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Reformbedarfe und Reformdebatten | Rentenpolitik | bpb.de

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Reformbedarfe und Reformdebatten

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 9 Minuten zu lesen

Die Alterssicherung gehört zu den gesellschaftlichen Bereichen, in denen Frauen benachteiligt sind. Viele sind von einer eigenständigen, eheunabhägigen Alterssicherung weit entfernt. Die Ursachen hierfür liegen in der Verbindung zwischen Rentensystem und Rentenberechnung auf der einen und der Arbeitsmarktbeteiligung und der Lohnhöhe auf der anderen Seite.

Zuhörer, darunter viele ältere Mitbürger, verfolgen von der Zuschauertribüne im Deutschen Bundestag in Bonn am 20.01.1977 die Debatte über die Sanierung der Rentenversicherung. (© picture-alliance/dpa)

Seit der Einführung der Riester-Rente im Jahr 2011 lässt sich das deutsche Alterssicherungssystem als ein Drei-Säulen-System bezeichnen. Die Gesetzliche Rentenversicherung ist und bleibt zwar das bei Weitem größte und wichtigste System, aber die Aufgabe, für eine angemessene und ausreichende Absicherung im Alter zu sorgen, kann und soll sie nicht mehr alleine erfüllen. Denn maßgebend für den damals eingeleiteten "Paradigmenwechsel" ist, dass das Leistungsniveau der Rentenversicherung kontinuierlich abgesenkt wird und dass die so entstehenden Versorgungslücken durch die Leistungen der betrieblichen und privaten Vorsorge ausgeglichen werden sollen. Der im Kapitaldeckungsverfahren finanzierten zweiten und dritten Säule fällt also die Aufgabe zu, die Leistungsdefizite der umlagefinanzierten Rentenversicherung auszugleichen. Die Begeisterung für diese Neuorientierung der Alterssicherungspolitik hat jedoch nicht lange angehalten. Zunehmend kritisch wird diskutiert, ob dieses "3-Säulen-Konzept" erfolgreich ist bzw. überhaupt erfolgreich sein kann: Stimmen die Annahmen der damaligen Reform oder weisen die empirischen Befunde auf wachsende Versorgungslücken im Alter hin? Sind die Alterseinkommen der Menschen, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ins Rentenalter kommen, tatsächlich angemessen und ausreichend? Bedarf es einer Reform der Reform und wie sollte diese Reform aussehen?

Im Mittelpunkt der aktuellen Reformdiskussion stehen vor allem folgende Fragen: Durch welche Maßnahmen lässt sich Altersarmut vermeiden? Wie lässt sich die Lebensstandardsicherung im "3-Säulen-Konzept" realisieren, bedarf es dazu einer Stärkung der der gesetzlichen Rente oder sollen die betriebliche und die private Altersvorsorge ausgeweitet werden? Welche Maßnahmen sind geeignet, um dem Problem der niedrigen Renten von Frauen entgegen zu wirken? Kann die Rentenversicherung durch eine Erweiterung in Richtung einer Erwerbstätigenversicherung auf eine breitere (finanzielle) Grundlage gestellt werden?

Vermeidung von Altersarmut

Dem Szenario eines deutlich wachsenden Armutsrisikos der älteren Generation wird inzwischen weder in der wissenschaftlichen noch in der politischen Debatte ernsthaft widersprochen. Handlungs- und Reformbedarf werden durchgängig von allen Parteien und Verbänden attestiert. Die Forderungen, Vorschläge und Modelle, die Positionspapiere und Gutachten sind kaum noch überschaubar. Nicht alle sind neu; die Forderungen beispielsweise nach einer Sockel- oder einer Grundrente begleiten die Reformdebatte seit nunmehr Jahrzehnten.

Wenn niedrige Renten und damit auch das Armutsrisiko ein Spiegelbild der Lage der Versicherten auf dem Arbeitsmarkt sind, dann weist dies auf die Notwendigkeit hin, die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass – bei den gegebenen Leistungsprinzipien der Rentenversicherung – das Entstehen von Altersarmut möglichst begrenzt wird. Vorschläge in dieser Richtung wollen die Kopplung von Erwerbsarbeit und gesetzlicher Alterssicherung beibehalten. Sie verstehen sich ursachenbezogen und vorgeschaltet und plädieren für eine sozialstaatliche Re-Regulierung von Arbeitsmarkt und Arbeitsverhältnissen. Forderungen und Vorschläge, Altersarmut vor allem durch die Gestaltung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zu bekämpfen, wollen erreichen, dass unter den Bedingungen einer lohn- und beitragsbezogenen Rente zukünftig hinreichend hohe, die Armutsschwelle übersteigende Leistungsansprüche erworben werden können. Das setzt sowohl eine ausreichende Zahl von Versicherungs- und Beitragsjahren voraus als auch Arbeitsentgelte, die ein Mindestniveau nicht unterschreiten.

