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Die langfristigen Folgen des Sozialismus und der deutschen Vereinigung für Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland | Lange Wege der Deutschen Einheit | bpb.de

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Die langfristigen Folgen des Sozialismus und der deutschen Vereinigung für Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland

Michael Fritsch Maria Greve Michael Wyrwich

/ 10 Minuten zu lesen

In Sachen Innovationsaktivitäten ist Ostdeutschland wegen des sozialistischen Erbes noch immer im Rückstand, schreiben Michael Wyrwich, Maria Greve und Michael Fritsch. Möglicherweise haben die Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland ihr systemisches Potenzial aber noch nicht ausgeschöpft.

Arbeit am Computer in einer Schmiede in Klitten, Sachsen. (© picture-alliance, photothek )

Zusammenfassung

Der erste Abschnitt gibt zunächst einen knappen Überblick über Besonderheiten der Organisation von Innovationsaktivitäten in der DDR und die durch den Vereinigungsprozess erfolgten Veränderungen. Darauf aufbauend führen die Autoren einen Vergleich der Ost-West-Unterschiede zwischen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg – also vor Entstehung der DDR – und der Zeit seit der Wiedervereinigung durch. Dieser Vorher-Nachher-Vergleich lässt auf die Auswirkungen des rund 40 Jahre andauernden sozialistischen Regimes in Ostdeutschland schließen. Daran anschließend betrachten die Autoren die technologischen Schwerpunkte der Erfindertätigkeit in Ost- und Westdeutschland sowie deren Entwicklung. Damit ist insbesondere die Frage verbunden, inwieweit die deutsche Wiedervereinigung mit einer Konsolidierung der Innovationsaktivitäten zu Ungunsten Ostdeutschlands verbunden war. Abschließend werden weitere mögliche Erklärungen für die mehr als dreißig Jahre nach der "Wende" in weiten Teilen Ostdeutschlands immer noch relativ geringe Innovationsleistung diskutiert und ein Resümee gezogen.

Innovationen in Ostdeutschland

Innovationen stellen einen zentralen Treiber von Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlichem Wachstum dar. So geht auch der anhaltende wirtschaftliche Rückstand Ostdeutschland gegenüber Westdeutschland mit einer ausgeprägten Schwäche auf dem Gebiet der Innovationen einher. Dieser Beitrag beschreibt die Entwicklung von Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Dabei gehen wir insbesondere der Frage nach, inwieweit die mehr als drei Jahrzehnte nach der Wende andauernde geringe Innovationsleistung in Ostdeutschland eine längerfristige Folge der sozialistischen Planwirtschaft der DDR bzw. des Transformationsprozesses darstellt.

Das Innovationssystem der DDR und der Vereinigungsprozess

Die Entstehung von Innovationen und deren erfolgreiche Vermarktung beruht in aller Regel auf dem Zusammenspiel einer Vielzahl von Akteuren, insbesondere von Hochschulen, öffentlichen Forschungsinstituten und produzierenden Unternehmen. Die Interaktion wird dabei wesentlich durch die institutionellen Rahmenbedingungen beeinflusst. Eine Analyse der Innovationsfähigkeit einer Wirtschaft erfordert die Berücksichtigung dieser Akteure und ihrer Beziehungen zueinander, was in seiner Gesamtheit unter dem Begriff des Innovationssystems subsumiert wird.

Das Innovationssystem der DDR war nach sowjetischem Vorbild organisiert. Dabei bestanden klare Zuschreibungen von Aufgaben im Innovationsprozess: Während die Forschung weitgehend in den Instituten der Akademie der Wissenschaften stattfinden sollte, bestand die Aufgabe der Kombinate vor allem in der Umsetzung der Forschungsergebnisse; Hauptaufgabe der Hochschulen war die Lehrtätigkeit. Den Akteuren wurden genaue Planvorgaben gemacht, in welchen Bereichen, in welchem Umfang und mit welchen Zielen Forschung und Entwicklung (FuE) zu erfolgen hatte. Dabei sollte die Grundlagenforschung nicht, wie im Westen üblich, weitgehend zweckfrei, sondern anwendungsorientiert, also von vornherein auf eine ökonomisch nutzbringende Verwertung hin ausgerichtet sein. Hierdurch blieb das Spektrum der zulässigen Forschungsprojekte eingeschränkt. Es gab es eine Reihe von Maßnahmen mit dem Ziel, Innovationsprozesse in den Betrieben durch Einbindung der Belegschaften zu stimulieren. Beispiele hierfür sind die Förderung des „Neuererwesens“ (vergleichbar mit dem betrieblichen Vorschlagswesen in der BRD) oder Kampagnen zur „komplexen sozialistischen Rationalisierung“.

