Vollversorgung und Einflussnahme versus Unterangebot und konzeptionelle Vielfalt: Was unterschied die Kinderbetreuung in Ost und West? Und welche Herausforderungen gilt es heute gemeinsam zu meistern?
Die Ausgangsfrage lautet: Wie gestaltete sich öffentliche (außerhäusliche) Kinderbetreuung in Ost- und Westdeutschland zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung (1989/1990) und wie hat sie sich seitdem verändert?
Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung unterschieden sich die Systeme der öffentlichen Kinderbetreuung in Ost- und Westdeutschland deutlich. In der alten Bundesrepublik gehörte die öffentliche Kinderbetreuung in den Sektor der Kinder- und Jugendhilfe. Sowohl politisch als auch gesellschaftlich wurde die Betreuung von Vorschulkindern vorrangig in der Privatheit der Familie verortet, Kinder wurden von den Müttern zu Hause betreut. Das System der öffentlichen Kinderbetreuung war deshalb nicht vergleichbar mit dem der DDR auf- und ausgebaut und verfolgte über die Betreuung und Beschäftigung der Kinder hinaus keinen offiziellen Auftrag. Trotzdem kennzeichnete die öffentliche Kinderbetreuung in der BRD schon damals eine höhere Träger- und Konzeptvielfalt.
Die Kosten für die Betreuung waren von den Eltern zu tragen. Eine Mittagsversorgung war eher selten, da das System der öffentlichen Kinderbetreuung in der Bundesrepublik – im Gegensatz zur DDR – stark an einer Halbtagsbetreuung orientiert war. Die Mitarbeit und Mitsprache der Eltern war ausdrücklich erwünscht, in den Einrichtungen der Elterninitiativen, wie z.B. den Kinderläden, sogar Voraussetzung für die Aufnahme der Kinder.
In der DDR war die öffentliche Kinderbetreuung dem Bildungssektor zugeordnet und damit als unterste Stufe Bestandteil des staatlichen Bildungssystems. Sie hatte als staatliches Angebot für alle Eltern einen klar definierten Erziehungsauftrag, nämlich die Förderung der Ausbildung einer allseitig entwickelten, sozialistischen Persönlichkeit zu erfüllen und enthielt kein Mitsprache- oder Mitbestimmungsrecht der Eltern.
Die Kinderbetreuung in Krippen und Kindergärten war für die Eltern kostenfrei, sie hatten nur einen geringen Verpflegungsbeitrag zu tragen. Das System der öffentlichen Kinderbetreuung war auf die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit ausgerichtet, um Frauen fest als Arbeitskräfte ins Wirtschaftssystem integrieren zu können und sollte sich per Gesetz an den Arbeitszeiten der Mütter orientieren. So waren die Krippen und Kindergärten zumeist von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet und damit auf eine Ganztagsbetreuung ausgelegt.
Die Kindereinrichtungen waren vorrangig staatliche (86%) oder betriebliche Einrichtungen (12%), nur ein geringer Anteil von drei Prozent waren konfessionelle Einrichtungen . Eine Konzeptvielfalt gab es aufgrund der staatlichen Aufgaben- und Umsetzungsfestlegung nicht. Neben dem klaren Erziehungsauftrag und der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sollte das Kinderbetreuungssystem der DDR auch die Umsetzung des Rechtes der Kinder auf sozialen Schutz, Bildung und Erziehung sowie das Recht auf Gleichstellung der Geschlechter in Familie und Beruf fördern.
Mit der Wiedervereinigung fiel die vorher staatlich organisierte Kinderbetreuung der DDR in die Verantwortung der neuen ostdeutschen Länderregierungen. Die bis dahin auf dem Gebiet der DDR geltenden Rechtsvorschriften und der staatliche Erziehungs- und Bildungsauftrag entfielen.
Mit der Verordnung über Tageseinrichtungen für Kinder vom 18. September 1990 wurden einheitliche Rechtsvorschriften für die öffentliche Kinderbetreuung in Deutschland geschaffen. Mit dieser Verordnung wurde die öffentliche Kinderbetreuung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR aus dem Bildungsbereich herausgenommen und gesetzlich der Kinder- und Jugendhilfe zugeordnet.
