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Wohnen

Dieter Rink

/ 10 Minuten zu lesen

Lange Zeit mangelte es in Ost wie West an Wohnraum. Bei der Betrachtung der gegenwärtigen Wohnverhältnisse lässt sich eine Angleichung der Wohnverhältnisse in Ost- und Westdeutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten beobachten. Bei der Wohneigentumsquote hat sich die Lücke zwischen Ost- und Westdeutschland bislang aber nicht geschlossen.

Ein leerstehendes Hochhaus in Halle-Neustadt wird 2017 zum Verkauf angeboten. Am Beginn der 2020er Jahre ist der deutsche Wohnungsmarkt weiterhin gespalten: entspannten Märkten mit z.T. hohen Leerständen vor allem in Ostdeutschland und auf dem Land stehen angespannte Märkte in fast allen westdeutschen und einigen ostdeutschen Groß- und Universitätsstädten gegenüber. (© picture-alliance/dpa)

Bundesrepublik: Beseitigung des Wohnungsmangels durch sozialen Wohnungsbau und Eigenheimförderung

Abbildung 1: Fertiggestellte Wohnungen in West- und DDR/Ostdeutschland (1950 – 2018) (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Infolge der massiven Kriegszerstörungen insbesondere in den Großstädten sowie der Abtretung der Ostgebiete war die Wohnungssituation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg katastrophal. Etwa 9 Millionen Menschen waren aus den Städten in ländliche Gebiete evakuiert worden und ca. 12 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge kamen aus den Ostgebieten, insgesamt 21 Millionen Menschen suchten eine (neue) Bleibe. Der Zensus in den drei Westzonen 1946 ergab, dass eine Zahl von ca. 5,5 Millionen Wohnungen fehlten (Egner 2019, S. 62). Um dieses zentrale soziale Problem anzugehen und den Wiederaufbau der Städte anzukurbeln, wurde im Gründungsjahr der Bundesrepublik 1949 ein "Ministerium für Wohnungsbau" geschaffen. Es koordinierte die Wohnungsbauförderung in zwei Varianten, dem sozialen Wohnungsbau und der Eigenheimförderung, dem dienten auch die beiden Wohnungsbaugesetze. In den 1950er und 1960er Jahren wurde von der bundesdeutschen Wohnungspolitik das Ziel verfolgt, "breiten Schichten der Bevölkerung" Zugang zu Wohnraum zu verschaffen, um die Wohnungsfrage zu lösen (Egner 2019, S. 64). Die Hochphase des sozialen Wohnungsbaus lag in den Nachkriegsjahrzehnten, allein in den 1950er Jahren finanzierte der Bund den Bau von insgesamt 3,3 Millionen Wohnungen (Egner 2019, S. 62; siehe Abbildung 1).

Ende der 1960er Jahre machten die öffentlich geförderten Mietwohnungen einen Anteil von fast 30% aus (vgl. Abbildung 2). Mit der Wohneigentumsförderung wurden verstärkt seit den 1960er Jahren Mittelschichten gefördert, die sich mit öffentlicher Unterstützung ein Eigenheim bauen bzw. kaufen sollten. Dafür wurden enorme öffentliche Gelder ausgegeben – die Eigenheimförderung war die teuerste Subvention der Bundesrepublik, die Eigenheimquote konnte in der Bundesrepublik aber nur graduell gesteigert werden. Der Eigenheimbau trug dann vor allem in den 1970er und 1980er Jahren zur Suburbanisierung der Städte durch den Auszug der Mittelschichten bei.

Nachdem der Wiederaufbau 1966 offiziell als abgeschlossen galt, widmete man sich in der Bundesrepublik ab den 1970er Jahren im Rahmen der Städtebauförderung der Verbesserung der Wohnsituation in den bis dato vernachlässigten Altbauquartieren der Städte. Damit wurden die Innenstädte als Wohnstandorte wieder für die Mittelschichten attraktiv gemacht. Mitte der 1970er Jahre konnte als Ergebnis der enormen Neubautätigkeit in der Bundesrepublik erstmals ein statistischer Gleichstand zwischen der Zahl der Haushalte und der Zahl der Wohnungen erreicht werden. Der Bund sah damit die Wohnungsfrage als gelöst an und zog sich in der Folge sukzessive aus der Wohnungsbauförderung zurück. Damit wurde das Ende der Ära wohlfahrtsstaatlicher Wohnungspolitik in der Bundesrepublik eingeleitet. Die Leistung bei der Wohnungsversorgung wird auch vor dem Hintergrund der gewachsenen Bevölkerung deutlich: 1947 lebten in den Westzonen ca. 47 Millionen Menschen, 1989 in der Bundesrepublik 62,6 Millionen – ein Plus von 15,6 Millionen (33 %) (Mau 2019, S. 87).

