Arbeitsbeziehungen und soziale Ungleichheit – Die Arbeitsgesellschaft der DDR
Jessica Lindner-ElsnerRonny Grundig
/ 17 Minuten zu lesen
Link kopieren
Großer Reichtum und bittere Armut sollten in der DDR gleichermaßen der Vergangenheit angehören. Enteignungen, progressive Besteuerung hoher Einkommen und eingeschränkte Möglichkeiten, Kapital zu investieren, sollten die Bildung großer Vermögen verhindern. Und eine auf Ausgleich zielende Sozial- und Wirtschaftspolitik mit Subventionierung der Grundbedürfnisse sollte soziale Härten verringern.
Der Erwerbsarbeit kam im ideologischen Gerüst der DDR-Gesellschaft eine zentrale Rolle zu. Die Selbstbezeichnung der DDR als "Arbeiter und Bauernstaat" verdeutlicht dies eindrücklich. Erwerbsarbeit sollte in der DDR nicht nur der Existenzsicherung dienen, sondern im Sinne der marxistisch-leninistischen Theorie zur Entwicklung der "sozialistischen Persönlichkeit" beitragen. Erwerbsarbeit war somit ein wichtiger Vergesellschaftungskern der Sozialordnung der DDR. Da bestimmte sozialstaatliche Versorgungs- und Betreuungsangebote in der DDR an Betriebe gebunden waren bzw. von diesen organisiert wurden, war die Arbeitswelt ein zentraler Faktor für gesellschaftliche Inklusion und Exklusion im SED-Staat. Schied man aus dem Arbeitsleben aus Alters- oder anderen Gründen aus, geriet man in eine soziale Randlage. Arbeitsbeziehungen hatten in der DDR also einen entscheidenden Einfluss auf soziale Ungleichheitsverhältnisse.
Soziale Ungleichheiten in der Arbeitswelt der DDR
Großer Reichtum und bittere Armut sollten in der DDR gleichermaßen der (kapitalistischen) Vergangenheit angehören. Enteignungen, progressive Besteuerung hoher Einkommen und eingeschränkte Möglichkeiten, Kapital zu investieren, sollten die Bildung großer Vermögen verhindern, eine auf Ausgleich zielende Sozial- und Wirtschaftspolitik mit Subventionierung der Grundbedürfnisse (Wohnen, Nahrungsmittel) sollte soziale Härten verringern. Damit waren andere Bestimmungsgründe sozialer Ungleichheit aber keinesfalls außer Kraft. Geschlecht, Religion, Ethnie oder politische Loyalität waren entscheidend für die soziale Position in der DDR und ihrer Arbeitswelt . Die ideologische Überhöhung der Arbeiterklasse führte zu einer Glorifizierung körperlich schwerer Produktionsarbeit und technischen Wissens, das meist mit Männlichkeit assoziiert wurde. Geistige Arbeit hingegen war in der DDR verglichen mit westlichen Gesellschaften wenig geschätzt. Eine geringe körperliche Leistungsfähigkeit aufgrund von Geschlecht, Alter oder körperlicher Beeinträchtigung konnte dagegen zu einer prekären Situation im Gesellschaftsgefüge der DDR führen . Soziale Ungleichheiten in Bezug auf die Arbeit unterlagen in der DDR Veränderungen, die sich auf die unterschiedlichen Politikziele der beiden Regierungschefs Walter Ulbricht und Erich Honecker zurückführen lassen. Unter Ulbricht waren in den 1960er Jahren Wirtschaftsreformen durchgeführt worden, die zu einer höheren Produktivität führen sollten . Da diese Reformen zu einer Versorgungskrise der Bevölkerung führten, kam es zur Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik unter Honecker ab 1971 . Die Versorgung der Bevölkerung und damit die Konsumgüterproduktion wurde zum Schwerpunkt der Honecker-Ära . Mit dem Übergang zum "Konsumsozialismus" verfestigten sich auch bestehende Ungleichheitsverhältnisse, da bei der Befriedigung der Konsumbedürfnisse bestimmte Bevölkerungsschichten, besonders die Produktions- und SchichtarbeiterInnen, bevorteilt wurden und speziell für diese neue Angebote geschaffen wurden . Sie erhielten bevorzugt eine neue Wohnung oder einen Ferienplatz, und auch ihre arbeitsspezifischen Zulagen und Prämien sowie späteren Altersrenten lagen weit über dem Durchschnitt . Je nach Branche und Arbeitsvertrag verfügten Produktions- und SchichtarbeiterInnen auch über zusätzliche Urlaubstage, die gleichwohl als Anreiz für eine erhöhte Arbeitsleistung dienen sollten. Doch angesichts der restriktiven Reisebeschränkungen in der DDR bleibt offen, wie erfolgreich die SED damit war.