Trotz dieser Zuordnung verfolgt das – seither gesamtdeutsche - System der Kindertagesbetreuung auch einen Bildungsansatz. Frühkindliche Bildung wird dabei als erste Stufe im deutschen Bildungssystem vor allem durch Kinderbetreuungsangebote in Verantwortung der jeweiligen Bundesländer umgesetzt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet obliegen der Betreuung in Kindertagesstätten 4 verschiedene Funktionen :
eine Betreuungsfunktion, die vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer stärker an Bedeutung gewinnt;
eine Erziehungsfunktion, die vor allem auf das Erlernen sozialer Normen in Gruppen abzielt;
eine Bildungsfunktion, die für die Chancengleichheit von hoher Bedeutung ist und auch Inklusion frühzeitig fördern soll; sowie schließlich
eine familien- und bevölkerungspolitische Funktion, die vor allem mit Blick auf die Entwicklung der Geburtenraten zu sehen ist.
Mit und nach der Wiedervereinigung kam es sowohl in den ost- als auch in den westdeutschen Bundesländern zu gravierenden Veränderungen im System der öffentlichen Kinderbetreuung.
Während in den westdeutschen Bundesländern – spätestens mit der Festschreibung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz im Jahr 1996 bzw. 2013 – ein deutlicher Ausbau der Kinderbetreuungsangebote erfolgte, standen in den ostdeutschen Bundesländern strukturelle und inhaltliche Veränderungen im Vordergrund. Strukturell dominierten in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung recht massive Schließungen von Kindereinrichtungen, vor allem aus zwei Gründen: Die Umstrukturierung, der Verkauf und der Konkurs vieler DDR-Konzerne und -Großbetriebe im Zuge der Abwicklung des DDR-Systems zogen auch die Schließung der jeweiligen betrieblichen Kindereinrichtungen nach sich. Zusätzlich bewirkte der massive Einbruch der Geburtenzahlen, auch verursacht durch den Weggang vieler junger Frauen aus Ostdeutschland, einen deutlichen Rückgang der Kinderzahlen, so dass kapazitätsbedingt Ende der 1990er Jahre weitere Schließungen von Kindereinrichtungen folgten. Mit der Stabilisierung der Geburtenziffern und dem wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern übersteigt seit einigen Jahren der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen die noch vorhandenen Kapazitäten (etwa in Berlin, Leipzig, Jena), und neue Kindereinrichtungen werden errichtet.
Die inhaltlichen Veränderungen im ostdeutschen Kinderbetreuungssystem gründen einerseits in der Loslösung vom staatlichen Erziehungsauftrag und einer relativen Freiheit in der Konzeptwahl in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung. Sie wurden andererseits in den Jahren danach durch die Entwicklung, Einführung und Umsetzung länderspezifischer Bildungsprogramme für die Vorschulkindbetreuung in landesspezifische Bahnen gelenkt. Mit der Neuorientierung der öffentlichen Kinderbetreuung in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung ist auch eine Zunahme der Träger- und Konzeptvielfalt verbunden.
Die Finanzierung der Kinderbetreuung
In der DDR war die Kinderbetreuung für die Eltern kostenlos, nur für die Mittagsversorgung war ein geringer Beitrag (1,70 Mark/Tag Kinderkrippe, 0,35 Mark/Tag Kindergarten, 0,55Mark/Tag Schule) zu entrichten. Nach der Wiedervereinigung wurden auch in den neuen Bundesländern für die Kinder-betreuung Elternbeiträge erhoben. In Westdeutschland war dies schon immer der Fall gewesen. Dort waren die anteiligen Kosten (und sind es teilweise heute noch) bei kommunalen Trägern häufig geringer als bei freien Trägern.
Die Ausgaben der öffentlichen Haushalte der Bundesländer für Kindertagesbetreuung, gemessen an ihrem Anteil am Bruttoinlandprodukt (Tabelle 1), lagen 2018 zwischen 0,6 Prozent (Bayern) und 1,4 Prozent (Brandenburg). Gegenüber 1995 haben sich diese Anteile in Westdeutschland verdoppelt und in Ostdeutschland um die Hälfte erhöht. Insgesamt ist der Anteil in den neuen Bundesländern fast durchweg höher als in den alten Bundesländern.