Sowohl die staatlichen Vorgaben wie auch allgemein die Starrheiten der planwirtschaftlichen Organisation erwiesen sich in der Praxis häufig als Hemmnis für Innovationsprozesse. Ein weiteres wesentliches Hindernis für Innovationsprozesse war die geringe internationale Einbindung der DDR. So wurde der Wissensaustausch mit dem Westen im Verlauf des Kalten Krieges zunehmend eingeschränkt bis hin zu dem von den westlichen Industriestaaten verhängten Verbot der Lieferung technologieintensiver Güter an Staaten des Ostblocks (COCOM-Liste). Aber auch die FuE-Kooperation innerhalb des Ostblocks fand nur auf sehr niedrigem Niveau statt. Ein prominentes Beispiel für die hieraus resultierende Rückständigkeit der Innovationsaktivitäten in der DDR war die Ende der 1980er Jahre aufgenommene Herstellung eines 256kB-Mikrochips zum Selbstkostenpreis von mehr als 500 DDR-Mark, wobei ein vergleichbarer Chip auf dem Weltmarkt zu dieser Zeit für einen Bruchteil dieses Preises erhältlich war.

Im Zuge der deutschen Vereinigung im Jahr 1990 wurde das Innovationssystem der ehemaligen DDR nach westdeutschem Muster umgestaltet. Dies umfasste insbesondere die Auflösung der Akademie der Wissenschaften, die Gründung von Instituten der in Westdeutschland etablierten Forschungsorganisationen wie z.B. der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft sowie die Stärkung der Forschung an den Hochschulen. Große Bedeutung in diesem Prozess hatte auch die Privatisierung der ehemals staatlichen Unternehmen. Insbesondere die Auflösung der großen Kombinate führte binnen weniger Jahre zu vollkommen neuen und dabei relativ kleinteiligen Strukturen. Da es in diesem neu gestalteten Innovationssystem keine verbindlichen staatlichen Planvorgaben gibt, können die Akteure nun selbst entscheiden, wieviel FuE-Aufwand sie wofür betreiben wollen.

Die Umgestaltung des Innovationssystems der DDR war mit der Erwartung verbunden, dass längerfristig eine mit dem Westen vergleichbare Leistungsfähigkeit erreicht wird. Diese Erwartung beruhte zum einen auf der Übernahme der westdeutschen Institutionen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als erfolgreich erwiesen hatten. Zum anderen nahm man an, dass sich der nunmehr wesentlich einfachere Zugang der ostdeutschen Akteure zu globalen Wissensströmen sowie die erweiterten Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit westlichen Partnern zu wesentlichen Verbesserungen der Leistungsfähigkeit des Innovationssystems führen. Um die Anpassungsprozesse zu unterstützen, werden FuE-Aktivitäten in Ostdeutschland seit Beginn des Transformationsprozesses massiv finanziell gefördert.

Folgen des Sozialismus für Erfindungen: Ein Vorher-Nachher-Vergleich

Vorgehensweise

Um den Effekt der DDR-Zeit auf Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland zu ermitteln, führen wir einen Vorher-Nachher-Vergleich durch. Dabei stellen wir das Ausmaß der Innovationsaktivitäten in Ost- und Westdeutschland in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg (hier dem Jahr 1925/26) den Innovationsaktivitäten zum Zeitpunkt der deutschen Vereinigung und danach gegenüber. Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland können dann als längerfristige Effekte des DDR-Systems und der Transformation der ostdeutschen Wirtschaft nach der Wiedervereinigung interpretiert werden. Im Rahmen unseres Vorher-Nachher-Vergleiches nehmen wir Berlin von der Betrachtung aus, da nur der östliche Teil der Stadt Bestandteil der DDR war, während der westliche Teil in die westdeutsche Wirtschaft integriert war. Aufgrund der stark ausgeprägten Verflechtungen innerhalb Berlins wären getrennte Angaben für beide Teile heutzutage kaum sinnvoll.

Als Maß für die Innovationstätigkeit dient uns die Anzahl der angemeldeten Patente. Ein Patent repräsentiert jeweils eine Erfindung. Zwar sagt die Anzahl der Erfindungen nichts über die wirtschaftlichen Effekte von Innovationen aus, Patente bieten aber den großen Vorteil der Vergleichbarkeit der ansonsten nur sehr schwer messbaren Innovationsaktivitäten. Um die Unterschiede in der Größe und damit auch der wirtschaftlichen Potenziale von Ost- und Westdeutschland zu berücksichtigen, beziehen wir die Anzahl der jährlichen Patentanmeldungen jeweils auf die Anzahl der Einwohner (Patentintensität).

