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Armutsrisiken von Kindern und Familien | Verteilung von Armut + Reichtum | bpb.de

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Armutsrisiken von Kindern und Familien Einkommensarmut

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 10 Minuten zu lesen

Alarmierend ist, wenn immer mehr Kinder von Armutslagen betroffen sind. Das Risiko ist groß, dass materielle Unterversorgung die Entwicklungschancen und Lebensperspektiven nachhaltig beeinträchtigt.

Küche des Vereins Straßenkinder e.V. in Marzahn. (© picture-alliance/dpa)

Wenn Kinder geboren werden und über einen langen Zeitraum hinweg versorgt und finanziert werden müssen, so führt dies gleichsam automatisch zu sinkenden Pro-Kopf-Einkommen in den Familienhaushalten, da das Kindergeld nur einen sehr begrenzten Einkommensausgleich bietet. Hinzu kommt, dass nach der Geburt von Kindern die Erwerbseinkommen häufig sinken, wenn – temporär oder längerfristig − die Eltern bzw. Elternteile ihre Erwerbstätigkeit einschränken (Teilzeitarbeit) oder gar aufgeben. Aus sozialpolitischer Sicht ist deshalb die Frage entscheidend, ob das Absinken des Pro-Kopf-Einkommens ohne nachhaltige Einschnitte im Lebensstandard verkraftet werden kann oder aber ob Eltern wie Kinder unter Einkommens- und Versorgungsdefiziten bis hin zur Armut zu leiden haben.

Ein ausreichendes Familieneinkommen ist zwar nicht die einzige, aber sicherlich eine zentrale Voraussetzung für gute Entfaltungs- und Lebenschancen von Kindern. Da der Zutritt zu nahezu sämtlichen Lebensbereichen in entwickelten Marktgesellschaften durch die Verfügung über Geld bestimmt wird – angefangen von der Wohnung, über den Kauf von Konsumgütern bis hin zum Urlaub und zur Freizeitgestaltung − , kann ein unzureichendes Haushaltseinkommen zu massiven Beschränkungen in der Lebenslage führen: Der Anregungs- und Entfaltungsspielraum wird begrenzt, Wohnung und Wohnumfeld bieten einen unzureichenden Lebensraum, soziale Kontakte verengen sich, die Beteiligung an kulturellen und Freizeitangeboten wird erschwert, Bildungsentscheidungen werden beeinträchtigt. Nicht zuletzt können familiäre Konflikte und Krisen erzeugt oder verstärkt werden.

Inwieweit es durch den Unterhalt von Kindern zu geringen Haushalts- und Pro-Kopf-Einkommen in den Familien kommt, bis hin zum Erreichen oder Unterschreiten der Armutsgrenze, hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Die finanziellen Belastungen wachsen mit der Zahl der Kinder. Die Entscheidung für Kinder hat auf kurz oder lang zur Konsequenz, eine größere Wohnung suchen zu müssen. Auf dem Wohnungsmarkt ist es aber für größere Familien ausgesprochen schwer, eine angemessene und bezahlbare Wohnung zu finden. Auch der Weg, Wohneigentum zu erwerben, ist mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden.

  • Die Ausgaben je Kind nehmen mit steigendem Alter zu und erreichen bei der Finanzierung eines Studiums ihr Maximum. Andererseits werden die Kinder selbständiger, so dass der Betreuungs- und Erziehungsaufwand sinkt und Betreuungskosten entfallen (Kindergartengebühren, Kosten für Tagesmütter usw.). Zugleich wird es leichter, dass beide Elternteile erwerbstätig sind.

  • Die kindbedingten Mehraufwendungen lassen sich umso eher bewältigen, je höher die der Familie zufließenden Erwerbseinkommen sind. Entscheidend ist, ob beide Eltern erwerbstätig sind und zum Haushaltseinkommen beitragen oder nicht. Möglichkeit und Bereitschaft der Frauen, ihre Erwerbstätigkeit nicht längerfristig zu unterbrechen und zumindest eine Teilzeitarbeit zu realisieren, hängen maßgeblich von Anzahl und Alter der Kinder, den Bedingungen des Arbeitsmarktes und den Angeboten zur außerhäuslichen Kinderbetreuung ab.