DDR: Persistenter Wohnungsmangel und Scheitern der sozialistischen Wohnungspolitik

Auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone waren durch den Krieg mehr als eine halbe Million Wohnungen zerstört worden, von ehemals 4,6 Millionen Wohnungen waren 1946 noch ca. 3,97 nutzbar – ein Verlust von ca. 14% (Buck 2004). Dem stand eine durch Vertriebene und Flüchtlinge wachsende Bevölkerung gegenüber, etwa 4,5 Millionen Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer kamen bis 1949 in die sowjetische Besatzungszone. Das ergibt bei einer damaligen durchschnittlichen Haushaltsgröße von drei Personen einen Fehlbetrag von ca. 2,1 Millionen Wohnungen.

Die DDR verfolgte von Beginn an eine sozialistische Wohnungspolitik, bezugnehmend auf die Weimarer Verfassung wurde auch in der DDR-Verfassung Wohnungsversorgung zur öffentlichen Aufgabe bestimmt: "Jedem Bürger und jeder Familie ist eine gesunde und ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung zu sichern" (DDR-Verfassung 1949, § 26). Das Privateigentum an Boden wurde abgeschafft, die Mieten wurden gesetzlich geregelt. Für Altbauwohnungen wurden die Mieten auf dem Stand von 1936 bis zum Ende der DDR eingefroren, für Neubauwohnungen wurden sie 1981 zentral auf ca. eine DDR-Mark pro Quadratmeter festgelegt. Die Mietbelastungsquote war historisch niedrig und lag bei ca. 3% der Haushaltseinkommen. Mieter waren faktisch unkündbar, es gab keine Zwangsräumungen. Die Wohnung war kein Wirtschaftsgut mehr, sondern ein soziales bzw. öffentliches Gut, das von staatlichen Verwaltungen verteilt wurde.

Die Wohnung sollte auch nicht mehr länger Ausdruck und Mittel sozialer Differenzierung sein, sondern die angestrebte soziale Gleichheit sollte sich auch in gleichen Wohnbedingungen für alle Klassen und Gruppen der Bevölkerung widerspiegeln. Der Wohnungsbau wurde zwar schon in den 1950er Jahren angekurbelt, allerdings blieben aufgrund anderer politischer Ziele die Zahlen fertiggestellter Wohnungen weit hinter dem Bedarf zurück (vgl. Abbildung 1). Der Eigenheimbau wurde in der DDR nicht gefördert und war in den 1950er und 1960er Jahren die Ausnahme, ab 1971 wurde er per Anordnung zugelassen. Am Beginn der 1970er Jahre waren ca. 600.000 Wohnungssuchende registriert, die Wartezeit auf eine Wohnung betrug bis zu 10 Jahre (Häußermann/Siebel 1996).

Auf ihrem 8. Parteitag 1971 beschloss die SED die Lösung der Wohnungsfrage bis 1990 und startete dazu nach schwedischem Vorbild ein Wohnungsbauprogramm. Der Wohnungsbau erfolgte überwiegend in typisierter Plattenbauweise in Großwohnsiedlungen an den Rändern der Städte. Zwischen 1971 und 1989 wurden ca. 2,1 Millionen Wohnungen gebaut (Buck 2004), darunter waren auch ca. 265.000 Eigenheime, überwiegend ebenfalls in typisierter Bauweise. Diese Steigerung im Wohnungsangebot konnte allerdings nicht mit der Nachfrage Schritt halten, obwohl die Bevölkerung im Osten von 19,1 Millionen Einwohnern im Jahr 1947 um 2,7 Millionen auf 16,4 Millionen (-14,1%) im Jahr 1989 sank (Mau 2019, S. 87).

