Da die Rentenhöhe immer ein Spiegelbild der vergangenen Erwerbsbiografie und des jeweiligen Rentenniveaus ist, interessiert vor allem, ob die in den nächsten Jahren ins Rentenalter nachrückenden Kohorten aufgrund anderer und ungünstigerer Bedingungen zunehmend mit Alterssicherungsansprüchen rechnen müssen, die nicht mehr die Armutsrisikoschwelle erreichen.
Will man Aussagen über dieses Risiko treffen, sollte bewusst sein, dass Prognosen höchst unsicher sind. Denn das zukünftige Alterseinkommen wird in Niveau und Verteilung durch ein breites Bündel unterschiedlicher ökonomischer, sozial-struktureller und politischer Faktoren bestimmt, die sich insgesamt nicht verlässlich vorhersagen lassen.
Zu unterscheiden ist hierbei zwischen exogenen und endogenen Faktoren:
Die internen Faktoren beziehen sich auf die Wirkung der bereits wirksamen und der absehbaren leistungsrechtlichen Veränderungen und Einschnitte in den Systemen der Alterssicherung, insbesondere in der Rentenversicherung.
Bei den externen Faktoren ist zu fragen, ob sich die Erwerbsbiografien und damit die individuellen Rentenanwartschaften der in den Rentenbezug nachrückenden Jahrgänge gegenüber dem Rentenbestand verschlechtern werden. Die zukünftigen Rentenhöhen hängen dabei entscheidend von der Struktur und Entwicklung des Arbeitsmarktes ab, konkret vom Ausmaß der Erwerbsbeteiligung und Arbeitslosigkeit sowie von den Strukturveränderungen von Arbeitsverhältnissen und Einkommenslagen.
"Nach wie vor gilt aber, dass eine durchgängige Erwerbskarriere mit Absicherung in einem Regelsicherungssystem die beste Vorsorge für das Alter bietet"
Anhaltende Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt und in den Lebensformen
Ein Blick auf die exogenen Faktoren zeigt, dass sich auf dem Arbeitsmarkt ein Risiko- und Problempotenzial aufgebaut hat
Allerdings gibt es auch Hinweise auf Problementschärfungen:
Vor allem die steigende Frauenerwerbstätigkeit und die Verkürzung der erziehungsbedingten Unterbrechungszeiten lassen erwarten, dass sich die Rentenanwartschaften von Frauen zukünftig erhöhen werden. Auch die rentenrechtliche Anrechnung von Kindererziehungszeiten (seit 2014 Erweiterung der Anrechnungszeiten für Geburten vor 1992 von einem auf zwei Jahre; weitere Erhöhung in Arbeit) und Pflegezeiten trägt dazu bei. Die Alterseinkommen von Ehepaaren könnten stabilisiert werden, wenn den rückläufigen Anwartschaften der Männer steigende Anwartschaften der Frauen gegenüberstehen. Dieser Kompensationseffekt wird allerdings begrenzt bleiben, solange die Frauenerwerbsbeteiligung sich auf Teilzeitarbeit im unteren Stundensegment konzentriert.
Die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit hat sich seit dem Höchststand von 4,86 Millionen Arbeitslosen im Jahr 2005 merklich verringert. Allerdings bleibt die Langzeitarbeitslosigkeit ein gravierendes Problem. Und ein wachsender Anteil der Arbeitslosen, nämlich mittlerweile fast 70 % (2017), fällt in den Rechtskreis des SGB II. Beim bedürftigkeitsgeprüften Arbeitslosengeld II werden aber keine Rentenversicherungsbeiträge (mehr) bezahlt.
Die Erwerbstätigenquoten der älteren ArbeitnehmerInnen haben sich beträchtlich erhöht. Die Eindämmung des beruflichen Frühausstiegs, die weitgehende Abschaffung von vorgezogenen Altersrenten und die seit 2012 praktizierte schrittweise Heraufsetzung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre führen zu höheren Entgeltpunkten. Allerdings gilt dies nicht für alle Versicherten
. Ein erheblicher Teil der älteren Beschäftigten wird auch in Zukunft vor Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Beruf ausscheiden müssen oder wollen − mit der Folge von Abschlägen. Stundenlöhne unterhalb des Niveaus des gesetzlichen Mindestlohns sind theoretisch nicht mehr möglich.
Widersprüchlich dürften sich die Veränderungen in den privaten Lebensformen auswirken: Der Zuwachs von Zahl und Anteil der Alleinlebenden − u. a. als Folge des späteren Heiratsalters und der geringeren Heiratshäufigkeit sowie der anhaltend hohen Scheidungsziffern − verstärkt die Verletzlichkeit durch Einkommensrisiken, da die Risikokompensation durch ein Partnereinkommen im Haushaltszusammenhang und die Skaleneffekte des gemeinsamen Wirtschaftens nicht oder nur begrenzt greift. Der Trend zur Individualisierung und Singularisierung führt auf der anderen Seite jedoch auch zu einer höheren Erwerbsbeteiligung. Auch die niedrige Geburtenrate vergrößert die Möglichkeiten einer durchgängigen Erwerbs- und Versicherungsbiografie von Frauen.