Die neue Schwerpunktsetzung führte jedoch auch zu einer Neubewertung einer Gruppe von Beschäftigten, die vorher als ein ideologisches Überbleibsel der kapitalistischen Produktionsweise galten: (private) HandwerkerInnen und Gewerbetreibende. Diese waren durch ihre Dienstleistungen, die stark am Bedarf der Bevölkerung orientiert waren, plötzlich unverzichtbar . Um den Rückgang handwerklicher Betriebe zu stoppen, etablierte die Regierung Honecker 1976 eine Reihe von Fördermaßnahmen und vollzog damit eine scharfe Wende in der Handwerkspolitik. 1950 hatte die SED mit dem »Gesetz zur Förderung des Handwerks« Handwerksbetriebe auf eine maximale Größe von zehn Beschäftigten begrenzt. Zwar erhielten Handwerksbetriebe durch das Gesetz steuerliche Vergünstigungen gegenüber anderen privaten Betrieben, aber bei der Zuteilung von Material und Werkzeugen waren sie gegenüber der Industrie benachteiligt . 1972 war es zu einer letzten Verstaatlichungswelle gekommen, die auch Handwerksbetriebe betroffen hatte, die sich zu erfolgreichen Zuliefererbetrieben der Industrie entwickelt hatten und mit der das Handwerk auf die ihm zugedachte Dienstleistungs- und Reparaturfunktion reduziert worden war .
Strukturen der Arbeitsgesellschaft und der Arbeitsbeziehungen in der DDR
Die Sozialstruktur der DDR unterschied sich deutlich von derjenigen der Bundesrepublik, da sich soziale Positionierung in der DDR vorrangig aufgrund politischer Macht und Loyalität und weniger aufgrund ökonomischen Kapitals, formaler Qualifikation oder fachlicher Leistung vollzog . Dies zeigte sich bereits in der statistischen Entwicklung aller Berufstätigen seit Gründung der DDR 1949. Waren anfangs von den 7,3 Millionen Berufstätigen 4,9 Millionen Arbeiter oder Angestellte gewesen, gingen immerhin noch 2,4 Millionen Personen einer selbstständigen Beschäftigung nach oder arbeiteten als mithelfende Familienangehörige. Seither nahm die Zahl Selbstständiger in der DDR stetig ab. 1988 waren nur noch 181.600 Personen selbstständig gegenüber 7,58 Millionen Arbeitern und Angestellten . Davon war knapp eine Million Arbeiter im Maschinen- und Fahrzeugbau beschäftigt, dem größten Industriebereich der DDR . Hinzu kamen noch 824.000 Mitglieder von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) . Sie waren zwar formell Anteilseigner am Produktivvermögen und erhielten Gewinnausschüttungen, aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in sozialistischen Genossenschaften wurden durch staatliche Vorgaben bestimmt.
Die DDR hatte eine besonders hohe Erwerbsquote. Dies war einerseits auf das staatlich verbriefte Recht auf Arbeit zurückzuführen, das 1968 in der DDR-Verfassung verankert worden war, sowie andererseits eine Folge der ökonomischen Notwendigkeit, Arbeitskraftreserven weitestmöglich auszuschöpfen. Aufgrund der erneuten Verfassungsänderung von 1974 bestand faktisch die Möglichkeit, sich einen Arbeitsplatz einzuklagen . Laut offiziellen Angaben gab es in der DDR keine Arbeitslosigkeit. Die vermeintliche Vollbeschäftigung wurde öffentlichkeitswirksam propagiert, doch in der Realität war die Arbeitswelt durch Arbeitskräftemangel und Formen verdeckter Arbeitslosigkeit geprägt, die für 1989 auf etwa 15 Prozent geschätzt wurde .