Regionale Betrachtung

Eine regional differenzierte Gegenüberstellung der Anzahl der Patente pro 10 Tsd. Einwohner im Jahr 1925 und im Jahr 2014 zeigt starke Veränderungen in der räumlichen Struktur der Innovationsaktivitäten. Mitte der 1920er Jahre gab es sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands bedeutende Zentren der Erfindertätigkeit (siehe Abbildung 1). In Ostdeutschland waren insbesondere der Südwesten sowie der Berliner Raum durch eine relativ hohe Patentintensität gekennzeichnet. So stellte etwa Sachsen vor dem Zweiten Weltkrieg eine der innovativsten und wohlhabendsten Regionen in Europa dar. Im Westen Deutschlands lagen die Regionen mit relativ hohem Niveau der Erfindertätigkeit vor allem in Baden-Württemberg, im Münchner Raum sowie in und um die Städte Köln und Düsseldorf.

Anzahl der Patente pro 10 Tsd. Einwohner in Deutschland 1925 und 2014 (Patentblätter (Reichspatentamt, 1926); Rassenfosse et al. (2019); Volks und Berufszählung 1925 (Statistik des Deutschen Reichs, 1927); Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im Unterschied zu der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zeigt die räumliche Verteilung der Patentintensität im Jahr 2014 einen deutlich ausgeprägten Rückstand der ostdeutschen Regionen. Dabei ragen vor allem Berlin, Dresden und Jena als ‚Leuchttürme‘ positiv hervor, während für fast sämtliche anderen Regionen der ehemaligen DDR ein stark unterdurchschnittliches Ausmaß an Erfindertätigkeit zu verzeichnen ist. Anders als die relativ innovationsstarken Regionen in Westdeutschland sind die besonders innovativen Regionen in Ostdeutschland kaum in ein innovatives räumliches Umfeld eingebettet, sondern stellen eher ‚Kathedralen in der Wüste‘ dar. Innerhalb Westdeutschlands ist ein deutliches Nord-Süd-Gefälle der Erfindertätigkeit zu verzeichnen. Der überwiegende Teil der Regionen mit besonders hoher Patentintensität liegt in Bayern und Baden-Württemberg.

Analysen von Ost-West-Unterschieden der Innovationsaktivitäten drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ergeben, dass der Anteil derjenigen Unternehmen, die Innovationsaktivitäten durchführen, in Ostdeutschland relativ niedrig ist. Auch gibt es deutliche Hinweise darauf, dass ostdeutsche Innovatoren einen vergleichsweise geringen ökonomischen Ertrag mit ihren Innovationen erzielen.

Die Entwicklung im Zeitverlauf

Handelt es sich bei der deutlich ausgeprägten Innovationsschwäche Ostdeutschlands um eine langfristige Folge des DDR-Innovationssystems?

Anzahl der Patente pro 10 Tsd. Einwohner 1925 und ab 1991 (Patentblätter (Reichspatentamt, 1926); Rassenfosse et al. (2019); Volks und Berufszählung 1925 (Statistik des Deutschen Reichs, 1927); Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im Jahr 1925 war die Patentintensität in Ostdeutschland etwas niedriger als im Westen Deutschlands (Abbildung 2). Dieser Ost-West-Unterschied fiel kurz nach der deutschen Vereinigung im Jahr 1991 schon deutlich stärker aus, erweist sich aber als statistisch nicht signifikant, insbesondere, wenn man Unterschiede in den Standortgegebenheiten (z.B. Bevölkerungsdichte) berücksichtigt. Dieser Befund lässt allerdings nicht darauf schließen, dass die Innovationssysteme in beiden Teilen des Landes zu diesem Zeitpunkt ähnlich leistungsfähig waren, da in Ostdeutschland ein deutlich höherer Anteil des Sozialproduktes für FuE aufgewandt wurde.

Bemerkenswert ist die Entwicklung der Patentintensität in Ost- und Westdeutschland seit dem Jahr 1991. Während zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung die allgemeine Erwartung darin bestand, dass die Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft, und dabei insbesondere der mit massiver finanzieller Unterstützung verbundene Umbau des ostdeutschen Innovationssystems, zu einer Ost-West-Angleichung der Erfindertätigkeit führt, ist stattdessen eine Verstärkung des Ost-West-Unterschiedes zu verzeichnen. Zwar nimmt die Patentintensität in Ostdeutschland bis zum Jahr 2007 deutlich zu, allerdings fällt dieser Anstieg wesentlich schwächer aus als in Westdeutschland. Im Zeitraum 2008-2014 ist sogar ein absoluter Rückgang der Patentintensität in Ostdeutschland zu verzeichnen.