Alterssicherung und Ordnung des Arbeitsmarktes

Veränderungen am Arbeitsmarkt und die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung lassen sich allerdings nur für zukünftige Erwerbsbiografien erreichen. Denn die Gewährleistung einer kontinuierlichen Beschäftigung erfordert die Eindämmung von Arbeitslosigkeit sowie von versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen. Erforderlich wäre auch, dass für Eltern die Möglichkeiten einer Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kindererziehung sowie privater Angehörigenpflege geschaffen werden. Eine Fülle von Hemmnissen erschwert nach wie vor die Gleichzeitigkeit von Vollzeitarbeit oder vollzeitnaher Teilzeitarbeit und den Aufgaben der Kinderbetreuung bzw. -erziehung oder der Angehörigenpflege. Zu nennen sind vor allem die immer noch defizitären Angebote an Kinderbetreuungseinrichtungen bis ins Schulalter, aber auch die Lücken in der ambulanten, teilstationären und stationären Pflege. Zugleich stützen und verstärken die Regelungen im Sozialversicherungs- und Steuerrecht den Verweis der (Ehe)Frauen auf eine Zuverdienerrolle und auf eine Teilzeitarbeit im unteren Stunden- und Einkommensbereich. Wer für eigenständige und ausreichend hohe Rentenansprüche von Frauen eintritt, die auch im Trennungs- und Scheidungsfall armutsfest sind, kann deshalb nicht an den Mustern der hergebrachten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern festhalten – und diese sogar noch durch institutionelle Anreize fördern.

Aus dem Wechselverhältnis von Arbeitsmarkt und Alterssicherung ergibt sich, dass durch Arbeitsmarktreformen Armutsrisiken im Alter zwar präventiv eingegrenzt aber letztlich nicht ausgeschlossen werden können. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Risiken wie Niedriglöhne, Phasen von Arbeitslosigkeit und familienbedingter Erwerbsunterbrechungen oder -einschränkungen tatsächlich in absehbarer Zeit erübrigen werden. Eine Situation der Vollbeschäftigung ist (noch) nicht in Sicht und es ist weder erwünscht noch möglich, familiäre "care-Verpflichtungen" mit einer ununterbrochenen Vollzeitbeschäftigung zu vereinbaren.

Armutsfeste Renten

Insofern können Reformbemühungen nicht einseitig auf der vorgelagerten Ebene von Arbeitsmarkt und Beschäftigung ansetzen, sondern müssen breiter angelegt sein. Es ist auch Aufgabe der Alterssicherung, bestimmte Risiken und Lebensphasen, die von dem Ideal des Normalarbeitsverhältnisses abweichen, zu berücksichtigen und zu versuchen, sie durch Maßnahmen des sozialen Ausgleichs abzumildern. Es geht um die Verknüpfung des Versicherungs- und Äquivalenzprinzips einerseits mit dem Solidarprinzip andererseits; darin besteht der Charakter der Gesetzlichen Rentenversicherung als Teil der Sozialversicherung.

Zur Diskussion stehen verschiedene Vorschläge für Reformen. Diese könnten – zumindest für bestimmte Versichertengruppen – wesentlich zur Reduzierung der Altersarmut beitragen:

  • Schließung von Sicherungslücken

  • Versicherungspflicht von Selbstständigen

  • Versicherungspflicht bei geringfügiger Beschäftigung

  • Höherbewertung von Zeiten der Arbeitslosigkeit

  • Anhebung der Zurechnungszeiten bei Erwerbsminderungsrenten

  • Ausweitung der Kindererziehungszeiten

  • Einführung einer solidarischen Lebensleistungsrente

  • Einführung von Sockel- oder Mindestrenten

Gewährleistung der Lebensstandardsicherung

Absicherung im Alter ist mehr als nur die Vermeidung von Altersarmut. Nach Aufgabe der Berufstätigkeit soll der im Laufe des Erwerbslebens erarbeitete und erreichte Lebensstandard weitgehend beibehalten werden können, um einen tiefen Einkommensabsturz nach dem Altersübergang zu verhindern. Es geht um Einkommenskontinuität im Lebensverlauf und um die Möglichkeit einer verlässlichen Lebensplanung auch und gerade für die sog. Mittelschicht der Gesellschaft, die zwar nicht vor der Gefahr steht, im Alter unmittelbar in Armut zu geraten, die aber befürchtet bzw. befürchten muss, infolge unzureichender Leistungen der Alterssicherung den gewohnten Lebensstandard und Lebensstil radikal einschränken zu müssen.