Leistungsabbau in der Rentenversicherung
Die internen Faktoren, die zu einer Zunahme der Altersarmut führen können, konzentrieren sich auf das Leistungsrecht der Rentenversicherung, das in den zurückliegenden Jahren durch mehrfache Einschnitte verschlechtert worden ist. Im Mittelpunkt stehen dabei die Folgewirkungen der neu gefassten Rentenberechnungs- bzw. Rentenanpassungsformel: Um den zu erwartenden Beitragssatzanstieg zu begrenzen werden Bestands- wie Zugangsrenten in ihrem Niveau der allgemeinen Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen nur noch teilweise folgen, was ein kontinuierliches Absinken des Rentenniveaus zur Konsequenz hat.
Im Ergebnis kommt es geradezu zwingend dazu, dass im Zeitverlauf die Renten schwächer steigen werden als der Regelbedarf der Grundsicherung, da dieser seit 2011 nicht mehr dem aktuellen Rentenwert folgt, sondern auf der Basis der alle fünf Jahre erhobenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bzw. zwischendurch eines Mischindexes, der sowohl die Preis- als auch die Entgeltentwicklung berücksichtigt, fortgeschrieben wird. Damit nimmt in den nächsten Jahren gleichsam automatisch der Kreis der älteren Menschen zu, deren Rente diesen Schwellenwert trotz langjähriger Versicherungspflicht und Beitragszahlung unterschreitet (vgl. ausführlich
Sinkt − wie von der Bundesregierung angenommen − das Nettorentenniveau vor Steuern von 51,6 Prozent (2010) auf 44,6 Prozent (2029)
Zugleich ist es mehr als fraglich, ob die zweite und dritte Ebene der Alterssicherung wirklich für die RentnerInnen mit niedrigen Renten ausgleichen können, was durch die Sparmaßnahmen bei der gesetzlichen Rente zunehmend wegbricht (vgl.
Aus der Studie Alterssicherung in Deutschland (ASID 2015) ist eindeutig abzulesen, dass gerade bei denjenigen Älteren mit niedrigen Haushaltseinkommen der Anteil der zusätzlichen Einkommen (z. B. aus Vermögen) am gesamten Einkommen wesentlich geringer, ja verschwindend gering ausfällt als bei Haushalten von SeniorInnen mit hohen Haushaltseinkommen. Das gilt für Paare wie für Singles, dort bei Männern und noch mehr bei Frauen. Das gilt in Westdeutschland genauso wie in Ostdeutschland (vgl.
Um Fehlinterpretationen zu vermeiden: Dieses Phänomen einer wachsenden Überschneidung von niedrigen Renten und Grundsicherungsgrenze bedeutet nicht, dass tatsächlich auch Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht bzw. dass tatsächlich von einer Armutslage ausgegangen werden kann. Wie oben beschrieben, müssen sämtliche Alterseinkommen im Haushaltskontext berücksichtigt werden, um eine Aussage treffen zu können. Gleichwohl kommt es zu einem Legitimations- und Akzeptanzproblem der Rentenversicherung, wenn nach jahrzehntelanger Beitragspflicht die individuelle Rente nicht höher liegt als die vorleistungsunabhängige Grundsicherung im Alter und sich kein Unterschied mehr ergibt zu Personen, die keine oder keine entsprechend hohen Beiträge geleistet haben.
Überlagert und verschärft werden die Folgewirkungen des sinkenden Rentenniveaus durch weitere Regelungen und Leistungsdefizite der Alterssicherung. Insbesondere Mehrfach- und Langzeitarbeitslosigkeit werden zu einem zentralen Armutsrisiko, da die Rentenanwartschaften, die Arbeitslose während der Bezugszeit von Arbeitslosengeld erwerben, äußerst gering ausfallen. Für Langzeitarbeitslose, die auf die Leistung Arbeitslosengeld II nach dem SGB II angewiesen sind, wurden zwischen 2005 und 2010 vom Bund Mini-Beiträge gezahlt (denen 2009 nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit ein Anspruch auf 2,19 € Rente im Monat entsprach).
Ab 2011 sind diese Beiträge im Rahmen der Sparmaßnahmen sogar ersatzlos entfallen, die Zeiten werden seitdem nur noch als Anrechnungszeiten berücksichtigt. Im besonderen Maße als problematisch für die Höhe der Rentenzahlbeträge erweisen sich schließlich die Rentenabschläge, die bei einem vorgezogenen Bezug von Altersrenten anfallen (vgl.
Zusammengefasst bedeutet das: Externe und interne Risikofaktoren überlagern und verstärken sich. Die Anwartschaften/Entgeltpunkte werden in vielen Fällen zurückgehen und zugleich verringert sich deren "Wert" durch das absinkende Rentenniveau. Betroffen werden neben den Erwerbsminderungsrentnern in erster Linie Langzeitarbeitslose, Beschäftigte in Niedriglohnbranchen und -regionen, Versicherte mit unterbrochenen Versicherungsverläufen sowie "kleine" Selbstständige sein. Regional werden sich diese Risiken zunächst in den neuen Bundesländern konzentrieren. Die Gruppen sind dabei nicht isoliert zu sehen, sondern überschneiden sich gleich mehrfach.
Von entscheidender Bedeutung ist, dass die heute noch erwerbstätigen Versicherten im Vergleich zu den bereits früher geborenen Kohorten der jetzigen Bestandsrentner im Durchschnitt mehr Arbeitslosigkeitszeiten und mehr Zeiten atypischer (v. a. geringfügiger und Niedriglohn-)Beschäftigung in ihren Versicherungsbiografien angesammelt haben. D. h. auch, sie haben bis zu jeweils einem bestimmten Alter vergleichsweise weniger Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben
Von da her muss davon gesprochen werden, dass die Gefahr einer wachsenden Altersarmut virulent ist.