Technologische Schwerpunkte der Erfindertätigkeit in Ost und West

Eine Betrachtung der Schwerpunkte der Erfindertätigkeit in Ost- und Westdeutschland bietet eine mögliche Erklärung für die aufgezeigte Entwicklung. Hierzu klassifizieren wir in Ost und West alle diejenigen Technologiegebiete als Schwerpunkte der Erfindertätigkeit, auf die zusammengenommen jeweils 50% aller Patentanmeldungen entfallen. Dabei werden vier Gruppen unterschieden. Erstens, diejenigen Technologieklassen in denen allein Westdeutschland spezialisiert war; zweitens Technologieklassen, die sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland Schwerpunkte darstellten; drittens, diejenigen Technologieklassen, in denen nur Ostdeutschland spezialisiert war; viertens schließlich, Technologieklassen, die weder in Ost- noch in Westdeutschland Schwerpunkte darstellten.

Ost-West-Spezialisierung nach Technologieklassen 1989-91 (OECD REGPAT (2020), eigene Berechnungen) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Wie aus Abbildung 3 deutlich wird, ist zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung (Zeitraum 1989-1991) für fast ein Drittel aller Technologieklassen (30,8%) eine Spezialisierung sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland zu verzeichnen. Somit fällt fast ein Drittel aller Technologieklassen in diese Gruppe, was die große Ähnlichkeit der technologischen Profile zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung bestätigt. Die Abbildung macht außerdem deutlich, dass Ostdeutschland lediglich in 8,9% aller Technologieklassen allein spezialisiert war, während Westdeutschland in 19,1% aller Technologieklassen ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Osten hatte. Somit wies die ostdeutsche Wirtschaft nur in relativ geringem Ausmaß ein eigenes technologisches Profil im Sinne von Alleinstellungsmerkmalen auf, mit dem sie sich deutlich von den Innovationsaktivitäten in Westdeutschland hätte unterscheiden können. Eine wesentliche Ursache für die starke Übereinstimmung der technologischen Profile in Ost- und Westdeutschland besteht vermutlich in der gemeinsamen Geschichte der beiden Teile Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg. Ein weiterer Grund könnte sein, dass sich die DDR-Regierung bei der inhaltlichen Ausrichtung der Forschungsgebiete in Ostdeutschland stark an den Entwicklungen in Westdeutschland orientiert hat.

Im Verlauf der Integration von Ost- und Westdeutschland nach der Vereinigung haben sich die technologischen Profile der Erfindertätigkeit in Ost und West weiter angeglichen. So betrug der Anteil der Technologieklassen, in denen die Erfindertätigkeit sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland spezialisiert war, Mitte der 2000er ungefähr 40% und blieb seitdem konstant. Auffällig ist auch, dass die Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung ein hohes Maß an Vielfalt entwickelt haben und trotz geringerer Patentintensität heute erheblich breiter über die verschiedenen Technologieklassen gestreut sind als zur Zeit der Wiedervereinigung.

Die Schwäche des ostdeutschen Innovationssystems als Spätfolge des Sozialismus und des Transformationsprozesses

Der seit der deutschen Vereinigung zunehmende Rückstand der Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland hat eine Reihe von Gründen. Im Folgenden geben wir einen Überblick über wesentliche Erklärungsansätze.

  • Konsolidierung zu Lasten ostdeutscher Innovationsaktivitäten (Flurbereinigung). Unsere Analysen weisen darauf hin, dass im Zuge des Vereinigungsprozesses eine Art Flurbereinigung stattfand, die überwiegend zu Lasten der ostdeutschen Innovationsaktivitäten ging. Dabei wurden in denjenigen Technologiefeldern, die sowohl in Ost- wie in Westdeutschland Schwerpunkte der Innovationsaktivitäten waren, ostdeutsche Innovationsaktivitäten häufig von westdeutschen Akteuren absorbiert oder herauskonkurriert. Die Gründe für die Überlegenheit der westdeutschen Akteure lagen zum einen auf ihrem Wissensvorsprung infolge der systembedingt stärkeren Einbindung in den globalen Wissensaustausch. Zum anderen hat wohl auch die größere Ressourcenstärke der westdeutschen Firmen eine wesentliche Rolle gespielt.

