesem Fall notwendigen Anstrengungen einerseits und der politischen Risiken andererseits, dürfte für das Regime in Russland jedoch kaum akzeptabel erscheinen.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder

Fussnoten

Pawel Lusin ist promovierter Politologe (2012, Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften – IMEMO) und hat sich auf russische Außenpolitik, Verteidigungspolitik, Weltraumpolitik und die globale Sicherheit spezialisiert. Er ist ständiger Autor für Riddle (https://www.ridl.io/en/) und die Jamestown Foundation (Externer Link: https://jamestown.org/analyst/pavel-luzin/). Er lehrte früher an der Universität Perm sowie am Permer Campus der Higher School of Economics , war am IMEMO und am Sicherheitsforschungsinstitut "PIR-Zentr" tätig und arbeitete im Rahmen des Projekts "Russia: Nations in Transit" mit Freedom House zusammen.