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Vom Defizit- zum Ressourcenmodell | Rentenpolitik | bpb.de

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Vom Defizit- zum Ressourcenmodell

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 3 Minuten zu lesen

Wurden in der – gar nicht so weiten – Vergangenheit die Älteren in der Gesellschaft weitgehend als inaktive, bedürftige Personen angesehen und auch entsprechend behandelt, so hat sich bei diesem Altersbild geradezu ein Paradigmenwechsel vollzogen. Woran liegt das?

Motorradausflug ins Grüne: die "Generation Silber" gilt auch als eine interessante Käufergruppe. (© picture-alliance/dpa)

Die Alten- und Alterssicherungspolitik wird in der Gesellschaft von den jeweils dominierenden Altersbildern geprägt

Heute ist weniger von Defiziten, sondern fast nur noch von der "Generation Silber" die Rede, den fitten, aktiven Alten als interessanter Käufergruppe. Die dominierenden Altersbilder können sich langfristig geradezu "umdrehen": Wie an anderen Stellen in diesem Dossier ausgeführt (vgl. Interner Link: Geschichte der Rentenversicherung in Deutschland und Interner Link: Heraufsetzung der Altersgrenzen), ist in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik ein Paradigmenwechsel von einem "Defizitmodell" des Alters zum so genannten "Ressourcenmodell" zu beobachten.

In zwei Punkten kommt das besonders zum Ausdruck:

  • Lange Zeit dominierte die Vorstellung von nur noch hilfebedürftigen Alten, die nicht mehr arbeiten können und daher einer Rente bedürfen. Als Ausdruck des Defizitmodells kann z. B. angesehen werden, wie bei der Einführung der Gesetzlichen Rentenversicherung die Altersgrenze von damals 70 Jahren für die Altersrenten begründet wurde:

    Neben der im Vordergrund stehenden Absicherung gegen das Invaliditätsrisiko wurde für diejenigen (wenigen), die das 70. Lebensjahr in Arbeit bzw. überhaupt erreichten, pauschal und ohne Gesundheitsprüfung unterstellt, dass sie ab diesem Alter nicht mehr arbeiten können. Heute wird, die stark gestiegene durchschnittliche Lebenserwartung und die vielen gesunden, fitten Älteren im Blick, betont, dass (alle) Älteren länger arbeiten können, auch im Ruhestand, und darüber hinaus eine Inpflichtnahme der Älteren für das bürgerschaftliche Engagement, die Betreuung von Enkeln und für Pflegeaufgaben etc. propagiert.

  • Dominantes und durchaus mehrheitlich der Realität entsprechendes Altersbild war von Bismarck bis zur "Großen Rentenreform" des Jahres 1957 die Vorstellung von den armen Alten. Ihre materielle Situation, aber auch immaterielle Aspekte ihrer Lebenslage (z. B. soziale Kontakte, gesellschaftliche Teilhabe) wurden vor allem als defizitär angesehen − in den meisten Fällen wohl auch zu recht.

Heute wird mit Blick auf die im Durchschnitt fitteren Alten dagegen regierungsamtlich ein sehr positives Bild von "der" Lebenslage der Älteren gezeichnet und wie ein Mantra wiederholt:

QuellentextDeutscher Bundestag 2013

"Die Einkommens- und Vermögenssituation der Älteren von heute ist überdurchschnittlich gut."

Deutscher Bundestag 2013a, S. 3; wortgleich Deutscher Bundestag 2013b, S. 41

Nicht zuletzt aus dieser Beschreibung der materiellen Lage und dem Bild von einem "Dritten, aktiven Lebensalter" zwischen Rentenalter und zumindest dem 75. oder 80. Lebensjahr speist sich auch die verbreitete Vorstellung von den "Silver Agern" als lukrativer Zukunftsmarkt. Der nicht unerhebliche Anteil weniger fitter und nicht wohlhabender Älterer wird weitgehend ausgeblendet.

Dass weder (so die häufig gebrauchten Bezeichnungen) das Defizit- noch das Ressourcenmodell − oder ganz einfach, dass Durchschnittswerte nicht − die sehr unterschiedlichen Lebenslagen der Älteren hinreichend beschreiben, wird in wissenschaftlichen Analysen zwar immer wieder belegt, diese Erkenntnis schlägt sich in offiziellen Dokumenten der Politik aber allenfalls in Fußnoten und nachrangig nieder, wenn nicht gar Fakten schlicht geleugnet werden und z. B. behauptet wird, "... dass Bedürftigkeit im Alter heute kein Problem darstellt" (ebenda). Diejenigen, die "im Schatten stehen" sieht man nicht − und man will sie eigentlich auch nicht sehen.

Die Politik verstrickt sich auch in ihrer Beschreibung der immateriellen Aspekte der Lebenslagen der älteren Bevölkerung in Widersprüche, etwa wenn die Bundesregierung auf der einen Seite in einer detaillierteren Betrachtung der Teilhabeprobleme sozial schwächerer Gruppen von Älteren schreibt:

QuellentextDeutscher Bundestag 2011

"Menschen in der Gruppe der "passiven Älteren" sind zu einem großen Teil älter und verfügen über eine deutlich geringere Bildung sowie ein niedrigeres Einkommen ... Ihr Lebensstil ist durch eine inaktive Freizeitgestaltung und Zurückgezogenheit gekennzeichnet. Es ist davon auszugehen, dass von Armut bedrohte ältere Menschen überproportional häufig diesem Lebensstil zuneigen."

Deutscher Bundestag 2011, S. 80 f.

Auf der anderen Seite schreibt die Bundesregierung aber auch pauschal:

QuellentextDeutscher Bundestag 2013

"Die soziale Teilhabe von älteren Menschen ist in Deutschland sehr gut ausgeprägt."

Deutscher Bundestag 2013b, S. 41.

Entscheidend für ein realistisches Bild der Lebenslage Älterer − aber gleichermaßen auch anderer (Alters-)Gruppen in der Gesellschaft ist die Einsicht in die geringe Aussagekraft von Durchschnittswerten, wenn die Streuung, also die gruppenspezifischen Unterschiede in den Lebenslagen nicht berücksichtigt wird. Vereinfacht: "Die" Alten gibt es nicht.

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.