Die Transformation der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft wurde von Hoffnungen begleitet, die sich alsbald als illusionär erwiesen. Ursprünglich war vermutet worden, dass die Wiedervereinigung und die Sanierung der ostdeutschen Wirtschaft sich wechselseitig verstärken würden. Diese Erwartungen erfüllten sich nicht. Stattdessen folgte auf die politische Integration beider Staaten der wirtschaftliche Zusammenbruch in Ostdeutschland.
Abwicklung der Planwirtschaft und Anpassungskrise
In den Beschäftigungsstrukturen der ost- und westdeutschen Industrie vor und nach der Wende spiegelt sich ein dramatischer Wandel wider: die Abwicklung der DDR-Planwirtschaft und die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien. Innerhalb von zwei Jahren schrumpften Großbetriebe überwiegend zu kleinen und mittelgroßen Unternehmen – falls es sie überhaupt noch gab. Hinter den nüchternen und abstrakten Zahlen verbergen sich Effekte einer tiefgehenden wirtschaftlichen und sozialen Anpassungskrise, die im Grad ihrer Auswirkungen auf die ostdeutsche Bevölkerung nur mit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre vergleichbar ist. Einen anderen Vergleich wählt der Wirtschaftshistoriker Philipp Ther (2014, S. 97). Der wirtschaftliche Einbruch in Ostdeutschland sei im europäischen Zusammenhang nur mit der Situation in Bosnien und Herzegowina in den 1990er Jahren zu vergleichen. Doch dort herrschte zu der Zeit ein Bürgerkrieg.
Das Ende der Kombinate
In den 1980er Jahren arbeiteten die meisten Beschäftigten in der DDR in Großbetrieben mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Im industriellen Sektor war der Anteil von Personen in Großbetrieben im Vergleich zur Bundesrepublik ungefähr doppelt so groß (75,7 Prozent verglichen mit 39,3 Prozent). Dies hing mit der Wirtschaftsstruktur in der DDR zusammen, in der große Kombinate eine beherrschende Stellung einnahmen. Seit 1978 waren diese Kombinate – ähnlich wie westliche Konzerne – als betriebliche Zusammenschlüsse, hier Volkseigener Betriebe (VEB), entstanden. Damit verband sich die Hoffnung, dass die Betriebe innerhalb einer Branche effektiver arbeiten könnten (Steiner 1999).
1989 gab es 173 zentralgeleitete Kombinate und weitere 259, die auf der Ebene der DDR-Bezirke geführt wurden. Politische Versuche, diese Strukturen im geeinten Deutschland zu erhalten, scheiterten schon frühzeitig. Bis Juni 1990 hatten sich ca. 200 Kombinate selbst aufgelöst und die VEB in Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung umgewandelt. Am 1. Juli 1990 nahm die Treuhandanstalt (THA) ihre Arbeit auf, um volkseigene Vermögenswerte zu privatisieren. Die Kombinate wurden zunächst in einzelne Betriebe zerlegt. Dies geschah, um überlebensfähige Firmen von nicht rentablen Betriebsteilen zu trennen. In einem zweiten Schritt wurden die Großbetriebe durch Entlassungen von Teilen der Belegschaften auf kleine bzw. mittelgroße Betriebe reduziert, um sie überhaupt für potenzielle Käufer interessant zu machen.
Legt man die Schlussbilanz der THA zugrunde, war diese beim Verkauf nicht erfolgreich. Bis zu ihrer Selbstauflösung im Jahre 1994 hatte die THA Verluste in Höhe von 256 Mrd. DM erwirtschaftet. Das entspricht einem durchschnittlichen Fehlbetrag für jeden verkauften Betrieb in Höhe von 17 Mio. DM (Windolf 2001, S. 399). Dieser Misserfolg hat unterschiedliche Gründe. Doch ausschlaggebend scheinen die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen gewesen zu sein, unter denen die Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft stattfand. Diese Umfeldbedingungen sind denen der anderen osteuropäischen Transformationsländer nicht vergleichbar.
Wirtschaftliche Schocktherapie in Ostdeutschland
Einigkeit besteht unter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern darin, dass die Privatisierung in Ostdeutschland, im Gegensatz zu sämtlichen anderen ehemals sozialistischen Ländern, die stärkste "Schocktherapie" für die Betriebe bedeutete. Der Grund hierfür muss in der Währungsunion und im Verlauf und den Folgen der Wiedervereinigung gesehen werden. Mit Inkrafttreten der Währungsunion wurde ohne Übergangsfrist der Export von DDR-Betrieben auf eine neue Währungsbasis und damit eine andere Bewertungsgrundlage gestellt. Bis 1989 war die DDR-Wirtschaft vielfältig in die wirtschaftliche Gesamtplanung der RGW-Länder eingebunden gewesen. (RGW = Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, wirtschaftlicher Zusammenschluss der sozialistischen Staaten.) Das führte zu dichten Handelsbeziehungen zwischen den RGW-Ländern. Allerdings wurde fast der gesamte Außenhandel im RGW durch Realtausch realisiert. Weniger als 1 Prozent erfolgte auf der Basis konvertierbarer Währungen (Ahrens 2000, S. 349). Durch die Währungsunion mussten die osteuropäischen Kunden ostdeutscher Betriebe plötzlich in Devisen bezahlen, die aber in allen Transformationsländern rar waren. Durch die Währungsunion mussten sich die ostdeutschen Firmen quasi "über Nacht" und völlig unvorbereitet einer globalen Konkurrenz stellen.
