Eigentum
Ein Indikator für innerdeutsche Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Kerstin Brückweh
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Statistisch betrachtet ist Eigentum ein Indikator für eine ungleiche Ost-West-Verteilung. Mentalitätsgeschichtlich haben gleiche Ideale und Praktiken wie Sparen oder die Pflege des Wohnraums zu ungleichen Lebensverhältnissen geführt.
Das Thema Eigentum klingt eher nüchtern, aber es hat gerade in letzter Zeit wieder die Emotionen aufgeheizt. Sei es, weil das Einfamilienhaus als Traum vieler Deutschen erneut aus ökologischer Perspektive in die Kritik geraten ist, sei es, weil sich aus dem geringeren Privateigentum gerade in Ostdeutschland, vor allem im Bereich des Wohnens oder des Vermögens, auch unterschiedliche Möglichkeiten des Erbens und Vererbens ergeben. In der DDR war das Volkseigentum zwar offiziell hoch geschätzt, das Privateigentum hingegen alles andere als unbedeutend. Die Vorgaben und das Handeln des Regimes hatten aber Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Eigentums im Privaten und sorgten für bis heute andauernde messbare Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Davon zu unterscheiden ist eine Kontinuität der zugrunde liegenden Ideen und Praktiken, wie z.B. dem Sparen, der Pflege des Wohnraums und der Orientierung am Leistungsideal. Es ist also historisch erklärbar, dass sich Eigentum als Indikator für innerdeutsche Unterschiede, aber auch mentalitätsgeschichtliche Kontinuitäten besonders eignet. Bei der messbaren sozialen Ungleichheit im Ost-West-Vergleich handelt es sich aber nicht um eine Ungleichheit, die sich zwangsläufig in postsozialistischen Staaten ergeben hat, vielmehr zeigen sich andere Länder mit kommunistischer Vergangenheit durch sehr hohe Eigentumsraten aus, zum Beispiel im Wohnbereich. Während Eigentum im Alltag von Menschen kontinuierlich eine große Rolle spielte und spielt, wurde es erst jüngst von der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung wiederentdeckt. Was also wird überhaupt unter Eigentum verstanden (1.), welche Rolle spielt Eigentum in der heutigen Gesellschaft (2.), wie ist es statistisch messbar (3.), was lässt sich aus der Alltags- und Mentalitätsgeschichte über das Eigentum sagen (4.), wie sieht es außerhalb Deutschlands aus (5.) und was folgt daraus für gegenwärtige und künftige Auseinandersetzungen zum Thema Eigentum (6.)?
Eigentumsdefinitionen und -konzepte
Wird heute nach Definitionen von Eigentum gefragt, so wird häufig zuerst auf Gesetzestexte verwiesen. Eine erste Anlaufstelle im deutschen Kontext ist das Grundgesetz, das sich in Artikel 14 auf das Eigentum bezieht, dort aber recht abstrakt bleibt. Schon in dem kurzen Abschnitt des Grundgesetzes zeigt sich deutlich das Spannungsfeld, in dem das steht, was er oder sie sein oder ihr Eigen nennt: Das Eigentum wird gewährleistet (GG Artikel 14, Abschnitt 1), zugleich verpflichtet es und soll dem Wohle der Allgemeinheit dienen (Abschnitt 2). Auf dieses Spannungsverhältnis von Interessen des Individuums und der Gesellschaft geht der dritte Abschnitt ein, durch den Enteignungen möglich sind, wenn sie auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen und wenn der vorherige Eigentümer angemessen entschädigt wird (Abschnitt 3). Genaueres zu den verschiedenen Formen von Eigentum steht in anderen Gesetzestexten, allen voran im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).