Die Finanzierung erfolgt vor allem über staatliche und kommunale Gelder, wobei sich die jeweiligen Beteiligungen und Anteile sehr unterscheiden. Die Beteiligung der Gemeinden in den Landkreisen der Flächenländer schwankt 2018 zwischen 51,4 Prozent (Bayern) und 74,4 Prozent (Hessen). Ost-West-Unterschiede gibt es nicht, der Anteil der Gemeinden an der Finanzierung liegt bei 58 Prozent. Gegenüber 1995 hat sich die Beteiligung bzw. die Anteilshöhe der beiden Finanzierungsträger unterschiedlich entwickelt. So gab es in Baden-Württemberg und Brandenburg keine Veränderungen (und in anderen Bundesländern Anteilsverschiebungen zu einer höheren staatlichen Beteiligung von über zehn Prozent (Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz) bzw. über 20 Prozent (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein). In den übrigen Bundesländern beträgt die Anteilszunahme weniger als zehn Prozent. Insgesamt ist die Anteilsverschiebung zu mehr staatlicher Beteiligung in Ostdeutschland deutlich stärker als in Westdeutschland.
In einigen Bundesländern werden auch die Zweckverbände an der Finanzierung beteiligt, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Der höchste Anteil liegt 2018 bei 0,6 Prozent (Baden-Württemberg).
Die Elternbeiträge für die Kinderbetreuung sind in Deutschland äußerst unterschiedlich, denn sie sind nicht bundeseinheitlich festgesetzt, sondern jede Gemeinde kann die Beitragshöhe und Kriterien für Beitragsfreiheit selbst definieren. Sie sind abhängig von verschiedenen Faktoren, vor allem vom elterlichen Einkommen, von der Betreuungszeit und der Anzahl der (Geschwister-)Kinder, die pro Familie eine Kindertagesbetreuung einschließlich Hort besuchen. Eine Vergleichbarkeit ist nicht gegeben, da z.B. die Betreuungszeit stundenweise oder pauschal als Halb- oder Ganztagsbetreuung einberechnet wird. Darüber hinaus gibt es zwischen den Bundesländern verschiedene Regelungen zur Beitragsfreiheit von Geschwister-kindern oder im vorletzten und/oder letzten Kita-Jahr.
Zumeist richtet sich der Elternbeitrag nach dem Wohnort der Familie und nicht nach dem Betreuungsort bzw. Standort der Kindertageseinrichtung. Eine bundesweite Erfassung der Elternbeiträge und ihrer Bemessungskriterien gibt es nicht. Valide Aussagen über den Anteil der Elternbeiträge am Haushaltsein-kommen sind daher schwierig. Für das Jahr 1996 verwiesen Kreyenfeld u.a. (2000) auf einen Anteil von zwei bis vier Prozent und zusätzlich darauf, dass das untere Einkommensfünftel mit 4,1 Prozent durch die Kinderbetreuungskosten fast doppelt so stark belastet ist wie das höchste Einkommensfünftel, bei dem der Anteil der Kinderbetreuungskosten am Haushaltseinkommen nur 2,3 Prozent beträgt. Auch wenn die Kinderbetreuungskosten heute für Familien mit niedrigem Einkommen oder SGB II-Bezug durch das Jugendamt übernommen werden (können), ist die Haushaltbelastung durch die Kinderbetreuungskosten eher gestiegen als gesunken, wie auch die Ergebnisse von Bock-Famulla 2014 unterstreichen: Gemittelt über das gesamte Bundesland lag der Anteil am Haushaltseinkommen 2014 zwischen neun Prozent (Berlin) und 27 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern.
Auch der Anteil der Elternbeiträge an den Gesamtkosten der Finanzierung ist sehr unterschiedlich. So lag er z.B. im Jahr 2016 bei sechs Prozent in Berlin und bei 34 Prozent in Sachsen-Anhalt. Gegenüber 2005 verzeichnen alle Bundesländer mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt und Thüringen eine Reduzierung des Anteils der Elternbeiträge an den Gesamtkosten zwischen 0,4 Prozent (Brandenburg) und 9,9 Prozent (Nordrhein-Westfalen). In Thüringen stieg der Anteil um acht und in Sachsen-Anhalt um 11,5 Prozent.
