Landwirtschaft in Ostdeutschland: der späte Erfolg der DDR
Drei Jahrzehnte nach der Wende zeichnet sich ab, dass nur wenig von den Strukturen der DDR Bestand haben wird. Die ostdeutsche Agrarstruktur gehört aber dazu. Die durch Zwang kollektivierte Landwirtschaft blieb durch freiwillige Entscheidungen der Genossenschaftsmitglieder nach der Einheit erhalten. Und diese Form der landwirtschaftlichen Massenproduktion konnte unter den Bedingungen der europäischen Agrarordnung ihre Stärken entfalten.
Fakten




Einige Jahre später erfuhr diese Aussage eine ungeahnte Bestätigung, denn die Entwicklung der ostdeutschen Landwirtschaft nach der Wiedervereinigung ist eine ökonomische Erfolgsgeschichte jener Agrarbetriebe, die ihre zu Zeiten der DDR ausgebildeten großbetrieblichen Produktionsformen nach 1990 beibehielten. Die erfolgreiche Verstetigung agrarwirtschaftlicher Strukturen schließt jedoch negative Folgen für die ländlichen Regionen mit ein.
Die Vorgeschichte
Im Jahr 1946 wurden alle Großgrundbesitzer, die über 100 Hektar (ha) Ackerfläche besaßen, in der damaligen sowjetisch besetzten Zone enteignet. Das Land wurde überwiegend an so genannte "Neubauern" (hauptsächlich ehemalige Landarbeiter und Flüchtlinge) verteilt. In den 1950er Jahren begann in der DDR eine forciert vorangetriebene Kollektivierung der Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild. Unter starkem politischem Druck gaben bis 1960 die letzten bäuerlichen Familienbetriebe die eigenständige Produktion auf. Seitdem dominierten Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG), in denen die Ackerflächen gemeinschaftlich bewirtschaftet wurden. Doch anders als bei volkseigenen Industriebetrieben blieben die Produktionsmittel im Besitz der Personen, die sie in die LPG eingebracht hatten. In der Agrarwirtschaft handelt es sich um das Produktionsmittel "Grund und Boden“. Bis 1989 litt die Landwirtschaft in der DDR unter den üblichen Problemen sämtlicher anderer Sektoren der realsozialistischen Planwirtschaft: mangelnde Investitionen, geringe Produktivität, große Umweltbelastungen bei der Produktion. Seither hat sich jedoch die ostdeutsche Landwirtschaft zu einem Erfolgsmodell entwickelt: Sie ist geprägt durch große Betriebe mit hoher Produktivität und guter Gewinnsituation. Der Agrarbereich ist heute die einzige Branche, in der in Ostdeutschland mit besseren Ergebnissen gewirtschaftet wird als in den alten Bundesländern. Dieser Erfolg stand Anfang der 1990er Jahre noch nicht fest.Von der LPG zur Agrargenossenschaft
Die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft war in der DDR relativ groß. Im Jahr 1989 arbeiteten ca. 10,8 Prozent der Berufstätigen in diesem Bereich (Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 125). Die Vergleichszahl für die alten Bundesländer lag 1988 bei ca. 4,2 Prozent (Statistisches Jahrbuch 1990, S. 90). Es gab 1989 insgesamt 3.844 LPG und 464 volkseigene Güter, die im Durchschnitt sehr große Flächen bewirtschafteten. Ebenso wie die Betriebe der Industrie traf die Wiedervereinigung die DDR-Landwirtschaft völlig unvorbereitet. Doch anders als in allen anderen Branchen konnten sich die meisten LPG relativ schnell an die neuen Bedingungen anpassen und hatten innerhalb kurzer Zeit die westdeutsche Konkurrenz überholt. Die Gründe hierfür waren:Es gab eine Übereinstimmung des Produktionskonzepts der DDR-Landwirtschaft und der Agrarordnung der Europäischen Union. Unter diesen Bedingungen konnten die ostdeutschen Agrarbetriebe ihre Vorteile bei der Massenproduktion im industriellen Maßstab ausspielen.