In der DDR wurde zu wenig in Instandsetzung und Modernisierung der Altbauwohnungen investiert, die Ausstattung mit Bad/Dusche, Innen-WC und moderner Heizung blieb mangelhaft (Winkler 2018, S. 274). Die Altbauwohnungen verfielen und wurden teilweise unbewohnbar, Ende der 1980er Jahre war die Verfallsrate sogar höher als die Neubaurate. Bis 1990 stieg die Zahl der Wohnungssuchenden infolgedessen weiter auf ca. 770.000, obwohl zugleich ca. 440.000 Wohnungen leer standen, meist wegen Baufälligkeit (Buck 2004). Die DDR scheiterte mit ihrem hohen Anspruch in Bezug auf das Wohnen, die ungelöste Wohnungsfrage gehörte zu den Hintergründen der Massenproteste im Herbst 1989.

Die Situation nach der Vereinigung: Bauboom in Gesamtdeutschland

Abbildung 2: Anzahl geförderter Wohnungen nach Wohnungsbaugesetz (Sozialwohnungen) 1950-2015 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Infolge der deutschen Vereinigung und der Zuwanderung von Ostdeutschen, Spätaussiedlern und Geflüchteten aus Ex-Jugoslawien gab es in den 1990er Jahren einen neuen Wohnungsbauzyklus in Gesamtdeutschland. Der soziale Wohnungsbau wurde wieder angekurbelt und auf Ostdeutschland ausgeweitet, allerdings nur kurzzeitig (vgl. Abbildung 2). Auf dem Höhepunkt des Baubooms wurden 1994 in Westdeutschland 505.200 Wohnungen fertiggestellt (etwa so viel wie in den 1950er Jahren) und in Ostdeutschland waren es 1997 177.800 Wohnungen, wesentlich mehr als selbst zu Hochzeiten des DDR-Wohnungsbauprogramms in den 1980er Jahren (vgl. Abbildung 1).

In den 1990er Jahren lag der Fokus der Aktivitäten auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt, da die schlechte Wohnungsversorgung eine Ursache für die starke Abwanderung war. Schrittweise wurde ein Wohnungsmarkt etabliert, der an die in Westdeutschland geltenden Gesetze und Bedingungen angepasst wurde. Kernelement war die Restitution des staatlich verwalteten Wohneigentums an die früheren Besitzer bzw. deren Erben. Anfang der 1990er Jahre wurden rund 2,2 Millionen Ansprüche auf Rückübertragung geltend gemacht, davon waren ca. 1,3 der insgesamt knapp 7 Millionen Wohnungen bzw. Eigenheime betroffen. Die Restitution dauerte über ein Jahrzehnt bis Anfang der 2000er Jahre und verzögerte die Sanierung/Modernisierung der betroffenen Wohnungsbestände. Durch Restitution und Privatisierungen nahmen die öffentlichen, kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestände um rund ein Drittel ab, d.h. um ca. eine Million Wohnungen. Mit der Restitution und den Privatisierungen war ein beträchtlicher Vermögenstransfer von Ost- nach Westdeutschland verbunden.

Die Städtebau- sowie die Eigenheimförderung wurden auf Ostdeutschland ausgeweitet, mit speziellen Programmen wurden auch die Großwohnsiedlungen modernisiert. Eine zentrale Rolle spielten die Steuerabschreibungen bei Investitionen in den Neubau und die Sanierung von Wohnungen, die eine unglaubliche Investitionswelle auslösten. Praktisch gleichzeitig wurden große Teil der Altbaubestände sowie der Plattenbauten saniert bzw. modernisiert und knapp 900.000 neue Wohnungen und Häuser meist auf der "grünen Wiese" errichtet. Damit wurde die Wohnungsknappheit beseitigt und die Wohnsituation der Menschen in Ostdeutschland durchgreifend verbessert, die Ausstattung mit Bad/Dusche, Innen-WC und moderner Heizung beträgt nunmehr fast 100% (Winkler 2018, S. 274). Die durch die gesamte DDR-Zeit hindurch persistente Wohnungsfrage wurde erst im Nachhinein gelöst, allerdings so durchgreifend, dass Ende der 1990er /Anfang der 2000er ein bis dato unbekanntes Problem in Ostdeutschland auftauchte: Wohnungsleerstand.