Arbeitskräftemangel konnte seitens der Betriebe nicht einfach durch Anreize für Beschäftigte ausgeglichen werden, da ihnen bestimmte Planstellen für die Belegschaft zugewiesen wurden , wenngleich es Versuche gab, die Vorgaben zu umgehen . Letztlich entstand hierdurch ein dysfunktionaler Arbeitsmarkt, der sich durch massenhafte Auswanderung in die Bundesrepublik weiter verschärfte . Das SED-Regime versuchte daher, vorhandene Arbeitskraftpotentiale möglichst umfassend auszuschöpfen, indem etwa verstärkt Frauen in die Arbeitswelt integriert wurden. Waren Ende der 1950er Jahre 56 Prozent der Frauen in der DDR erwerbstätig, so waren es zwei Jahrzehnte später bereits über 80 Prozent . In der Bundesrepublik wurden bis 1989 diese Zahlen nie erreicht – während in der DDR die Frauenerwerbsquote auf etwa 90 Prozent anstieg, überschritt diese im anderen Teil Deutschlands nie die 70 Prozentmarke.
Der Mangel an Arbeitskräften zwang Betriebe aller Eigentumsformen (volkseigen, genossenschaftlich, privat), die Arbeitsbedingungen anzupassen. So wurden im Automobilwerk Eisenach beispielsweise vermehrt Arbeitsplätze ausdrücklich für Frauen geschaffen, bei denen von der Norm abweichende Arbeitszeitregime angeboten werden mussten . Denn trotz emanzipatorischer Erfolge waren auch in der DDR Frauen weiterhin für die Versorgung der Familie und des Haushaltes verantwortlich, so dass sie seltener Vollzeit arbeiten konnten .
Da die Mobilisierung von Arbeitskraftreserven aber nicht ausreichte, um den Arbeitskraftbedarf zu decken, entwickelte sich in der DDR ein ganzes Geflecht weiterer Maßnahmen, die Produktivität zu steigern. Diese Maßnahmen waren sowohl innerbetrieblich (Überstunden, Mehr- und Wochenendarbeit, Sonderschichten) als auch außerbetrieblich ("sozialistische Hilfe" oder "Feierabendtätigkeiten") organisiert . Das Verhältnis der Arbeitenden hierzu blieb aber zwiespältig. Einerseits ergab sich hieraus ein finanzieller Anreiz, andererseits lehnten Teile der Belegschaften Mehrarbeiten ab oder traten sie nur widerwillig an, vermutlich auch aufgrund der begrenzten Möglichkeiten, zusätzliche Einkommen für Anschaffungen nutzen zu können .
Berufsaus- und Weiterbildung
Bei Berufswahl und -ausbildung waren DDR-BürgerInnen nicht völlig frei. Stand die eigene politische Loyalität oder diejenige der engeren Familienangehörigen in Frage, waren höhere Bildungsabschlüsse keine Option, da staatliche Stellen solche Bildungswege dann verwehrten. Hinzu kam noch der ideologische Fokus des SED-Regimes auf Industrieproduktion, der sich direkt auf das System der Berufs- und Erwachsenenbildung auswirkte. Bereits 1950 verlor etwa das Handwerk die Zuständigkeit für die Ausbildung des eigenen Berufsnachwuchses; die Handwerkskammern waren fortan zu reinen Organen der politischen Erziehungsarbeit reduziert und damit Teil des Systems der Massenorganisationen der DDR . Da staatliche Stellen dem Handwerk über Jahrzehnte weniger Lehrlinge zugeteilt hatten als nötig waren, kam es in einzelnen Bereichen zu einer starken Überalterung, die langfristig zum Aussterben einzelner Gewerke wie des Schuhmacherhandwerks geführt hätte .
Selbst wenn es zur Zuweisung von Lehrstellen kam, befanden sich Handwerksbetriebe in Konkurrenz zu den staatlichen (Industrie)Betrieben beim Werben um SchulabgängerInnen. Größere VEBs oder Kombinate unterhielten meist eigene Berufsschulen oder Ausbildungsbereiche und konnten Anreize bieten, etwa die Bereitstellung einer Wohnung oder besonderer Freizeitangebote. Das Automobilwerk Eisenach warb beispielsweise mit regelmäßigen Veranstaltungen im Klubhaus und Betriebsferienheim sowie einer Diskothek im Lehrlingswohnheim. Im Wohnheim konnten die SchulabgängerInnen mindestens für das erste Lehrjahr und mit einer monatlichen Miete von 40 Mark untergebracht werden .
