Bei Analyse der Verdienstunterschiede muss berücksichtigt werden, dass die Höhe der Bruttomonatsverdienste maßgeblich von der geleisteten Arbeitszeit abhängt. Es liegt auf der Hand, dass bei einer Vollzeitarbeit (womöglich noch aufgestockt durch Überstunden) ein höherer Verdienst anfällt als bei einer Teilzeitarbeit oder bei einem Minijob. Deswegen ist es aussagekräftiger, von den Bruttostundenlöhnen auszugehen. Die empirischen Befunde zeigen, dass es zwischen niedrigen Stundenlöhnen (nach unten begrenzt durch den gesetzlichen Mindestlohn) und Spitzenlöhnen (nach oben hin unbegrenzt) eine große Spannweite gibt.
2022 erzielten Besserverdienende das 3,28-fache des Bruttostundenverdienstes von Geringverdienenden. Der Verdienstabstand zwischen Gering- und Besserverdienenden hat sich zwischen 2022 und 2014 leicht verringert, 2014 lag der Abstand noch beim 3,48-Fachen
Dezile der Bruttostundenverdienste und Beschäftigung mit Niedrig- und Hochlohn
Ergebnisse der Verdienststrukturerhebungen 2018 und 2022*
Insgesamt | Westdeutschland (einschließlich Berlin) | Ostdeutschland | ||||
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2018 | 2022 | 2018 | 2022 | 20184 | 2022 | |
Dezilangaben des Bruttostundenverdienstes, in Euro | ||||||
1. Dezil | 9,71 | 10,90 | 9,90 | 10,98 | 9,21 | 10,54 |
5. Dezil = Median | 16,58 | 18,75 | 17,04 | 19,12 | 13,97 | 16,50 |
9. Dezil | 31,76 | 35,80 | 32,59 | 36,65 | 25,79 | 29,48 |
Dezilsverhältnisse | ||||||
9. Dezil/ 1. Dezil | 3,27 | 3,28 | 3,29 | 3,34 | 2,80 | 2,80 |
9. Dezil/ 5. Dezil | 1,92 | 1,91 | 1,91 | 1,92 | 1,85 | 1,79 |
5. Dezil/ 1. Dezil | 1,71 | 1,72 | 1,72 | 1,74 | 1,52 | 1,57 |
Anteil der Beschäftigung, in Prozent | ||||||
unter Niedriglohnschwelle | 21 | 19 | 20 | 18 | 29 | 23 |
Quelle: Statistisches Bundesamt 2023.
Das Dezilsverhältnis ist ein Maß zur Messung des Abstands zwischen Geringverdienenden (untere 10 Prozent der Lohnskala) und Besserverdienenden (obere 10 Prozent). Hierfür wird der Bruttostundenverdienst, ab dem eine Person zu den Besserverdienenden zählt (2022: 35,80 Euro), ins Verhältnis gesetzt zum Bruttostundenverdienst, bis zu dem Geringverdienende reichen (2022: 10,90 Euro). Damit ergibt sich für 2022 eine Lohnspreizung für Gesamtdeutschland von 3,28 Euro (35,80 Euro zu 10,90 Euro).
Folgende Faktoren spielen bei der Spreizung der Stundenverdienste eine zentrale Rolle:
Die Abweichungen widerspiegeln den schulischen und beruflichen Bildungsabschluss und konkret die im Arbeitsprozess geforderten Qualifikationen. Das Statistische Bundesamt (2019) unterscheidet in der Verdienststatistik zwischen fünf Leistungsgruppen (LG): Beschäftigte in leitender Stellung (LG 1), herausgehobene Fachkräfte (LG 2), Fachkräfte (LG 3), angelernte Beschäftigte (LG 4) und ungelernte Beschäftigte (LG 5). Während im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungssektor (2021) in der oberen Leistungsgruppe der Bruttostundenverdienst bei 50,20 Euro liegt, erreicht er in der unteren Leistungsgruppe nur 15,06 Euro (jeweils für Vollzeitbeschäftigte).
Diese qualifikations- und tätigkeitsbezogene Differenzierung wird überlagert durch die Knappheit bzw. den Überschuss an bestimmten Arbeitskräften. So sind unqualifizierte und gering qualifizierte Beschäftigte im besonderen Maße von Arbeitslosigkeit betroffen, was tendenziell zu einer Absenkung ihrer Löhne führt.
Die Höhe der Stundenlöhne hängt entscheidend von den einzelnen Wirtschaftsbranchen ab (vgl. Abbildung "Durchschnittliche Bruttostundenverdienste/Vollzeit in ausgewählten Hoch- und Niedriglohnbranchen 2021"). Unter dem Einfluss unterschiedlicher branchentypischer Produktions-, Produktivitäts- und Gewinnentwicklungen sowie der Wettbewerbskonstellationen auf den Weltmärkten lassen sich Wirtschaftszweige (wie Luftfahrt, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Energieversorgung, Maschinenbau) als Hochlohnbranchen bezeichnen. Andere Wirtschaftszweige (wie das Gastgewerbe, der Einzelhandel, die Gebäudereinigung oder die Wach- und Sicherheitsdienste) gelten hingegen als Niedriglohnbranchen. So liegen in der Mineralölverarbeitung, den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen oder in der Luftfahrt die durchschnittlichen Bruttostundenentgelte mehr als doppelt so hoch, z.T. sogar dreimal so hoch wie in den Niedriglohnbranchen − so bei der Leiharbeit, im Gastgewerbe, in Call-Centern oder bei den Wach- und Sicherheitsdiensten.
Neben den ökonomischen Faktoren kommt schließlich auch den institutionellen Faktoren wie der Ausgestaltung von Tarifverträgen, den gewerkschaftlichen Organisationsgraden der Beschäftigten und damit der Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften in der Tarifpolitik eine wichtige Bedeutung für die sehr unterschiedliche Höhe der Arbeitseinkommen zu.