Anteil der Ausgaben der öffentlichen Haushalte für Kinderbetreuung 1995-2018 und Anteil der Elternbeiträge an den Gesamtkosten 2005-2016
Angaben in Prozent
Anteil der Ausgaben der öffentlichen Haushalte für Kinderbetreuung am Bruttoinlandprodukt
Anteil der Elternbeiträge an den Gesamtkosten
1995
2005
2018
Veränderung 1995 - 2018
2005
2016
2016 zu 2005
Baden-Würtemberg
0,3
0,4
0,7
0,4
17,2
16,5
-0,70
Bayern
0,4
0,4
0,6
0,2
18,6
15,8
-2,80
Berlin
0,0
0,9
1,3
1,3
11,0
6,0
-5,00
Brandenburg
1,4
0,9
1,4
0,0
17,4
17,0
-0,40
Bremen
0,2
0,4
0,9
0,7
14,6
-
-
Hamburg
0,0
0,4
0,7
0,7
15,8
6,6
-9,20
Hessen
0,4
0,4
0,8
0,4
20,4
13,8
-6,60
Mecklenburg-Vorpommern
0,6
0,8
1,2
0,6
24,9
21,2
-3,70
Niedersachsen
0,4
0,4
0,8
0,4
25,8
15,9
-9,90
Nordrhein-Westfalen
0,4
0,5
0,8
0,4
11,7
9,6
-2,10
Rheinland-Pfalz
0,5
0,6
1,0
0,5
13,1
-
-
Saarland
0,3
0,4
0,7
0,4
16,2
-
-
Sachsen
0,5
0,8
1,2
0,7
17,1
13,2
-3,90
Sachsen-Anhalt
0,6
0,8
1,3
0,7
22,2
33,7
11,50
Schleswig-Holstein
0,2
0,3
1,0
0,8
27,4
20,8
-6,60
Thüringen
1,0
0,8
1,0
0,0
16,9
24,9
8,00
Die Evaluation des ifo-Instituts zu den Auswirkungen der staatlichen Mitfinanzierung des Kinderbetreuungssystems kommt zu dem Schluss, dass einerseits sowohl die Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter positiv gefördert wird als auch Mütter mit Betreuungsplatz mehr verdienen als Mütter ohne Betreuungsplatz und sich andererseits die Kosten fast vollständig refinanzieren, da den einzusetzenden Kosten für die Kinderbetreuung höhere staatliche Einnahmen durch höhere Rückflüsse aus Lohnsteuer und Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen an der Sozialversicherung sowie geringere Ausgaben für die Existenzsicherung von Familien im SGB II-Bezug entgegenzustellen sind.
Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz und seine landesspezifische Ausgestaltung
Der seit 1996 geltende Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab drei Jahren wurde 2013 auf Kinder ab einem Jahr ausgeweitet. Die Ausgestaltung und Umsetzung dieses Rechtsanspruchs ist Ländersache. Die länderspezifischen Regelungen variieren zum Teil erheblich. Einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab der Geburt hat nur Sachsen-Anhalt.
Mit den garantierten Betreuungsstunden pro Tag werden in den länderspezifischen Regelungen– durchaus traditionell bedingte – Unterschiede sichtbar: So dominiert in den ostdeutschen Bundesländern die Ganztagsbetreuung mit sechs bis zehn Betreuungsstunden und in den westdeutschen Bundesländern eine eher an der traditionellen Halbtagsbetreuung orientierte Betreuungsgarantie über vier bis sieben Stunden pro Wochentag.
Eine Mittagsversorgung wird nicht in allen Kindertageseinrichtungen angeboten, wie Abbildung 1 illustriert. Bei der Mittagsversorgung zeigt sich abermals der ursprüngliche, traditionelle Zielansatz öffentlicher Kinderbetreuung und mit Ausnahme Hamburgs wird die regionale Ost-West-Trennung sichtbar. In Baden-Württemberg erhalten nur 38 Prozent der Kinder ab 3 Jahren in den Kindereinrichtungen eine Mittagsversorgung, der niedrigste Wert deutschlandweit, in Mecklenburg-Vorpommern sind es fast 100 Prozent.