Die innerbetriebliche Weiterbildung von Beschäftigten war ein weiterer Bereich, mit dem der Arbeitskräftemangel aufgefangen werden sollte. Hierdurch sollten Arbeitsprozesses rationalisiert werden und so auch die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft gesteigert werden. Neben allgemeinen Kenntnissen wie dem Umgang mit Computertechnologie ging es vor allem darum, Beschäftigte mit "Bedienungsberechtigungen und Befähigungsnachweisen" auszurüsten und sie so variabler einsetzen zu können . Weiterbildungen standen aber nicht allen MitarbeiterInnen offen, da Betriebe dies untersagen konnten, wenn etwa die politische Loyalität in Frage stand .
Bei bestimmten Weiterbildungsabschlüssen war Mitgliedschaft in der SED Grundvoraussetzung, wenn es etwa darum ging, Kompetenzen für eine Leitungsfunktion zu erwerben . Die Meisterausbildung war ein solcher Bereich, denn auch in volkseigenen Betrieben brauchte es Meister, die Führungsaufgaben in den Betrieben übernahmen. Diese sogenannten Industriemeister konnten aber keine Handwerksbetriebe übernehmen oder eröffnen, da hierfür der Abschluss zum Handwerksmeister nötig war. Im Zuge der Wiedervereinigung kam es zu umfassenden Weiterbildungsangeboten für die Industriemeister, um diese zur Führung eines Handwerksbetriebs zu befähigen und so den wirtschaftlichen Umbau der ostdeutschen Wirtschaft durch mehr eigentümergeführte Unternehmen voranzutreiben .
Zu DDR-Zeiten gab es innerhalb der Belegschaften aber auch gewisse Widerstände gegen Weiterbildungen bzw. ein gewisses Desinteresse an Weiterqualifizierung. Der Zeitaufwand für die Qualifizierungsmaßnahme schreckte etwa besonders häufig weibliche Beschäftigte ab, da dies eine weitere Zusatzbelastung bedeutete. Zudem dürfte es einen allgemeinen Verdruss gegeben haben, da viele MitarbeiterInnen nach der Weiterbildung nicht selten auf demselben Arbeitsplatz – unter der neuen Qualifikation – eingesetzt wurden und sich der Reallohn kaum erhöhte .
Entlohnung, Prämien und Auszeichnungen
Die Lohnunterschiede in der DDR waren verhältnismäßig gering. Dies ist vor allem auf das Fehlen sehr hoher Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit oder auf der Managementebene zurückzuführen . In den Betrieben waren unterhalb der Betriebsleitung verschiedene Berufs- und Beschäftigungsgruppen, Leitungsebenen und Direktionsbereiche etabliert, deren Beschäftigte unterschiedlich behandelt wurden . So waren etwa die Angestellten der verschiedenen Bereiche und demgegenüber die ProduktionsarbeiterInnen privilegiert . Dennoch erhielten FacharbeiterInnen unterhalb der Leitungsebene vergleichsweise hohe Löhne. Der Abstand zu Ingenieuren oder Meistern, die etwa in der Bundesrepublik aufgrund ihrer Leitungsfunktion deutlich besser entlohnt wurden als die Durchschnittsbelegschaft, war in der DDR gering.
Frauen war dem Gesetz nach der "gleiche Lohn für gleiche Arbeit" zugesichert . Allerdings verdienten sie in der DDR – wie auch in den meisten anderen Ländern – im Schnitt weniger als Männer, da sie weniger häufig in Schichten und an Schwerarbeitsplätzen eingesetzt waren, bei denen höhere Prämien und Zulagen gezahlt wurden. Unterschichtet war das Lohngefüge in der DDR durch einheimische HilfsarbeiterInnen – sogenannte An- und Ungelernte, RentnerInnen, Strafgefangene und Haftentlassene sowie ausländische "VertragsarbeiterInnen". Letztgenannte stammten aus den sozialistischen "Bruderstaaten" der DDR und waren auf Basis bilateraler Verträge angeworben worden, um für eine bestimmte Zeit in der DDR zu arbeiten. Vertraglich war ihnen der gleiche Lohn wie DDR-BürgerInnen zugesichert worden. In der Praxis waren sie jedoch häufig unterhalb ihrer Qualifikationen eingruppiert worden und mussten zudem Lohnanteile in die Heimatländer transferieren, so dass sie faktisch weniger Nettolohn erhielten als die DDR-KollegInnen .
