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Methodische Fragen der Vermögensverteilung | Verteilung von Armut + Reichtum | bpb.de

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Methodische Fragen der Vermögensverteilung Vermögensverteilung

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Das Spektrum verschiedener Vermögensarten der privaten Haushalte, das für die Lebenslagen von Bevölkerungsgruppen wichtig und damit im Prinzip verteilungsrelevant ist, reicht von Geld- und Sachvermögen, insbesondere Immobilienbesitz, bis hin zum Human- und Sozialkapital.

Broschen. Jenseits der Geldvermögen ist es tatsächlich oft schwierig, bei allen Vermögensarten den (Markt-)Wert zu bestimmen. (© picture-alliance, PIXSELL)

Vermögensarten und ihre Messung

Gegenstand sehr vieler Analysen der Vermögensverteilung sind nur die Geld- und Immobilienvermögen. In einigen weiteren Untersuchungen werden die Betriebsvermögen, manchmal auch die Gebrauchsvermögen (z.B. Auto, Schmuck etc.) mit einbezogen. Einzelne Studien erweitern das Spektrum auch noch um die Sozialversicherungsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer , wogegen allerdings einiges spricht.

Prinzipiell sind noch eine ganze Reihe weiterer Komponenten bzw. Arten von Vermögen verteilungsrelevant (vgl. "Schematische Übersicht Vermögenskomponenten"); sie werden aber bisher eher nur theoretisch bzw. exemplarisch berücksichtigt. Das reicht vom Humankapital, also das Wissen und die Kompetenzen, die von den Individuen durch Bildung, Ausbildung oder "learning by doing" erworben werden, bis hin zu den z.B. vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu identifizierten Kategorien des sozialen oder kulturellen Kapitals bzw. einem "Gesundheitskapital".

Schematische Übersicht zu Vermögenskomponenten (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Eigentlich sind solche Erweiterungsversuche des Gegenstandes Vermögen sehr begrüßenswert. Sie zeigen, dass es über Geld- und Sachvermögen hinaus Verteilungskomponenten gibt, die die Ungleichheit wahrscheinlich noch größer machen als es sich auf der rein materiellen/finanziellen Ebene darstellt: Das soziale Kapital (z.B. Kontakte, Beziehungen, Netzwerke) von vermögenden Personen erweitert ihre Handlungsspielräume bzw. Verwirklichungschancen höchstwahrscheinlich wesentlich stärker als bei einfachen, armen Menschen. Auch sind vermögende Personen eher gewohnt, sich in entsprechenden Kreisen zu bewegen (Habitus) usw. Es spricht viel dafür, dass solche Dinge intergenerational bei verschiedenen sozialen Gruppen in sehr unterschiedlicher Weise "weitergegeben" werden. Diese Aspekte möglichst − und sei es auch nur qualitativ beschreibend − in die Analyse von Lebenslagen und deren Verteilung einzubeziehen ist also durchaus sinnvoll und erfolgt in der Armutsberichterstattung bisher noch viel zu selten .

Im Sinne einer Einbeziehung in eine in Euro rechnende, erweiterte Vermögensverteilungsberechnung ist jedoch eher Vorsicht geboten. Dazu sind die Bewertungsprobleme einfach zu groß. Hinzu kommt, dass diese eigentlich personengebundenen Eigenschaften nicht so recht zur direkten Erzielung von Erträgen genutzt und veräußert werden können . Ähnliches gilt beispielsweise auch für Sozialversicherungsansprüche, konkret Rentenanwartschaften. Diese sind − trotz der Hinterbliebenenrenten − nicht vererbbar und auch nicht in Einkommen transferierbar, d.h. veräußerbar (ganz abgesehen davon sind solche Vermögensarten angesichts der Heterogenität der Sozialsysteme in verschiedenen Ländern auch nicht exakt genug in internationale Vergleiche einbeziehbar).

Einen angesichts der genannten Probleme realistisch anzustrebenden Umgriff für eine Analyse der Vermögensverteilung bietet die von der Deutschen Bundesbank vorgestellte Konzeption der Vermögensbilanz eines Haushalts.

Vermögensbilanz eines Haushalts – Schematische Übersicht (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Wäre die Datenlage so, dass dieser Kern an Gegenständen der Vermögensverteilung in den wichtigsten Dateien repräsentativ und valide mit einer für soziodemografische Differenzierungen ausreichend großen Stichprobe abgedeckt wäre, so könnte damit eine zufriedenstellende Berichterstattung zur Vermögensverteilung in Deutschland stattfinden. Doch dem ist nicht so − die Datenlage zum Thema Vermögensverteilung ist sogar noch schlechter als diejenige zum Thema Einkommensverteilung.