Die Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland war traditionell in sich widersprüchlich, weil sie einerseits den bäuerlichen Familienbetrieb propagierte, andererseits jedoch die Agrarordnung faktisch eine Massenproduktion unterstützte. Nach der Wiedervereinigung kam es zunächst zu einer klaren Bevorzugung bei der Einrichtung bäuerlicher Einzelbetriebe als Nachfolger aufgelöster LPG. Größeren Betriebsformen wurden von der westdeutschen Agrarpolitik geringe Überlebenschancen eingeräumt.






Nachdem anfangs versucht wurde, größere Nachfolgebetriebe von LPG zu benachteiligen, fand ein politisches Umdenken schon 1991/92 statt, auch um einen Zusammenbruch der ostdeutschen Landwirtschaft zu verhindern. Der Deutsche Bauernverband gab im selben Zeitraum seinen anfänglichen Widerstand auf und stimmte zu, dass Interessenorganisationen der früheren LPG in die traditionelle bäuerliche Interessenvertretung aufgenommen wurden. Außerdem fanden sich in den neuen ostdeutschen Landwirtschaftsministerien starke Fürsprecher der Agrargenossenschaften. Lehmbruch und Mayer schrieben 1998, "dass der an der Bewirtschaftung [in Form von Agrargenossenschaften] festhaltende Kern der ostdeutschen Landwirtschaft inzwischen ein politisch beachtliches Vetopotential gewonnen hat" (S. 354 f.).
Bis August 1992 ließen sich ca. 3.000 landwirtschaftliche Nachfolgebetriebe als so genannte "juristische Personen" zumeist als Agrargenossenschaften registrieren. Sie wiesen eine Durchschnittsgröße von 1.136 ha auf. Damit waren sie im Mittel zwar kleiner als die früheren LPG. Doch wurden sie innerhalb kurzer Zeit wesentlich produktiver, weil sie sich nun auf ihre ökonomischen Kernaufgaben beschränken und intensive Rationalisierungsmaßnahmen durchführen konnten. In großem Umfang wurden nicht-ökonomische Funktionen wie Angebote der Daseinsvorsorge ausgegliedert, welche die LPG in noch höherem Maße als andere Betriebe in der DDR wahrnehmen mussten. Die "Verschlankung" der Betriebsstrukturen führte zu einem starken Personalabbau. Teilweise wurde die Beschäftigtenzahl um 90 Prozent reduziert. Insgesamt ist die Landwirtschaft der Wirtschaftsbereich in Ostdeutschland, in dem im Vergleich zu der Zeit vor 1989 der größte Beschäftigungsabbau stattgefunden hat. Schon 1993 arbeiteten nur noch etwa 2,8 Personen je ha Fläche, verglichen mit 5,5 Personen/ha im Westen.


Das wirtschaftliche Fazit lautet also: die ostdeutsche Landwirtschaft ist konkurrenzfähig. Zum Teil bestehe sogar laut Auskunft ostdeutscher Agrarbetriebe keine Notwendigkeit mehr, Agrarsubventionen an sie zu zahlen (die Aussage bezieht sich auf Interviews mit Vorsitzenden von Agrargenossenschaften in Thüringen im Jahr 2009; vgl. auch Deutschlandfunk 2019).