Keine Mittagsversorgung heißt zumeist, dass die Kinderbetreuungsangebote vor dem Mittagessen enden bzw. erst nach dem Mittag beginnen oder über die Mittagszeit unterbrochen werden. Solche Kinderbetreuungsangebote erschweren Erwerbstätigkeit und erfordern entweder eine Beschäftigung in kurzer Teilzeit oder ein unterstützendes familiäres Netz zur angrenzenden Kinderbetreuung, welches zumeist von den Großeltern getragen wird .
Eine niedrigstündige Betreuungsgarantie ohne Mittagsversorgung und insbesondere die Unterbrechung der Betreuungszeit über die Mittagszeit schränken die Möglichkeiten von Müttern auf eine Erwerbstätigkeit extrem ein und begrenzen damit auch erheblich die Gleichstellung der Geschlechter im Arbeits- und Familienleben. Ein solches Betreuungsangebot muss heute als nicht vereinbar mit einer regulären Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt eingeschätzt werden.
Große Unterschiede zeigen sich auch in den aktuellen Finanzierungsregelungen für die Eltern: In Hamburg und Berlin werden alle Kinder ab einem Jahr gebührenfrei betreut, in Rheinland-Pfalz Kinder ab 2 Jahren, in Hessen, Niedersachsen und Bremen (seit August 2019) Kinder ab 3 Jahren. Das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung ist für Eltern in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen kostenfrei, zum Teil auch im Saarland. In Sachsen-Anhalt müssen Gebühren nur für das jeweils älteste in Krippe und Kita betreute Kind gezahlt werden, in Mecklenburg-Vorpommern sind Geschwisterkinder gebührenfrei und im Freistaat Sachsen entstehen keine Kosten ab dem dritten betreuten Kind einer Familie. Langfristig strebt auch Schleswig-Holstein eine Beitragsfreiheit an. Keine landesweite Beitragsfreiheit planen nach aktuellem Stand Baden-Württemberg und Bayern.
Das Gute-Kita-Gesetz 2019 will als Bundesgesetz die Verbesserung der Kindertagesbetreuung auf Landesebene erreichen. Es ist als "Instrumentenbaukasten" aufgebaut und umfasst zehn Handlungsfelder, aus denen die Bundesländer die für sie wichtigsten auswählen können. Die Handlungsfelder sind:
"Bedarfsgerechte Angebote" zur besseren Abstimmung der Betreuung mit den Bedarfen der Familien,
"Gute Betreuungsschlüssel" für mehr Zeit für das Kind,
"Qualifizierte Fachkräfte" zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Berufswahl, Ausbildung und Praxisalltag,
"Starke Kitaleitung" zur Verbesserung der Ausbildung, Weiterbildungsangebote und Zeitstruktur im Arbeitsalltag von Leitungspersonal,
"Kindgerechte Räume" zur kreativitäts-, bewegungs- und entspannungsfördernden Gestaltung der Betreuungsräume,
"Gesundes Aufwachsen" zur Förderung ausgewogener Ernährung, mehr Bewegung und Gesundheitsbildung,
"Sprachliche Bildung",
"Starke Kindertagespflege" zur Verbesserung der professionellen Qualifizierung und der Arbeitsbedingungen von Tagesmüttern und -vätern,
"Netzwerk für mehr Qualität", um Akteure vor Ort einzubinden und Kooperationen zu fördern sowie
"Vielfältige pädagogische Arbeit" zur Entwicklung, Umsetzung und Förderung passgenauer, individueller kindbezogener Maßnahmen.
Die Bedeutung dieses Gesetzes liegt auch in dem erstmalig, eben durch die Gesetzesform unterstrichenen nachhaltigen Bekenntnis der Bundesregierung, dass gute Kinderbetreuung und die davon abhängende gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht allein Ländersache sind.