Die 2000er Jahre: Gespaltener Markt in Ost- und Westdeutschland

Die rot-grüne Bundesregierung leitete im Bereich Wohnen Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre einige Reformen ein. Der soziale Wohnungsbau wurde 2001 durch die soziale Wohnraumförderung ersetzt und sukzessive zurückgefahren (vgl. Abbildung 2) (vgl. Egner 2014). Mit der im Rahmen der Agenda 2010 erfolgten Reform der Sozialgesetzgebung wurde die Unterstützung für Hartz IV-Empfänger als "Kosten der Unterkunft" (KdU) in die Sozialleistungen integriert. Mit den festgelegten Sätzen für die Kosten der Unterkunft werden seitdem im Prinzip die Mindeststandards für das Wohnen in Deutschland definiert – freilich ohne dass dies explizit benannt wird.

Die Wohnungspolitik der Großen Koalition ab Mitte der 2000er Jahre war durch weitere Deregulierung gekennzeichnet sowie den Rückzug des Bundes aus der Wohnungsbauförderung. Als Beitrag zur Haushaltssanierung strich die Große Koalition ab 2006 die Eigenheimzulage. Im Zuge der Föderalismusreform zog sich der Bund nach 2006 vollständig aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus zurück und übertrug den Ländern die Finanzierungsmittel (zunächst bis 2019 jährlich 518 Mill. EUR),), die sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben frei auf die Förderinstrumente verteilen konnten. Der Bau von Wohnungen erreichte in diesem Jahrzehnt in Ost- und Westdeutschland einen historischen Tiefstand. Ende der 2000er Jahre wurden in Westdeutschland pro Jahr nicht mal mehr 200.000 Wohnungen fertiggestellt, in Ostdeutschland lediglich ca. 20.000 jährlich (vgl. Abbildung 1).

Mit dem Bund-Länder-Programm "Stadtumbau Ost" wurden zwischen 2002 und 2012 sogar knapp 300.000 Wohnungen abgerissen, um den Wohnungsmarkt zu konsolidieren und die Leerstände in schrumpfenden Städten zu beseitigen bzw. zu reduzieren. Das erfolgte bezeichnenderweise vorwiegend in den gerade erst fertiggestellten Großwohnsiedlungen – ehedem Vorzeigegebiete sozialistischen Wohnens. Vor dem Hintergrund der Leerstände in Ostdeutschland sowie des auf Bundesebene zumindest rechnerisch ausgeglichenen Wohnungsmarktes "hat sich die Politik in diesem Bereich seit 2006 gleichsam 'zurückgelehnt'" (Egner 2014, S. 18). Außer in wachsenden Metropolen wie Hamburg oder München sowie einigen Groß- und Universitätsstädten war das Thema Wohnen sekundär und stand nicht auf der politischen Agenda. Diese Situation bildete auch den Hintergrund für größere Privatisierungen öffentlicher Wohnungsbestände, häufig an internationale Investoren. So hat etwa Dresden seine kommunalen Wohnungsbestände komplett an einen amerikanischen Investmentfonds verkauft.

Zuwanderung und Flucht nach Deutschland: Die "neue Wohnungsfrage" der 2010er Jahre

Seit Beginn der 2010er Jahre hat die Wohnungsfrage in Deutschland mit der starken Zuwanderung aus der EU sowie mit den hohen Flüchtlingszahlen 2015/16 wieder an Bedeutung gewonnen. Zwischen 2011 und 2018 wanderten pro Jahr im Schnitt ca. 400.000 Menschen zu, auf dem Höhepunkt im Jahr 2015 waren es über eine Million. Die Einwohnerzahl stieg von 80,3 Mill. im Jahr 2010 auf 82,9 Mill. Ende 2018 (siehe Stichwort Migration). Die Probleme schrumpfender Städte und Regionen rückten zunehmend in den Hintergrund, in der Mitte des Jahrzehnts kam der Stadtumbau im Sinne des Abrisses von Wohnungen in allen größeren Städten in Ostdeutschland praktisch zum Erliegen. In kleineren Städten und im ländlichen Raum wird er allerdings weiterhin betrieben.

