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Außenpolitik Die äußeren und inneren Faktoren der deutschen Wiedervereinigung
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Fakten
Die deutsche Einigung im Jahr 1990 kam "unverhofft" (Jarausch 1995), war "unvorhergesehen" (Jesse 1992:111) und geschah "erstaunlich schnell" (Kaiser 1991: 15). Dass sich die deutsche Wiedervereinigung in einem sehr kurzen Zeitraum von wenigen Monaten vollziehen konnte, hatte einerseits mit den internationalen Rahmenbedingungen zu tun, andererseits mit Entwicklungen innerhalb der DDR, die durch die äußeren Rahmenbedingungen ausgelöst und begünstigt wurden. Beide – äußere und innere – Faktoren standen in einem engen Wechselverhältnis und erzeugten ein 'Momentum' der Geschichte, ein Gelegenheitsfenster ("window of opportunity"), das die deutsch-deutsche Vereinigung ermöglichte.
Diese Kontextfaktoren und Umfeldeinflüsse der deutschen Wiedervereinigung werden in den nächsten Abschnitten näher vorgestellt. Dazu werden im Folgenden zunächst die internationalen Rahmenbedingungen skizziert. Hierbei gebührt den von Gorbatschow ausgelösten sowjetischen Reformbemühungen, die mit den Schlagworten "Perestroika" und "Glasnost" verbunden sind, besondere Aufmerksamkeit, weil diese im Hinblick auf die Wiedervereinigung von herausragender Bedeutung sind. Weiterhin werden die politischen Reformprozesse in den mitteleuropäischen Staaten Polen und Ungarn betrachtet, die als Pioniere des politischen Umbruchs von kommunistischen zu parlamentarisch-demokratischen Systemen gelten. Anschließend wird die Rolle der bürgerrechtlichen Bewegungen und der Bevölkerung beleuchtet, die beispielsweise mit Demonstrationen, Botschaftsbesetzungen und Massenflucht den Legitimitätsverlust der DDR offen legten und im Ergebnis damit ihren Zusammenbruch und die Wiedervereinigung beschleunigen sollten. Schließlich wird auch der rechtliche Prozess der Vereinigung nachvollzogen. Hierbei liegt der Schwerpunkt einerseits auf den zentralen Akteuren und andererseits auf den wesentlichen Vertragswerken der Wiedervereinigung.
Der politische Kontext
Die verheerende Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führte 1945 zur Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen – eine französische, eine britische, eine US-amerikanische sowie eine sowjetische. Die ideologischen Distanzen zwischen diesen Besatzungsmächten – freiheitlich-liberal auf Seiten der Franzosen, Briten und Amerikaner, autoritär-sozialistisch auf Seiten der Sowjets – führten im Jahr 1949 zur "doppelten Staatsgründung" (Christoph Kleßmann) und somit zu zwei deutschen Teilstaaten – der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
Diese Teilung vollzog sich unter den Bedingungen des Kalten Krieges, was dazu führte, dass sich die beiden Teilstaaten mit unvereinbaren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemordnungen gegenüberstanden. Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war von Anfang an politisch und wirtschaftlich eng mit der Besatzungsmacht Sowjetunion (SU) verbunden (Fricke 1992: 42ff.). Die BRD lehnte sich im Gegensatz dazu politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich eng an die westlichen Alliierten an. Die außen- und sicherheitspolitischen Bindungen an die jeweiligen Blockführungsmächte – Westbindung auf Seiten der BRD in der NATO und Bindung an die Sowjetunion auf Seiten der DDR innerhalb des Warschauer Paktes – zementierten dabei unter den Bedingungen des Kalten Krieges die Teilung Deutschlands und spiegelten die "Teilung der Welt" in einem Land (Loth 2002).
Diese politische Konstellation führte zu unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen innerhalb der beiden deutschen Teilstaaten. Erst mit dem politischen Tauwetter ab Mitte der 80er Jahre, das mit den Schlagworten "Glasnost" und "Perestroika" verbunden ist, begann der Eiserne Vorhang zwischen den beiden deutschen Staaten durchlässiger zu werden und schließlich ganz zu fallen. Die Folgen der 40 Jahre dauernden Teilung Deutschlands sind allerdings bis heute – 30 Jahre nach der deutschen Vereinigung – noch in vielen Bereichen sichtbar.