Betreuungsquoten in Kindertageseinrichtungen
Bundesländervergleich der Betreuungsquoten in Kindertageseinrichtungen
Am 1. März 2018 besuchten deutschlandweit 34 Prozent der unter 3-jährigen Kinder und 93 Prozent der Kinder ab 3 Jahren eine öffentliche Kinderbetreuungseinrichtung (Abbildung 2). Der vergleichende Blick auf die Bundesländer offenbart zum Teil deutliche Unterschiede, die einerseits den unterschiedlichen traditionellen Prägungen folgen und andererseits die zunehmende Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie bzw. Kinderbetreuung und Beruf auch in den westdeutschen Bundesländern unterstreichen. So markieren die Unterschiede in der Betreuung unter 3-jähriger Kinder die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland deutlich. In der Betreuung der Kinder ab 3 Jahren ist diese klare Trennung zwischen Ost- und Westdeutschland nicht mehr zu erkennen. Mit Ausnahme von Bremen und Hamburg besuchen in allen Bundesländern mehr als 90 Prozent letzterer Altersgruppe eine Kindertageseinrichtung. Somit kann für die Tagesbetreuung der 3- bis unter 6-jährigen Kinder deutschlandweit (fast) von einer außerhäuslichen Vollbetreuung gesprochen werden.
Bundesländervergleich der Entwicklung der Betreuungsquote
Der Blick auf die Entwicklung seit dem Jahr 2006 offenbart (Abbildung 3), dass es – gemäß den Prognosen Anfang der 90er Jahre – zu einer Angleichung der Kinderbetreuungsquoten der ab 3-Jährigen zwischen Ost- und Westdeutschland gekommen ist: Die westdeutsche Kinderbetreuungsquote ist deutlich gestiegen (+15 % seit 2006) und hat mit 93 Prozent im Jahr 2018 die ostdeutsche Betreuungsquote von 94 Prozent nahezu erreicht.
Bei den unter 3-Jährigen (Abbildung 4) zeigt sich diese Angleichung der Betreuungsquoten zwischen Ost- und Westdeutschland nicht. Zwar sind auch hier die Betreuungsquoten deutschlandweit gestiegen, aber zu einer Angleichung ist es aufgrund der deutlichen Steigerungen in Ostdeutschland (noch) nicht gekommen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern sind groß und lassen sich nicht mehr allein mit traditionellen Familien- und Erziehungsbildern erklären.
Entwicklung der Betreuungsquote von Kindern unter 3 Jahren
Abbildung 4: Bundesländervergleich der Entwicklung der Betreuungsquote von Kindern unter 3 Jahren 2006 zu 2018 (Interner Link: Grafik zum Download)
Abbildung 4: Bundesländervergleich der Entwicklung der Betreuungsquote von Kindern unter 3 Jahren 2006 zu 2018 (Interner Link: Grafik zum Download)
In allen ostdeutschen Bundesländern wird 2018 mehr als jedes zweite Kind unter 3 Jahren in einer Kindertageseinrichtung betreut. Deutschlandweit am höchsten ist die Betreuungsquote mit 57 Prozent im Freistaat Sachsen. Gegenüber 2006 ist hier die Betreuungsquote mit 17 Prozent auch am stärksten gestiegen. In Westdeutschland bewegen sich die Betreuungsquoten für Kinder dieser Altersgruppen zwischen 27 Prozent in Nordrhein-Westfalen, dem deutschlandweit niedrigsten Wert, und 44 Prozent in Hamburg und Bremen. Die stärkste Zunahme der Betreuungsquote findet sich mit 26 Prozent in Niedersachsen, gefolgt von 25 Prozent in Schleswig-Holstein.
Die Daten zeigen auf, dass die Mehrheit der Kinder, die 2017 eine Kindereinrichtung besuchen, mehr als fünf Stunden täglich in den Einrichtungen verbringen, die jüngeren unter ihnen zum Teil sogar länger als die älteren Kinder, u.a. ein möglicher Hinweis für einen größeren Vereinbarkeitsbedarf von Familie und Beruf bei den Eltern, für eine höhere Erwerbsquote der Mütter.
Die vertraglich vereinbarte Betreuungszeit in Deutschland beträgt für 39 Prozent der unter 3-Jährigen 45 und mehr Stunden pro Woche, d.h. (über) 9 Stunden täglich. Bei den 3- bis 6-Jährigen überwiegt mit 38 Prozent eine Betreuungszeit von mehr als 25 und weniger als 35 Stunden wöchentlich, was einer Zeit von 6 bis unter 7 Stunden pro Tag entspricht.
