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Lohnhöhe und Lohnersatzleistungen der Sozialversicherung | Verteilung von Armut + Reichtum | bpb.de

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Lohnhöhe und Lohnersatzleistungen der Sozialversicherung Arbeitnehmereinkommen

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Das System der sozialen Sicherung in Deutschland wird durch die Sozialversicherung geprägt. Renten, Arbeitslosengeld und Krankengeld sind ein partieller Ersatz für das ausgefallene Arbeitseinkommen: Deren Höhe hängt unmittelbar von der Höhe des individuellen Arbeitsentgelts bzw. der zuvor eingezahlten Beiträge ab. Ein hohes Arbeitsentgelt führt zu relativ hohen, ein niedriges zu relativ niedrigen Versicherungsleistungen. Entsprechend unterscheiden sich die Einkommensverhältnisse in der Phase des Leistungsbezugs.

Tabletten und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Höhe des Verdienstes hat direkte Auswirkungen z. B. auf die Höhe des Krankengeldes, wenn man wegen einer Krankheit nicht arbeiten kann. (© picture-alliance/dpa, Themendienst)

Die Höhe der Arbeitnehmerverdienste hat direkte Auswirkungen auf das Niveau der sozialen Absicherung in Phasen, in denen wegen eines höheren Lebensalters oder wegen Erwerbsminderung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit nicht (mehr) gearbeitet werden kann. Denn die Konstruktionsprinzipien der Sozialversicherung basieren auf dem Lohnersatzprinzip und übertragen die relative Position in der Hierarchie der Erwerbseinkommen auch auf Phasen, in denen der Erwerbseinkommensbezug unterbrochen oder beendet ist. Eine Mindestleistung gibt es nicht.

Bei der Berechnung der Leistungen der einzelnen Zweige der Sozialversicherung kommt es auf die Höhe des versicherungspflichtigen Arbeitseinkommens an. Die Höhe des Haushaltseinkommens oder Maßstäbe von Bedarf und Bedürftigkeit spielen keine Rolle. Insofern unterscheidet sich die Sozialversicherung prinzipiell von der Grundsicherung (vgl. Grundsicherung als Einkommensminimum).

Die Geldleistungen der Sozialversicherung sind allerdings keineswegs so hoch, dass im engeren Wortsinn von einem Lohnersatz gesprochen werden kann. Die Berechnungsverfahren unterscheiden sich zwischen den einzelnen Versicherungszweigen:

  • Unterschiede finden sich beim Einkommensmaßstab: Die eher kurzfristigen, zeitlich begrenzten Leistungen wie Krankengeld, Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld orientieren sich am letzten Arbeitsentgelt, während bei der Berechnung der Rente das lebensdurchschnittliche Einkommen zugrunde gelegt wird.

  • Die Leistungssätze fallen unterschiedlich aus: Beim Krankengeld werden 70 Prozent des letzten Bruttoeinkommens, beim Arbeitslosengeld 60 bzw. 67 Prozent (für Versicherte mit Kindern) des letzten Nettoeinkommens abgedeckt. Die Höhe der Rente berechnet sich demgegenüber nicht nach einem festen Prozentsatz, sondern nach der Einkommensposition im gesamten Versicherungsverlauf und zudem nach der Versicherungsdauer. Eine Rente in Höhe von (2023) etwa 48 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens vor Steuern erreicht ein Durchschnittsverdiener erst nach einem langen Arbeitsleben von 45 Jahren.

  • Unterschiedlich geregelt ist die Beitragspflichtigkeit der Lohnersatzleistungen: Von den Renten werden der halbe Beitrag zur Finanzierung der Krankenversicherung und der volle Beitrag zur Pflegeversicherung abgezogen, das Krankengeld wird um die (hälftigen) Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung gekürzt. Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld bleiben dagegen abzugsfrei. Hier ist die Bundesagentur für Arbeit für die Zahlung des vollen Beitrags an die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zuständig.

  • Die tatsächliche Höhe der Lohnersatzleistungen wird schließlich durch ihre steuerliche Belastung bestimmt. Im Zuge des Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung der Renten fallen immer mehr Renten unter die Steuerpflicht.

  • In allen Versicherungszweigen reicht die Entgeltabsicherung nur bis zu einer maximalen Entgelthöhe: Jene Einkommensbestandteile bleiben beitragsfrei, im Risikofall aber auch ungeschützt, die die Beitragsbemessungsgrenze übersteigen. Die Beitragsbemessungsgrenze liegt 2023 in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bei 7.300 Euro im Monat (alte Bundesländer) bzw. bei 7.100 Euro (neue Bundesländer). In der Krankenversicherung beträgt die Grenze einheitlich für West und Ost 4.988 Euro. Die Beitragsbemessungsgrenze führt dazu, dass das Gesamteinkommen hoch Verdienender zu einem relativ geringen Prozentsatz abgesichert ist, so dass häufig private Zusatzversicherungen abgeschlossen werden.