Aus historischer Perspektive handelt es sich dabei allerdings um eine Engführung, denn Gesetze sind historisch durch unterschiedliche gesellschaftliche Aushandlungsprozesse entstanden. So ging das heute geltende BGB aus Prozessen und Erfahrungen hervor, die die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts prägten: Urbanisierung, Industrialisierung, Ausbildung des Bürgertums etc. Auch das in der Bundesrepublik geltende Grundgesetz und die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1949 waren Ergebnisse von gesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozessen. Eine Zäsur lässt sich hier mit der Französischen Revolution und vor allem der Französischen Verfassung von 1793 setzen, als Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Eigentum als wesentliche Elemente bürgerlichen Lebens verbunden wurden. Die hier formulierten Grundsätze teilten auch andere europäische Staaten zunehmend und brachten sie in Gesetzesform. Eigentum machte im 19. Jahrhundert den Mann (später auch die Frau) zum Bürger. Diese enge Verbindung von Eigentum und politischen Rechten ist charakteristisch.
An diese Stelle gilt es somit drei Aspekte festzuhalten: Erstens sind die heute geltenden gesetzlichen Regelungen zum Eigentum historisch gewachsen und eng mit politischer Teilhabe verbunden, zweitens sind rechtlichen Regelungen typisch für die Moderne und drittens ist die Kombination aus eins und zwei typisch für sogenannte westliche Kontexte. Dieser kleine Exkurs zeigt auf, dass nicht nur Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland die Vorstellungen vom Eigentum prägen, sondern dass durchaus auch Gemeinsamkeiten zu beobachten sind, die im Folgenden noch ausgeführt werden.
Aus analytischen Gründen ist es in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung deshalb üblich, Eigentum als "ein historisches, soziales, rechtliches und kulturelles Konstrukt" zu verstehen, "das auf der symbolischen und der sozialen Ebene zu untersuchen ist." Das Recht ist dabei nur ein Teil unter mehreren, durch die das Eigentum bestimmt wird. Während diese Definition aus dem Jahr 1999 stammt und historisch betrachtet selbst noch stark unter dem Einfluss des Ende des Kalten Krieges und der "Restauration klassisch-liberaler Eigentumsvorstellungen" stand, betonen neuere Definitionen noch viel stärker den relationalen Charakter von Eigentum und auch den Wandel von Eigentum. Kritik kam insbesondere von Forschenden, die z.B. zu China und zur Sowjetunion arbeiten. Sie betonten, dass eine Ausrichtung von Untersuchungen an "westlichen" Eigentumsvorstellungen dazu führe, dass der sog. "Westen" als maßgebend genommen und alles, was dem nicht entspreche, als rückschrittlich angesehen werde. Dabei gebe es auf der Welt vielfältige Formen von Eigentum, vielleicht sogar Formen, die viel zukunftsträchtiger seien.
Die Rolle von Eigentum in der (heutigen) Gesellschaft
Zwar gab und gibt es auch in Deutschland alternative Eigentumsformen, wie etwa das genossenschaftliche Eigentum, aber häufig scheinen das Denken und Handeln sich an der klassischen Idee des Privateigentums zu orientieren; klassisch meint hier die oben beschriebene Entwicklung und Festschreibung in der westlichen Moderne, wohingegen Ideen von Eigentum noch viel weiter in der Geschichte zurückverfolgt werden können. Damit eng verbunden ist das Erben als eine Möglichkeit des Eigentumserwerbs. Auch dieser Zusammenhang wird im Grundgesetz hergestellt, wenn es in Artikel 14 gleich am Anfang heißt: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet." (Abs. 1). Das Erben wiederum ist "ein Thema, das im Ost-West-Diskurs neuerdings sehr häufig erwähnt wird," wie die Journalistin Anne Hähnig im August 2021 anlässlich des Jahrestages zum Mauerbau in der Wochenzeitung "Die Zeit" feststellte. Sie führt aus: "Wenn junge Ostdeutsche erklären sollen, was sie von Westdeutschen unterscheidet, dann sagen sie zum Beispiel: Ihr bekommt von euren Eltern irgendwann ein Haus, wir bekommen höchstens eine Kleingartenlaube." Das ist gewissermaßen typisch: Im Kontext von Eigentum und Erben scheinen die meisten Menschen zuerst an materielles Eigentum zu denken. Beide Phänomene umfassen aber auch das geistige Eigentum, das soziale Kapital oder das kulturelle Erbe. Es könnte also auch vererbt werden, wie es sich anfühlte, friedlich eine Diktatur zu stürzen und erfolgreich für freiheitliche und demokratische Rechte aufzustehen. Davon handeln die Alltagserzählungen zum Eigentum und zum Erben für gewöhnlich nicht. Das Materielle steht im Vordergrund.