Der Blick auf die vertraglich vereinbarten Betreuungszeiten der einzelnen Bundesländer (Abbildung 5) offenbart einerseits, dass insbesondere in den westdeutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Saarland und Schleswig-Holstein die unter 3-jährigen Kinder deutlich länger die Kindertageseinrichtungen besuchen als die 3-jährigen und älteren Kinder. In den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind die Unterschiede deutlich geringer und in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen besuchen sie weniger lange die Kindertagesstätte als die ab 3-Jährigen. Andererseits wird auch eine sehr unterschiedliche Struktur der Betreuungszeiten sichtbar, die insbesondere durch das Angebot an Öffnungszeiten der Kindertagesstätten beeinflusst wird. Lange Betreuungszeiten von mehr als 7 Stunden überwiegen in Berlin und allen fünf ostdeutschen Bundesländern sowie in Bremen (Krippe), Hessen und im Saarland (Krippe).
Entwicklung der vertraglich vereinbarten Betreuungszeit von mehr als 7 Stunden pro Tag
Die Entwicklung der vertraglich vereinbarten Betreuungszeiten von mehr als 7 Stunden pro Tag von 2006 zu 2017 (Abbildung 6) zeigt eine deutliche Zunahme dieser langen, fast an einer Vollarbeitszeit orientierten Betreuungszeit sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland.
Das Angebot an Kindertagesbetreuung entspricht nicht dem Bedarf, der von den Eltern angezeigt wird, wie der nachfolgende Vergleich zwischen Betreuungswunsch und Betreuungswirklichkeit des Ländermonitors Frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht. Deutschlandweit verweisen 12 Prozent der Eltern von unter 3-jährigen und 3 Prozent der Eltern von Kindern ab 3 Jahren auf einen aktuell nicht befriedeten Betreuungsbedarf. Während sich die Betreuungsbedarfe der ab 3-Jährigen zwischen Ost- und Westdeutschland kaum unterscheiden, sind sie bei den unter 3-Jährigen in Ostdeutschland mit 7 Prozent fast nur halb so groß wie in Westdeutschland mit 13 Prozent.
Differenz zwischen Betreuungswunsch und -Wirklichkeit 2017
Aufschlussreich ist auch der Vergleich zwischen den Bundesländern: Deutlich sichtbar sind große Differenzen zwischen Betreuungsbedarf und -Wirklichkeit für alle Kinder im Vorschulalter in Bremen und in Schleswig-Holstein. Bremen verzeichnet die größte Differenz sowohl bei den unter 3-jährigen als auch bei den ab 3-jährigen Kindern. Für Schleswig-Holstein werden der dritthöchste Bedarf bei den jüngeren und der zweit-höchste Bedarf bei den älteren Vorschulkindern angezeigt. Nachfolgend zeigen sich deutliche Bedarfe für unter 3-Jährige auch in Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie bei den ab 3-Jährigen im Freistaat Bayern.
Fazit
Seit der Wiedervereinigung hat sich öffentliche oder außerhäusliche Kinderbetreuung in Ost- und Westdeutschland stark verändert. Ursächlich für diese Veränderungen sind neben dem Systemumbruch, der zu einer inhaltlichen und strukturellen Umgestaltung des ostdeutschen Kinderbetreuungssystems führte, auch die steigenden Bedarfe westdeutscher Eltern nach ganztägigen Betreuungsangeboten. Diese zunehmende Nachfrage nach ganztätigen Kinderbetreuungsangeboten in Westdeutschland gründet sich vor allem auf einer gestiegenen Erwerbstätigkeit von Frauen und damit verbunden wachsenden Erwartungen einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Selbstverständlichkeit, mit der für ostdeutsche Frauen mehrheitlich eine eigene Erwerbstätigkeit neben dem Kinderwunsch steht, und ihre damit verbundene wirtschaftliche Unabhängigkeit hat Veränderungen in der Einstellung westdeutscher Männer und Frauen sowohl zur Frauenerwerbstätigkeit als auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bewirkt. Diese Entwicklung wird ausführlicher im Artikel "Nachholende Modernisierung im Westen: Der Wandel der Geschlechterrolle und des Familienbildes" beleuchtet).
ist Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. (ZSH). Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören lokale Governance, Bürgerarbeit (Evaluation des 1. Flächenversuches in Bad Schmiedeberg) und Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere Beruf und Pflege
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