  • Die Erwerbseinkommen variieren in ihrer Höhe sowohl nach beruflicher Stellung und Qualifikation als auch nach dem Lebensalter. Je jünger die Beschäftigten sind und je kürzer ihre Betriebszugehörigkeit, desto niedriger liegen im Regelfall auch die Einkommen. Das hängt einerseits vom erreichten Qualifikations-, Erfahrungs- und Leistungsgrad ab, der in der Tendenz mit höherem Alter steigt, und andererseits von der in vielen Wirtschaftsbereichen praktizierten Entlohnung nach dem auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit bezogenen Senioritätsprinzip. Die relative Einkommensposition ist am Ende der Berufstätigkeit am höchsten, dann aber muss für die Kinder in aller Regel kein Unterhalt mehr geleistet werden, während in der beruflichen Einstiegsphase, die häufig mit der Geburt von Kindern eher zusammenfällt, nicht nur höhere Ausgaben für den Lebensunterhalt der Kinder anfallen, sondern auch die Grundausstattung des Haushaltes finanziert werden muss.

  • Die Erwerbseinkommen variieren in ihrer Höhe sowohl nach beruflicher Stellung und Qualifikation als auch nach dem Lebensalter. Je jünger die Beschäftigten sind und je kürzer ihre Betriebszugehörigkeit, desto niedriger liegen im Regelfall auch die Einkommen. Das hängt einerseits vom erreichten Qualifikations-, Erfahrungs- und Leistungsgrad ab, der in der Tendenz mit höherem Alter steigt, und andererseits von der in vielen Wirtschaftsbereichen praktizierten Entlohnung nach dem auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit bezogenen Senioritätsprinzip. Die relative Einkommensposition ist am Ende der Berufstätigkeit am höchsten, dann aber muss für die Kinder in aller Regel kein Unterhalt mehr geleistet werden, während in der beruflichen Einstiegsphase, die häufig mit der Geburt von Kindern eher zusammenfällt, nicht nur höhere Ausgaben für den Lebensunterhalt der Kinder anfallen, sondern auch die Grundausstattung des Haushaltes finanziert werden muss.

  • Prekär wirkt sich − bezogen auf alle Gruppen − Arbeitslosigkeit auf das Familieneinkommen aus, da die Sozialleistungen (Arbeitslosengeld I und Bürgergeld) deutlich unterhalb des letzten Nettoeinkommens liegen. Lebt die Familie von nur einem Erwerbseinkommen und entfällt dieses, ist ein tiefer Abfall im Lebensstandard unausweichlich. Bei den hohen Arbeitsmarktrisiken, die sich insbesondere auf das Segment der Beschäftigten mit niedrigen Qualifikationen und niedrigen Einkommen konzentrieren, kann häufig allein durch die Erwerbstätigkeit beider Elternteile das Risiko des sozialen Abstiegs vermindert werden.

Die vorliegenden Daten der Einkommensverteilung (Haushaltseinkommen) signalisieren auf den ersten Blick Entwarnung, denn die Durchschnittseinkommen der Familienhaushalte insgesamt liegen deutlich oberhalb der Armutsschwellen. Mittelwerte verdecken aber, dass sich innerhalb der Familienhaushalte die Einkommen stark spreizen. So finden sich in Paarhaushalten mit Kindern im Ganzen gut, ja sogar sehr gut versorgte Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen, das das von vielen Alleinstehenden deutlich übertrifft.