Zwei Probleme wiegen besonders schwer:

Das größte Problem (auf weitere Restriktionen, wie z. B. die Unterrepräsentanz von Ausländern, wird an gegebener Stelle eingegangen) ist dabei, dass kaum eine der hauptsächlichen Datengrundlagen den oberen Bereich der Vermögen auch nur annähernd und die obersten Spitzenvermögen der Superreichen überhaupt abdeckt.

Alle vorliegenden Ergebnisse, auch in diesem Themenspezial, basieren damit zunächst auf Daten, die nur einen Teil der Vermögen(-sverteilung), auch der negativen Vermögen (d. h. Schulden) umfassen. Aussagen auf der Grundlage solcher beschränkten Datenbasen sind also bereits vom Ansatz her falsch, wenn sie auf die gesamte Gesellschaft gemünzt sind. Da die "Superreichen" in diesen Daten nicht enthalten sind, dort aber ein hoher Anteil der Vermögen gehalten wird und diese ebenso wie bei den Einkommen besonders deutlich zugenommen haben, ist es eigentlich nicht möglich, verlässliche Aussagen zu machen.

Ein teilweiser Ausweg aus diesem Dilemma besteht wie bei den Einkommen nur darin, die genannten gängigen Datenquellen um Angaben zu den hohen/Spitzenvermögen aus anderen Quellen mittels statistischer Schätzverfahren zu erweitern. Basis dafür sind "Reichenlisten" wie die des Magazins Forbes oder die Studien großer internationaler Banken und Finanzdienstleister wie Credit Suisse oder Cap Gemini. Die Schätzungen zur Integration solcher Datenquellen bedingen immer gewisse Unsicherheiten, sind aber in jedem Fall der Realität näher als ein Verzicht auf die Zusatzinformationen. In der vorliegenden Darstellung muss diese Problematik immer wieder angesprochen und deutlich gemacht werden.

Das zweite Hauptproblem liegt in der Bewertung von Vermögensbestandteilen: Zweifel beziehen sich diesbezüglich nicht nur auf die Offenheit und Ehrlichkeit der Befragten bei Vermögensangaben (ebenso wie bei Einkommensangaben und gleichermaßen bei Steuer- wie Befragungsdaten), speziell aus dem oberen Vermögensbereich. Vielmehr ist es bei allen Vermögensarten jenseits der Geldvermögen tatsächlich oft schwierig, ihren (Markt-)Wert zu bestimmen. Klassisches und bekanntes Beispiel sind Immobilien oder Gebrauchsgüter. Genauso stellen sich aber auch beim Besitz eines Betriebes erhebliche Bewertungsprobleme.

In einer neuen Studie hat das DIW die Datenlücke zur Konzentration der individuellen Nettovermögen zu schließen versucht. Dazu wurde das "klassische" SOEP 2017 durch die neue Zusatzstichprobe 2019 im Bereich hoher Vermögen und die Angaben aus der Reichenliste des manager magazins des Jahres 2017 erweitert. Damit konnten eine Reihe von Datenproblemen zweifellos verringert, aber bei weitem nicht alle gelöst werden . Vor allem muss weiterhin beachtet werden, dass es sich hier um Befragungsdaten handelt, die einer statistischen Unsicherheit unterliegen (Stichwort: Konfidenzbereiche). Die zentralsten Ergebnisse:

  • Das vermögensreichste Prozent der ab 17-jährigen Bevölkerung hielt im Jahr 2017 35 Prozent der individuellen Nettovermögen und nicht nur 22 Prozent wie zuvor angenommen wurde. Ihnen gehörten rund zwei Drittel dieser Nettovermögen und nicht "nur" 59 Prozent, wie vor dieser neuen Studie geschätzt.

  • Die vermögensschwächsten 50 Prozent der ab 17-jährigen Bevölkerung besitzen weniger als 22.800 Euro, das vermögensschwächste Viertel der Population verfügt über kein oder sogar ein negatives Nettovermögen.

  • Das Konzentrationsmaß (Gini-Koeffizient) ist im Jahr 2017 mit 0,826 dem entsprechend auch merklich höher als zuvor angenommen wurde (0,783).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. im Überblick z.B. IAW, ZEW 2015, S.203 ff.

  2. Vgl. z. B. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017.

  3. Vgl. IAW, ZEW 2015, S. 203.

  4. Vgl. Schröder u.a. 2020, S. 510 ff.

  5. Vgl. ebenda, S. 514.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Gerhard Bäcker, Ernst Kistler für bpb.de

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Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.