    Dementsprechend fand der stärkste relative Rückgang der Patentanmeldungen in Ostdeutschland gerade in solchen Technologiebereichen statt, in denen während der DDR-Zeit große Anstrengungen unternommen wurden, um nicht den Anschluss an die globale Entwicklung zu verlieren. Ein markantes Beispiel hierfür ist die Mikroelektronik, wo sich der Abstand zwischen Ost und West seit der Vereinigung in besonderer Weise verstärkt hat. In Technologiegebieten, in denen Ostdeutschland am Ende der DDR-Zeit ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Westdeutschland aufwies, verlief die Entwicklung der Erfindertätigkeit nach der Wende hingegen relativ robust.

  • Abwanderung von Erfindern: Studienergebnisse weisen darauf hin, dass ca. 25% aller Erfinder, die vor 1990 an einem DDR-Patent beteiligt waren nach der Wiedervereinigung nach Westdeutschland abgewandert sind. Somit hatte das ostdeutsche Innovationssystem auch mit einem großen Verlust an Humankapital und Know-how zu kämpfen. Dieser Migrationsprozess hat vermutlich ebenfalls dazu beigetragen, dass der Osten bis heute mit Blick auf die Patentintensität nicht zum Westen aufschließen konnte.

  • Kleinteilige Wirtschaftsstruktur. Als Grund für den Rückstand der Innovationstätigkeit wird auch oft angeführt, dass die ostdeutsche Wirtschaft ganz überwiegend aus kleinen und mittelgroßen Unternehmen besteht und ausgesprochene Großunternehmen weitgehend fehlen. Dieses Argument hat insofern eine gewisse Berechtigung, weil Großunternehmen häufig wichtige Funktionen in Innovationssystemen wahrnehmen. Man kann allerdings auch argumentieren, dass die kleinbetriebliche Struktur der ostdeutschen Wirtschaft ein Symptom geringer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit darstellt, die letztendlich auf unzureichendem Erfolg der Innovationsanstrengungen beruht.

Alle diese Erklärungen für den anhaltenden Rückstand der ostdeutschen Innovationsaktivitäten basieren letztendlich auf der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft und ihres Innovationssystems, die wesentlich durch das sozialistische Erbe bedingt ist. Hinzu kommt, dass die grundlegende Reorganisation des ostdeutschen Innovationssystems nach der Wiedervereinigung erst längerfristig ihre volle Wirksamkeit entfaltet. Der punktuelle, räumlich weitgehend isolierte Charakter der ostdeutschen ‚Leuchttürme‘ kann als Indiz dafür angesehen werden, dass die Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland ihr systemisches Potenzial noch nicht ausgeschöpft haben.

Offensichtlich wiegt das Erbe des Sozialismus schwer und es wird wahrscheinlich noch über einen geraumen Zeitraum spürbar bleiben. Dabei kann es durchaus sein, dass sich die in jüngster Zeit festzustellende divergierende Entwicklung der Patentaktivitäten in Ost und West noch eine Zeitlang fortsetzt. Die Politik ist gefordert, solchen Entwicklungen entgegen zu wirken.

Quellen / Literatur

Fritsch, M., M. Greve und M. Wyrwich (2021): Shades of a Socialist Legacy? Regional Innovation Activity in Germany 1925-2014. Friedrich Schiller Universität Jena.

Grupp, H. and S. Hinze (2004): International Orientation, Efficiency of and Regard for Research in East and West Germany: A Bibliometric Investigation of Aspects of Technology Genesis in the United Germany. Scientometrics, 29, 83-113. Externer Link: https://doi.org/10.1007/bf02018385

Günther, J., A. Hipp und U. Ludwig (2020): Universalien der Innovation – Erfindertum und technischer Fortschritt in der DDR und dessen Rolle nach 1990. Universität Bremen. Externer Link: https://media.suub.uni-bremen.de/handle/elib/4535

Rammer, C., S. Gottschalk und M. Trunschke (2020): Innovationstätigkeit der Unternehmen in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung. Studien zum deutschen Innovationssystem No. 7-2020, Berlin: Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Externer Link: http://hdl.handle.net/10419/214725

Fussnoten

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autoren/-innen: Michael Fritsch, Maria Greve, Michael Wyrwich für bpb.de

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Weitere Inhalte

Prof. Dr. Michael Fritsch ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist weiterhin Forschungsprofessor am Institut für Wirtschaftsforschung Halle sowie Associate Editor der wissenschaftlichen Zeitschriften Regional Studies und Small Business Economics.

Dr. Maria Greve ist Postdoc im Projekt "Erbe des DDR-Innovationssystems" an der Friedrich-Schiller Universität Jena sowie Assistant Professor an der Universität Groningen (Niederlande)".

Dr. Michael Wyrwich, ist "Associate Professor for Small Business and Entrepreneurship at Faculty of Economics and Business Administration" an der Universität Groningen (Niederlande) und Privatdozent an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.