In der Folge brach der Osthandel ostdeutscher Firmen zusammen. Stattdessen konnten westdeutsche und westeuropäische Firmen wachsende Anteile von Exporten in osteuropäische Transformationsländer übernehmen, weil osteuropäische Handelspartner eher bereit waren, ihre Devisen für "westliche" Produkte, mit einer angeblich höheren Leistungsfähigkeit, auszugeben als für solche aus Ostdeutschland. Zwischen 1990 und 1993 wuchs dementsprechend die Ausfuhr des früheren Bundesgebiets nach Osteuropa um 40 Prozent, während in diesem Zeitraum die ostdeutschen Exporte in die gleiche Region um 79 Prozent schrumpften (Wirtschaftsatlas 1994, S. 50 f.). Philipp Ther (2014, S. 96) geht davon aus, dass sich im Währungsvergleich Ostdeutschlands mit Tschechien, eine kumulierte Aufwertung von 1:12 ergab. Für die ostdeutsche Wirtschaft sei das untragbar gewesen. "Sie fiel gegenüber der östlichen Konkurrenz zurück und stand der westdeutschen Industrie chancenlos gegenüber."
Zudem brachten die Währungsunion und die Wiedervereinigung es mit sich, dass westdeutsche Waren den ostdeutschen Markt ungeschützt überschwemmten. Es gab keine Möglichkeiten der Abschottung, beispielsweise Schutzzölle zu erheben. Gleichzeitig waren ostdeutsche Firmen sofort dem Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes der Europäischen Gemeinschaft ausgesetzt. In Westdeutschland löste das alles einen Wiedervereinigungsboom aus. In Ostdeutschland hingegen kam es zu einer umfassenden Wirtschaftskrise. Die ostdeutschen Betriebe verloren ihre regionalen Märkte an die westliche Konkurrenz zu einem Zeitpunkt, zu dem sie auf fremden Märkten schon deshalb noch gar nicht mit eigenen Produkten präsent sein konnten, da in der DDR der Handel mit dem westlichen Ausland in der Regel zentral durch staatliche Stellen geregelt worden war.
Durch das gleichzeitige massierte Auftreten nachteiliger Faktoren – Währungsunion, Zusammenbruch traditioneller Märkte, Wiedervereinigungsfolgen, ungewohnter Wettbewerb, nicht konkurrenzfähige Produkte und mangelnde Markterschließung, ferner das Erbe der DDR-Wirtschaft, das u.a. in geringer Arbeitsproduktivität, einer ganzheitlichen Betriebskonzeption und überalterten Produktionsanlagen fortwirkte – gerieten viele Betriebe in eine existenzgefährdende Lage. In dieser Situation waren die parallel verlaufenden Verkaufsbemühungen der THA oftmals nicht hilfreich. Die Folgen der wirtschaftlichen Schocktherapie lassen sich an dem Strukturwandel der ostdeutschen Wirtschaft ablesen. Zwei Jahre nach der Wende arbeitete nur noch eine Minderheit von Beschäftigten in Großbetrieben.
Doch diese Sichtweise gibt nur eingeschränkt die gesamten Folgen des wirtschaftlichen Umbruchs wieder, da hierbei die Zahl der entlassenen Mitarbeiter und der Unternehmensinsolvenzen unberücksichtigt bleibt. Diese zusätzlichen Folgen des Systemumbruchs verdeutlichen der Produktionseinbruch in Ostdeutschland und der Umfang von "Personalfreisetzungen" in der Frühphase der wirtschaftlichen Transformation: Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung lag die Industrieproduktion in Ostdeutschland 73 Prozent unterhalb ihres Niveaus von 1989 (Windolf 2001, S. 396). Dabei brach die Beschäftigung in unterschiedlichen Branchen relativ unabhängig von einer gelungenen oder fehlgeschlagenen Privatisierung erheblich ein. Der Wirtschaftssoziologe Paul Windolf (2001, S. 411) schätzt, dass im Zeitraum von 1990 bis 1995 ca. 80 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung der DDR ihren Arbeitsplatz vorübergehend oder auf Dauer verloren haben.
Unabhängig davon, wie man das politische Ende der DDR kategorial einordnet, kann die Umgestaltung ihrer wirtschaftlichen Strukturen am besten mit dem Begriff "Revolution" umschrieben werden. Deren Folgen sind bis heute spürbar. Sie waren nur durch den Einsatz massiver Finanzmittel seitens des Bundes und der alten Bundesländer zu beherrschen.
Beschäftigungsentwicklung im produzierenden Gewerbe ohne Bau
Dr. habil. Bernd Martens, studierte Soziologie, Informatik, Sozialgeschichte und Volkswirtschaftslehre in Hamburg. Von 2001-12 war er am Sonderforschungsbereich 580 "Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch" an der Universität Jena in einem Forschungsprojekt über wirtschaftliche Eliten im erweiterten Europa und als wissenschaftlicher Geschäftsführer tätig. Von 2013 bis 2017 arbeitete er am Zentrum für Sozialforschung an der Universität Halle in verschiedenen Forschungs- und Evaluationsprojekten. Von 2018 bis 2019 war er am DZHW (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung) Berlin im Nacaps-Projekt tätig. Seit 2020 arbeitet er in der Außenstelle Leipzig des DZHW. (Nacaps steht für National Academics Panel Study und ist eine Längsschnittstudie des DZHW über Promovierende und Promovierte in Deutschland. In regelmäßigen Abständen befragt Nacaps bundesweit Promovierende und Promovierte zu ihren Promotionsbedingungen, Karriereabsichten und Karriereverläufen sowie zu ihren allgemeinen Lebensbedingungen.)
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