Bei der Vorstellung einer Teilfreistellung der gesetzlichen Altersrente bei der Berechnung der Leistungshöhe der Grundsicherung im Alter (vgl. Hoenig 2012) geht es nicht um eine irgendwie gestaltete Zahlung einer Mindest-, Sockel- oder Grundrente, sondern um eine Veränderung innerhalb des Grundsicherungssystems. Bei Älteren, die Ansprüche auf Renten erworben haben, würde im Unterschied zur geltenden Fürsorgesystematik keine vollständige Anrechnung dieser Renten auf den Betrag der Grundsicherungsleistung erfolgen, sondern nur eine anteilige. Dadurch steigen der Zahlbetrag der Grundsicherung und damit das Gesamteinkommen im Alter − vorausgesetzt die Person bzw. die Bedarfsgemeinschaft ist bedürftig (also auch unter Berücksichtigung des verwertbaren Vermögens).
Die Dimensionen und Folgewirkungen dieses Modells hängen von der Ausgestaltung ab:
Sollen auch andere Alterseinkommen (z.B. Betriebsrenten oder Riester-geförderte Renten), sowie Erwerbsminderungsrenten und Hinterbliebenenrenten anrechnungsfrei bleiben?
Soll sich die Anrechnungsfreiheit nicht nur auf die Geldleistungen, sondern auch auf Sach- und Dienstleistungen der Sozialhilfe, so vor allem auf die Hilfe zur Pflege, beziehen?
Welche Beträge in welcher Höhe (Pauschalbeträge oder prozentuale Rentenanteile) sollen anrechnungsfrei bleiben?
Im Ergebnis würden nicht nur die derzeitigen Empfänger höhere Grundsicherungsleistungen erhalten, sondern auch diejenigen, die bei der geltenden Regelung keine Ansprüche auf aufstockende Grundsicherungsleistungen haben, denen aber bei der Einführung von Freibeträgen Ansprüche zustehen. Je nach Ausgestaltungsvariante (Höhe der Freibeträge und Ausmaß der begünstigtsten Leistungen) käme es zu einem deutlichen Zuwachs der Empfängerzahlen der Grundsicherung und zu entsprechenden Mehrausgaben. Wenn man Altersarmut weiterhin am Grundsicherungsbezug bemessen würde, würde paradoxerweise statistisch sogar das Ausmaß der Altersarmut steigen.
Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz von 2017 ist ein erster Schritt in die Richtung von Freibeträgen gemacht worden. Bei der Berechnung der Höhe der aufstockenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie bei der Hilfe zum Lebensunterhalt bleiben ab 2018 folgende Beträge anrechnungsfrei:
Grundbetrag von 100 Euro
zuzüglich 30 Prozent des überschießenden Betrags bis maximal 50 Prozent des Bedarfs der Regelbedarfsstufe 1 = 208 Euro/2018.
Allerdings bleiben ausschließlich Leistungen der zusätzlichen Altersvorsorge (Betriebs-, Riester-, Rürup-Renten sowie Renten aus einer freiwilligen GRV-Versicherung oder einer Versicherungspflicht auf Antrag) anrechnungsfrei. Für Renten aus der Gesetzlichen Rentenversicherung, die sich aus einer Versicherungspflicht errechnen, gilt dies nicht. Es handelt sich damit um ein vorleistungsabhängiges und spezielles Existenzminimum für einen bestimmten Kreis älterer Menschen. Offen bleibt, ob der Ausschluss der o.g. Renten aus der Rentenversicherung verfassungsrechtlich Bestand haben wird.
Diskutiert wird auch, ob eine Ausdifferenzierung des Existenzminimums nach Vorleistungen nicht auch bedeuten müsste, bei den beitragsfinanzierten Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld I) oder der Krankenversicherung (Krankengeld) vergleichbare Freibeträge einzuführen. Wie lässt sich begründen, dass bei Rentenempfängern ein Teil ihres Einkommens anrechnungsfrei bleibt, während z. B. bei Alleinerziehenden in der Grundsicherung Kindergeld und Unterhaltsleistungen voll angerechnet werden?
Freibeträge in der Grundsicherung nur für bestimmte Personengruppen laufen damit Gefahr, Grundsicherungsempfänger 1. und 2. Klasse zu schaffen. Und sie können – gewollt oder ungewollt – eine Rentenversicherungspolitik legitimieren, die das Niveau der leistungs- und beitragsbezogenen Rente kontinuierlich absenkt und die Betroffenen dann auf die Grundsicherung verweist.