Offensichtlich werden in diesen Erzählungen auch soziale Unterschiede: Ein Haus zu erben oder auch "nur" ein Kleingartenlaube – wie Hähnig schreibt – verweist auf bestimmte gesellschaftliche Schichten, Milieus und Siedlungsräume. Auch in der alten Bundesrepublik kann bei weitem nicht jede*r erwarten, ein Haus zu erben, und in manchen Fällen wird das am See gelegene ostdeutsche Datschengrundstück mehr Wert sein als das in den 1950ern gebaute Einfamilienhaus in der wenig besiedelten niedersächsischen Provinz. Es lohnt sich demnach, genauer hinzusehen. Bleibt man zunächst beim Materiellen, so bieten sich statistische Erhebungen an.
Statistische Indikatoren: Wohneigentum und Sparvermögen
Im Rechtskontext wird zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen unterschieden. Wie aber lässt sich beides zählen und in Statistiken festhalten? Blickt man vom Alltag auf das materielle Eigentum, rückt zuerst das Wohneigentum bzw. das Eigentum an Grund und Boden in den Mittelpunkt. Denkbar sind aber auch Wertsachen wie Gold, Schmuck, Edelsteine, Antiquitäten oder Kunstwerke, der Wert des Hausrats oder von größeren Konsumgütern wie Fahrzeugen. Außerdem könnte auch das Geldvermögen (Girokonten, Sparguthaben, Aktien, Versicherungen etc.) oder Anwartschaften auf private Alterssicherungssysteme berücksichtig werden. Wird hier der Blick über das materielle Eigentum hinaus erweitert, könnte auch messbares geistiges Eigentum, wie etwa Patente, einbezogen werden. Manches lässt sich einfacher zählen, anderes ist relativ schwer zu eruieren. Außerdem wird – wie gesagt – diese Reduzierung auf das Materielle dem vielfältigen Phänomen des Eigentums nicht gerecht. Bleibt man trotzdem zunächst bei den beweglichen und unbeweglichen Dingen, nimmt aber den Einwand aus der Kulturgeschichte, dass es sich beim Eigentum um ein westliches, modernes, kulturell und sozial ausgehandeltes Phänomen handelt, ernst, so muss zuerst festgestellt werden, welche Eigentumsform in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit zur Messung der sozialen Unterschiede als besonders wichtig angesehen wird. Im 20. und 21. Jahrhundert geht es in West- und Ostdeutschland häufig entweder um das Wohneigentum oder das Sparvermögen. Ob das Sparvermögen als Eigentum gilt, kann in Anbetracht von staatlicher Geldpolitik diskutiert werden, auf jeden Fall kann es den Erwerb von Eigentum ermöglichen.
Zuerst bleibt festzuhalten, dass Deutschland im europäischen Vergleich bei der Wohneigentumsquote neben der Schweiz das Schlusslicht bildet. Weniger als die Hälfte aller Haushalte wohnen in den eigenen vier Wänden – wie es jüngst im Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung konstatiert wurde. Die geringe Wohneigentumsquote ist kein neuer Befund, sondern schon lange nachweisbar. Zudem ist bekannt, dass Immobilien die wichtigste Vermögensposition privater Haushalte sind und dass durch politische Maßnahmen in diesem Bereich bereits viel gesteuert wurde und gesteuert werden kann. (siehe auch: Link zum Dossier Wohnen)
Abbildung 1 zeigt eine Momentaufnahme der Wohneigentumsquote Anfang der 2010er-Jahre unterteilt nach EU-Durchschnitt, Ost- und Westdeutschland. Abbildung 2 lässt im zeitlichen Verlauf von 1998 bis 2018 erkennen, dass sich der Eigentümeranteil zwischen Ost- und Westdeutschland nicht angepasst hat, obwohl nun politische Eigenheimförderungen für Gesamtdeutschland zur Verfügung stehen. Gründe werden in den günstigeren Mieten, dem fehlenden Kapital zum Eigentumserwerb und der geringeren Übertragung von Eigentum durch Erbschaften vermutet.
