Die Wirtschaft in der DDR
Auch wenn die DDR 1989 nicht bankrott war: Jahrelang hatte sie über die eigenen Verhältnisse gelebt. Zudem war die Wirtschaftspolitik von drei nicht miteinander zu vereinbaren Zielen bestimmt. Der ökonomische Zusammenbruch war damit abzusehen.
Fakten
Die Wirtschaftsgeschichte der DDR lässt sich grob in drei Phasen einteilen (Wehler 2008): Die erste Phase beginnt 1945 und endet 1961 mit der einschneidenden Zäsur des Mauerbaus. Die anschließende zweite Phase, die bis 1971 geht, brachte teilweise Reformen und wird in ihrem Ende durch die Absetzung Walter Ulbrichts markiert. Die dritte Phase, der Zeitraum 1971-1989/90, fällt überwiegend mit der Regierungszeit von Erich Honecker zusammen (vgl. a. Steiner 2007). Einige Historiker sehen im Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker im Jahre 1971 schon den Anfang vom Ende der DDR-Wirtschaftsgeschichte, da hiermit Veränderungen in der Wirtschaftspolitik verbunden waren, die sich später als verhängnisvoll herausstellten. Im Weiteren wird sich die Darstellung auf die letzte Phase der DDR-Wirtschaftsgeschichte beschränken, weil sie unmittelbare Auswirkungen auf die Transformationsperiode nach der deutschen Einheit hatte.Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik als Richtlinie nach 1971
Zentrale Leitlinie der damals neuen Wirtschaftspolitik war die so genannte "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". Es sollten der Lebensstandard und die Versorgung der Bevölkerung verbessert werden, ohne zunächst Produktivitätsgewinne zu erreichen. Eine leistungsfähigere Wirtschaft sollte sich stattdessen gerade dank jener Anreize ergeben, die sich aufgrund besserer Lebensbedingungen böten. Heutigen Historikern zufolge ist dies so zu bewerten, dass es sich um einen sehr riskanten und letztlich ungedeckten "Wechsel auf die Zukunft" handelte (Steiner 1999; Wehler 2007). Exemplarisch lässt sich die Entwicklung der DDR-Wirtschaft in den 1970er und 1980er Jahren anhand einiger ausgewählter volkswirtschaftlicher Zahlen verdeutlichen.i
Importdefizite der DDR-Wirtschaft
Das Defizit war zweimal so groß wie die gesamte Ausfuhr der DDR im Jahre 1980 in westliche Länder und diente hauptsächlich dem Konsum.
Quelle. Steiner (1999, S. 165), Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 32f.
Veränderungen der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in den 1970er Jahren


Kosten für die Förderung einer Tonne Rohbraunkohle in der DDR
Jahr | Kosten in Mark |
---|---|
1980 | 7,7 |
1988 | 13,20 |
Quelle: Kusch u.a. (1991, S. 35).
Durchschnittliche Exporterlöse der DDR-Wirtschaft für eine im Inland aufgewendete Mark
Jahr | Exporterlös in Valutamark (DM) |
---|---|
1970 | 0,536 |
1980 | 0,454 |
1985 | 0,275 |
1988 | 0,246 |
Quelle: Kusch u.a. (1991, S. 54)
Wirtschaftspolitische Zielkonflikte und deren "Lösung" in der DDR
Die DDR-Wirtschaftspolitik nach 1971 zeichnete sich ausgabenseitig durch eine nicht lösbare Konkurrenz dreier Ziele aus:- Beibehaltung bzw. Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung,
- Schuldendienst insbesondere gegenüber ausländischen Gläubigern und
- Investitionen in die eigene Wirtschaft.
Anteil der staatlichen Subventionen für der Grundbedarf der DDR-Bevölkerung
Grundnahrungsmittel, Kinderkleidung, Tarife für Energie und Verkehr, Wohnungsmieten
Jahr | Anteil in Milliarden Mark | Anteil in % |
---|---|---|
1970 | 11,4 | 18,61 |
1988 | 61,6 | 24,6 |
1des um die Einnahmen der Sozialversicherung bereinigten Staatshaushaltsausgaben
Quelle: Steiner (1999, S. 163).
Altersstruktur der Ausrüstungen in der Industrie im Jahr 1989
in Prozent
Altersgruppe | DDR | BRD |
---|---|---|
bis 5 Jahre | 27 | 40,2 |
5-10 Jahre | 22,4 | 29,7 |
10-20 Jahre | 29,2 | 24,7 |
über 20 Jahre | 21,4 | 5,4 |
Quelle: Wirtschaftsatlas (1994, S. 46)
Schätzungen der Arbeitsproduktivität in der DDR
in Prozent, Westdeutschland = 100 %
Jahrzehnt | hohe Schätzung | niedrige Schätzung |
---|---|---|
1950er | 78 | 44 |
1960er | 67-78 | 34 |
1970er | 63-70 | 33-46 |
1980er | 61-103 | 13-47 |
Quelle: Ritschl (1995, S. 16)
Die DDR war 1989/90 trotz alledem nicht bankrott. Sie ist nicht untergegangen aufgrund der desolaten Wirtschaft, sondern weil eine tiefe Legitimationskrise des politischen Systems aufbrach und weil sich die internationalen Rahmenbedingungen veränderten. "Jedoch hatte man jahrelang über die eigenen Verhältnisse gelebt, was sich in der inneren und äußeren Verschuldung sowie dem Verfall des Kapitalstocks [d.h. des Bruttoanlagevermögens der Volkswirtschaft] dokumentierte. Insofern war der ökonomische Zusammenbruch ohne durchgreifende Veränderung der wirtschaftlichen Systembedingungen abzusehen" (Steiner 1999).
Literatur:
Kusch, G. u.a., Schlußbilanz – DDR. Fazit einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik, Berlin 1991.Ritschl, A., Aufstieg und Niedergang der Wirtschaft der DDR. Ein Zahlenbild 1945-1989, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2/1995, S. 11-46.
Steiner, A., Zwischen Konsumversprechen und Innovationszwang. Zum wirtschaftlichen Niedergang der DDR, in: Jarausch, K.H./Sabrow, M. (Hrsg.), Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR, Göttingen 1999, S. 153-192.
Steiner, A., Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, Bonn 2007.
Wehler, H.-U., Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Fünfter Band. Bundesrepublik und DDR 1949-1990, München 2008.
Wirtschaftsatlas Neue Bundesländer, Gotha 1994.