Vor allem im Bereich von Selbstständigen- sowie höher qualifizierten Angestellten- und Beamtentätigkeiten realisieren viele Familien ein relativ hohes Wohlstands- und Konsumniveau. Dem entspricht der Lebensstandard der Kinder aus diesem Milieu. Der ausgeprägte Markt für kinder- und jugendorientierte Produkte und Dienste (Kleidung, Medien, Freizeit) ist ein Ausdruck für die wachsende Kaufkraft dieser Zielgruppe. "Kind sein" bzw. "Kind haben" ist insofern keinesfalls automatisch mit Armut verbunden – so sind (Ehe)Paar Haushalte mit bis zu 2 Kindern unterdurchschnittlich von Armutslagen betroffen (vgl. Abbildung "Armutsgefährdungsquoten von Familien und Kindern 2005 – 2022").

Die andere Seite der sozialen Wirklichkeit repräsentieren jene Familien, deren Einkommens- und Versorgungsniveau die Grenze des sozialkulturellen Existenzminimums nur knapp erreicht oder unterschreitet und die als arm bezeichnet werden können. Die Verteilungsdaten lassen erkennen, dass zwischen materieller Unterversorgung bis hin zur Einkommensarmut und dem Unterhalt von Kindern ein enger Zusammenhang besteht. Der Familienleistungsausgleich (dessen Leistungen im verfügbaren Einkommen bereits enthalten sind) ändert daran wenig. Die Rede ist von einer "Infantilisierung der Armut". Dabei ist zu unterscheiden zwischen jenen Haushalten, deren Einkommen sich bereits vor der Geburt von Kindern an oder unterhalb der Armutsschwelle befindet – hier verschlechtert sich die Situation noch weiter − und jenen Haushalten, die erst durch den Unterhalt von Kindern in ihrer Einkommenslage abfallen. Hier kann man davon sprechen, dass die Versorgung von Kindern zu einem eigenständigen Verarmungsrisiko wird, da die öffentlichen Transfers die zusätzlichen Kosten nicht auffangen.

Unterscheidet man nach Haushaltsgröße und Haushaltsform haben Haushalte mit zwei Erwachsenen und mit drei und mehr Kindern ein Armutsrisiko von 31,8 Prozent. Alleinerziehende und ihre Kinder sind sogar zu 42,9 Prozent als einkommensarm zu bezeichnen. Hingegen weisen Paar-Haushalte mit einem Kind oder zwei Kindern eine unterdurchschnittliche Betroffenheit auf. Das Armutsrisiko in Haushalten von Alleinerziehenden ist mehr als viermal so hoch wie bei Paarhaushalten mit einem Kind oder mit zwei Kindern. Verfolgt man die Entwicklung der jeweiligen Armutsrisikoquoten im Verlauf seit dem Jahr 2005, zeigt sich, dass es – trotz der lange Zeit günstigen Wirtschaftslage und der Verringerung der Arbeitslosigkeit – keine wesentlichen Veränderungen gegeben hat und die „Hierarchie“ zwischen den einzelnen Gruppen gleich geblieben ist. Auffällig ist allerdings, dass sich das Armutsrisiko von Paaren mit drei und mehr Kindern seit 2012 stark erhöht hat – von 22,4 Prozent auf 31,8 Prozent. Dies ist umso problematischer als mit der Erhöhung des Kindergelds ja beabsichtigt war, Kinderarmut abzubauen. Offensichtlich liegen viele dieser kinderreichen Familien mit ihrem Einkommen unterhalb des Bedarfsniveaus der Grundsicherung und haben Anspruch auf aufstockende Leistungen nach dem SGB II bzw. können einen Kinderzuschlag erhalten (vgl. interner Link: Grundsicherung für Arbeitsuchende). Allerdings lässt sich erkennen, dass diese Leistungen nicht nur gering sind, sondern dass sie vielfach nicht in Anspruch genommen werden (vgl. interner Link: Empfängerzahlen der Grundsicherungsleistungen und Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme).

