Nachfolgend werden einige gängige Kennzern der Vermögensverteilung behandelt sowie a) einige zentrale Befunde zur Vermögensverteilung vorgestellt. Gleichzeitig wird b) die Notwendigkeit des Rückgriffs auf verschiedene Datenquellen deutlich (vgl. "Begriffe und Indikatoren"). Zur Entwicklung der individuellen Nettovermögen seit dem Jahr 2002 liefert der Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2019/2020 auf Grundlage des SOEP die Abbildung "Verteilung der individuellen Nettovermögen in Deutschland". Letztverfügbares Jahr ist 2017.
Verteilungskennziffern im Vergleich
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Für die Messung der Vermögensverteilung werden weitgehend die gleichen Verteilungsmaße wie bei den Einkommen benutzt. Im vorliegenden Text werden aus Gründen der Übersichtlichkeit nur die gängigsten Kennziffern verwendet.
Wie dieser Abbildung zu entnehmen ist (untere Linie, linke Skala), schwankt der Gini-Koeffizient im gesamten betrachteten Zeitraum. Er ist zwischen den Jahren 2002 und 2007 angestiegen und liegt im Jahr 2017 mit einem Wert von 0.78 in etwa wieder gleich hoch wie in den Jahren 2002 und 2012. Wobei die 0,78 ein deutlich unterschätzter Wert sind (vgl. Schröder u.a. 2020). Der Rückgang der am Gini-Koeffizienten gemessenen Ungleichheit der Individuellen Nettovermögen zwischen 2007 und 2017 ist ebenso wie der Anstieg in der Fünfjahresperiode zuvor statistisch signifikant.
Die obere Linie in der Abbildung enthält die Werte für das 90:50 Verhältnis der individuellen Nettovermögen (rechte Skala). Wegen des hohen Anteils von Personen bzw. Haushalten mit keinen oder sogar negativen Vermögen wird das 90/50-Verhältnis verwendet um eine Division durch Null oder eine negative Zahl zu vermeiden. Das Ergebnis: "Das 90/50-Verhältnis lag im Jahr 2017 bei 13,2 und hat sich gegenüber den Vorjahren nicht signifikant verändert. Das Nettovermögen der Personen oberhalb des 9. Dezils umfasst dabei 56 % des gesamten privaten Vermögens in der Bundesrepublik"
Die Zahlen weisen eine relativ hohe Stabilität auf und deuten auf eine sehr hohe, im Betrachtungszeitraum trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 kaum veränderte Ungleichverteilung hin. Der Gini-Koeffizient ist beispielsweise nach der Krise sogar leicht gesunken, davor aber auch gestiegen. Die Kontroverse zwischen Mehrheits- und Minderheitsvotum im Jahresgutachten 2019/20 des Sachverständigenrates
Anteile der individuellen Nettovermögen am Nettogesamtvermögen 2012 und 2017
In Prozent
Dezile | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
2012 | -1,2 | 0,0 | 0,1 | 0,5 | 1,5 | 3,6 | 7,1 | 11,9 | 19,1 | 57,3 |
2017 | -1,2 | 0,0 | 0,2 | 0,7 | 1,7 | 3,8 | 7,2 | 12,0 | 19,5 | 56,1 |
Quelle: Eigene Darstellung nach Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017, S. 507 und Grabka, Halbmeier 2019, S. 739 (SOEP).
Die vermögensreichsten 10 Prozent aller Personen verfügen laut dieser Datenquelle im Jahr 2017 über 56,1 Prozent der individuellen Vermögen. In der Hand von der Hälfte der Bevölkerung finden sich dagegen saldiert gerade einmal 1,4 Prozent des gesamten Nettovermögens. Diese Zahlen stellen noch dazu nur eine Untergrenze der tatsächlichen Ungleichverteilung dar, da die wirklichen Spitzenvermögen und Teile der sehr stark konzentrierten Betriebsvermögen auch mit dem um sehr hohe Vermögen erweiterten SOEP nicht ausreichend erfasst sind
Eine andere Betrachtungsweise ist die Verteilung der Vermögen auf Haushalte. Die Zahlen in der Tabelle "Gini-Koeffizienten des Haushaltsnettovermögens – Drei Datenquellen im Vergleich" stellen für die jeweiligen Erhebungsjahre von SOEP, EVS und der Bundesbank-Erhebung PHF (Private Haushalte und ihre Finanzen) die Gini-Koeffizienten einander gegenüber
Gini-Koeffizienten des Haushaltsnettovermögens – Drei Datenquellen im Vergleich
2002 | 2003 | 2008 | 2010 | 2012 | 2013 | 2014 | 2017 | 2018 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
SOEP | 0,75 | - | 0,76 | - | 0,74 | - | - | 0,74 | - |
EVS | - | 0,71 | 0,75 | - | - | 0,74 | - | - | 0,71 |
PHF | - | - | - | 0,76 | - | - | 0,76 | 0,74 | - |
Quelle: Kleimann 2020, S. 25.