"Glasnost" und "Perestroika" - Voraussetzungen für die Einigung Deutschlands
Zu den wichtigsten internationalen Umfeldbedingungen, die zu Voraussetzungen der deutschen Einigung geworden sind, gehörte die vom sowjetischen Staatschef Michael Gorbatschow eingeleitete innen- und außenpolitische (Teil-) Reformierung des sowjetischen Systems, die auch unter dem Namen "Neues Denken" bekannt geworden ist. Die beiden Schlagworte, die sich mit diesem reformorientierten Politikansatz verbinden, sind "Glasnost" und "Perestroika". "Glasnost" meinte dabei die von Gorbatschow befürwortete politische Öffnung und größere Informationsfreiheit im gesellschaftlichen Raum, während "Perestroika" die Umgestaltung und den Umbau der maroden sowjetischen Wirtschaft zum Ziel hatte. Die Ursachen dieser von Gorbatschow vorangetriebenen Reformprozesse sind vielfältig. Wesentlich war aber die desolate wirtschaftliche Lage und die Einsicht, dass der innerhalb des Kalten Krieges betriebene Rüstungswettlauf mit den USA nicht mehr zu gewinnen war (vgl. Woyke 2008: 56).
Für die politischen Umsturzbewegungen in Mittel- und Osteuropa und die deutsche Wiedervereinigung waren zwei außenpolitische Entscheidungen der sowjetischen Führung von großer Bedeutung: zum einen wandelte sich im Verlauf dieser Reformprozesse im Bereich der Außenpolitik die sowjetische Sicherheitspolitik von einer Politik der Blockkonfrontation und militärischen Aufrüstung hin zur Entspannungspolitik und militärischen Abrüstung. Der Vertrag über Sicherheit und Abrüstung, der 1986 in Stockholm auf der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterzeichnet wurde und der ein Konzept zur "gemeinsamen Sicherheit" in Europa formuliert, gilt als wesentliche Grundlage dafür, dass die Verhandlungen zur Deutschen Einheit (s.u.) in einem außenpolitisch stabilisierten Rahmen stattfinden konnten (Woyke 2008).
Zum anderen sorgte die schrittweise erfolgende Abkehr von der so genannten Breshnew-Doktrin, d.h. dem beanspruchten Recht der Sowjetunion militärisch zu intervenieren, sobald sie den Sozialismus in einem Mitgliedsstaat des Warschauer Pakts gefährdet glaubte, für größere Handlungsspielräume der oppositionellen Bewegungen innerhalb der Mitgliedstaaten. Für die Führung der DDR war diese Abkehr Moskaus von der Doktrin militärischer Intervention jedoch fatal, konnte sie doch nun nicht mehr erwarten, dass die Sowjetunion wie noch 1956 in Ungarn bzw. 1968 in Prag einschreiten würde, wenn das Volk auf die Straße ging. Die endgültige Aufhebung der Breshnew-Doktrin durch Gorbatschow im Jahr 1988 und die gemeinsame Erklärung mit Helmut Kohl am 13. Juni 1989, wonach das Prinzip der Selbstbestimmung aller Völker gelte, legten so nicht nur den Grundstein für eine friedliche Wiedervereinigung in Deutschland. Sie trugen ebenso dazu bei, dass auch die Revolutionen in den Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas zum größten Teil gewaltfrei abliefen.
Innerhalb der Sowjetunion führte das "Neue Denken" Gorbatschows zu ersten Ansätzen von Presse- und Demonstrationsfreiheit. Auch diese innenpolitischen Veränderungen entfalteten eine außenpolitische Wirkung, denn sie hatten zur Folge, dass sich oppositionelle Gruppierungen der Mitgliedstaaten zunehmend auf das "Vorbild" der Sowjetunion beriefen und ihre Forderungen nach Freiheit und grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Reformen mit den vorbildhaften Entwicklungen in der Sowjetunion begründeten.