In der alten Bundesrepublik von 1949 bis 1989 waren die Rahmenbedingungen für Menschen, die ein Vermögen aufbauen wollten, sehr gut. Die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik werden auch als "Wohlstandexplosion" bezeichnet. In der DDR gab es durchaus Privateigentum von Wohnraum, es wurde aber nicht von staatssozialistischer Seite mit Förderprogrammen versehen, die zu höheren Eigentumsquoten führten; das Gegenteil war der Fall, wie die Statistik in Abbildung 3 zeigt.
Abbildung 3: Wohnungsbestand in der DDR 1971 bis 1989 - aufgeteilt nach Eigentumsformen
Eigentumsverhältnisse
1971
1981
1985
1989
in Prozent
Staatlich
28
37
39
41
Genossenschaftlich
10
15
16
18
Privat
62
48
45
41
Quelle: Buck, Hannsjörg F., Mit hohem Anspruch gescheitert. Die Wohnungspolitik der DDR, Münster 2004, S. 418.
Die Darstellung des Wohnungsbestandes der DDR (Abbildung 3) sagt nichts über die sehr ungleiche Verteilung von Privateigentum je nach Siedlungsform aus. Abbildung 4 hingegen zeigt, dass das Privateigentum im Wohnbereich in kleinen Gemeinden unter 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern stark verbreitet war, was u.a. damit zusammenzuhängen scheint, dass das Privateigentum im Wohnbereich schon vor der Zeit der DDR bestand und nicht verändert wurde.
Abbildung 4: Wohnungseigentum in Gemeinden bis 2000 Einwohnerinnen und Einwohner (Stand 1987)
Eigentumsform
Prozent
Privateigentum
74
Volkseigentum
19
genossenschaftliches Eigentum
6
sonstiges Eigentum
1
Quelle: Ingeborg Flagge (Hg.), Geschichte des Wohnens, Bd. 5: 1945 bis heute. Aufbau, Neubau, Umbau, Stuttgart 1999, S. 419-562, hier S. 531, nach: Bauakademie der DDR (Hg.), Grundlagen zur Planung und Gestaltung der Dörfer. Zwischenbericht G1, Berlin 1987, S. 14.
Für die DDR-Bewohner und -Bewohnerinnen, die trotz der geringen Wertschätzung durch das SED-Regime 1989 ein Haus ihr eigen nannten oder über ein Sparguthaben verfügten, hatten die Regelungen der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 einschneidende Wirkung. Zwar wurden laufende Einkommen und Rentenzahlungen im Verhältnis eine Mark der DDR zu einer D-Mark umgewandelt, aber das Sparguthaben nur zwei zu eins – mit Ausnahme einer altersgebundenen Summe, die eins zu eins getauscht wurde, d.h. Kinder unter 14 Jahren konnten bis zu 2.000 Ost-Mark im Verhältnis 1:1 umtauschen, die 15- bis 59-Jährigen bis zu 4.000 Mark und Menschen ab 60 Jahren bis zu 6.000 Mark. Die Soziologen Martin Diewald und Helga Solga geben unter Rückgriff auf Daten der Staatsbank Berlin und der Bundesbank für das Jahr 1990 an, dass nur 3% der DDR-Bewohner*innen über mehr als 50.000 DDR-Mark Spareinlagen verfügten, aber zwischen 10.000 und 50.000 DDR-Mark hatten immerhin 31% und weitere 31% verfügten über 5.000 bis 10.000 DDR-Mark. Das war wenig im Vergleich zur alten Bundesrepublik, aber bei einem anderen Umtauschverhältnis hätte daraus schneller mehr werden können. Die Unterschiede der deutsch-deutschen Geschichte und die Regelungen zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten haben bis heute, nicht nur zu einer ungleichen Wohneigentumsquote geführt, sondern auch zu Unterschieden im Geldvermögen privater Haushalte (vgl. Abbildung 5).