Diese Frage nach der Lebensstandardsicherung stellt sich nicht nur zum Zeitpunkt des Übergangs vom Arbeitsleben in den Rentenbezug, sondern im Verlauf der gesamten Altersphase, die im Schnitt bis zu drei Jahrzehnten andauert. Entscheidend ist also neben der Einkommenshöhe im Rentenzugang vor allem die laufende Anpassung der Alterseinkommen, um deren preisbedingte Wertminderung zu vermeiden und die Teilhabe an der allgemeinen Einkommensentwicklung zu ermöglichen.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die durch das Absinken des Rentenniveaus entstehenden Versorgungslücken bei der gesetzlichen Rente nicht durch die betriebliche und/oder private Vorsorge ausgeglichen werden. Die mit der Einführung der Riester-Rente verknüpften diesbezüglichen Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Diese ernüchternde Schlussfolgerung führt zu der Forderung, den weiteren Rückgang des Rentenniveaus zu verhindern bzw. einen Wiederanstieg einzuleiten. Entsprechende Positionen werden in der Wissenschaft wie auch von den Oppositionsfraktionen im Bundestag, den Gewerkschaften sowie den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden vertreten.

Dies würde bedeuten, die Rentenanpassungsformel um die sog. Dämpfungsfaktoren zu bereinigen und so neu zu fassen, dass die Erhöhung der Netto-Renten (vor Steuern) wieder der Erhöhung der Netto-Einkommen (vor Steuern) der Arbeitnehmer folgt. Da die Rentenanpassung alle Renten berührt, die Zugangs- wie die Bestandsrenten, ist eine solche Veränderung allerdings mit erheblichen Mehrausgaben verbunden. Ein Anstieg der Beitragssätze über das gesetzlich vorgeschriebene Beitragssatzziel (maximal 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und maximal 22 Prozent bis zum Jahr 2030) hinaus ist unvermeidbar. Aber auch die Finanzierung der privaten wie der betrieblichen Altersvorsorge führt zu steigenden Belastungen der Erwerbstätigen. Soll die Alterssicherung mehr sein als nur die Abdeckung des Existenzminimums und zur Lebensstandardsicherung beitragen, dann muss unter den Bedingungen des demografischen Wandels die aktive Generation höhere Belastungen tragen − über welches Alterssicherungssystem und welches Finanzierungsverfahren auch immer.

Obligatorische betriebliche bzw. private Vorsorge?

Schon seit Jahren wird darüber diskutiert, die betriebliche bzw. private Altersversorgung für alle Arbeitnehmer verpflichtend zu machen. Durch ein solches Obligatorium könnten die (im Niveau abgesenkten) gesetzlichen Renten verlässlich aufgestockt werden. Das Ziel der Lebensstandardsicherung würde dann nicht durch eine Stärkung der Rentenversicherung erreicht, sondern durch eine Verallgemeinerung und Stärkung der kapitalfundierten Altersversorgung. Aber selbst eine obligatorische Betriebsrente führt nicht zu einer flächendeckenden Absicherung. Denn Personen, die wegen Krankheit, Kindererziehung, Pflege oder Arbeitslosigkeit zwischenzeitlich nicht berufstätig sind, bleiben im Alter unversorgt oder unterversorgt.

Offen bleibt außerdem, mit welcher Rentenhöhe und Rentenanpassung auf der Basis der Kapiteldeckung gerechnet werden kann. Die Erfahrungen seit Beginn der Finanzkrise haben gezeigt, dass die Unsicherheiten und Risiken auf den Finanzmärkten gestiegen sind. Die Kursrisiken bei den Aktien bedrohen die Rücklagen der betrieblichen Altersversorgung und die seit einigen Jahren von allen Zentralbanken betriebene Politik der Niedrigzinsen reduziert die Renditen immer stärker. Diese Unsicherheiten weisen darauf hin, dass es bei kapitalgedeckten und damit kapitalmarktabhängigen Altersvorsorgeleistungen systemisch überhaupt nicht möglich ist, ein definiertes Sicherungsziel (mit einer Maßgröße) vorzugeben. Ob und in welchem Maße es im Drei-Säulen-System zur Lebensstandardsicherung kommt bzw. kommen kann, lässt sich angesichts der unwägbaren Entwicklung auf den internationalen Kapitalmärkten und der Verschiedenartigkeit der Anlagen- und Altersvorsorgeformen nicht festlegen.