Pioniere des Wandels – Polen und Ungarn
Im Gegensatz zur DDR organisierte sich die Opposition in einigen sozialistischen "Bruderstaaten" bereits zu Beginn der 80er Jahre. Polen und Ungarn übernahmen in diesem Zusammenhang unter den Ländern des Warschauer Paktes eine Vorreiterrolle: In Polen gründete sich aufgrund einer tiefgreifenden Unzufriedenheit mit dem autoritären kommunistischen Regime bereits im August 1980 die erste freie Gewerkschaft innerhalb der sozialistischen Blockstaaten, die "Solidarność" (Garton Ash 1991). Obwohl sie im Zeitraum von 1981 bis 1989 verboten war und nur im Untergrund existierte, schaffte sie es, die oppositionellen Bewegungen Polens unter einem Banner zu vereinen. Mehrere Millionen Polen waren Mitglieder dieser zivilgesellschaftlichen Bewegung, was ihr eine große politische Relevanz verlieh. Unter ihrem Vorsitzenden Lech Wałęsa nahm die "Solidarność" als einzige oppositionelle Organisation an den für den sozialistischen Staatenblock "einmaligen" (Juchler 1994: 198) Reformverhandlungen am "Runden Tisch" teil. Die Verhandlungen mit Vertretern des kommunistischen Regimes und der katholischen Kirche als vermittelnder Kraft begannen am 6. Februar 1989 und mündeten in die ersten halbfreien Wahlen, die im Juni 1989 stattfanden. Der darin erreichte überragende Wahlerfolg von "Solidarność" ermöglichte die Einführung der parlamentarischen Demokratie in Polen im Jahr 1989 (vgl. Gehler 2004, Juchler 1994). Diesen verhandelten Übergang von einem sozialistischen Regime zu einer parlamentarischen Demokratie bezeichnete Timothy Garton Ash als "Refolution", da sowohl die revolutionäre Bewegung der zivilgesellschaftlich organisierten Solidarność als auch die Reformbereitschaft der politischen Eliten einen Beitrag zu dieser friedlichen Transition leisteten.
Ähnlich war es in Ungarn, wo es seit Beginn der 80er Jahre vor allem im wirtschaftlichen Bereich reformkommunistische Ansätze gab, die durch die politischen Eliten eingeleitet wurden. Parallel dazu entwickelten sich von unten unterschiedliche oppositionelle Strömungen wie das Ungarische Demokratische Forum (1987).
Diese oppositionellen Bewegungen konstituierten sich im März 1989 zum Oppositionellen Runden Tisch, der ihnen eine gemeinsame Stimme geben sollte. Politisch forderten die "Unabhängigen" (Dalos 2009) die Demokratisierung und Unabhängigkeit Ungarns (ebd., 86). Die Abdankung der vormals herrschenden Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei im Januar 1989, der Beschluss die Grenzen zu Österreich zu öffnen im Februar 1989 und schließlich die Verhandlungen am Nationalen Runden Tisch, die Kommunisten und Opposition zusammenbrachte, im Juni 1989 bereiteten den Weg für die Ausrufung der Ungarischen Republik am 18. September 1989. Diese grundlegenden Veränderungen in den ehemaligen Blockstaaten wären allerdings trotz der zeitlich vorgelagerten Organisation einer zivilgesellschaftlichen Opposition oder der Reformbereitschaft der politischen Eliten in beiden Ländern ohne die sowjetischen Reformprozesse "Glasnost" und "Perestroika" kaum denkbar. Sie führten letztlich zum Zusammenbruch des sozialistischen Staatenblocks, in dem es unter der Oberfläche bereits seit einigen Jahren gärte. Einerseits förderten sie die innenpolitischen Reformbestrebungen der reformwilligen politischen Eliten in den Blockstaaten. Andererseits ermöglichten sie die offene zivilgesellschaftliche Organisation von oppositionellen Kräften "von unten", die so stark genug werden konnten, um an Runden Tischen die politische Zukunft ihres Staates zu verhandeln. Die Reformprozesse leiteten folglich einen weltpolitischen Wandel ein, der in der Einigung Deutschlands mündete.
Weitere Inhalte
Dipl. Politikwissenschaftlerin, Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt in Halle (Saale). Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB 580 Halle/Jena. Forschungsprojekt: Kommunale Wählergemeinschaften in Ost- und Westdeutschland an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
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