Die Industrie war wiederum im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen bevorteilt: dort wurden die höchsten Löhne gezahlt. Dies führte etwa dazu, dass aus dem privaten und genossenschaftlichen Handwerk immer wieder Arbeitskräfte in die volkseigene Industrie abwanderten, da sich dort deutlich höhere Einkommen erzielen ließen. Die Grundlöhne im Handwerk waren in den 1950er Jahren einmalig festgelegt worden. Trotz der Möglichkeit, leistungsbezogen über diese Grundlöhne hinaus zu entlohnen, konnten HandwerkerInnen ihren GesellInnen nicht annähernd die Löhne der volkseigenen Betriebe anbieten. Durch dieses staatlich festgelegte Gefälle wurden auch Anstrengungen konterkariert, Handwerksbetriebe ab 1976 durch Fördermaßnahmen und gezielte Nachwuchsanwerbung zu erhalten.
Neben dem Lohn gab es im DDR-Wirtschaftssystem ein differenziertes System an symbolischen und finanziellen Auszeichnungen. Symbolische Ehrungen wie "Held der Arbeit" oder "Aktivist", die teils mit kleinen finanziellen Zuwendungen verbunden sein konnten. Sie sollten dazu beitragen, die Beschäftigten zur Erfüllung der sozialistischen Wettbewerbs- und Planziele zu motivieren . Um ganze Belegschaften für diese Vorhaben zu gewinnen, war auch auf der Ebene der Betriebe ein solches System eingeführt worden; Betriebe konnten beispielsweise als "Betrieb der ausgezeichneten Qualitätsarbeit" geehrt werden.
Aus Sicht der Beschäftigten deutlich bedeutender waren die finanziellen und materiellen Prämien, die an das Erreichen der Planziele und die Erfüllung der Arbeitsaufgaben gebunden waren. Hierbei war die Jahresendprämie besonders wichtig. Diese erhielten alle MitarbeiterInnen, aber die Höhe richtete sich neben arbeitsbezogenen Faktoren (Schwere der Arbeit, Schichtsystem) auch nach Faktoren wie Disziplin oder gesellschaftliches Engagement einer Person. Hinzu kamen Prämien für bestimmte Arbeitsbereiche, die sich durch besondere Arbeitsbedingungen auszeichneten. Im Automobilwerk Eisenach erhielten etwa die MitarbeiterInnen der Presserei eine jährliche Prämie von 150 bis 500 Mark, die nach der Dauer der Zugehörigkeit zur Abteilung gestaffelt war.
Im Handwerk spielten leistungsbezogene Anreize im Grunde eine untergeordnete Rolle, da private Handwerker durch die starke Progression im Steuerrecht der DDR im Grunde kaum etwas davon hatten, wenn sie ein besseres Betriebsergebnis erzielten. Im genossenschaftlichen Handwerk, den PGH, gab es ein leistungsbezogenes Entlohnungssystem, da Mitglieder eine Gewinnausschüttung erhielten. Allerdings waren PGH betriebswirtschaftlich stark an staatliche Maßgaben gebunden (durch Materialbereitstellung usw.), sodass sie nur wenig Spielraum hatten, mehr Gewinne für die Mitglieder zu erzielen.
Dafür gab es in der DDR mit der sogenannten "zweiten Lohntüte" einen Allokationsmechanismus, der nicht nur das Einkommen einzelner Beschäftigter, sondern damit auch die ökonomischen Ungleichheitsverhältnisse in der DDR beeinflusste. Beschäftigte oder auch private Handwerker, die Zugang zu gesellschaftlich stark nachgefragten Dienstleistungen oder Gütern hatten, konnten diese exklusiven Verfügungsmöglichkeiten nutzen, um benötigte Güter/Dienstleistungen einzutauschen, durch Gefälligkeiten soziales Kapital anzuhäufen oder sich durch die Weitergabe Devisen zu beschaffen. Da in Industriebetrieben jedoch nur ein Teil der Beschäftigten die Möglichkeit hatte, über solche Ressourcen zu verfügen, entstanden hierdurch auch neue Ungleichheiten.
