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Grenzen einer familiären Absicherung | Rentenpolitik | bpb.de

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Grenzen einer familiären Absicherung

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Die älteste, ursprüngliche Form der Unterhaltssicherung für die nicht (mehr) erwerbstätigen und erwerbsfähigen Älteren ist die Unterstützung durch Familienangehörige, vor allem durch Kinder und Enkelkinder oder Verwandte. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein waren es vor allem die Familien, die den Lebensunterhalt ihrer älteren und kranken Angehörigen durch Unterhaltsleistungen gesichert haben.

Die familiäre Absicherung bot älteren Menschen wenig mehr als ein Existenzminimum und zwängte sie in eine hohe ökonomische wie private Abhängigkeit von den anderen Familienmitgliedern. (© Riekes Vater / Externer Link: photocase.com)

Ein Rückblick: Die Familie als Garant der Alterssicherung

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein waren es vor allem die Familien, die den Lebensunterhalt ihrer älteren und kranken Angehörigen durch Unterhaltsleistungen gesichert haben. Die in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Sozialversicherungspolitik war zunächst nur als Ergänzung, nicht aber als Ersatz der Familienhilfe angelegt.

Schon bald zeigte sich, dass im Zuge von Industrialisierung und Modernisierung der Gesellschaft die traditionellen familiären Unterstützungssysteme brüchig wurden. Dies ist bereits erkennbar, wenn man sich die familiäre Absicherung älterer Menschen in der vorindustriellen Zeit vor Augen führt. Im Gegensatz zu manchen idealistisch verklärten Vorstellungen bot sie den älteren Menschen damals wenig mehr als ein Existenzminimum und zwängte sie in eine hohe ökonomische wie private Abhängigkeit von den anderen Familienmitgliedern.

Zur familiären Hilfe müssen die objektive Fähigkeit und die subjektive Bereitschaft bestehen. Die Fähigkeit zur Unterstützung hängt zentral von der Einkommensposition des "Ernährers" ab. Insofern bleiben Höhe und Kontinuität von familiären Unterhaltsleistungen eng an Höhe und Kontinuität der Erwerbseinkommen gebunden. Beim Ausfall des Ernährers infolge von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder Tod gerät unmittelbar die gesamte Familie in Existenznöte. Ein Rückgriff auf entfernte Verwandte ist zur Abdeckung von Einkommensausfällen nur sehr begrenzt möglich und muss, zumal wenn es um dauerhafte Leistungen geht, als gering eingeschätzt werden, es sei denn, eine starke Verringerung des eigenen Lebensstandards bis hin zur Armut würde akzeptiert.

Familienstand von Männern und Frauen ab 60 Jahren und älter im Jahr 2015 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Bei der Bereitschaft zur Unterstützung muss zudem berücksichtigt werden, dass der Wandel von Familienstrukturen und Lebensformen (Auflösung des Mehrgenerationenhaushalts, zunehmende berufliche und regionale Mobilität) eine Auflockerung traditioneller Verpflichtungen eingeleitet hat, die von der Einführung sozialer Sicherungssysteme begleitet wurde. Der Trend zur Individualisierung der Lebensformen und das Bestreben zum Abbau finanziell bestimmter persönlicher Abhängigkeiten haben dazu geführt, dass sich in modernen Gesellschaften familiäre Unterhalts- und Unterstützungsleistungen weitgehend auf Leistungen zwischen (Ehe)Partnern einerseits und zwischen Eltern und Kindern andererseits beschränken. Bereits anhand einer groben Analyse des Familienstands von Älteren wird erkennbar, dass ein erheblicher Anteil der Älteren ledig, geschieden oder verwitwet ist (vgl. Abbildung "Familienstand von Männern und Frauen über 60 Jahren 2015").

Demografische Trends

Entwicklung von Bevölkerung und Altersstruktur 1960 - 2060 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Der Rückgang der Geburtenhäufigkeit bedeutet, dass ein wachsender Teil der älteren Menschen überhaupt keine Kinder bzw. weniger Kinder hat, von denen sie im Bedarfsfall im Alter unterstützt werden könnten. Angesichts der hohen und steigenden Lebenserwartung (zu den demografischen Rahmenbedingungen vgl. Interner Link: Demografischer Wandel und Rentenfinanzierung) wird es im Familienverband nahezu unmöglich, den älteren Angehörigen über Jahrzehnte hinweg ein ausreichendes Einkommen und Lebensniveau zu garantieren. Immerhin steigt der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung von 20,6 Prozent im Jahr 2010 auf 31,7 Prozent in 2060. Für die über 80-Jährigen prognostiziert die 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung der amtlichen Statistik einen Anstieg von 5 auf 13,2 Prozent für den gleichen Zeitraum (vgl. Abbildung "Entwicklung von Bevölkerung und Altersstruktur").

Ein Beispiel

Die fernere Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren beträgt heute bei Frauen im Durchschnitt bereits 21,0 Jahre. Die Zahl der Frauen im Lebensalter von 85 Jahren und mehr steigt seit Jahren an und lag Ende 2016 bei etwa 1,8 Mio. Personen. Dies bedeutet, dass das Kind/die Kinder der 85jährigen und älteren Mutter teilweise selbst schon älter als 65 Jahre ist/sind und kein eigenes Erwerbseinkommen mehr bezieht/beziehen.


Die sinkende Leistungsfähigkeit zur finanziellen Unterstützung durch die Familie war − neben der zunehmenden Überforderung der kommunalen Armenfürsorge − historisch der entscheidende Anlass zum Aufbau von Alterssicherungssystemen, welche die familiären Einkommensübertragungen zunächst ergänzt und schließlich weitgehend ersetzt haben.

Familiäre Unterstützung heute: Eher von den Älteren zu den Jüngeren

Im Ergebnis sind es heute häufiger die Alten, die die Jungen finanziell unterstützen: Mehr Eltern, Großeltern und auch Urgroßeltern lassen ihren Kindern, Enkel- und Urenkelkindern Sach- und Geldgeschenke zukommen als umgekehrt. Ohne die finanzielle Unterstützung und Hilfen durch die Eltern- und Großelterngeneration könnte eine wachsende Zahl von jüngeren Familien und vor allem von Alleinerziehenden oft kaum über die Runden kommen.

Generationenbeziehungen beschränken sich aber keineswegs auf monetäre Leistungen: Die persönlichen Kontakte zwischen Eltern und Kindern enden nicht mit der Auflösung der Ursprungsfamilie, sondern werden über Haushaltsgrenzen hinweg aufrechterhalten – auch dann, wenn große Entfernungen zu überbrücken sind. Viele Menschen sind bis ins höchste Alter hinein sozial aktiv und engagieren sich im familiären oder nachbarschaftlichen Raum. Großeltern sind unverändert eine wichtige Stütze für die Betreuung der Enkelkinder, wenn die Eltern Beruf und Familie in Einklang bringen wollen. Großeltern sind bei Kindern bis zum vierten Lebensjahr in fast der Hälfte der Fälle an der Kinderbetreuung beteiligt. Auf der anderen Seite unterstützen die Kinder ihre hilfs- oder pflegebedürftigen Eltern. Noch nie waren die Familien so stark in der privaten Pflege von älteren Angehörigen engagiert wie heute. Mehr als vier Fünftel der zu Hause versorgten Pflegebedürftigen werden von Personen aus dem engen verwandtschaftlichen Umfeld versorgt, und dies trotz wachsender physisch-psychischer Belastungen durch die Dauerpflege von immer schwerer wiegenden Fällen von Pflegebedürftigkeit.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.