  • Nur die Renten werden grundsätzlich zeitlich unbefristet gezahlt. Alle anderen Einkommensersatzleistungen sind zeitlich befristet. Krankengeld kann längstens 78 Wochen bezogen werden. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes hängt ab vom Lebensalter und davon, wie lange die Arbeitslosen in den letzten fünf Jahren arbeitslosenversicherungspflichtig waren (Anwartschaftszeiten). Die maximale Bezugsdauer für Arbeitslose unter 50 Jahren liegt bei einem Jahr, für Ältere verlängert sie sich auf bis zu 2 Jahre.

Durchschnittliche Zahlbeträge von Arbeitslosengeld I nach Geschlecht 2005 – 2022 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

An der durchschnittlichen Leistungshöhe des Arbeitslosengelds lässt sich erkennen, wie begrenzt die Leistungshöhe ausfällt: Im Jahr 2022 waren es 952 Euro für Frauen und 1.266 Euro für Männer (vgl. Abbildung "Durchschnittliche Zahlbeträge von Arbeitslosengeld I, Männer und Frauen, 2005 bis 2022").

Dies belegt, dass mit Arbeitslosigkeit ein deutlicher Einkommensverlust einhergeht, der durch die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld nur begrenzt ausgeglichen wird. In vielen Fällen liegen die Zahlbeträge unter oder nur knapp über dem Leistungsniveau der Grundsicherung (SGBII), wenn man bezogen auf einen Ein-Personen-Haushalt die Regelbedarfe des Bürgergelds und die durchschnittlichen Kosten der Unterkunft als Maßstab wählt. Diese liegen (2023) im Bundesdurchschnitt bei etwa 800 Euro (vgl. Grundsicherung als Einkommensminimum). Allerdings werden niedrige Arbeitslosengeldleistungen nicht automatisch durch die Grundsicherung aufgestockt. Anspruch besteht nur bei Bedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft, also im Haushaltskontext und unter Berücksichtigung sämtlicher Einkommen sowie des Vermögens (mit wenigen Ausnahmen).

Verteilung der Versichertenrenten nach Geschlecht im Rentenbestand 2022 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Auch die Rentenzahlungen fallen keinesfalls überwältigend hoch aus. So lässt sich für die alten Bundesländer (2022) feststellen, dass 31,6 Prozent der Frauen eine Rente unterhalb von 600 Euro beziehen. Bei den Männern lag der Anteil mit 18,1 Prozent wesentlich niedriger. Umgekehrt erreichten nur 21,8 Prozent der Frauen eine Rentenhöhe von über 1.200 Euro, während der Großteil der Männer (55,9 Prozent) oberhalb dieser Grenze lag (Abbildung "Verteilung der Zahlbeträge der Versichertenrenten nach Geschlecht, Rentenbestand Deutschland 2022"). Da der gesamte Rentenbestand berücksichtigt wird, fließen in diese Berechnung der durchschnittlichen Frauenrenten auch Erwerbsverhalten und Einkommenspositionen von weit zurückliegenden Perioden ein.

Wenn eine individuelle Rente kaum höher liegt als das Grundsicherungsniveau oder dieses sogar unterschreitet, so bedeutet dies nicht, dass deswegen auch relative Einkommensarmut oder ein Grundsicherungsanspruch besteht. Es kommt auf das Gesamteinkommen (eigene und abgeleitete Hinterbliebenenrente, private und betriebliche Renten usw. usf.) an und bei (Ehe)Paaren auf Einkommen des/der Partners/in. Und bei der Grundsicherung zählt zudem das Vermögen.

In Folge der Beitragsbemessungsgrenze können die Renten eine maximale Höhe nicht überschreiten. Wenn man 45 volle Beitragsjahre annimmt und für jedes (!) Jahr von einer maximalen Beitragszahlung (Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze) ausgeht, dürften sich pro Jahr etwa 2 Entgeltpunkte ergeben (= 90 Entgeltpunkte gesamt). Da 2023 der aktuelle Rentenwert (West) je Entgeltpunkt bei 36,02 Euro liegt, errechnet sich ein maximaler Rentenanspruch von 3.241,80 Euro brutto. Davon sind noch Steuern sowie Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner und zur Pflegeversicherung zu zahlen.

Die Sach- und Dienstleistungen der Sozialversicherung richten sich in ihrer Höhe nach dem Bedarfsprinzip. Der Leistungsanspruch hängt also ausdrücklich nicht von der Höhe des Einkommens und der Beiträge ab. Niedrigeinkommensbezieher werden insofern bei der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung (im Unterschied zur Privatversicherung) durchaus begünstigt. Dabei spielt es keine Rolle, mit welcher Stundenzahl ein Monatseinkommen erzielt worden ist: Auch Teilzeitbeschäftigte mit einem Bruttomonatsverdienst von mehr als 521 Euro und einer darauf bezogenen Beitragsbelastung haben im Bedarfsfall einen uneingeschränkten medizinischen Leistungsanspruch.

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.