Die vorstehenden Ausführungen weisen darauf hin, dass Kinderarmut immer mit der Armutslage des gesamten Haushalts verbunden ist. Denn Einkommensarmut – unabhängig davon, ob sich die Messung auf die Einkommensverteilung oder auf den Grundsicherungsanspruch bezieht – muss stets auf das Haushaltseinkommen bzw. auf das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft bezogen werden. Kinderarmut ist also auch Ausdruck der Elternarmut und damit abhängig von der Situation der Eltern bzw. des Elternteils.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Berechnung von Armutsrisikoquoten auf Annahmen beruht, die den Gegebenheiten der Einzelfälle keinesfalls entsprechen müssen. So wird bei der Umrechnung des Haushaltseinkommens auf das Pro-Kopf-Einkommen unterstellt, dass sämtliche Einkommen der Haushaltsmitglieder in den gemeinsamen Pool einfließen. In der Realität kann sich das Gegenteil vollziehen, wenn etwa der Hauptverdiener einen bestimmten Teil seines Verdienstes vorab für sich reserviert. Unterstellt wird des Weiteren, dass die einfließenden Einkommen im Haushalt entsprechend den Äquivalenzgewichten verteilt werden. Auch hier ist davon auszugehen, dass diese Annahme in der Realität keinesfalls automatisch gegeben ist. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass sich einzelne Haushaltsmitglieder besser, andere dafür schlechter stellen. So ist es durchaus vorstellbar (und qualitative Studien weisen darauf hin), dass alleinerziehende Mütter für ihr Kind mehr ausgeben, um den Preis einer starken Einschränkung der eigenen Versorgung. Und im umgekehrten Fall kann es sein, dass das knappe Haushaltseinkommen für den Kauf teurer Geräte der Unterhaltungselektronik etc. eingesetzt wird; dies um den Preis einer besonders schlechten Versorgungslage des Kindes.

Bei der Analyse der bundesdurchschnittlichen Armutsrisikoquoten wird allzu leicht übersehen, dass es zwischen den Bundesländern, aber auch innerhalb der einzelnen Bundesländer massive Abweichungen der Werte gibt (vgl. "Interner Link: Armutsrisikoquoten im regionalen Vergleich"). Vor allem in den wirtschaftlichen Krisengebieten erreichen nicht nur die Armutsquoten insgesamt hohe Werte sondern auch die Armutsquoten von Kindern.

Die empirischen Befunde lassen erkennen, dass Ein-Eltern-Familien, also Alleinerziehende und ihre Kinder, im besonderen Maße von Einkommens- und Armutsproblemen betroffen sind. Charakteristisch für diese Familienform ist der Tatbestand, dass die Betreuung und Erziehung des Kindes/der Kinder und gleichzeitig die Unterhaltssicherung durch Erwerbsarbeit im Wesentlichen durch eine Person geleistet werden müssen. Im Unterschied zu Verheirateten können sich Alleinerziehende nicht auf die laufende bzw. eine ausreichende Teilhabe am Partnereinkommen und die abgeleiteten sozialen Sicherungsansprüche verlassen. Sie können zwar für ihre Kinder und u.U. auch für sich Unterhaltsansprüche geltend machen, sind aber ansonsten weitgehend auf sich alleine gestellt.

Diese generelle Problematik darf allerdings nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass Ein-Eltern-Familien eine homogene Gruppe seien. Differenzierungen sind geboten: Die Lebens- und Einkommensverhältnisse von alleinstehenden Eltern(teilen) und ihren Kindern unterscheiden sich u.a. nach dem Grund des Alleinerziehens, dem Alter der Kinder, den individuellen Bewältigungsstrategien, den Neuorientierungen und Partnerschaftsentscheidungen im Zeitablauf, der Verfügung über privatrechtliche Unterhaltszahlungen bzw. über sozialrechtliche Unterhaltsersatzleistungen und nach den Möglichkeiten der eigenständigen Existenzsicherung durch Erwerbstätigkeit.