"Für alle drei verwendeten Datenquellen sind die Gini-Werte der Vermögen nach 2008 konstant oder gar rückläufig"
Indikatoren zur Verteilung der haushaltsbezogenen Nettovermögen in den Jahren 2010/2011, 2014 und 2017 laut der PHF-Studien
2010/2011 | 2014 | 2017 | |
---|---|---|---|
Interquartilsabstand | 203.000 € | 221.000 € | 262.000 € |
P90-P10 | 442.000 € | 468.000 € | 555.000 € |
Mittelwert/Median-Verh. | 3,8 | 3,6 | 3,3 |
P90/P50-Verhältnis | 8,6 | 7,8 | 7,8 |
Gini-Koeffizient | 76% | 76% | 74% |
Anteil vermögendste 10 % am gesamten Nettovermögen | 59% | 60% | 55% |
Quelle: Deutsche Bundesbank 2019, S. 23.
Sehr wichtig ist die von der Deutschen Bundesbank hinzugefügte Erläuterung: "Für die Erhebungswelle 2017 scheint es insbesondere zu einer Untererfassung von Betriebsvermögen am oberen Rand der Verteilung gekommen zu sein. Zudem beteiligten sich im Vergleich zu den Erhebungswellen der Jahre 2010 und 2014 weniger Haushalte mit sehr hohen Vermögen an der Befragung. Beides kann ursächlich für den leichten Rückgang einiger Verteilungsmaße sein" (ebenda). Sie verweist dabei auf den um fast 30 Prozent gestiegenen Interquartilsabstand – das ist der Abstand zwischen dem oberen und unteren Viertel der Nettovermögensverteilung – und erläutert, dass einige der Maßzahlen in der Tabelle tendenziell einen Anstieg der Ungleichheit indizieren, andere leicht zurückgehen bzw. unverändert bleiben (vgl. ebenda, S. 22). Die Studie von Schröder u.a. 2020 bestätigt das.
Übereinstimmend kommen alle Datenquellen zu dem Ergebnis, dass die Vermögen in Ostdeutschland (noch) geringer sind als in Westdeutschland
Brutto- und Nettovermögen privater Haushalte 2017 sowie Verschuldung im regionalen Vergleich
in Euro bzw. in Prozent
Bruttovermögen | Nettovermögen | Verschuldung | Verhältnis Mittelwert zu Median der Nettovermögen | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Mittelwert | Median | Mittelwert | Median | Prävalenzrate in % | bedingter Mittelwert | bedingter Median | ||
Alle Haushalte | 262.500 | 86.400 | 232.800 | 70.800 | 45 | 65.200 | 19.800 | 3,3 |
Region | ||||||||
Ost1 | 110.400 | 26.700 | 93.200 | 23.400 | 45 | 38.200 | 9.700 | 4,0 |
West | 302.500 | 123.300 | 269.600 | 92.500 | 45 | 72.300 | 24.700 | 2,9 |
davon: Region 12 | 313.600 | 88.500 | 281.100 | 74.300 | 47 | 69.800 | 29.100 | 3,8 |
davon: Region 23 | 349.000 | 165.900 | 314.000 | 139.800 | 42 | 82.500 | 28.700 | 2,2 |
davon: Region 34 | 236.000 | 74.500 | 205.600 | 60.300 | 49 | 62.300 | 16.900 | 3,4 |
Verhältnis West : Ost | 2,7 | 4,6 | 2,9 | 4,0 | 1,0 | 1,9 | 2,5 | - |
Fußnote: 1 Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Thüringen, Sachsen
Fußnote: 2 Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen
Fußnote: 3 Bayern, Baden-Württemberg, Hessen
Fußnote: 4 Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland
Quelle: Deutsche Bundesbank 2019, S. 33 und eigene Berechnungen (PHF).
Zur Verschuldung der privaten Haushalte weist die Deutsche Bundesbank die regionalen Prävalenzraten sowie den bedingten Mittelwert und Median aus. Laut der Tabelle haben in West- wie Ostdeutschland im Jahr 2017 jeweils 45 Prozent der Haushalte Schulden (Prävalenzraten). Der bedingte Mittelwert, also das arithmetische Mittel der Schulden unter denjenigen Haushalten mit Schulden, liegt in Ostdeutschland knapp viermal so hoch wie der bedingte Median. In Westdeutschland beträgt dieser Wert knapp das Dreifache.
Auch unter Abzug der Verschuldung zeigen sich in Westdeutschland erheblich höhere Nettovermögen als in Ostdeutschland (letzte Zeile). "Der Medianhaushalt im Osten Deutschlands kam im Jahr 2017 auf ein Vermögen von 23.400 Euro, der Medianhaushalt im Westen dagegen mit 92.500 Euro auf etwa viermal so viel"
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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.
Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.