Gegenläufig zum generellen Bedeutungsverlust des Stadtumbaus machten sich sukzessive die Wohnungsprobleme der wachsenden Großstädte und Ballungsräume geltend: Wohnungsknappheit und vor allem steigende Immobilien- und Mietpreise. Neubau und Sanierung sind seit Anfang der 2010er Jahre nach der Flaute der 2000er Jahre wieder in Gang gekommen (vgl. Abbildung 1). Es wird aber nach wie vor zu wenig und fast ausschließlich in den lokal jeweiligen höherpreisigen Segmenten der Wohnungsmärkte gebaut. Sozialer Wohnungsbau findet auf der einen Seite fast nicht mehr statt (vgl. Abbildung 2), auf der anderen Seite sind in den 2000er und 2010er Jahren hunderttausende Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen, was für die betroffenen Mieter zum Teil drastische Wirkungen hat (Rink 2020). Infolgedessen spielt Wohnungspolitik seit Anfang der 2010er Jahre wieder eine Rolle, in der zweiten Großen Koalition wurde dazu z.B. ein "Bündnis für Wohnen" (2014) gegründet und die Mietpreisbremse verabschiedet (2015). In der jetzigen dritten Großen Koalition wird mit einer "wohnungspolitischen Offensive" auf die "neue Wohnungsfrage" reagiert, derzeit ist aber keine Rückkehr zu einer wohlfahrtstaatlichen Wohnungspolitik früherer Jahrzehnte erkennbar.

Fazit

Abbildung 3: Wohnfläche je Einwohner in DDR/Ost- und Westdeutschland 1961-2018 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Am Beginn der 2020er Jahre ist der deutsche Wohnungsmarkt weiterhin gespalten: entspannten Märkten mit z.T. hohen Leerständen vor allem in Ostdeutschland sowie in vielen ländlichen Räumen stehen angespannte Märkte mit Knappheiten und hohen Preisen in fast allen westdeutschen und einigen ostdeutschen Groß- und Universitätsstädten gegenüber. Insgesamt ist die Wohnungsversorgung in Deutschland aber auf einem im internationalen und europäischen Vergleich hohen Niveau gegeben. Rein rechnerisch ist seit Anfang der 2010er Jahre die Zahl der Haushalte in Ost- und Westdeutschland höher als die der Wohnungen. Die Daten zeigen einen insgesamt steigenden Wohnflächenkonsum (vgl. Abbildung 3), die individuell verfügbare Wohnfläche ist heute etwa dreimal so groß wie nach dem Zweiten Weltkrieg, praktisch alle Wohnungen bzw. Eigenheime verfügen mittlerweile über Bad/Dusche, Innen-WC und moderne Heizung.

Abbildung 4: Wohneigentumsquote in Ost- und Westdeutschland (1993-2014) (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de

Trotz jahrzehntelanger Förderung ist die Wohneigentumsquote in Deutschland im europäischen Vergleich die zweitniedrigste (nach der Schweiz). Bei der Betrachtung der Wohnverhältnisse lässt sich bei einigen Parametern (Versorgungsquote, Wohnfläche, Ausstattung, Mietbelastung) eine Angleichung der Wohnverhältnisse in Ost- und Westdeutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten beobachten. Bei der Wohneigentumsquote hat sich die Lücke zwischen Ost- und Westdeutschland bislang nicht geschlossen (vgl. Abbildung 4). Das indiziert fortbestehende soziale Ungleichheiten bezüglich Einkommen und Vermögen. Die Wohneigentumsbildung und damit Vermögensbildung war ein dezidiertes Ziel der Wohnungspolitik, die mit der Eigenheimförderung von der Bonner bis in die Berliner Republik verfolgt wurde. Mit der Abschaffung der Eigenheimzulage im Jahr 2006 wurde dieses Ziel praktisch aufgegeben, das 2018 eingeführte Baukindergeld stellt keinen adäquaten Ersatz dar. Damit dürften bei der Wohneigentumsquote auf mittlere Sicht keine großen Zuwächse und damit auch keine weitere Angleichung mehr zu erwarten sein.

Quellen / Literatur

Buck, H. (2004): Mit hohem Anspruch gescheitert – Die Wohnungspolitik der DDR, Münster.

Egner, B. (2019): Wohnungspolitik seit 1945, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Gesucht! Gefunden? Alte und neue Wohnungsfragen, Bonn, 60-73.

Häußermann, H.; Siebel, W. (1996): Soziologie des Wohnens, Weinheim und München.

Mau, S. (2019): Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin.

Rink, D. (2020): Politik des Wohnens, in: Eckardt, F.; Meier, S. (Hg.): Handbuch Wohnsoziologie, Wiesbaden (im Erscheinen).

Winkler, G. (Hg.) (1990): Sozialreport 90. Daten und Fakten zur sozialen Lage in der DDR. Berlin.

Winkler, G. (2018): Friedliche Revolution und deutsche Vereinigung 1989 bis 2017, Band II, Berlin.

Fussnoten

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Dieter Rink, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ Leipzig