Abseits von Immobilien und Grundbesitz besitzen heute private Haushalte im Süden der Bundesrepublik mit im Durchschnitt fast 80.000 Euro Geldvermögen mehr als doppelt so viel wie Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern, die im Durchschnitt nur knapp 31.000 Euro ansparen konnten. Die Statistik in Abbildung 5 zeigt auch, dass seit den 1990ern einerseits ostdeutsche Haushalte über weniger Vermögen verfügen, dass sie andererseits aber am stärksten zulegten. Das gilt vor allem für Thüringen, dort konnte bis zum Jahr 2018 im Vergleich zum Jahr 1993 fast viermal so viel erspart werden. Das geringste Vermögenswachstum hatten in der Vergleichszeit Schleswig-Holsteiner*innen, die allerdings seit Jahren im so genannten Glücksatlas an der Spitze stehen. Im Jahr 2020 bildeten in dieser Hinsicht wiederum die Thüringerinnen und Thüringer das Schlusslicht. Ist alles also nur eine Frage der Perspektive und des Maßstabs? Lieber reich oder lieber glücklich, wenn nicht beides möglich ist? So einfach ist es natürlich nicht. Bei der Beurteilung der Frage, warum die Regelungen der deutschen Einheit für ungerecht befunden wurden und teilweise werden, hilft ein Blick auf die zugrunde liegenden Mentalitäten und Praktiken.
Mentalitätsgeschichtliche Indikatoren: Leistung und Sparen
Viele Menschen in der DDR orientierten sich – wie neuere Forschungen zeigen – ebenfalls an den alten Idealen von Sparen und privatem Eigentumserwerb bzw. -erhalt. Das lässt sich zum Beispiel an der Praktik der Pflege des Wohnraums erkennen. So kümmerten sich viele ostdeutsche Bewohnerinnen und Bewohner jahrzehntelang um die Häuser und die Wohnungen, in denen sie lebten. Sie investierten durchaus auch aus ihrer eigenen Tasche oder verwendeten Zeit für das Tauschen von notwendigem Baumaterial in persönlichen Netzwerken. Je länger die DDR bestand, desto sicherer fühlte man sich in den Besitzverhältnissen – trotz des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags von 1972, der die Vermögensfragen ausdrücklich offen gelassen hatte – und desto mehr verfiel die Altbausubstanz und forderte Eigeneinsatz.
Den Ideen und dem Handeln der DDR-Bewohnerinnen und Bewohnern waren durch das politische und wirtschaftliche Regime des Staatssozialismus deutliche Grenzen gesetzt. Zwar war Privateigentum im Wohnbereich in der DDR vor allem im ländlichen Bereich – wie gesagt (vgl. Abb. 3) – nicht unüblich, aber durch die politischen Vorgaben konnte es nicht zum Vermögensaufbau dienen, sondern nur zur Sicherung des Alltags. Für den Eigengebrauch waren ein Haus und – falls Zugang bestand bzw. ermöglicht wurde – noch eine Datsche erlaubt, aber kein mehrfacher Immobilienbesitz. Wenn Häuser neu erworben wurden, wurde der Boden, auf dem sie standen, nicht mit verkauft, sondern gehörte den alten Eigentümerinnen und Eigentümern oder ging in Volkseigentum über. Dadurch kam es zu sich widersprechenden Interessen auf ein- und demselben Stück Land. Das ist nur ein kleiner Einblick in die komplexe Eigentumsgeschichte der DDR. Sie wurde noch durch die Regelungen, des Einigungsvertrages verkompliziert.