Der Betrieb als sozialer Ort
Die DDR wollte ihre BürgerInnen umfassend versorgen. Dieser Anspruch war keineswegs altruistisch, sondern sollte einerseits die Parteiherrschaft der SED legitimieren und andererseits die Bevölkerung disziplinieren und kontrollieren, indem möglichst viele Lebensbereiche in staatlich-organisierte Strukturen eingebunden waren . Bei der Umsetzung sozialpolitischer Großprojekte kam den Betrieben eine zentrale Rolle zu. Soziale Einrichtungen in Betrieben sollten den Beschäftigten unnötige Wege abnehmen und – so zumindest in der Theorie gedacht – zur Steigerung der volkswirtschaftlichen Leistung führen. Zu den Feldern der betrieblichen Sozialpolitik zählten neben der Versorgung der MitarbeiterInnen im Betrieb (Kantinen, Werksverkauf) auch die gesundheitliche und soziale Betreuung durch Angebote zur Kinder- und Jugendbetreuung (Kita, Krippe, Hort) oder der Betriebssport. Betriebe organisierten darüber hinaus Urlaubsplätze, vermittelten Wohnungen an MitarbeiterInnen und kümmerten sich mit der sogenannten "Veteranenbetreuung" auch um ehemalige MitarbeiterInnen, die aus Altersgründen aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden waren.
Derart umfassende sozialpolitische Leistungen konnten letztlich aber nur Großbetriebe leisten. Im privaten Handwerk etwa, das auf eine Betriebsgröße von maximal 10 Personen beschränkt blieb, war dies nicht darstellbar. Hier übernahmen die Handwerkskammern der Bezirke einen Großteil dieser Aufgaben. Allerdings ist zu vermuten, dass es aufgrund der Staatsnähe der Handwerkskammern unter privaten HandwerkerInnen eine gewisse kritische Distanz gegenüber deren Angeboten gegeben hat.
Durch ihre sozialpolitischen Aufgaben wurden Betriebe in der DDR auch (Re-)Produzenten sozialer Ungleichheiten und fungierten als Schnittstelle zwischen dem SED-Staat und der berufstätigen Bevölkerung. So unterhielten alle wichtigen Massenorganisationen eigene Strukturen in größeren Betrieben. Für die MitarbeiterInnen hatte im Betrieb vor allem der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund eine besondere Bedeutung, denn dieser verteilte bestimmte Ressourcen wie Wohnraum und Ferienplätze. Mitgliedschaften bei bestimmten Massenorganisationen konnten also Vorteile bringen und so neue Disparitäten innerhalb der Belegschaft erzeugen.
Fazit
Die DDR war eine um Arbeit zentrierte Gesellschaft. Die SED-Regierung hatte aus wirtschaftspolitischer Not heraus ein undurchsichtiges System an Vergünstigungen und Vorteilen geschaffen, das insbesondere körperlich schwere Arbeit im Mehrschichtsystem und damit vor allem junge männliche Arbeiter in der Industrieproduktion honorierte. Schied jemand aus dem Arbeitsprozess aus oder war in Bereichen aktiv, die sich nicht durch diese Kriterien auszeichneten, etwa im Dienstleistungsbereich, so verband sich damit die latente Gefahr, an die Ränder der sozialistischen Arbeitsgesellschaft zu geraten und die eigene sozial abgesicherte Position zu verlieren. Durch die wirtschaftliche Transformationsphase im Anschluss an die "friedliche Revolution" wurde dieses System auf den Kopf gestellt. Vormals sichere und privilegierte Industriearbeitsplätze fielen im Zuge der Wiedervereinigung weg, und so war die Industriearbeiterschaft besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen, während etwa das in der DDR politisch allerhöchstens geduldete Handwerk einen Boom erlebte. Auch die meist weiblich besetzte Dienstleistungsberufe unter anderem im Gesundheitswesen boten auch in der Phase wirtschaftlicher Unsicherheit einen sicheren Arbeitsplatz.
ist Doktorandin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
Dr. Ronny Grundig ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).