Verbesserung der Alterssicherung von Frauen

Laut Verfassung und Recht sind Männer und Frauen gleichgestellt. Im praktischen Leben gibt es allerdings nach wie vor viele gesellschaftliche Bereiche, in denen Frauen benachteiligt sind. Dies gilt im besonderen Maße für die Alterssicherung. Soll sich dies ändern, dann muss nach den Ursachen für die geringeren Alterseinkommen von Frauengefragt werden. Im Rentenversicherungsrecht wird nicht nach dem Geschlecht unterschieden. Die Ursachen liegen vielmehr in der Verbindung zwischen Rentensystem und Rentenberechnung auf der einen Seite und der Arbeitsmarktbeteiligung und der Lohnhöhe auf der anderen Seite. Niedrige Renten – vermittelt über die Konstruktionsprinzipien der Rentenformel – ergeben sich aus lebensdurchschnittlich niedrigen Erwerbseinkommen und kurzen Versicherungsverläufen. Die kürzeren Versicherungsverläufe lassen sich in erster Linie auf die Unterbrechung oder die Aufgabe der Erwerbstätigkeit aufgrund familiärer Verpflichtungen (insbesondere Kindererziehung und Pflege von Angehörigen) zurückführen. Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Frauen deutlich unter der der Männer lag und liegt. Vor allem Frauen sind Teilzeit beschäftigt, nach der Rentenformel hat das zur Folge, dass sich die Rentenanwartschaften parallel zur reduzierten Arbeitszeit und zum reduzierten Bruttomonatslohn verringern. Je länger die Teilzeitarbeit andauert, umso stärker machen sich die Lohneinbußen auch bei der späteren Rente bemerkbar. Als besonders nachteilig erweist sich die Teilzeitarbeit im unteren Stunden- und Einkommenssegment (unter 450 Euro/Monat), da bei diesen "geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen" keine Versicherungs- und Beitragspflicht besteht.

Zwar ist davon auszugehen, dass sich die Rentenanwartschaften von Frauen in der Zukunft verbessern und die in das Rentenalter nachrückenden Jahrgänge durchschnittlich höhere Renten erhalten. Eine Anpassung an die Rente der Männer ist gleichwohl nicht in Sicht. Nach wie vor verhindert das unzureichende Kinderbetreuungsangebot eine nachteilsfreie Vereinbarkeit von Beruf und Familie und berufliche Entwicklungsperspektiven für Mütter. Zugleich werden im Steuer- und Sozialrecht monetäre Anreize gesetzt, dass (Ehe)Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine "Zuverdienerinnenrolle" einnehmen. Zu nennen sind hier vor allem die Auswirkungen des Ehegattensteuersplittings, der kostenfreien Mitversicherung in der Krankenversicherung sowie der Beitrags- und Steuerfreiheit der Minijobs.

Bei allen Reformüberlegungen steht deshalb zunächst die Frage im Mittelpunkt, wie es gelingen kann, auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft die Voraussetzungen dafür zu verbessern, dass Frauen durchgängig erwerbstätig sind, also einen langen Versicherungsverlauf aufweisen, in einem hohen Stundenvolumen arbeiten, sich also nicht länger auf kurze Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse begrenzen, regulär und gleichberechtigt zu den Männern verdienen; das bedeutet auch, sich in ihrer Beschäftigung nicht auf den Niedriglohnbereich zu konzentrieren.

Für die Rentenpolitik stellt sich die Aufgabe dafür zu sorgen, dass Rentenansprüche von Frauen auch dann aufgebaut werden können, wenn diese nicht kontinuierlich und Vollzeit erwerbstätig sind. Es gibt verschiedene Wege, um die Alterssicherung von Frauen zu verbessern: Die verstärkte Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung und der Angehörigenpflege sowie die gezielte Anhebung bzw. Aufstockung niedriger Entgeltpunkte.

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.