Eigentlich hätte 1989/90 im Rahmen des Einigungsvertrags diskutiert werden können (oder vielleicht auch müssen), was einen Immobilienbesitzer zum Eigentümer macht: die Pflege des Eigentums oder der Eintrag im Grundbuch? Wie sollte Eigentum erworben werden – durch Kaufen, Schenken, Erben oder die alte Tradition des Ersitzens? Diese Fragen wurden aber nicht ernsthaft besprochen, andere Themen schienen als brennender empfunden worden zu sein, etwas die Arbeitsplatzsicherung bzw. -abwicklung und damit zum Beispiel die Arbeit der Treuhandanstalt. Das Wohneigentum wurde nach 1989 eher zum Problem in Einfamilienhausgegenden, wo es zum direkten Aufeinandertreffen von DDR-Bewohnerinnen und Bewohnern und Alteigentümerinnen und Alteigentümern kam. Zwar entstand durchaus zum Streit, aber eigentlich nicht über die grundsätzliche Vorstellung vom Wohneigentum, sondern darüber, wie in der DDR von offizieller Seite damit umgegangen worden war und wie die neue Eigentumsordnung nach 1990 hergestellt wurde. Anders formuliert: Die Betroffenen in den Einfamilienhausgegenden teilten die grundsätzliche Idee, dass das Grundbuch die maßgebliche Wissensressource für das Eigentum sei, aber wer im Grundbuch stand, entsprach aufgrund der absichtlich willkürlichen DDR-Eigentumspolitik und Grundbuchführung nicht den Erwartungen der ostdeutschen Akteure.
Mit den Regelungen des Vermögensgesetzes wurde nach 1990 problematisch, dass sich in der DDR aus der Geringschätzung des bürgerlichen Eigentumskonzepts und damit auch der unzuverlässigen Verzeichnung der Eigentumsverhältnisse in den Grundbuchblättern unklare Eigentumsverhältnisse ergeben hatten. Anders formuliert: Der nach 1990 zu findende Eintrag im Grundbuch stimmte nicht unbedingt mit dem gefühlten bzw. durch Wohnraum- und Gartenpflege erworbenen Eigentumsanspruch überein. Zwar gab es Ausnahmen vom Grundsatz des Gesetzes zur Reglung offener Vermögensfragen , dass die Rückgabe an die Alteigentümer erfolgen sollte, auch waren Entschädigungen möglich, aber das Wohneigentum, gerade im Bereich der Einfamilienhäuser ist viel mehr als eine rein materielle Sache – daran hängen Emotionen, Lebensentwürfe und Zukunftspläne. Großer Unmut von Betroffenen war die Folge und das Gefühl – trotz der Orientierung an ähnlichen Vorstellungen vom Wohneigentum und vom Sparen – im Vergleich zu Westdeutschen ungerecht behandelt worden zu sein. Wobei hier noch viel stärker zwischen den verschiedenen Siedlungsräumen in Stadt und Land, den unterschiedlichen politischen Sichtweisen und den sozialen Schichten unterschieden werden muss. So schrieb etwa eine Bürgerrechtlerin im Jahr 2020 rückblickend zu den Sorgen der Einfamilienhausbesitzern: "Gar in einem Einfamilienhaus zu wohnen, war ein ausgesprochenes Privileg, wenn man es nicht gerade geerbt hatte."
Eine ähnliche Erfahrung der Enttäuschung rankt sich um das Ideal der Leistung. Von vielen wurde und wird es als verdächtig und ungerecht angesehen, Vermögen und Eigentum aufzubauen, ohne dafür zu arbeiten, also etwas dafür zu leisten. Zum typischen Beispiel hat sich seit dem 19. Jahrhundert das Spekulieren mit Boden herausgebildet und das gilt nicht nur für Deutschland – wie dieses Bild aus den USA veranschaulicht.