Die Einkommenslage lediger sowie geschiedener bzw. getrenntlebender Mütter und davon abhängig auch die Einkommens- und Versorgungslage der Kinder hängt davon ab, ob und in welcher Höhe die Mütter für sich und ihre Kinder mit Unterhaltszahlungen rechnen können und ob sie erwerbstätig sind bzw. zur Berufsrückkehr in der Lage und bereit sind. Das Problem bei den Unterhaltszahlungen liegt darin, dass viele Väter den Kindes- wie Ehegattenunterhalt in nur geringer Höhe bzw. gar nicht oder nur schleppend leisten: Auf der einen Seite mangelt es häufig an der finanziellen Leistungsfähigkeit; auf der anderen Seite versuchen aber auch viele Väter, sich der Zahlungspflicht zu entziehen bzw. ihr tatsächliches Einkommen zu verbergen. Schwierig für alle Seiten wird es, wenn der Unterhaltspflichtige eine neue Familie gründet. Es liegt auf der Hand, dass es für Alleinerziehende umso schwerer ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben (insbesondere eine vollzeitnahe Erwerbstätigkeit) je jünger die Kinder sind und je mehr Kinder zu versorgen sind.

Insgesamt hat die "Infantilisierung der Armut" gravierende soziale Konsequenzen. Das Risiko ist groß, dass materielle Unterversorgung die Entwicklungschancen und Lebensperspektiven von Kindern nachhaltig beeinträchtigt. Denn mit Einkommensarmut sind nicht nur Einschränkungen in der Versorgung mit den erforderlichen Gütern des täglichen Bedarfs verbunden, sondern auch Verschlechterungen in der Wohnungsversorgung und -qualität, im elterlichen Erziehungsverhalten, in der sozialen Kontakt- und Bewegungsfähigkeit, in der Bildungsbeteiligung und in der gesellschaftlichen Partizipation. Den betroffenen Familien fällt es insbesondere schwer, eine ausreichend große Wohnung mit angemessener Miete zu finden. Sie sind an den zurückliegenden Statusverbesserungen im Wohnbereich (Fläche bzw. Zahl der Räume je Person, bessere Ausstattung) nicht oder kaum beteiligt gewesen, was wiederum zu wachsenden familiären Spannungen und Konflikten führen kann. Ein weiterer kritischer Punkt bezieht sich auf die eingeschränkte Beteiligung an der Freizeit- und Erlebniskultur. In einer Gesellschaft, in der über Teilnahme an kommerzieller Freizeitgestaltung und durch warenförmige Ausstattungssymbole sozialer Status vermittelt wird, kann für Kinder das Nicht-Mithalten-Können (angefangen bei bestimmten Kleidungstypen bis hin zu Spielsachen) zu einem großen Problem werden. Kinder und Jugendliche sind Objekt und Adressat von Produktwerbung geworden. Diesem Sog können sich jene nur schwer entziehen, die auf Grund ihrer begrenzten Einkommenslage nicht dem Leitbild der kaufkräftigen Kinder- und Jugendgeneration entsprechen.

Die Aussage, dass sich Einkommensarmut von Familien nachteilig auf die Gesundheit, die Sozialentwicklung sowie auf die kognitiven und Schulleistungen der Kinder auswirken kann, unterliegt allerdings keiner Zwangsläufigkeit. Entscheidend bleibt, welche Dauer die Armutsphase aufweist, ob es sich also um eine eher kurzfristige Zwischenphase im Lebenslauf oder um eine langfristig prekäre Lebenssituation handelt. Entscheidend ist aber auch, wie die Eltern, Großeltern, Freundeskreis, Nachbarschaft sowie die Betreuungs- und Bildungsinstitutionen (Kitas, Familienzentren, Schulen usw.) mit dieser Situation umgehen und ob Einkommensarmut zur Stigmatisierung sowie zur gesellschaftlichen und sozialen Ausgrenzung führt oder ob die Kinder unterstützt, gefördert und befähigt werden, trotz der belastenden Rahmen- und Ausgangsbedingungen eine normale Entwicklung zu nehmen.

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.