"Gesunde Betriebe – krankes Land"
Die LPG mussten in der DDR nicht nur die üblichen nicht-ökonomischen Funktionen wahrnehmen. Vertraglich waren sie dazu verpflichtet, kommunale Infrastrukturen bereitzustellen und zu unterhalten. Damit stellten sie den Kern einer "umfassenden sozio-ökonomischen Organisationsform des ländlichen Raums" in der DDR dar (Lehmbruch/Mayer 1998, S. 356). In dem Maße, wie es den neuen Agrarbetrieben in den 1990er Jahren gelang, durch Abgabe von Verantwortlichkeiten, Rationalisierungen und Personalabbau wirtschaftlich erfolgreich zu werden, zerbrach diese alte Ordnung. Die Bindungen an das Dorf oder an die Region wurden lockerer. Der Sozialwissenschaftler Rainer Land sah schon im Jahre 2000 eine zunehmende regionale "Entbettung" der neuen ostdeutschen Agrarbetriebe.Im Schatten modernisierter Agrarstrukturen entstanden deshalb neue Probleme. Die Standortnachteile ländlicher Regionen in Ostdeutschland hängen teilweise damit zusammen, dass die Agrargenossenschaften nur noch für eine geringe Zahl von Personen aus der Region überhaupt Arbeit bieten, es im näheren Einzugsbereich aber kaum andere Verdienstmöglichkeiten gibt. Der hohe Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung z.B. im Nordosten Deutschlands kommt auch dadurch zustande, dass die Einkommensmöglichkeiten in anderen Wirtschaftssektoren derselben Region nur unterdurchschnittlich sind. Dies ist ein weiteres Kennzeichen der industriellen Schwäche Ostdeutschlands. Mann und Schaechterle (2000) haben die Entwicklung der ostdeutschen Agrarstrukturen auf die anschauliche Formel gebracht: "Gesunde Betriebe, krankes Land.“




Drei Jahrzehnte nach der Wende zeichnet sich ab, dass nur wenig von den Strukturen der DDR Bestand haben wird, doch die ostdeutsche Agrarstruktur gehört dazu. Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass die durch massiven Zwang und gegen vielfältige Proteste durchgesetzte kollektivierte Landwirtschaft nur durch freiwillige Entscheidungen der Genossenschaftsmitglieder nach der Wende erhalten blieb. Diese Form der landwirtschaftlichen Massenproduktion konnte erst unter den Bedingungen der europäischen Agrarordnung, die diese Produktionsform bevorteilt, ihre Stärken entfalten. Zukünftig wird es darum gehen müssen, damit verbundene nachteilige Effekte wie die Vernachlässigung ländlicher Regionen zu bewältigen. In ökologischer und ethischer Perspektive besteht zudem die vermutlich noch größere Herausforderung, die Nachhaltigkeit einer industrialisierten Landwirtschaft zu erweisen – angesichts beispielsweise von Grundwassergefährdung, Artensterben und Tierschutz.
Literatur
Agrarpolitische Berichte der Bundesregierung, Berlin 2007 und 2015.Becker, H./Moser, A., Jugend in ländlichen Räumen zwischen Bleiben und Abwandern, Thünen-Report 12 (2013).
DBV – Deutscher Bauernverband, Situationsbericht 2018/19, Berlin 2019, https://www.bauernverband.de/situationsbericht-2018/19 (letzter Zugriff 10.10.19). Deutschland in Daten. Zeitreihen zur Historischen Statistik, Bonn 2015.
Deutschlandfunk, Wie die steigende Nachfrage die Bauern im Osten herausfordert, https://www.deutschlandfunk.de/landwirtschaft-wie-die-steigende-nachfrage-die-bauern-im.724.de.html?dram:article_id=459282 (letzter Zugriff 11.10.19).
DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Handbuch DDR-Wirtschaft, Reinbek 4. Aufl. 1984.
Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit, Berlin 2019
Land, R., Von der LPG zur Agrar-Fabrik, in: Berliner Debatte Initial 11(2000), S. 211-218.
Lehmbruch, G./Mayer, J., Kollektivwirtschaft im Anpassungsprozeß: Der Agrarsektor, in: Czada, R./Lehmbruch, G. (Hrsg.), Transformationspfade in Ostdeutschland, Frankfurt 1998, S. 333-364.
Lutz, B./Grünert, H., Der Zerfall der Beschäftigungsstrukturen der DDR 1989-1993, in: Lutz, B. u.a. (Hrsg.), Arbeit, Arbeitsmarkt und Betriebe, Opladen 1996, S. 69-120.
Mann, S./Schaechterle, L., Die ostdeutsche Landwirtschaft und die EU-Agrarpolitik: Gesunde Betriebe, krankes Land, in: Deutschland und Europa, Heft 40 2000, S. 25-30.
Tietz, A., Überregional aktive Kapitaleigentümer in ostdeutschen Agrarunternehmen: Entwicklungen bis 2017, Thünen-Report 52 (2017).
Wehler, H.-U., Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Fünfter Band. Bundesrepublik und DDR 1949-1990, München 2008.