Dieses Selbstverständnis, dass für Erfolg etwas geleistet werden muss, zeigt sich auch als Argumentationsmuster in den Quellen zu Ostdeutschland in den 1990ern: Es wurde als unfair erachtet, dass Westdeutsche, die sich jahrzehntelang nicht um ihr Eigentum gekümmert hatten bzw. aufgrund der deutsch-deutschen Teilungsgeschichte kümmern konnten, dieses nun zurückerhalten sollten. Das verärgerte Ostdeutsche einmal mehr, weil Bürgerinnen und Bürger aus der alten Bundesrepublik ja selbst seit der Nachkriegszeit die Möglichkeit hatten, zu sparen und sich ein Heim zu bauen und das ostdeutsche Eigentum nun zusätzlich zu ihrem ohnehin schon in geregelten, rationalen und verlässlichem Rahmen stattfindenden Vermögensaufbau bekommen sollten . Weitere Beispiele rund um das Thema Sparen ließen sich ergänzen.
Die politischen Rahmenbedingungen, in denen individuelles Handeln rund um das Eigentum möglich war, entsprachen in beiden Teilen Deutschlands bis 1989 in unterschiedlichem Maße der Sichtweise der jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohner. Statistiken allein sagen wenig darüber aus, ob ein Unterschied zwischen Ost und West, Nord und Süd, Stadt und Land als ungerecht wahrgenommen wird oder nicht. Vielmehr zeigen jüngere zeithistorische Forschungen, dass soziale Ungleichheit in einem bestimmten Rahmen durchaus akzeptiert war und ist. Probleme entstehen dort, wo gemeinsam geteilte Ideen und Praktiken nicht zu den gleichen Erfolgen führen. Das war nicht nur in Zeiten der DDR, sondern auch bei den Regelungen von 1990 der Fall.
Blick nach draußen: andere postsozialistische Gesellschaften
Alle Vergleiche sind eine Frage der Perspektive. Wird das Materielle gemessen in privatem Wohneigentum und Sparvermögen zwischen Ost und West verglichen, so schneiden Ostdeutsche heute im Durchschnitt schlechter ab. Vergleicht man hingegen Ostdeutschland mit anderen postsozialistischen Staaten, so erhält man ein anderes Bild. Einige Länder wählten ähnliche Wege wie Deutschland und gaben Eigentum an die Alteigentümer zurück, andere Länder regelten eigentlich nicht oder nur nach Bedarf, andere stellten Gutscheine aus, wieder andere schrieben die Eigentumsverhältnisse so fest, wie sie sich zum Ende des Staatssozialismus darstellten. So erklärt sich auch die besonders hohe Wohneigentumsquote in einigen ostmitteleuropäischen Ländern und Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Aus der Verschiedenheit der gefundenen Möglichkeiten lässt sich erkennen, welche Handlungsspielräume es bei der Überführung des Staatssozialismus in den Postsozialismus gab. Wie einzelne Länder das genau regelten, ist in hohem Maße historisch spezifisch und in Deutschland durch den Sonderfall der schnell vollzogenen Vereinigung zu sehen.
Fazit
Die statistischen und die mentalitätsgeschichtlichen Fakten liegen auf dem Tisch. Statistisch ist das Eigentum ein Indikator für eine ungleiche Ost-West-Verteilung. Mentalitätsgeschichtlich haben gleiche Ideale und Praktiken wie Sparen oder die Pflege des Wohnraums zu ungleichen Lebensverhältnissen geführt, das wurde und wird als ungerecht wahrgenommen.
Für die Frage, was angesichts steigender Mieten und Immobilienpreise aus diesen statistischen und mentalitätsgeschichtlichen Fakten gemacht werden soll, liegt der Ball für die Rahmenbedingungen bei der Politik auf nationaler und lokaler Ebene und damit in Demokratien zugleich beim Volk selbst. Denn Bürger und Bürgerinnen müssen sich darüber verständigen, in welcher Gesellschaft sie leben möchten, und damit verbunden ist auch immer die Aushandlung sozialer Machtverhältnisse – das kann man im Ost-West-Vergleich betrachten, muss man aber nicht.
Prof. Dr. Kerstin Brückweh ist seit dem Sommersemester 2021 Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der BHT Berliner Hochschule für Technik.
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